Instanzenzug: Az: 2 StR 281/25 Beschlussvorgehend Az: 324 KLs 6/24
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „bandenmäßigen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit bandenmäßigem bewaffneten Handeltreiben mit Cannabis, bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Handeltreiben mit einer Schusswaffe, wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen, wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, wegen gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Anstiftung zur Körperverletzung“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Es hat ferner die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 500.000 Euro – davon in Höhe von 59.500 Euro als Gesamtschuldner – angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzungen formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.
I.
2Soweit hier von Bedeutung, hat das Landgericht folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
31. Spätestens Ende des Jahres 2021 schloss sich der Angeklagte mit den weiteren Tatgenossen, darunter den Mitangeklagten B. und Re., zu einer Bande zusammen, um fortlaufend Betäubungsmittel aus den Niederlanden in das Bundesgebiet zu importieren sowie Amphetamin in Deutschland herzustellen und anschließend gewinnbringend zu veräußern. Er verfügte als „Chef der Gruppierung“ über die notwendigen Kontakte und das Wissen zur Herstellung von Amphetamin, beschaffte die Betäubungsmittel und nahm den Verkauf größerer Mengen an Abnehmer vor. In Ausführung der Bandenabrede kam es unter anderem zu den folgenden Taten:
4a) Am übergab B. nach vorheriger Kommunikation des Angeklagten mit den gesondert Verfolgten E. und R. P. zwei Kilogramm Kokain in K. an R. P.. Hierfür erhielt sie einen unbekannten Geldbetrag, den sie von K. nach E. transportierte und dort – nach Entnahme des vereinbarten Kurierlohnes in Höhe von 500 Euro – an den Angeklagten übergab. Das Kokain hatte einen Wirkstoffgehalt von mindestens 80 Prozent Kokainhydrochlorid (Fall II.4 der Urteilsgründe).
5b) Am bestellte der Abnehmer „S.“ aus F. beim Angeklagten über ein Messengerportal 30 Liter Amphetaminöl und zehn Kilogramm kolumbianisches Kokain. Beide vereinbarten einen Literpreis für das Amphetaminöl von 1.900 Euro. Am Folgetag fuhr der Angeklagte gemeinsam mit B. in die Niederlande, wo sie jedenfalls die von „S.“ bestellten Betäubungsmittelmengen erwarben und anschließend in das Bundesgebiet einführten. Die Betäubungsmittel übergab ein unbekannter Kurier am an „S.“. Das Kokain hatte einen Wirkstoffgehalt von mindestens 80 Prozent Kokainhydrochlorid; das Amphetaminöl von mindestens 40 Prozent Amphetaminbase (Fall II.5 der Urteilsgründe).
6c) Am bat der Angeklagte die gesondert Verfolgte S., einer zum damaligen Zeitpunkt 16-jährigen „eine aufs Maul“ zu schlagen, weil sie „zu viel Müll“ rede. Hintergrund war, dass die Geschädigte im Bekanntenkreis verbreitete, ihre Zwillingsschwester habe mit dem Angeklagten ein Verhältnis und bekomme Betäubungsmittel von ihm. Am fing der Angeklagte gemeinsam mit S. die Geschädigte an einer Bushaltestelle ab. S. näherte sich der in einem Wartehäuschen sitzenden Geschädigten und schlug ihr im Auftrag des Angeklagten mindestens dreimal mit der Faust gegen den Kopf, wodurch die Geschädigte Schmerzen erlitt. Der Angeklagte filmte die Tat anfangs aus mehreren Metern Entfernung. Nach den ersten Schlägen näherte er sich dem Geschehen bis auf wenige Meter Entfernung. Zumindest einen letzten Schlag führte die gesondert Verfolgte aus, als der Angeklagte direkt vor dem Wartehäuschen der Bushaltestelle stand (Fall II.6 der Urteilsgründe).
7d) Am lieferte Re. auf Anweisung des Angeklagten an den gesondert Verfolgten K. drei Kilogramm Amphetamin mit einer Wirkstoffmenge von 329,02 Gramm Amphetaminbase nach M.. Anschließend fuhr sie auf Anweisung des Angeklagten nach D., wo sie den Kaufpreis an den gesondert Verfolgten Bo. übergab und von diesem ihren Kurierlohn sowie einen weiteren unbekannten Geldbetrag in einem Umschlag erhielt, den sie daraufhin dem Angeklagten in B. übergab (Fall II.8 der Urteilsgründe).
82. Das Landgericht hat den Angeklagten in den Fällen II.4, II.5 und II.8 der Urteilsgründe jeweils wegen „bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln“ schuldig gesprochen. Die Tat zu II.6 der Urteilsgründe hat es als Anstiftung zur Körperverletzung nach § 223 Abs. 1, § 26 StGB gewertet. Vom Anklagevorwurf der gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4, § 25 Abs. 2 StGB vermochte es sich nicht zu überzeugen, da es „im Hinblick auf die Distanz des Angeklagten zum Geschehen und seine vorherigen Aussagen, dass er keine Frauen schlage“, zu seinen Gunsten davon ausgegangen ist, dass er „nicht eingriffsbereit“ gewesen sei.
II.
9Das Rechtsmittel ist teilweise begründet. Es führt auf die Sachrüge zur Berichtigung des Schuldspruchs in den Fällen II.4, II.5 und II.8 der Urteilsgründe, zu dessen Aufhebung im Fall II.6 der Urteilsgründe sowie zur Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen II.4 und II.5 der Urteilsgründe und der Gesamtstrafe. Angesichts dessen kommt es – entsprechend den zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts – auf die Berechtigung einer mit gleicher Zielrichtung von der Revision im Fall II.5 der Urteilsgründe erhobenen Beanstandung eines Verstoßes gegen § 261 StPO in Form der Ausschöpfungsrüge nicht an. Auch die Einziehungsentscheidung hat nur teilweise Bestand.
101. Die weiteren Verfahrensrügen versagen aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts. Ergänzend ist Folgendes anzumerken:
11a) Die Rüge, die Strafkammer habe einen Beweisantrag auf Verlesung sämtlicher polizeilicher, staatsanwaltschaftlicher und richterlicher Vernehmungsprotokolle der Mitangeklagten B., die sich in der Hauptakte befänden, zu Unrecht zurückgewiesen, ist mit Blick auf die richterlichen Protokolle bereits deshalb unzulässig, weil der Beschwerdeführer nicht mitteilt, dass diese tatsächlich in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind. Hinsichtlich der Protokolle der ermittlungsbehördlichen Vernehmungen wäre die Rüge jedenfalls unbegründet, da die Strafkammer deren Verlesung im Ergebnis zutreffend als rechtlich unzulässig abgelehnt hat, was auch der Erhebung präsenter Beweismittel nach § 245 Abs. 2 Satz 2 StPO entgegensteht. Die Verlesung ermittlungsbehördlicher Vernehmungsprotokolle eines Angeklagten wird – im Gegensatz zur Verlesung richterlicher Vernehmungsprotokolle gemäß § 254 Abs. 1 StPO – vom Gesetz nicht gestattet (, BGHSt 14, 310, 311 f.; Beschluss vom – 4 StR 584/17, NStZ 2019, 106 Rn. 3).
12b) Die Rüge, § 261 StPO sei verletzt, weil das Landgericht den in die Hauptverhandlung eingeführten Chatverkehr unvollständig gewürdigt habe, ist bereits unzulässig. Das Beschwerdevorbringen enthält keinen vollständigen Vortrag dazu, ob die vorgelegten Chatnachrichten zum Inbegriff der Hauptverhandlung gemacht worden sind. Der Beschwerdeführer trägt lediglich vor, sie seien im Selbstleseverfahren eingeführt worden, ohne die Protokollierung des Abschlusses der Selbstlesung (§ 249 Abs. 2 Satz 3 StPO) mitzuteilen. Dieser Vortrag wäre aber zur Prüfung einer Verletzung des § 261 StPO durch Nichtausschöpfung zu berücksichtigender Beweismittel erforderlich gewesen; denn dem Tatgericht ist es ohne die abschließende Feststellung (§ 249 Abs. 2 Satz 3 StPO) verwehrt, die Urkunde zur Urteilsfindung heranzuziehen (vgl. , BGHSt 58, 59, 61 Rn. 9, und vom – 1 StR 107/24, Rn. 9).
13c) Die Rüge eines Verstoßes gegen § 244 Abs. 3, § 338 Nr. 8 StPO, Art. 6 Abs. 3 lit. d) MRK durch den „Umgang der Kammer mit den ANOM Daten“ ist unzulässig.
14Die gegen die Ablehnung eines Beweisantrags auf Vernehmung von Vertretern der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main und des Bundeskriminalamts gerichtete Verfahrensrüge scheitert bereits deshalb, weil sie wesentliches Verfahrensgeschehen unvollständig schildert. Neben dem vollständigen Inhalt des Beweisantrags einschließlich der Antragsbegründung sowie dem gerichtlichen Ablehnungsbeschluss müssen die im Beweisantrag und in dem ablehnenden Beschluss in Bezug genommenen Unterlagen und Aktenbestandteile mit der Begründungsschrift vorgelegt oder jedenfalls inhaltlich vorgetragen werden (st. Rspr.; vgl. , StraFo 2004, 424, und vom – 5 StR 401/04, Rn. 8; Beschlüsse vom – 5 StR 390/07, Rn. 3 f., und vom – 4 StR 38/19, NStZ 2020, 758, Rn. 2 ff.). Hieran fehlt es jedenfalls hinsichtlich der im Beschluss des Landgerichts in Bezug genommenen Sonderhefte „Anom Chats“ und „Rechtshilfe“.
15Die Rüge der Zurückweisung des Antrages vom , „sämtliche Korrespondenz der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt sowie des Bundeskriminalamts mit dem FBI zur Thematik der Erhebung und Übersendung der ANOM-Daten beizuziehen und zu verlesen“, ist unzulässig, da sich der Ablehnungsbeschluss der Strafkammer vom gerade auf diesen Antrag bezog, so dass es unwahres Tatsachenvorbringen darstellt, wenn der Beschwerdeführer behauptet, auf den Schriftsatz vom habe das Gericht „während der gesamten Beweisaufnahme nicht reagiert“. Weiter teilt das Beschwerdevorbringen hinsichtlich einer in einem Schreiben vom angeregten Vernehmung weiterer Zeugen und der Verlesung der Bundestagsdrucksache 20/1249 die eingangs dieses Schriftsatzes in Bezug genommenen und „am vergangenen Hauptverhandlungstag verkündeten Beschlüsse“ nicht mit. Zudem verschweigt der Rügevortrag, dass der Verteidiger im Hauptverhandlungstermin vom erklärt hat, „den Antrag auf Verlesung der Bundestagsdrucksache doch nicht stellen zu wollen“.
16d) Soweit der Beschwerdeführer schließlich rügt, dass die Kammer „sich jeglicher Auseinandersetzung zur Frage der Qualität, Herkunft und des Umgangs mit den [Anom-]Daten […] und der rechtlichen Konsequenzen“ ihrer Verwertbarkeit „entzogen“ habe, und „diskussionswürdige Punkte“ hierzu ausführt, wird auch dies den Begründungserfordernissen einer Verfahrensrüge nicht gerecht. Verstünde man die Ausführungen als Rüge der Unverwertbarkeit der Anom-Daten, wäre sie schon deshalb unzulässig, weil der Beschwerdeführer nicht vorträgt, in der Hauptverhandlung der Einführung der Anom-Daten widersprochen zu haben (vgl. zum Vortragserfordernis eines Verwertungswiderspruchs etwa , BGHR StPO § 81g Abs. 3 Einwilligung 1). Soweit man sie hingegen als Rüge des Verstoßes gegen die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) hinsichtlich der Verwertbarkeit von Anom-Daten deuten würde, wäre sie ebenfalls unzulässig, da die Rüge keine (weiteren) konkreten Beweismittel aufzeigt, deren Erhebung sich der Strafkammer hätte aufdrängen müssen (vgl. etwa , NStZ 2023, 762 Rn. 4).
172. Der Schuldspruch bedarf auf die Sachrüge in den Fällen II.4, II.5 und II.8 der Urteilsgründe der Berichtigung. Er unterfällt im Fall II.6 der Urteilsgründe der Aufhebung.
18a) Der Angeklagte ist in den Fällen II.4, II.5 und II.8 der Urteilsgründe jeweils – wovon die Strafkammer bei ihrer rechtlichen Würdigung zutreffend ausgegangen ist − des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30a Abs. 1 BtMG) und nicht, wie von der Strafkammer versehentlich tenoriert, nur des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln schuldig. Der Senat berichtigt in diesen drei Fällen den Schuldspruch auf Antrag des Generalbundesanwalts entsprechend § 354 Abs. 1 StPO.
19b) Dem Schuldspruch im Fall II.6 der Urteilsgründe steht derzeit ein Verfahrenshindernis entgegen. Ihm liegt zudem eine defizitäre sachlich-rechtliche Würdigung der Strafkammer zugrunde.
20aa) Voraussetzung für die Verfolgung einer Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB ist gemäß § 230 Abs. 1 Satz 1 StGB entweder das Vorliegen eines Strafantrages oder die Annahme des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung durch die Strafverfolgungsbehörden. Keine dieser beiden alternativen Voraussetzungen ist gegeben.
21bb) Ein Strafantrag der antragsberechtigten Eltern der Geschädigten ist nicht zur Akte gelangt. Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung haben die Strafverfolgungsbehörden bisher nicht aktenkundig zum Ausdruck gebracht.
22Die Staatsanwaltschaft hatte die Tat in der insoweit unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift vom als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB in Mittäterschaft gewertet. Die Anklage einer Tat wegen eines Offizialdeliktes belegt aber für sich noch nicht die Bejahung eines öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung auch unter dem Gesichtspunkt eines relativen Antragsdeliktes (vgl. , BGHR StGB § 230 Abs. 1 Satz 1 Besonderes öffentliches Interesse 1 Rn. 24 f.). Auch im weiteren Verlauf des Verfahrens hat die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Verfolgung einer Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB nicht (auch nicht konkludent) angenommen. Auf den rechtlichen Hinweis des Gerichts nach § 265 Abs. 1 StPO in der Hauptverhandlung vom , wonach eine Verurteilung auch wegen einer Anstiftung zur Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB in Betracht komme, hat sie keine Erklärung abgegeben. Daher kann auch aus ihrem protokollierten − auf Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten lautenden − Schlussantrag für die Tat zu II.6 der Urteilsgründe ohne Angabe des von ihr erstrebten Schuldspruchs nicht auf eine konkludente Bejahung des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung gerade wegen des relativen Antragsdeliktes geschlossen werden (vgl. , BGHR StGB § 230 Abs. 1 Satz 1 Besonderes öffentliches Interesse 1 Rn. 26).
23cc) Indes stellt sich die Würdigung der Strafkammer, wonach das Offizialdelikt des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht vorliege, als defizitär dar, so dass der Senat die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverweist. Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass das Landgericht seiner Prüfung einer gemeinschaftlichen Körperverletzung einen zu engen rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt hat. Es hat bei der Ablehnung der gefährlichen Körperverletzung durch mehrere Beteiligte gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB wesentlich darauf abgestellt, dass der Angeklagte nicht selbst habe eingreifen wollen, was sich daran zeige, dass er einerseits räumlich entfernt gewesen sei und andererseits glaubhaft angegeben habe, der Geschädigten selbst niemals etwas zu tun. Die Begehung einer Körperverletzung mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB ist jedoch bereits dann anzunehmen, wenn der am Tatort anwesende Tatgenosse − gegebenenfalls als Teilnehmer − die Wirkung der Körperverletzungshandlung des Täters bewusst in einer Weise verstärkt, welche die Lage des Verletzten zu verschlechtern geeignet ist. Dies wird regelmäßig vor allem durch eine Schwächung der Abwehrmöglichkeiten verwirklicht, wenn das Opfer durch die Präsenz mehrerer Personen auf Verletzerseite insbesondere auch wegen des erwarteten Eingreifens des oder der anderen Beteiligten in seinen Chancen beeinträchtigt wird, dem Täter der Körperverletzung Gegenwehr zu leisten, ihm auszuweichen oder zu flüchten (vgl. , BGHSt 47, 384, 387). Eine solche Schwächung der Abwehrmöglichkeiten des Opfers kann auch dann vorliegen, wenn ein Beteiligter zwar tatsächlich nicht bereit ist, auf das Opfer selbst körperlich einzuwirken, das Opfer aufgrund der wahrnehmbaren Präsenz des weiteren Beteiligten am Tatort aber damit rechnet, dass eine solche Einsatzbereitschaft – sei es auch nur bei einem bestimmten Verlauf der körperlichen Auseinandersetzung – bestehen könnte, sich dadurch in seinen Verteidigungsmöglichkeiten beeinträchtigt sieht und der Beteiligte diesen durch sein konkretes Auftreten suggerierten Eindruck jedenfalls erkennt und hinnimmt (vgl. MüKo-StGB/Hardtung, 5. Aufl., § 224 Rn. 37b).
24Dies liegt nach den Feststellungen nicht fern. Danach fing der Angeklagte die Geschädigte gemeinsam mit der gesondert Verfolgten S. an der Bushaltestelle ab. Er filmte das Geschehen zunächst aus „mehreren Metern“, bevor er sich diesem „bis auf wenige Meter“ näherte. Zumindest einen letzten Schlag führte die gesondert Verfolgte S. aus, als der Angeklagte direkt vor dem Wartehäuschen der Bushaltestelle stand, in dem sich die Geschädigte befand. Wenngleich der Angeklagte in dieser letzten Situation beschwichtigend auf die gesondert Verfolgte S. einredete, während er weiterhin filmte, liegt es doch nicht fern, dass für die Geschädigte der Eindruck entstand, dass der Angeklagte, der ihr zuvor mit der Veranlassung der Körperverletzung durch die gesondert Verfolgte S. gedroht hatte, sie jedenfalls bei einem Fluchtversuch zurückhalten könnte. Dass der Angeklagte diesen Eindruck erkannte, erscheint ebenso wenig ausgeschlossen.
253. Die Einzelstrafen in den Fällen II.4 und II.5 der Urteilsgründe haben keinen Bestand. Die Beweiswürdigung der Strafkammer trägt – auch eingedenk des nur beschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabes (st. Rspr.; vgl. nur , Rn. 16 mwN) – die Feststellungen zur jeweiligen Handelsmenge des Kokains nicht.
26a) Soweit die Strafkammer im Fall II.4 der Urteilsgründe davon ausgegangen ist, dass es sich bei dem Inhalt der beiden von B. im Auftrag des Angeklagten am an den gesondert Verfolgten P. überreichten Pakete um Kokain handelte, ist ihr Schluss revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Strafkammer hat rechtsfehlerfrei in der Reaktion der gesondert Verfolgten E. und R. P. auf die Verhaftung des Angeklagten und von B. anlässlich deren weiterer Handelsfahrt vom , bei der unter anderem sechs Kilogramm Kokain bei diesen sichergestellt wurden, den Schluss gezogen, dass die gesondert Verfolgten E. und R. P. auch schon am mit Kokain beliefert wurden, und dabei auch die hohen Geldsummen, die durch diese gezahlt wurden, gesehen.
27Jedoch sind die Feststellungen zur Menge des von B. übergebenen Kokains nicht tragfähig beweiswürdigend unterlegt, soweit die Strafkammer von einer Gesamtmenge von mehr als einem Kilogramm ausgegangen ist. Die Strafkammer hat ihre Mengenbestimmung primär auf die Angabe von B. in einer polizeilichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren gestützt, sie habe in K. aus ihrem Rucksack zwei Pakete, die sie mit „ungefähr DIN A 5 Größe“ beschrieb, übergeben. In der Hauptverhandlung hat B. allgemein ausgeführt, die Pakete seien „ungefähr DIN A 5 oder DIN A 6 Größe gewesen und fest“. Das Gewicht sei „ungefähr ein halbes oder ein ganzes Kilogramm“ gewesen. Vor diesem Hintergrund hätte es näherer Begründung bedurft, warum die Strafkammer von einem Gewicht der beiden Pakete von gerade zwei Kilogramm ausgegangen ist. Nach der Einlassung von B. bleibt bereits unklar, ob es sich bei ihrer Angabe von Schätzgrößen („ungefähr DIN A 5 oder DIN A 6“) um unterschiedliche Größen anlässlich verschiedener Übergaben oder um eine ungefähre Schätzung der stets gleichen Päckchengrößen handelte. Gleiches gilt hinsichtlich ihrer weiteren Schätzung, das Gewicht der Päckchen habe „ungefähr ein halbes oder ein ganzes Kilogramm“ betragen. Da auch die weiteren von der Strafkammer dargestellten Beweismittel hierzu keine nähere Erkenntnis liefern, bleibt letztlich offen, worauf die Mengenschätzung der Strafkammer im Fall II.4 der Urteilsgründe fußt.
28b) Auch hinsichtlich Fall II.5 der Urteilsgründe trägt die Beweiswürdigung die Feststellung der gehandelten Menge Kokain nicht.
29Die Strafkammer hat ihre Feststellungen in diesem Fall maßgeblich auf Chatverläufe zwischen dem Angeklagten und dem unbekannten Abnehmer des Kokains „S.“ gestützt. Nachdem der Angeklagte mit „S.“ über die Lieferung von 30 Litern Amphetaminöl zum Preis von 1.900 Euro je Liter übereingekommen war, fragte dieser den Angeklagten, wie es mit „c“ aussehe und ob der Angeklagte da „etwas Neues“ habe. Der Angeklagte antwortete, momentan sei „Kolumbia“ besser. Er könne eine Probe mit einpacken. „S.“ reagierte mit: „Ja bitte wieder 10 bitte“. Im Zuge der späteren Abwicklung des Geschäftes schrieb der Angeklagte „S.“, dass „er schon alles in die Wege geleitet habe mit Holland und […] gerade auf dem Weg rüber sei wegen seinem Öl“. Daraufhin ermahnte „S.“ den Angeklagten, dass er „bitte auch an die ‚Cola Probe‘ denken“ solle, was der Angeklagte bestätigte.
30Die Strafkammer hat ihre Überzeugung, dass mit der Bestellung von „10“ eine Mengengröße von zehn Kilogramm Kokain gemeint gewesen sei, damit begründet, dass „S.“ gegenüber dem Angeklagten weiter angegeben habe, wegen der Festnahme seines bisherigen Kontaktes 70.000 Euro verloren zu haben – was dem Marktwert von zwei Kilogramm Kokain entspreche –, und der Angeklagte den „aus F.“, womit der „S.“ gemeint gewesen sei, in einem aufgezeichneten Gespräch als einen der größten Abnehmer bezeichnet habe. Zudem bestätige eine Videoaufzeichnung, die den Angeklagten und den Kurierfahrer des „S.“ mit einer prall gefüllten IKEA-Tüte, einer Papiertüte und einer Einkaufstüte zeige, diese Mengenangabe.
31Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand; sie sind lückenhaft. Die Strafkammer hat es angesichts des Umstandes, dass sich die von ihr herangezogene Kommunikation zwischen dem Angeklagten und „S.“ ausdrücklich auf eine „Probe“ bezog, versäumt, sich mit der naheliegenden Möglichkeit auseinanderzusetzen, dass es sich bei der vereinbarten Kokainmenge lediglich um eine solche von zehn Gramm handelte. Dass der unbekannte Abnehmer „S.“ in der Vergangenheit durch die Festnahme eines anderen Kontakts 70.000 Euro verloren hatte, belegt weder für sich noch in Verbindung mit den weiteren erörterten Beweismitteln tragfähig, dass es sich auch bei der hiesigen Kokainlieferung „zur Probe“ um eine solche im Kilobereich handelte. Die Abnahme einer Menge von 30 Litern Amphetaminöl zum Preis von insgesamt 57.000 Euro könnte zudem, was die Strafkammer ebenfalls nicht in den Blick genommen hat, bereits für sich sowohl die Äußerung des Angeklagten über die Eigenschaft des „S.“ als Großabnehmer als auch die auf der Videoaufzeichnung sichtbare raumgreifende Übergabe der Betäubungsmittel erklären. Zudem wäre zu erörtern gewesen, warum hinsichtlich des Amphetaminöls ausweislich der Chatkommunikation Preisverhandlungen zwischen dem Angeklagten und „S.“ stattfanden, während gleichzeitig eine Lieferung einer großen Menge hochwertigen Kokains ohne jeglichen Austausch über die Preise stattgefunden haben soll.
32c) Die Schuldsprüche in den Fällen II.4 und II.5 der Urteilsgründe werden durch die aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt. In Fall II.4 der Urteilsgründe ist jedenfalls eine Gesamthandelsmenge von einem Kilogramm beweiswürdigend belegt. In Fall II.5 der Urteilsgründe überschreitet bereits die vom Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellte Handelsmenge von 30 Litern Amphetaminöl mit 40 Prozent Amphetaminbase die nicht geringe Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG (vgl. , BGHSt 33, 169 ff., und vom – 4 StR 59/04, BGHSt 49, 306, 312).
33d) Der Wegfall der Einzelstrafe in Fall II.6 der Urteilsgründe und die Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen II.4 und II.5 der Urteilsgründe bedingt die Aufhebung der Gesamtstrafe.
344. Die Einziehungsentscheidung hat überwiegend keinen Bestand.
35Die Strafkammer hat die Höhe des von ihr nach § 73 Abs. 1, § 73c StGB bestimmten Wertes des aus den Taten Erlangten nicht tragfähig unterlegt. Sie hat ihrer Einziehungsentscheidung Schätzungen von Taterträgen von 42.000 Euro (Fall II.1 der Urteilsgründe), 50.000 Euro (Fall II.2 der Urteilsgründe), 65.000 Euro (Fall II.3 der Urteilsgründe), 65.000 Euro (Fall II.4 der Urteilsgründe), 350.000 Euro (Fall II.5 der Urteilsgründe) und 7.500 Euro (Fall II.8 der Urteilsgründe) „nach Abzug eines Sicherheitsabschlages“ zugrunde gelegt, von der Summe in Höhe von 579.500 Euro den sichergestellten Bargeldbetrag in Höhe von 4.933,75 Euro in Abzug gebracht, auf dessen Herausgabe der Angeklagte in der Hauptverhandlung verzichtet hat, und nach Abzug eines „weiteren Sicherheitsabschlags“ eine verbleibende Summe von 500.000 Euro festgesetzt. Ausführungen, von welchen Annahmen ausgehend sie zu diesen Schätzungen gelangt ist, enthalten die Urteilsgründe nicht.
36Diese Darstellung genügt den Mindestanforderungen an eine Schätzung von Taterträgen nicht. Zwar ist es dem Tatgericht ausdrücklich gestattet, Umfang und Wert des Erlangten zu schätzen (§ 73d Abs. 2 StGB). Die Grundlagen, auf die sich eine Schätzung nach § 73d Abs. 2 StGB stützt, müssen jedoch festgestellt und erwiesen sein sowie im Urteil mitgeteilt werden (, Rn. 9 mwN). Daran fehlt es hier insgesamt. Soweit vereinzelte Preisvereinbarungen über die gehandelten Betäubungsmittel an anderer Stelle der Urteilsgründe aufscheinen (so etwa zu Fall II.5 ein Literpreis für Amphetaminöl), fehlt es weiterhin an einer beweiswürdigend unterlegten Darstellung, ob und an wen die vereinbarten Kaufpreiszahlungen tatsächlich geflossen sind. Dass ein Angeklagter überhaupt die tatsächliche Verfügungsgewalt über einen Taterlös erlangt hat, ist einer Schätzung jedoch nicht zugänglich (, Rn. 8).
37Die aufgezeigten Rechtsfehler führen gleichwohl lediglich zur Aufhebung der Einziehungsentscheidung, soweit diese einen Betrag von 14.066,25 Euro überschreitet. Denn die Strafkammer hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte von dem Kurier des gesondert Verfolgten Kl. in Fall II.1 der Urteilsgründe eine Anzahlung in Höhe von zumindest 5.000 Euro, in Fall II.2 der Urteilsgründe in Höhe von 6.000 Euro und in Fall II.3 der Urteilsgründe in Höhe von 8.000 Euro erhielt. Unter Abzug des sichergestellten Bargeldbetrages verbleibt mithin nach den zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts ein Einziehungsbetrag des Wertes von Taterträgen in Höhe von 14.066,25 Euro, für den der Angeklagte allein haftet.
385. Im Übrigen hat die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
III.
39Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung. Im Fall II.6 der Urteilsgründe sind die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen; sie haben Bestand. In den Fällen II.4 und II.5 der Urteilsgründe unterliegen lediglich die in der Beschlussformel näher bezeichneten Feststellungen zur Menge des tatgegenständlichen Kokains der Aufhebung. Im Hinblick auf die Einziehungsentscheidung unterfallen die Feststellungen zu den Taterlösen, soweit diese einen Wert von 14.066,25 Euro übersteigen, der Aufhebung. Im Übrigen sind die Feststellungen rechtsfehlerfrei getroffen und haben Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht darf im Übrigen – wie stets – ergänzende Feststellungen treffen, die den bindenden Feststellungen nicht widersprechen (st. Rspr.; vgl. nur , NStZ 2021, 628, 629 Rn. 14 mwN).
Menges Meyberg Grube
Schmidt Zimmermann
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:280825B2STR281.25.1
Fundstelle(n):
AAAAK-04776