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BGH Beschluss v. - IV ZB 34/24

Instanzenzug: Az: 19 U 1/24vorgehend Az: 60 O 22/24

Gründe

1    I. Die Kläger machen als Vertragserben ihres Vaters (im Weiteren: Erblasser) unter anderem Auskunftsansprüche betreffend den Verbleib von Erbschaftsgegenständen geltend. Der Beklagte, der Sohn der Klägerin zu 1, betreibt auf einer Internetplattform einen privaten Handel mit Porzellan, Möbeln, Münzen, Briefmarken und vergleichbaren Sammlerobjekten. Die Kläger behaupten, dass es sich bei den Gegenständen, die der Beklagte auf dieser Plattform anbiete, um Gegenstände aus dem Nachlass des Erblassers handele.

2    Das Landgericht hat den Beklagten durch Teilurteil antragsgemäß verurteilt, Auskunft über den Bestand der Erbschaft und über den Verbleib der Erbschaftsgegenstände durch Vorlage eines Nachlassverzeichnisses nebst Belegen zu erteilen und hierbei Surrogate, Früchte und Nutzungen anzugeben. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten hat das Kammergericht verworfen und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf bis 500 € festgesetzt. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Rechtsbeschwerde.

3    II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

4    1. Sie ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt den Beklagten in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, das es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom - IV ZB 29/21, VersR 2023, 671 Rn. 5).

5    2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

6    a) Das Berufungsgericht hat angenommen, der Beklagte habe nicht glaubhaft gemacht, dass der für die sorgfältige Auskunftserteilung erforderliche Aufwand mit mehr als 600 € zu bewerten sei. Die ausgeurteilte Auskunftspflicht beziehe sich nicht auf den gesamten Nachlass im Zeitpunkt des Erbfalls, sondern auf den im Besitz des Beklagten befindlichen aktuellen Nachlassbestand einschließlich der seit dem Erbfall angefallenen Surrogate, Nutzungen und Früchte. Die vom Landgericht angenommene Auskunftspflicht aus § 2027 Abs. 2 BGB erstrecke sich auf den gegenwärtigen Aktivbestand. Nachforschungen zum Verbleib des gesamten Nachlasses des Erblassers zum Todestag seien nicht geschuldet. Der Beklagte müsse lediglich mitteilen, welche Nachlassgegenstände sich noch in seinem Besitz befänden beziehungsweise welche Surrogate, Nutzungen und Früchte er hierfür erhalten habe. Es sei auch nicht notwendig, sämtliche über die Internetplattform getätigte Verkäufe aufzuarbeiten. Der Beklagte müsse hierzu nur dann weitere Angaben machen, wenn es sich um verkaufte Nachlassgegenstände handele.

7    b) Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

8    aa) Das Berufungsgericht geht zwar zutreffend davon aus, dass sich der Wert des Beschwerdegegenstands im Fall der Einlegung eines Rechtsmittels gegen die Verurteilung zur Auskunftserteilung nach dem Interesse des Rechtsmittelführers bemisst, die Auskunft nicht erteilen zu müssen. Hierbei kommt es grundsätzlich auf den Aufwand an Zeit und Kosten an, den die Erteilung der Auskunft erfordert. Zur Bewertung des anfallenden Zeitaufwandes ist in der Regel auf die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Regelungen des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) zurückzugreifen (Senatsbeschlüsse vom - IV ZB 24/24, ZErb 2025, 339 Rn. 5; vom - IV ZB 13/24, ZEV 2025, 319 Rn. 6; vom - IV ZB 29/23, ZEV 2024, 832 Rn. 6; jeweils m.w.N.; st. Rspr.).

9    bb) In Anwendung dieser Maßstäbe hat das Berufungsgericht aber mit nicht tragfähiger Begründung angenommen, der Beklagte habe nicht glaubhaft gemacht, dass der ihm für die Erteilung der Auskünfte anfallende Aufwand an Zeit und Kosten auf der Grundlage eines Stundensatzes von 4 € gemäß § 20 JVEG mit mehr als 600 € zu bewerten sei.

10    Ist der Wert des Beschwerdegegenstands - wie hier - gemäß den §§ 2, 3 ZPO festzusetzen, kann die Bewertung des Berufungsgerichts im Rechtsbeschwerdeverfahren nur darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht die gesetzlichen Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens überschritten oder sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat. Das ist insbesondere der Fall, wenn das Berufungsgericht maßgebliche Tatsachen verfahrensfehlerhaft nicht berücksichtigt oder etwa erhebliche Tatsachen unter Verstoß gegen die Aufklärungspflicht nicht festgestellt hat (Senatsbeschlüsse vom - IV ZB 24/24, ZErb 2025, 339 Rn. 6; vom - IV ZB 29/23, ZEV 2024, 832 Rn. 7). So liegt es hier. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte müsse nicht über den gesamten Nachlass, sondern nur über die derzeit in seinem Besitz befindlichen Nachlassgegenstände sowie über etwaige Surrogate, Nutzungen oder Früchte Auskunft erteilen, findet im landgerichtlichen Urteil keine hinreichende Grundlage.

11    Der Umfang der dem Beklagten auferlegten Auskunftspflicht ist durch Auslegung des landgerichtlichen Urteils zu ermitteln. Diese Auslegung hat vom Wortlaut des Tenors der landgerichtlichen Entscheidung auszugehen (BGH, Beschlüsse vom - II ZB 1/25, WM 2025, 1509 Rn. 11; vom - XI ZR 490/15, NJW-RR 2017, 763 Rn. 2). Dieser spricht gegen das Verständnis des Berufungsgerichts. Danach ist der Beklagte neben der Auskunft über den Bestand der Erbschaft einschließlich Surrogaten, Früchten und Nutzungen auch zur Auskunft über den Verbleib der Erbschaftsgegenstände aus dem Nachlass des Erblassers verurteilt worden. Eine Beschränkung der Auskunftspflicht auf Nachlassgegenstände, die der Beklagte derzeit besitzt, oder auf Surrogate solcher Nachlassgegenstände, die sich früher einmal in seinem Besitz befunden haben, ist dem Tenor des landgerichtlichen Urteils dagegen nicht zu entnehmen.

12    Die vom Berufungsgericht angenommene Beschränkung der Auskunftspflicht des Beklagten ist auch den Entscheidungsgründen des landgerichtlichen Urteils nicht zu entnehmen. Sie folgt insbesondere nicht daraus, dass das Landgericht den zugesprochenen Auskunftsanspruch auf § 2027 Abs. 2 BGB gestützt hat. Zwar kann der Inhalt der Entscheidungsgründe, ebenso wie die Klageanträge und der Klägervortrag, ergänzend zur Auslegung des Urteilstenors herangezogen werden (BGH, Beschlüsse vom - II ZB 1/25, WM 2025, 1509 Rn. 11; vom - XI ZR 490/15, NJW-RR 2017, 763 Rn. 2). Voraussetzung ist aber, dass der Urteilstenor zu Zweifeln Anlass gibt. Überdies ist eine solche Auslegung nur in engen Grenzen möglich. Sie muss sich im Interesse der Rechtssicherheit an das halten, was der Richter erkennbar zum Ausdruck gebracht hat (, WRP 2002, 1082 [juris Rn. 24]; vgl. auch , NJW-RR 1999, 1006 [juris Rn. 15]). Gemessen daran rechtfertigt allein der Umstand, dass das Landgericht den Auskunftsanspruch in den Gründen seiner Entscheidung auf § 2027 Abs. 2 BGB gestützt hat, die Annahme nicht, dass die ausgeurteilte Auskunftspflicht entgegen dem Wortlaut des Tenors keine Angaben zum Verbleib der Erbschaftsgegenstände aus dem Nachlass des Erblassers umfasst. Zudem legt die unveränderte Übernahme des klägerischen Antrags, der sich erkennbar am Gesetzeswortlaut des § 2027 Abs. 1 BGB orientiert, nahe, dass das Landgericht dem Beklagten eine umfassende Auskunftsverpflichtung in dem Umfang hat auferlegen wollen, wie sie auch einen Erbschaftsbesitzer trifft.

13    cc) Eine solcherart verstandene Auskunftsverpflichtung kann der Beklagte, wie er hinreichend glaubhaft gemacht hat, nur mit einem Aufwand an Zeit und Kosten erfüllen, der auf der Grundlage eines Stundensatzes von 4 € gemäß § 20 JVEG zu einer Beschwer von mehr als 600 € führt. Auch wenn der Beklagte in Abrede stellt, bei den 208 Auktionen, die er nach dem Tod des Erblassers auf der Internetplattform durchgeführt habe, Gegenstände aus dem Nachlass des Erblassers angeboten zu haben, ist jedenfalls der Verbleib des Inhalts der etwa 160 Umzugskartons aufzuklären, die nach den Feststellungen des Landgerichts im November 2013 zur Lebensgefährtin des Erblassers in Polen transportiert worden sind. Dasselbe gilt für die bis zum Umzug des Erblassers zu seiner Lebensgefährtin im November 2015 bei ihm verbliebenen Einrichtungsgegenstände. Zur Erfüllung seiner Auskunftspflicht wird der Beklagte jeweils zunächst zu prüfen haben, ob die jeweiligen Gegenstände in den Nachlass des Erblassers fallen, und im Anschluss gegebenenfalls deren Verbleib aufzuklären haben. Allein mit Blick auf den Inhalt der Umzugskartons ergibt dies bei einem Zeitaufwand von pauschal einer Stunde je Karton eine Beschwer des Beklagten von 640 €. Zusätzlich sind etwaige Surrogate, Früchte und Nutzungen zu ermitteln. Über das Ergebnis seiner Nachforschungen hat der Beklagte ein Nachlassverzeichnis zu erstellen, dem entsprechende Belege beizufügen sind, die gegebenenfalls kostenpflichtig beschafft werden müssen. Vor diesem Hintergrund erscheint es angemessen, den dem Beklagten anfallenden Aufwand an Zeit und Kosten insgesamt auf 1.000 € zu schätzen.

14    III. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung über die Berufung des Beklagten an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die Feststellungen des Landgerichts seine Annahme nicht tragen, der Beklagte habe Gegenstände aus dem Nachlass des Erblassers an sich genommen. Es genügt nicht, dass der Beklagte nach der Überzeugung des Landgerichts Gegenstände rechtswidrig an sich genommen hat, die sich zunächst im Besitz des Erblassers befunden haben, nach seinem Tod nicht mehr aufzufinden gewesen und nach der Überzeugung des Landgerichts vom Beklagten auf der Internetplattform zum Verkauf angeboten worden sind. Voraussetzung für einen Auskunftsanspruch aus § 2027 Abs. 2 BGB ist schon nach dem Gesetzeswortlaut die Inbesitznahme einer Sache gerade aus dem Nachlass, so dass eine Besitzerlangung vor dem Tod des Erblassers (OLG Hamm ErbR 2015, 48 [juris Rn. 16]; , juris Rn. 37) oder der Besitz einer Sache, die der Erblasser zu seinen Lebzeiten einem Dritten überlassen hatte (Senatsurteil vom - IV ZR 55/51, LM Nr. 1 zu § 1421 BGB unter 2), nicht ausreicht. Gemessen daran hat der Beklagte nach den bisherigen Feststellungen diejenigen vom Landgericht dem Erblasser zugeordneten Gegenstände nicht aus dem Nachlass in Besitz genommen, die er bereits vor dem Tod des Erblassers im Internet zum Verkauf angeboten hat. Inwieweit ein Verhalten des Beklagten im Übrigen die Voraussetzungen des § 2027 Abs. 2 BGB erfüllt, wird das Berufungsgericht feststellen müssen.

Prof. Dr. Karczewski             Harsdorf-Gebhardt             Dr. Götz

                                Rust                               Piontek

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:121125BIVZB34.24.0

Fundstelle(n):
FAAAK-04783