Instanzenzug: LG Verden Az: 3 Ks 101/23
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren sexuellen Übergriffs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sieben Monaten verurteilt, ihn im Übrigen freigesprochen und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
I.
21. Nach den Feststellungen lud der Angeklagte die Nebenklägerin zu einem „Cocktailabend“ in seine Wohnung ein. Einige Zeit zuvor hatte er in der Pflegeeinrichtung, in der er beschäftigt war, sechs oder sieben Tabletten Tavor in der Dosierung von einem Milligramm Wirkstoff sowie ein Fentanylpflaster der zweithöchsten Dosierungsstufe von 75 Milligramm entwendet. Aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit als Pflegehelfer wusste er, dass es sich bei dem Medikament Tavor mit dem Wirkstoff Lorazepam um ein sedierendes Schlaf- und Beruhigungsmittel und bei dem synthetischen Opioid Fentanyl um ein „starkes, potentiell gefährliches Schmerzmittel“ handelt.
3Nachdem die Nebenklägerin am frühen Abend in der Wohnung des Angeklagten erschienen war, bereitete er Cocktails zu und gab heimlich in ihr Glas zwei zerkleinerte Tabletten Tavor. Als sie das Glas ausgetrunken hatte, erbrach sie sich, trank im weiteren Verlauf des Abends dennoch einen weiteren halben, nicht mit Tavor versehenen Cocktail. Sie wurde zunehmend benommen, erbrach sich erneut und legte sich im Wohnzimmer auf ein Sofa. Der Angeklagte klebte ihr nun das Fentanylpflaster auf das linke Schulterblatt und nahm dabei billigend in Kauf, dass sie aufgrund der erheblichen Sedierung im Falle eines weiteren Erbrechens nicht mehr adäquat würde reagieren können, was – wie er wusste – die konkrete Gefahr einer Aspiration von Speisebrei und des Erstickungstodes barg.
4In der Folge verlor die Nebenklägerin, wie vom Angeklagten geplant, das Bewusstsein, was er nutzte, um sie unter ihrer Unterhose im Bereich der Schambehaarung und Schamlippen zu streicheln; außerdem fertigte er Fotos von ihr in bewusstlosem Zustand an, um sich an diesen nachträglich sexuell erregen zu können.
5Im Laufe des späteren Abends gelang es der Nebenklägerin, von ihrem Mobiltelefon Textnachrichten zu versenden. Dies veranlasste ihre Freundinnen, sie anzurufen und, als sie sich nur unverständlich zu artikulieren vermochte, beim Angeklagten abzuholen. Beim Wechseln ihrer Kleidung wurde das Fentanylpflaster entdeckt. Die Nebenklägerin wurde sodann in ein Krankenhaus gebracht. Ihr Bewusstsein war weiterhin beeinträchtigt, sie litt an Atemaussetzern, und der Sauerstoffgehalt ihres Blutes war teilweise bis auf 80 Prozent abgesunken. Ihr Zustand war „potentiell lebensbedrohlich“. Der Bereich des linken Schulterblattes, in dem zuvor das Fentanylpflaster aufgeklebt war, wies eine Rötung auf.
62. Das Landgericht hat die Tat rechtlich als besonders schweren sexuellen Übergriff nach § 177 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 8 Nr. 1 Variante 2 StGB in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 1 Variante 2 und Nr. 3 StGB) und mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen (§ 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB) gewürdigt. Aufgrund der heimlich in dem Cocktail aufgelösten Tavor-Tabletten und des Anbringens des Fentanylpflasters sei die Nebenklägerin zum Zeitpunkt der sexuellen Handlungen nicht mehr uneingeschränkt in der Lage gewesen, ihren entgegenstehenden Willen frei zu bilden oder zu äußern, was der Angeklagte ausgenutzt habe (§ 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB). Die heimliche, gezielt zur Vornahme sexueller Handlungen eingesetzte Verabreichung bewusstseinstrübender Mittel habe als körperlicher Zwang auf die Nebenklägerin gewirkt und ihre Widerstandsfähigkeit beseitigt (§ 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB).
7Schließlich habe der Angeklagte den Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 8 Nr. 1 Variante 2 StGB verwirklicht. Insofern könne dahinstehen, ob die Medikamente Lorazepam und Fentanyl „im Einzelfall als gefährliche Werkzeuge zu beurteilen“ seien. Denn die Kombination der von dem Angeklagten verabreichten Wirkstoffe Lorazepam, Fentanyl und Alkohol begründe im Zusammenwirken ein „hohes Risiko für den Eintritt einer Lebensgefahr und damit eines erheblichen Gesundheitsrisikos, da sich die einzelnen Wirkstoffe in nicht vorhersehbarer und nicht mehr kontrollierbarer Weise potenzieren“. So bestehe schon bei der Kombination von Alkohol und Lorazepam die Gefahr wechselseitiger Verstärkungen der zentraldämpfenden Effekte in Form von Atemdepressionen, Koma und Atemlähmungen. Bei nicht opioidgewöhnten Personen wie der 17-jährigen Geschädigten bestehe bei der Einnahme von Fentanyl auch bei geringeren Dosierungen die Gefahr von Atemdepressionen.
II.
8Der Schuldspruch hat keinen Bestand. Die Feststellungen tragen nicht die Verurteilung des Angeklagten wegen eines besonders schweren sexuellen Übergriffs nach § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB.
91. Keinen rechtlichen Bedenken begegnet es, dass das Landgericht das Geschehen als sexuellen Übergriff nach § 177 Abs. 1 und 2 Nr. 2 StGB gewürdigt und die heimliche Gabe von Lorazepam und Fentanyl als Anwendung von Gewalt im Sinne von § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB angesehen hat (vgl. , BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 9; vom – 5 StR 173/98; Beschluss vom – 5 StR 731/24).
102. Es hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung jedoch nicht stand, dass die Jugendkammer die Verabreichung von Fentanyl über die Haut mittels eines Pflasters als Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne des Qualifikationstatbestands des § 177 Abs. 8 Nr. 1 Variante 2 StGB gewertet hat. Denn es handelt sich bei dem synthetischen Opioid Fentanyl, auch bei Verabreichung mittels eines transdermalen Pflasters, nicht um ein „gefährliches Werkzeug“ im Sinne dieser Vorschrift.
11a) Der Bundesgerichtshof hat bereits mehrfach entschieden, dass es sich bei sedierenden oder narkotisierenden Mitteln, wie insbesondere sogenannten „K.O.-Tropfen“, die dem Tatopfer – etwa in einem Getränk – verabreicht werden, für sich genommen nicht um gefährliche Werkzeuge im Sinne von § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB handelt (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 382/24, NJW 2024, 3735; vom – 3 StR 512/24, NStZ-RR 2025, 139; vom – 6 StR 418/24, Rn. 8; noch offengelassen: BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 652/17; vom – 1 StR 418/18, NStZ 2019, 273; a.A., aber nicht tragend: , Rn. 19). Es besteht keine Veranlassung, für die hier zu beurteilende Beibringung von Fentanyl von der zu den „K.O.-Tropfen“ ergangenen neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abzuweichen.
12b) Auch der Umstand, dass der Angeklagte der Geschädigten das Fentanyl mittels eines transdermalen Pflasters verabreichte, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn ebenso wenig wie das Fentanyl selbst stellt das dieses Mittel enthaltende Pflaster, das der Angeklagte auf dem Schulterblatt der Geschädigten angebracht hatte, ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 177 Abs. 8 Nr. 1 Variante 2 StGB dar.
13aa) Bereits der Wortlaut spricht eher dagegen, ein (Fentanyl-)Pflaster als „Werkzeug“ anzusehen (vgl. zur Bedeutung der Wortlautgrenze , BVerfGE 160, 284, Rn. 96 ff.). Denn nach dem allgemeinen Sprachgebrauch handelt es sich bei einem Werkzeug um einen für bestimmte Zwecke geformten Gegenstand, mit dessen Hilfe etwas bearbeitet wird (vgl. , NJW 2024, 3735, unter Bezugnahme auf Duden Band 10, Das Bedeutungswörterbuch, 5. Aufl., Stichwort „Werkzeug“ unter 1.a, S. 1121). Das Pflaster ist zwar ein für bestimmte Zwecke geformter Gegenstand, einer „Bearbeitung“ der Haut oder des Körpers dient es aber nicht.
14Hinzu kommt Folgendes: Zwar wird der Begriff des (gefährlichen) Werkzeugs in der Rechtsprechung und im Schrifttum weit verstanden. Er umfasst jeden beweglichen Gegenstand, mit dem, gleich auf welche Weise, auf den Körper des Opfers eingewirkt werden kann (vgl. − 1 StR 503/14, NStZ 2015, 213, 214), und der nach seiner Beschaffenheit und der Art seiner Benutzung dazu geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen (vgl. , NStZ 2002, 594), wobei mit einer erheblichen Verletzung eine nach Dauer oder Intensität gravierende, jedenfalls nicht nur ganz leichte Verletzung oder Gesundheitsschädigung gemeint ist (vgl. , JR 2015, 206, 207). Als gefährliches Werkzeug sind hiernach etwa erachtet worden ein Kopfkissen (vgl. − 1 StR 503/14, aaO), ein Hund (vgl. ; Beschluss vom – 4 StR 584/98, NStZ-RR 1999, 174), ein Kraftfahrzeug (vgl. , NStZ-RR 2014, 11, 12), ein Reizgasspray (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 664/16; vom – 5 StR 445/08, BGHSt 52, 376, 377), eine brennende Zigarette (vgl. , BGHR StGB § 224 Abs. 1 Nr. 2 Werkzeug 2), eine Sprühflasche mit Haushaltsreiniger (vgl. , NStZ-RR 2011, 275, 276) sowie ätzende Säure (vgl. , BGHSt 1, 1, 4).
15Diesen als (gefährliches) Werkzeug angesehenen, von außen auf den Körper einwirkenden oder in den Körper gebrachten Gegenständen und Stoffen (vgl. , aaO; MüKo-StGB/Hardtung, 4. Aufl., § 224 Rn. 15; LK/Grünewald, StGB, 13. Aufl., § 224 Rn. 20; TK/Sternberg-Lieben, StGB, 31. Aufl., § 224 Rn. 6) ist gemein, dass sie unmittelbar zu einer erheblichen Beeinträchtigung der körperlichen Integrität führen (vgl. , Rn. 20). Demgegenüber entfaltet das in einem Pflaster enthaltene Fentanyl seine gesundheitsschädliche Wirkung nach Aufnahme durch die Haut erst über einen Stoffwechselprozess (vgl. zur Kochsalzintoxikation, die § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB unterfällt, , BGHSt 51, 18, 22; anders noch zu § 223a StGB aF , bei Holtz MDR 1986, S. 270, 273; wohl auch , aaO). Das Pflaster ist zwar der Gegenstand, dessen sich der Angeklagte als Mittel zur Ausführung der Tat bedient; die maßgebliche Gefährlichkeit des Gegenstands entsteht jedoch erst nach der Aufnahme des Wirkstoffs über die Haut in das Blut durch einen Stoffwechselprozess und nicht unmittelbar durch das Pflaster. Auch die auf der Applikation des Pflasters beruhende Rötung der Haut stellt jedenfalls keine erhebliche Beeinträchtigung der körperlichen Integrität dar (vgl. aber zu einer Katheterinfusion, , aaO).
16bb) Zudem stehen gesetzessystematische Erwägungen einem Verständnis, dass es sich bei einem Fentanylpflaster um ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 177 Abs. 8 Nr. 1 Variante 2 StGB handelt, entgegen. Dafür sprechen insbesondere die Vorschriften des § 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB und des § 224 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB.
17(1) Der Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB unterscheidet zwischen „Werkzeugen“ einerseits und „Mitteln“ andererseits. Aus dieser Differenzierung ergibt sich, dass das Gesetz nicht jedweden Gegenstand oder jede Substanz, mit dem der Widerstand der geschädigten Person verhindert oder überwunden werden soll, als „Werkzeug“ versteht. Vor diesem Hintergrund drängt sich auf, narkotisierende oder sedierende Substanzen, wie etwa auch Methamphetamin (vgl. ), die ihre Wirkung im Gegensatz zu einem Werkzeug erst aufgrund eines Stoffwechselprozesses entfalten, der weiteren gesetzlichen Kategorie des „Mittels“ zuzuordnen und auf diese Weise den in der besonderen Gefährlichkeit einer in ihrer konkreten Wirkweise oftmals kaum zu kontrollierenden Substanz begründeten Unrechtsgehalt schuldangemessen zu sanktionieren.
18(2) Auch die Vorschrift des § 224 StGB spricht dafür, dass es sich bei einem Fentanylpflaster nicht um ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 177 Abs. 8 Nr. 1 Variante 2 StGB handelt. Denn § 224 StGB unterscheidet zwischen „Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen“ einerseits (§ 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB) und „gefährlichen Werkzeugen“ andererseits (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB).
19Die erhöhte Gefährlichkeit ergibt sich bei einem Fentanylpflaster nicht aus dem Trägermedium Pflaster selbst, das regelmäßig – wie auch hier – durch das Anhaften auf der Haut allenfalls zu einer leichten Hautreizung führt, sondern aus der in ihm enthaltenen Substanz, die durch die Haut in den Körper eindringt und dort einen Stoffwechselprozess bewirkt.
20Das Fentanylpflaster kann auch nicht zugleich als (gefährliches) „Werkzeug“ im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gewertet werden. Bei der Tatbestandsvariante „Begehung mittels eines gefährlichen Werkzeugs“ handelt es sich nicht um den Oberbegriff zur Variante der Begehung durch „Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen“ in § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB mit der Folge, dass ein gesundheitsschädlicher Stoff stets auch ein gefährliches Werkzeug wäre; die Qualifikation des § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist nicht lex specialis zu § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB (vgl. , NJW 2024, 3735, 3737). Vielmehr spricht die Regelung in § 224 Abs. 1 StGB mit den Qualifikationsvarianten Nr. 1 und Nr. 2 für eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen Giften und gesundheitsschädlichen Stoffen einerseits und den Waffen und gefährlichen Werkzeugen andererseits. Für die Tatbestandserfüllung von § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB kommt es dabei nicht darauf an, auf welche Weise die Verbindung des Giftes oder der anderen im Gesetz bezeichneten Stoffe mit dem Körper hergestellt wird; die Stoffe können mithin „innerlich“ oder „äußerlich“ angewendet werden (vgl. , BGHSt 15, 113, 114; vom – 3 StR 469/75, NJW 1976, 1851; jeweils zu § 229 StGB aF).
21(3) Soweit der Bundesgerichtshof für die Vorschrift des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB angedeutet, aber nicht tragend entschieden hat, dass ein Mittel, das erst nach einem Stoffwechselprozess im Körper sedierend oder narkotisierend wirkt, bei lebensgefährdender Dosierung ein gefährliches Werkzeug sein könnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 65/18, Rn. 4; vom – 4 StR 473/08, NStZ 2009, 505, 506), vermag der Senat dem für § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB aus den aufgezeigten Gründen nicht zu folgen. Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb für § 177 Abs. 8 Nr. 1 Variante 2 StGB etwas anderes gelten sollte, zumal ein Gleichlauf dem Willen des Gesetzgebers entspricht, der den Begriff des gefährlichen Werkzeugs in § 177 StGB nicht anders verstanden haben wollte als in dem – wiederum an § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB angelehnten – Qualifikationstatbestand des § 250 StGB (vgl. BT-Drucks. 13/9064, S. 13, 18; siehe auch , NJW 2024, 3735, 3737).
22cc) Diesem Normverständnis steht das Ergebnis einer historischen Auslegung nicht entgegen. Das „gefährliche Werkzeug“ wurde mit dem 6. Strafrechtsreformgesetz vom (BGBl. I S. 164) als Qualifikationsmerkmal in § 177 StGB eingefügt und sollte wie in § 250 Abs. 1 StGB verstanden werden (BT-Drucks. 13/9064, S. 13). Der Begriff ist der Vorschrift des § 223a Abs. 1 StGB aF entlehnt, so dass zur Auslegung von § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB auf die für § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden kann, wonach beispielsweise Salzsäure als gefährliches Werkzeug anzusehen ist (vgl. BT-Drucks. 13/9064, S. 18 unter Hinweis auf BGHSt 1, 1), was mithin gleichermaßen für § 177 Abs. 8 StGB gilt (vgl. zu § 177 Abs. 4 StGB aF , NStZ-RR 2011, 275, 276). Mit demselben Reformgesetz wurde allerdings § 223a StGB durch die Vorschrift des § 224 StGB ersetzt; an die Stelle des bis dahin geltenden § 229 StGB aF trat § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB (vgl. BT-Drucks. 13/9064, S. 15 f.). Mit der Ergänzung und Neufassung der Strafvorschriften strebte der Gesetzgeber an, Strafbarkeitslücken zu schließen, Auslegungsschwierigkeiten zu beseitigen, in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht veraltete Tatbestandsfassungen den heutigen Erfordernissen anzupassen und die Strafvorschriften in ihrem Aufbau und Sprachgebrauch insgesamt zu vereinheitlichen (vgl. BT-Drucks. 13/7164, S. 18). Zu einer möglichen Überschneidung des Anwendungsbereichs der erst während des Gesetzgebungsverfahrens neben „Gift“ eingefügten Variante 2 des § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB einerseits (Beibringung von anderen gesundheitsschädlichen Stoffen) und Nr. 2 Variante 2 andererseits (mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs) verhalten sich die Gesetzesmaterialien nicht.
23dd) Mit dem Ausschluss eines (Fentanyl-)Pflasters aus dem Begriff „gefährliches Werkzeug“ entsteht schließlich auch keine vom Gesetzgeber nicht gewollte Strafbarkeitslücke, weil in § 177 Abs. 7 StGB – mit einem ebenfalls bis 15 Jahre reichenden Strafrahmen – auch „Mittel“ wie Fentanyl erfasst sind und in § 177 Abs. 8 Nr. 2 Buchst. b StGB jedenfalls die Verursachung einer konkreten Todesgefahr als Qualifikationsmerkmal geregelt ist.
243. Die Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schweren sexuellen Übergriffs hat daher keinen Bestand.
25a) Soweit der Angeklagte nach den Feststellungen durch das Verabreichen des Fentanyls zugleich § 177 Abs. 7 Nr. 2 Variante 2 StGB in Tateinheit mit § 224 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 5 StGB verwirklichte (vgl. dazu , Rn. 3), sieht sich der Senat allerdings gehindert, den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst zu ändern. Nach den Feststellungen liegt es jedenfalls nicht fern, dass der Angeklagte auch die Qualifikation des § 177 Abs. 8 Nr. 2 Buchst. b StGB erfüllte. Denn bei der Nebenklägerin bestand aufgrund der starken Bewusstseinseintrübung und der Übelkeit das „konkrete“ Risiko des Erstickens durch das Aspirieren von Fremdkörpern infolge Erbrechens; sie litt an Atemaussetzern, und der Sauerstoffgehalt des Blutes war teilweise bis auf 80 Prozent abgesunken. Es erscheint danach nicht ausgeschlossen, dass dieses Risiko im zweiten Rechtsgang als eine konkrete Todesgefahr bewertet werden kann. In diesem Fall aber hätte der Schuldspruch Bestand. Das Verböserungsverbot steht einem Austausch des Qualifikationsmerkmals – gegebenenfalls nach entsprechenden Hinweisen (§ 265 Abs. 1 StPO) – nicht entgegen (, Rn. 7).
26b) Wegen des tateinheitlichen Zusammentreffens erstreckt sich die Aufhebung auch auf den – für sich genommen rechtsfehlerfreien – Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 StGB) und wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen (§ 201a Abs. 1 StGB).
27c) Die rechtsfehlerfrei zum objektiven Tatgeschehen getroffenen Feststellungen hat der Senat aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können um ihnen nicht widersprechende ergänzt werden. Das neue Tatgericht wird auch die Frage der Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zu prüfen haben, die insbesondere im Revisionsverfahren entstanden ist.
28d) Der Senat verweist die Sache an eine allgemeine Strafkammer zurück. Die Voraussetzungen für die Zuständigkeit des Schwurgerichts sind nicht mehr gegeben.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:150525B6STR360.24.0
Fundstelle(n):
SAAAK-05006