Instanzenzug: Az: 5 A 1995/21 Urteil
Gründe
1Der Kläger ist als Verfolgter im Sinne des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes (BerRehaG) anerkannt. Er begehrt nach teilweise stattgebender Entscheidung über seinen Antrag auf Ausgleichsleistungen vom solche Leistungen auch für die Monate April bis November 2020. Die Beklagte lehnte den Antrag insoweit ab. Das Verwaltungsgericht hat sie verpflichtet, dem Kläger die begehrte Ausgleichsleistung nach § 8 Abs. 1 BerRehaG auch für den Zeitraum vom bis zum zu bewilligen. Zwar habe der Kläger einen förmlichen Antrag erst im Juni 2021 gestellt, jedoch könne er einen früheren Leistungsbeginn im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verlangen. Dessen Voraussetzungen seien gegeben, weil die von der Rehabilitierungsbehörde im Antragsformular zum Grundantrag erteilte Auskunft zum frühestmöglichen Leistungsbeginn unrichtig gewesen sei. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
2Die dagegen gerichtete Beschwerde der Beklagten, welche die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) geltend macht, hat keinen Erfolg.
31. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlich klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist (stRspr, vgl. 8 B 37.18 - ZfWG 2019, 262 Rn. 4 m. w. N.). Der Rechtsmittelführer hat darzulegen, dass diese Voraussetzungen vorliegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Daran fehlt es hier.
4Die von der Beklagten aufgeworfene Frage,
ob eine von der Rehabilitierungsbehörde erteilte falsche Auskunft zu dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch führt,
bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind die für das Sozialrecht entwickelten Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auf Leistungen nach dem Dritten Abschnitt des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes anzuwenden. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch greift ein, wenn ein Leistungsberechtigter in einem bestehenden oder angebahnten Sozialrechtsverhältnis, das auf einem Anspruch auf Sozialleistung beruht, durch die Verletzung sozialrechtlicher Pflichten einen Nachteil erlitten hat. Dabei kann es sich um die Verletzung von Nebenpflichten wie diejenigen zur Auskunft, Betreuung und Beratung (§§ 14, 15 SGB I) handeln. Diese sozialrechtlichen Nebenpflichten treffen auch die Rehabilitierungsbehörde, obwohl sie nicht selbst der Leistungsträger ist, dem gegenüber nach § 14 Satz 2 SGB I die Rechte aus § 8 Abs. 1 BerRehaG geltend zu machen sind (vgl. 3 C 36.10 - BVerwGE 140, 103 Rn. 17 f. und 21). Darüber hinaus ist geklärt, dass die behördliche Auskunft vollständig, eindeutig und richtig sein muss (vgl. - BSGE 44, 114 <121> m. w. N.). Weitergehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Die verwaltungsgerichtliche Subsumtion unter diese Rechtssätze im konkreten Fall kann nicht Gegenstand der Grundsatzrüge sein.
52. Die Revision ist nicht wegen einer Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Der Zulassungsgrund der Divergenz ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines anderen der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen abstrakten Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das bloße Aufzeigen einer vermeintlich fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung solcher Rechtssätze genügt den Darlegungsanforderungen an eine Divergenzrüge nicht (stRspr, vgl. nur 8 B 39.24 - juris Rn. 12 m. w. N.). Danach ist hier keine Divergenz dargetan.
6Die Beklagte bezeichnet keinen entscheidungstragenden Rechtssatz des angegriffenen Urteils, welcher in Anwendung derselben Rechtsnorm in Widerspruch zu einem Rechtssatz des angeblichen Divergenzurteils des 3 C 36.10 - (BVerwGE 140, 103) stünde. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht die im vorbezeichneten Urteil formulierten Rechtssätze seiner Entscheidung ausdrücklich zugrunde gelegt. Dass es neben dem Unterlassen einer geschuldeten Beratung auch eine gegebene, aber falsche Auskunft als Pflichtverletzung im Sinne des § 14 SGB I gewertet hat, steht nicht im Widerspruch zum angeblichen Divergenzurteil. Dieses behandelt das Unterlassen einer gebotenen Auskunft als Pflichtverletzung, ohne seinerseits die gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung in Abrede zu stellen, nach der die Auskunft nicht nur vollständig, sondern auch richtig und unmissverständlich klar erteilt werden muss (vgl. bereits - BSGE 32, 60 <65 f.> unter Hinweis auf die einhellige Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte).
7Die sinngemäß gerügte Abweichung vom - liegt ebenfalls nicht vor. Dieses Urteil bestätigt die Verpflichtung staatlicher Stellen, Auskünfte vollständig, eindeutig und vor allem richtig zu erteilen. Es weist lediglich darauf hin, dass der Adressat einer pflichtwidrigen Auskunft grundsätzlich nur verlangen kann, so gestellt zu werden, wie er bei pflichtgemäßer Auskunft gestanden hätte ( - BSGE 44, 114 <121>). Auch davon geht das angegriffene Urteil aus und ordnet eine Bescheidung des Klägers an, die bei richtiger Auskunft und entsprechend frühzeitiger Antragstellung vorzunehmen gewesen wäre.
8Die weitere Aussage des bundessozialgerichtlichen Urteils, die Klägerin des damaligen Verfahrens könne nur einen Amtshaftungsanspruch geltend machen, begründet keine Divergenz. Sie beruht auf der Annahme, die seinerzeit begehrte Freistellung von unfallversicherungsrechtlichen Beitragspflichten sei ein Vorteil, den die damalige Klägerin auch bei richtiger Auskunft nicht hätte erlangen können. Damit betrifft sie die Anwendung versicherungsrechtlicher Vorschriften, die das Verwaltungsgericht nicht angewendet hat.
9Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei; einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:161025B8B21.25.0
Fundstelle(n):
DAAAK-04804