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BGH Urteil v. - X ZR 110/24

Leitsatz

Eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Luftfahrtunternehmens, die für den Fall, dass der Fluggast die Beförderung nicht auf allen oder nicht in der im Flugschein angegebenen Reihenfolge der einzelnen Teilstrecken bei ansonsten unveränderten Reisedaten antritt, eine Nachkalkulation des Flugpreises vorsieht, ist unwirksam, wenn sie auch für Fluggäste gilt, die bei Vertragsschluss die Absicht hatten, die Gesamtleistung in Anspruch zu nehmen, und ihre Planung aufgrund von nachträglich zutage getretenen Umständen geändert haben (Ergänzung zu Xa ZR 5/09, NJW 2010, 1958 = RRa 2010, 188 und vom Xa ZR 101/09, RRa 2010, 191).

Gesetze: § 241 BGB, § 242 BGB, § 305 Abs 1 S 3 BGB, § 307 Abs 1 S 1 BGB, § 307 Abs 2 Nr 1 BGB, § 307 Abs 3 S 1 BGB

Instanzenzug: Az: I-6 U 139/23 Urteilvorgehend Az: 33 O 17/23

Tatbestand

1Der Kläger wendet sich gegen eine Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des beklagten Luftfahrtunternehmens.

2Die Beklagte bietet Verbrauchern die Möglichkeit, von ihr angebotene Flüge online über ihre Internet-Seiten zu buchen. Sie verwendet hierbei ihre Allgemeinen Beförderungsbedingungen für Fluggäste und Gepäck (ABB). Diese enthalten folgende Regelung:

3.3.3 Sofern Sie sich für einen Tarif entschieden haben, der die Einhaltung einer festen Couponreihenfolge vorsieht, beachten Sie bitte, dass wenn Sie die Beförderung nicht auf allen oder nicht in der im Flugschein angegebenen Reihenfolge der einzelnen Teilstrecken bei ansonsten unveränderten Reisedaten antreten, wir den Flugpreis entsprechend Ihrer geänderten Streckenführung nachkalkulieren werden. Dabei wird der Flugpreis ermittelt, den Sie in Ihrer Preisgruppe am Tag Ihrer Buchung für Ihre tatsächliche Streckenführung zu entrichten gehabt hätten. Dieser kann höher oder niedriger sein als der ursprünglich bezahlte Flugpreis.

War die von Ihnen ursprünglich gebuchte Preisgruppe für die geänderte Streckenführung am Tag der Buchung nicht verfügbar, wird für die Nachkalkulation die günstigste verfügbar gewesene Preisgruppe für Ihre geänderte Streckenführung zugrunde gelegt.

Sofern am Tag der Buchung für Ihre geänderte Streckenführung ein höherer Flugpreis zu entrichten gewesen wäre, werden wir unter Anrechnung des bereits gezahlten Flugpreises die Differenz nacherheben. Bitte beachten Sie, dass wir die Beförderung davon abhängig machen können, dass Sie den Differenzbetrag gezahlt haben.

Sollten Sie über ein nach den Tarifbedingungen erstattbares Ticket verfügen und noch keine Teilstrecke abgeflogen haben, steht es Ihnen frei, sich den Ticketpreis gemäß den Tarifbestimmungen erstatten zu lassen. Sie verlieren damit Ihren Beförderungsanspruch.

Dieser Artikel 3.3.3 gilt nicht für Beförderungen von Verbrauchern mit Wohnsitz in Österreich.

3Der Kläger macht geltend, die in den ersten drei Absätzen dieser Klausel vorgesehene Regelung sei überraschend und intransparent und führe zu einer unangemessenen Benachteiligung der Fluggäste.

4Der Kläger hat beantragt, der Beklagten zu verbieten, die beanstandete Bestimmung in Flugbeförderungsverträge mit Verbrauchern einzubeziehen und sich auf sie bei der Abwicklung derartiger Verträge zu berufen. Ferner hat er Erstattung von Abmahnkosten in Höhe von 260 Euro nebst Zinsen begehrt.

5Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht (, GRUR 2025, 92 = RRa 2025, 36) die Beklagte antragsgemäß verurteilt.

6Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Gründe

7Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.

8I.    Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

9Der Unterlassungsanspruch des Klägers nach § 1 UKlaG sei begründet. Ob die beanstandete Klausel im Sinne des § 305c BGB überraschend sei oder gegen das aus § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB folgende Transparenzgebot verstoße, könne dahingestellt bleiben. Jedenfalls sei die Klausel nach § 307 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB unwirksam.

10Die Klausel unterliege der Inhaltskontrolle, weil sie das grundsätzlich bestehende Recht der Kunden ausschließe, die geschuldete Beförderungsleistung nur teilweise in Anspruch zu nehmen.

11Die Klausel benachteilige die Vertragspartner der Beklagten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, weil sie nicht unterscheide zwischen Kunden, die die Tarifstruktur der Beklagten bewusst ausnutzten, um sich wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen, und so genannten Schicksalskunden, die eine Teilstrecke eines gebuchten Flugs insbesondere wegen Krankheit oder höherer Gewalt unfreiwillig und unverschuldet nicht in Anspruch nehmen könnten.

12Zwar bestehe ein berechtigtes Interesse der Fluggesellschaft an privatautonomer Preisgestaltung, welches unterlaufen würde, wenn sich ein Fluggast etwa den niedrigeren Preis einer Umsteigeverbindung zunutze machen könnte, um einen Anspruch auf einen Direktflug zu erwerben. Dem stehe aber das berechtigte Interesse der Kunden am Erhalt des Gegenwerts für die gebuchte und bezahlte Leistung bei einer nachträglichen Änderung ihrer Planung oder bei Eintritt sonstiger Umstände entgegen.

13Eine andere Beurteilung folge nicht aus der Entscheidung des (Xa ZR 101/09, RRa 2010, 191). Diese beziehe sich nur auf Fälle, in denen das Tarifsystem tatsächlich unterlaufen werde.

14II.    Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Überprüfung stand.

151.    Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die beanstandete Bestimmung der Inhaltskontrolle gemäß § 307 bis § 309 BGB unterliegt.

16a)    Wie die Revision im Ansatz zutreffend darlegt, unterscheidet sich die beanstandete Bestimmung von Klauseln, die der Bundesgerichtshof in zwei früheren Entscheidungen zu beurteilen hatte ( Xa ZR 5/09, NJW 2010, 1958 = RRa 2010, 188; Xa ZR 101/09, RRa 2010, 191), dadurch, dass eine Abweichung von der im Flugschein angegebenen Reihenfolge nicht zum vollständigen Verlust des Beförderungsanspruchs führt, sondern zu einer Nachkalkulation und damit je nach Fallgestaltung zu einer Erhöhung des zu zahlenden Preises.

17Das Berufungsgericht hat diesen Unterschied zutreffend erfasst.

18Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht nicht angenommen, dass die beanstandete Bestimmung den Beförderungsanspruch ausschließt. Es ist bei seiner Beurteilung vielmehr davon ausgegangen, dass die Regelung zur Folge haben kann, dass der Fluggast nur noch dann befördert wird, wenn er ein zusätzliches Entgelt zahlt. Dieses Verständnis ist zutreffend.

19b)    Vor diesem Hintergrund ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die beanstandete Bestimmung nicht nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB der Inhaltskontrolle entzogen ist.

20Nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB unterfallen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nur solche Bestimmungen der Inhaltskontrolle, die von Rechtsvorschriften abweichen oder diese ergänzen. Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt.

21aa)    Die beanstandete Bestimmung enthält keine der Inhaltskontrolle entzogene Preisabrede.

22Von der Inhaltskontrolle ausgenommen sind nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB unter anderem Abreden über den unmittelbaren Gegenstand der zu erbringenden Hauptleistungen (, BGHZ 146, 331 = NJW 2001, 2399, 2401). Kontrollfrei sind demnach solche Klauseln, die den Preis bei Vertragsschluss zwar nicht unmittelbar beziffern, jedoch die für die Ermittlung des Preises maßgeblichen Bewertungsfaktoren und das hierbei einzuhaltende Verfahren festlegen (, BGHZ 185, 96 = NJW 2010, 2789 Rn. 19).

23Kontrollfähig sind hingegen so genannte Preisnebenabreden, d.h. Klauseln, die sich nur mittelbar auf den Preis auswirken und an deren Stelle bei Fehlen einer wirksamen vertraglichen Regelung dispositives Gesetzesrecht, allgemeine Rechtsgrundsätze oder aus der Natur des Vertrages im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ableitbare Rechte treten können (, BGHZ 212, 329 = NJW 2017, 1018 Rn. 22; Urteil vom - XI ZR 183/23, BGHZ 243, 52 = NJW-RR 2025, 687 Rn. 37). Anders als die unmittelbaren Preisabreden bestimmen sie nicht das Ob und den Umfang von Entgelten, sondern treten als ergänzende Regelungen, die lediglich die Art und Weise der zu erbringenden Vergütung und/oder etwaige Preismodifikationen zum Inhalt haben, neben eine bereits bestehende Preishauptabrede (vgl. , BGHZ 146, 331, 338 f. = NJW 2001, 2399, 2401; Urteil vom - VIII ZR 178/08, BGHZ 185, 96 = NJW 2010, 2789 Rn. 20).

24Die im Streitfall beanstandete Bestimmung betrifft das vom Vertragspartner zu zahlende Entgelt. Sie legt dessen Höhe jedoch nicht unmittelbar fest, sondern sieht für den Fall, dass der Fluggast die Leistung der Beklagten nicht wie vertraglich vorgesehen in Anspruch nimmt, eine anhand abstrakter Kriterien festgelegte Änderung desselben vor. Damit handelt es sich um eine kontrollfähige Preisnebenabrede im oben aufgezeigten Sinne.

25bb)    Die beanstandete Bestimmung enthält auch keine Vereinbarung über die von der Beklagten zu erbringende Leistung.

26Die Beklagte sieht zwar die Kombination eines bestimmten Fluges mit einem Zubringer- oder Rückflug als gesondertes Produkt an, das einer anderen Preisgestaltung unterliegt und gegebenenfalls weniger kosten kann als der in Rede stehende Flug allein. Die beanstandete Bestimmung enthält aber keine Beschreibung einer solchen Leistung. Sie regelt lediglich, welche Folgen es hat, wenn der Fluggast die bei Vertragsschluss vereinbarte Leistung nicht wie vorgesehen in Anspruch nimmt.

27cc)    Die beanstandete Bestimmung weicht inhaltlich von gesetzlichen Vorschriften ab.

28Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, darf ein Fluggast nach dem Gesetz mangels einer abweichenden Regelung einzelne Teilflüge in Anspruch nehmen, ohne hierfür ein zusätzliches Entgelt zu schulden, sofern sein Anspruch nicht nach Treu und Glauben ausgeschlossen ist ( Xa ZR 5/09, NJW 2010, 1958 = RRa 2010, 188 Rn. 23 ff.).

29c)    Die von der Revision angeführte Möglichkeit, zwischen einem Tarif mit fester Flugscheinreihenfolge und einem Flex-Tarif mit voller Flexibilität zu wählen, macht die beanstandete Bestimmung nicht zu einer Individualabrede im Sinne von § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB.

30Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt ein individuelles Aushandeln im Sinne von § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB voraus, dass der Verwender den gesetzesfremden Kerngehalt seiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt mit zumindest der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen (vgl. etwa , BGHZ 200, 326 = NJW 2014, 1725 Rn. 27).

31Eine vorformulierte Vertragsbedingung kann dementsprechend ausgehandelt sein, wenn sie der Verwender als eine von mehreren Alternativen anbietet, zwischen denen der Vertragspartner die Wahl hat, der Vertragspartner durch die Auswahlmöglichkeit den Gehalt der Regelung mitgestalten kann und die Wahlfreiheit nicht durch Einflussnahme des Verwenders, sei es durch die Gestaltung des Formulars, sei es in anderer Weise überlagert wird (, NJW 2018, 2039 Rn. 13).

32Im Streitfall eröffnet die Auswahl zwischen einem Flex-Tarif und einem Tarif mit fester Flugscheinreihenfolge keine hinreichende Möglichkeit, den Gehalt der beanstandeten Regelung zu gestalten. Im Fokus der Regelung steht nicht die Vorgabe, die Flüge in der im Flugschein ausgewiesenen Reihenfolge in Anspruch zu nehmen, sondern die Folge eines Verstoßes gegen diese Vorgabe. Insoweit steht dem Vertragspartner auch nach dem Vorbringen der Beklagten keine Gestaltungsmöglichkeit zu.

332.    Ebenfalls zu Recht ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die beanstandete Bestimmung den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt, weil sie von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abweicht und nicht in jeder von ihr erfassten Konstellation durch hinreichende Interessen der Beklagten gerechtfertigt ist (§ 307 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB).

34a)    Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, zählt die Regel, dass der Gläubiger grundsätzlich berechtigt ist, nur einen Teil der ihm vertraglich zustehenden teilbaren Gesamtleistung vom Schuldner zu fordern, sofern dem nicht der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegensteht, zu den wesentlichen Grundgedanken des Schuldrechts ( Xa ZR 5/09, NJW 2010, 1958 = RRa 2010, 188 Rn. 23).

35Eine Abweichung von diesem Grundsatz in Allgemeinen Geschäftsbedingungen kann der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB nur insoweit standhalten, als sie durch hinreichende Interessen des Verwenders gerechtfertigt ist.

36b)    Wie der Bundesgerichtshof ebenfalls bereits entschieden hat, ist einem Luftfahrtunternehmen ein berechtigtes Interesse daran zuzubilligen, bestimmte Fernflüge im Verbund mit Zubringerflügen und bestimmte Hin- und Rückflüge billiger anbieten zu können als den jeweils vom Gesamtleistungsversprechen umfassten einzelnen Flug allein.

37Eine solche Tarifgestaltung würde ihr Ziel verfehlen, wenn das Luftfahrtunternehmen hinnehmen müsste, dass sich ein Fluggast etwa den niedrigeren Preis einer Umsteigeverbindung zu Nutze macht, um auf diese Weise einen Anspruch auf einen Direktflug zu erwerben, den das Luftfahrtunternehmen zwar auch anbietet, für den es aber einen höheren Preis verlangt und auf dem Markt durchsetzen kann. Das Bestreben des Luftfahrtunternehmens, seine Preise privatautonom zu gestalten, sich damit den jeweiligen Markterfordernissen anzupassen und so jeweils den für es besten auf dem Markt erzielbaren Preis fordern zu können, ist legitim und von der Klauselkontrolle grundsätzlich zu respektieren ( Xa ZR 5/09, NJW 2010, 1958 = RRa 2010, 188 Rn. 30).

38c)    Diesen Interessen steht das Interesse der Fluggäste gegenüber, bei einer nachträglichen Änderung ihrer Planung oder bei Eintritt sonstiger Umstände, die sie an der Inanspruchnahme der ersten Teilleistung hindern oder ihr Interesse daran nachträglich entfallen lassen, nicht ihren gesamten Leistungsanspruch gegen die Beklagte zu verlieren. Sie möchten im Rahmen der gebuchten Beförderungsleistung die Freiheit haben, weiterhin die gebuchten Flugstrecken in Anspruch nehmen zu können, die für sie noch von Interesse sind. Für sie soll der gezahlte Flugpreis weiterhin zumindest den Gegenwert verkörpern, an dem sie auf Grund der eingetretenen Änderungen noch ein Interesse haben, so dass sie nicht gezwungen sind, diesen Teil neu - und gegebenenfalls zu einem höheren Preis - buchen zu müssen ( Xa ZR 5/09, NJW 2010, 1958 = RRa 2010, 188 Rn. 31).

39d)    Diesem Interesse wird nicht bereits dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass das Luftfahrtunternehmen bei Änderungswünschen eine Umbuchung anbietet, sofern der Fluggast bereit ist, einen entsprechend der Änderung errechneten, tagesaktuell ermittelten höheren Flugpreis zu zahlen ( Xa ZR 5/09, NJW 2010, 1958 = RRa 2010, 188 Rn. 32).

40Für die Wahrung der Interessen des Luftfahrtunternehmens an einer autonomen Gestaltung seiner Tarifstruktur genügt zur Vermeidung einer Umgehung dieser Struktur vielmehr eine Regelung, die den Fluggast gegebenenfalls zur Zahlung desjenigen (höheren) Entgelts verpflichtet, das zum Zeitpunkt der Buchung für die in Anspruch genommene Teilleistung verlangt worden ist ( Xa ZR 5/09, NJW 2010, 1958 = RRa 2010, 188 Rn. 35).

41e)    Der Bundesgerichtshof brauchte im Zusammenhang mit Klauseln, nach denen der Flugschein seine Gültigkeit verliert, wenn die Teilleistungen nicht in der festgelegten Reihenfolge in Anspruch genommen werden, nicht zu entscheiden, ob eine Regelung, wie sie nunmehr in Nr. 3.3.3 der Allgemeinen Beförderungsbedingungen der Beklagten vorgesehen ist, auch dann der Inhaltskontrolle standhält, wenn sie für Fluggäste gilt, die bei Vertragsschluss die Absicht hatten, die gesamte Leistung in Anspruch zu nehmen.

42aa)    Der Bundesgerichtshof hat es allerdings für möglich gehalten, dass ein Fluggast, der schon bei Vertragsschluss nicht die Absicht hat, die Gesamtleistung in Anspruch zu nehmen, bereits nach Treu und Glauben daran gehindert ist, einzelne Teilleistungen ohne Aufpreis in Anspruch zu nehmen ( Xa ZR 5/09, NJW 2010, 1958 = RRa 2010, 188 Rn. 28).

43Diese Frage war damals jedoch nicht entscheidungserheblich. Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof zu ihr nicht abschließend Stellung genommen.

44Unabhängig davon ergäben sich aus einer Bejahung der Frage keine zwingenden Schlussfolgerungen hinsichtlich der Anschlussfrage, ob es gerechtfertigt ist, auch für solche Fluggäste eine Nachkalkulation vorzusehen, bei denen die genannte Voraussetzung nicht erfüllt ist.

45bb)    Entsprechendes gilt für den Umstand, dass der Bundesgerichtshof eine Klausel, die einen Aufpreis auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der Buchung verlangten Entgelts für die in Anspruch genommene Teilleistung vorsieht, als grundsätzlich zulässig angesehen hat.

46Für die Entscheidung über die damals zu beurteilenden Klauseln war nicht erheblich, für welchen Personenkreis eine solche alternative Regelung gegebenenfalls vorgesehen werden darf.

47f)    Die Festlegung einer Zahlungspflicht für Fluggäste, die bei Vertragsschluss die Absicht hatten, die Gesamtleistung in Anspruch zu nehmen, und ihre Planung aufgrund von nachträglich zutage getretenen Umständen geändert haben, ist durch die berechtigten Interessen der Beklagten nicht gerechtfertigt.

48aa)    Wie die Revision im Ansatz zutreffend darlegt, muss eine Regelung, die für die Inanspruchnahme einer Teilleistung ein höheres Entgelt vorsieht, das Äquivalenzverhältnis des abgeschlossenen Flugbeförderungsvertrags angemessen berücksichtigen ( Xa ZR 5/09, NJW 2010, 1958 = RRa 2010, 188 Rn. 33 f.).

49Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich daraus nicht, dass dem berechtigten Interesse des Luftfahrtunternehmens an seiner Preisstruktur stets der Vorrang gebührt.

50Pflichten und Sanktionen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die auf Grund eines berechtigten Verwenderinteresses dem Vertragspartner auferlegt werden, unterliegen einem Übermaßverbot und bedürfen einer konkreten und angemessenen Eingrenzung (BGH, Urteil vom  - Eine Abweichung von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung ist deshalb nur insoweit zulässig, als sie zur Wahrung eines solchen Interesses erforderlich ist.

51bb)    Wie der österreichische Oberste Gerichtshof auf der Grundlage des österreichischen Rechts ausgeführt hat, besteht ein konkretes Interesse des Luftfahrtunternehmens an einer Aufzahlung nicht in Bezug auf die jeweilige Beförderung, sondern nur hinsichtlich der abstrakten Aufrechterhaltung der Preisstruktur. Diese Erwägungen sind überzeugend und auch auf der Grundlage des deutschen Rechts ausschlaggebend.

52(1)    Der Oberste Gerichtshof geht davon aus, dass die Nichtinanspruchnahme einer Teilleistung typischerweise nicht zu zusätzlichen Kosten führt, sondern sogar zu Einsparungen und der Möglichkeit, einen frei gewordenen Platz anderweitig zu besetzen (östOGH, Urteil vom - 4 Ob 164/12i, RRa 2013, 100 unter 3.5).

53Diese Erwägungen zieht die Revision im Streitfall nicht in Zweifel.

54Hieraus hat der Oberste Gerichtshof zu Recht die Schlussfolgerung gezogen, dass die Neukalkulation des Entgelts grundsätzlich nicht durch ein berechtigtes Interesse in Bezug auf den konkreten Beförderungsvorgang gerechtfertigt sein kann, sondern nur durch ein Interesse an der Aufrechterhaltung der besonderen Preisstruktur.

55(2)    Um diesem Interesse hinreichend Rechnung zu tragen, bedarf es eines Mechanismus, der potentielle Kunden wirksam davon abhält, diese Strukturen zu umgehen, indem sie Leistungen buchen, die sie nicht in Anspruch nehmen wollen. Hierfür ist nicht erforderlich, eine Neukalkulation auch für solche Fluggäste vorzusehen, bei denen diese Voraussetzung nicht gegeben ist.

56Dem berechtigten Interesse, sich den jeweiligen Markterfordernissen anzupassen und jeweils den besten auf dem Markt erzielbaren Preis fordern zu können, ist hinreichend Rechnung getragen, wenn ein Fluggast, der eine bestimmte Leistung in Anspruch nehmen will, einen Vertrag zu dem hierfür vorgesehenen Preis schließt. Umstände, die erst nach Vertragsschluss zutage treten und dazu führen, dass der Fluggast seine Planung ändert, haben auf die Entscheidung über den Vertragsschluss keinen Einfluss und begründen deshalb keine erhebliche Gefahr für den Bestand des besonderen Preisgefüges.

57Vor diesem Hintergrund verstößt es gegen das Übermaßverbot, eine Nachkalkulation auch für solche Fluggäste vorzusehen, die die vereinbarten Leistungen nur deshalb nicht vollständig in Anspruch nehmen, weil nach Vertragsschluss Umstände zutage getreten sind, die eine solche Abweichung erfordern oder sinnvoll erscheinen lassen.

58(3)    Da die Absichten eines Kunden im Zeitpunkt des Vertragsschlusses keinem unmittelbaren Beweis zugänglich sind, sondern nur anhand von Indizien beurteilt werden können, besteht allerdings die Gefahr, dass sich ein Fluggast, der die Leistung von Beginn an nicht vollständig in Anspruch nehmen will, zum Schein auf Umstände beruft, die angeblich erst nach Vertragsschluss zutage getreten sind.

59Diese Gefahr erfordert jedoch ebenfalls nicht die Einbeziehung aller Fluggäste in die in Rede stehende Regelung. Ihr kann vielmehr schon dadurch hinreichend Rechnung getragen werden, dass dem Fluggast die Darlegung und der Beweis dafür auferlegt werden, dass er im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Absicht hatte, die gebuchte Leistung vollständig in Anspruch zu nehmen, und die Nichtinanspruchnahme von Teilleistungen auf Umständen beruht, die erst nach Vertragsschluss zutage getreten sind.

60cc)    Eine weitergehende Regelung ist auch nicht im Hinblick darauf erforderlich, dass es sich beim Betrieb eines Luftfahrtunternehmens typischerweise um ein Massengeschäft handelt.

61Wie der Bundesgerichtshof bereits ausgeführt hat, ist es zur Durchsetzung einer Preisstruktur der in Rede stehenden Art ohnehin erforderlich, an jeder Station der Reise zu überprüfen, ob die Bedingungen eingehalten sind, und mit Fluggästen, die die Leistung nicht vollständig in Anspruch nehmen, in Kontakt zu treten (BGH, Urteil vom  - 

62Nichtinanspruchnahme von Teilleistungen auf Umständen beruht, die erst nach Vertragsschluss zutage getreten sind, keine derart schwerwiegende Belastung, dass es als gerechtfertigt angesehen werden könnte, jeden Fluggast unabhängig von den Gründen für die Abweichung auf zusätzliche Zahlung in Anspruch zu nehmen.

63dd)    Entgegen der Auffassung der Revision führt der Umstand, dass die Beklagte die Wahl zwischen einem Tarif mit fester Flugscheinreihenfolge und einem Flex-Tarif mit voller Flexibilität bietet, auch in diesem Zusammenhang nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

64Nach der Rechtsprechung des Senats stellt es allerdings für sich genommen keine unangemessene Benachteiligung des Fluggastes dar, wenn für einen Flugtarif durch allgemeine Beförderungsbedingungen das freie Kündigungsrecht abbedungen wird. Maßgeblich hierfür sind das berechtigte Interesse des Luftfahrtunternehmens an einer planbaren Kapazitätsauslastung und der Umstand, dass die Ermittlung, ob und in welcher Höhe die Kündigung zur Ersparnis von Aufwendungen oder zu anderweitigem Erwerb führt, typischerweise mit Schwierigkeiten verbunden ist (, NJW 2018, 2039 Rn. 23 ff.).

65Eine vergleichbare Interessenlage ist in der Konstellation des Streitfalls nicht gegeben.

66In der Nichtinanspruchnahme einzelner Teilleistungen liegt mangels abweichender Erklärung des Fluggasts keine Kündigung des Beförderungsvertrags. Ein Anspruch auf teilweise Erstattung des Flugpreises, dessen Berechnung mit Schwierigkeiten verbunden sein könnte, kommt deshalb grundsätzlich nicht in Betracht.

67ee)    Der Umstand, dass Fluggäste sich gegen die höheren Kosten aufgrund einer Nachkalkulation möglicherweise auf dem Versicherungswege finanziell absichern können, vermag vor diesem Hintergrund ebenfalls kein hinreichendes Interesse daran zu begründen, eine solche Nachkalkulation auch für Kunden vorzusehen, die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Absicht hatten, die gesamte Leistung in Anspruch zu nehmen.

683.    Zu Recht und von der Revision nicht gesondert angegriffen hat das Berufungsgericht einen Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Abmahnkostenpauschale nebst Zinsen bejaht.

69III.    Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Bacher                           Deichfuß                           Kober-Dehm

                  Rensen                         von Pückler

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:281025UXZR110.24.0

Fundstelle(n):
QAAAK-04895