Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren - Rücknahme von Verwaltungsakten - Bestandskraft
Gesetze: § 44 Abs 1 SGB 10, § 44 Abs 2 SGB 10, § 77 SGG
Instanzenzug: SG Darmstadt Az: S 6 KR 608/21 Urteilvorgehend Hessisches Landessozialgericht Az: L 1 KR 41/24 Beschluss
Gründe
1I. Die beklagte Krankenkasse (KK) hat den Antrag der bei ihr versicherten Klägerin vom auf Kostenübernahme einer privatärztlich durchzuführenden bimaxillären Umstellungsosteotomie mit Bescheid vom abgelehnt. Die Klägerin ließ die Behandlung zwischen dem und durchführen. Sie beantragte mit Schreiben vom die Überprüfung und Aufhebung des Bescheides vom nach § 44 SGB X sowie die Übernahme der Behandlungskosten und beschaffte sich ab die stationär durchgeführte belegärztliche Operation als privatärztliche Leistung. Sie verwies zur Begründung ihres Kostenübernahmebegehrens und des später geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs (7387,09 Euro) auf die eingetretene Genehmigungsfiktion. Damit ist die Klägerin bei der Beklagten und in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Änderung des Bescheides von und Kostenerstattung nach § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB V. Die von der Klägerin in Anspruch genommene privatärztliche Behandlung gehöre nach § 27 SGB V nicht zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Ein Anspruch auf Kostenerstattung infolge Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a Satz 6 und 7 SGB V scheitere an der bestandskräftigen Ablehnung der beantragten Behandlung (Beschluss vom ).
2Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss.
3II. Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung.
4Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.
5Die Klägerin formuliert als Rechtsfrage:
61. Die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage ist nicht hinreichend dargelegt.
7Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, obwohl das BSG sie noch nicht ausdrücklich behandelt hat, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sodass eine weitere Klärung oder Fortentwicklung des Rechts nicht mehr zu erwarten ist (stRspr; vgl zB - juris RdNr 7 mwN). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Revisionsgericht schon eine oder mehrere Entscheidungen getroffen hat, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der Frage geben (vgl - juris RdNr 10; - juris RdNr 9 mwN). Klärungsbedürftig sind nur solche entscheidungserheblichen Rechtsfragen, auf die sich eine Antwort noch nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz ergibt, die durch die höchstrichterliche Rechtsprechung noch nicht unmittelbar geklärt sind und auf die sich eine Antwort auch nicht zumindest mittelbar aus bereits vorhandenen höchstrichterlichen Entscheidungen finden lässt. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl - juris RdNr 8 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit eines entsprechenden Maßstabs BVerfG <Kammer> vom - 1 BvR 765/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f = juris RdNr 4).
8Bereits § 44 Abs 1 und Abs 2 SGB X ist zu entnehmen, dass nach § 77 SGG bestandskräftig gewordene Verwaltungsakte bis zu ihrer Rücknahme bestandskräftig bleiben. Verlöre der Verwaltungsakt bereits mit der Einleitung einer Überprüfung nach § 44 SGB X seine Bestandskraft, hätte es des Zusatzes "auch nachdem er unanfechtbar geworden ist" nicht bedurft. Es ist in der Rechtsprechung des BSG auch geklärt, dass die in § 44 SGB X eröffnete Möglichkeit der Rücknahme eines rechtswidrigen, nicht begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 44 SGB X dessen nach § 77 SGG eingetretene Bestandskraft durchbricht (vgl - BSGE 134, 84 = SozR 4-1300 § 44 Nr 45, RdNr 19), also erst mit der Rücknahmeentscheidung die eingetretene Bestandskraft der anderslautenden, nicht begünstigenden Entscheidung endet. Die in § 44 SGB X enthaltenen Regelungen dienen der Auflösung des Konflikts zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zugunsten letzterer (vgl - BSGE 133, 262 = SozR 4-1300 § 44 Nr 44, RdNr 23 mwN; - BSGE 115, 126 = SozR 4-1300 § 44 Nr 28, RdNr 19). Hieran anknüpfend hat der Senat entschieden, dass eine Selbstbeschaffung jedenfalls dann keinen Kostenerstattungsanspruch mehr auszulösen vermag, wenn sie erst erfolgt, nachdem die KK die beantragte Leistung bestandskräftig abgelehnt hat ( - BSGE 130, 200 = SozR 4-2500 § 13 Nr 53, RdNr 27).
9Mit diesen gesetzlichen Regelungen und der dazu ergangenen Rechtsprechung des BSG setzt sich die Klägerin nicht auseinander. Sie legt nicht dar, warum die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes, mit dem die Beklagte die beantragte Kostenübernahme für eine Behandlung abgelehnt hat, abweichend vom Regelungskonzept der § 77 SGG, § 44 Abs 1 SGB X bereits mit dem Antrag auf Überprüfung und Rücknahme der ablehnenden Entscheidung enden und sich deshalb noch eine Klärungsbedürftigkeit speziell für die Frage der Reichweite der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a SGB V ergeben könnte.
10Darüber hinaus fehlt es - ausgehend von der Rechtsauffassung der Klägerin - an Ausführungen dazu, warum die Klägerin im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung der Leistung aufgrund des ablehnenden Verwaltungsaktes nicht bereits wusste oder zumindest grob fahrlässig nicht wusste, dass ein materieller Leistungsanspruch nicht bestand (vgl zu dieser Voraussetzung - BSGE 130, 200 = SozR 4-2500 § 13 Nr 53, RdNr 22 ff). Dazu hätte umso mehr Anlass bestanden als die Beklagte in ihrem bestandskräftigen Bescheid der Klägerin insbesondere mitgeteilt hatte: "Sie beantragen die Kostenübernahme im Rahmen einer privatärztlichen Behandlung. Die gesamte Behandlung der Umstellungsosteotomie ist sowohl stationär als auch belegärztlich im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkasse abgebildet. Die Behandlung kann bei entsprechend vorliegender medizinischer Indikation durchgeführt werden und die Kosten über Ihre elektronische Gesundheitskarte (eGK) direkt mit uns abgerechnet werden." Es ist nichts dafür vorgetragen, warum die Klägerin gleichwohl habe davon ausgehen dürfen, dass sie anstelle des Sachleistungsanspruchs einen Anspruch auf eine belegärztliche stationäre Behandlung als privatärztliche Leistung gegen Kostenerstattung haben könnte.
112. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
123. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2025:120825BB1KR5424B0
Fundstelle(n):
LAAAK-05017