Leitsatz
Zur Identität im Sinn des § 62 Abs. 3b Nr. 1 AufenthG gehört auch die Staatsangehörigkeit.
Gesetze: § 62 Abs 3b Nr 1 AufenthG
Instanzenzug: Az: 329 T 46/22vorgehend Az: 219a XIV 204/21
Gründe
1I. Der Betroffene, ein ghanaischer Staatsangehöriger, reiste am nach Deutschland ein. Er stellte mit der Angabe, er sei ghanaischer Staatsangehöriger, am einen Asylantrag. Diesen lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom ab und drohte dem Betroffenen die Abschiebung nach Ghana an. Eine Identifizierung durch eine ghanaische Delegation konnte nicht erfolgen, weil der Betroffene bei einer Sammelanhörung am behauptete, er sei togoischer Staatsangehöriger. Vorführungen bei einer togoischen Delegation scheiterten 2018 und 2019. Seit dem verfügte der Betroffene nicht mehr über eine Duldung. Er war seit dem unbekannten Aufenthalts und seinen späteren Angaben nach obdachlos. Im Mai 2022 konnte eine Kopie der ghanaischen Geburtsurkunde des Betroffenen beschafft werden, und am bestätigte die ghanaische Botschaft die ghanaische Staatsangehörigkeit des Betroffenen.
2Auf Antrag der beteiligten Behörde vom hat das Amtsgericht mit Beschluss vom selben Tag gegen den Betroffenen Sicherungshaft bis zum angeordnet. Auf die Beschwerde hat das Landgericht am festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts den Betroffenen bis zum in seinen Rechten verletzt hat, und die Beschwerde im Übrigen zurückgewiesen. Gegen die Zurückweisung wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, die er nach seiner Abschiebung am mit dem Feststellungsantrag weiterverfolgt.
3II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
41. Das Beschwerdegericht hat angenommen, der Haftantrag enthalte nach Ergänzung im Beschwerdeverfahren die gemäß § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG erforderlichen Angaben. Insbesondere sei nunmehr nachvollziehbar dargelegt, dass aufgrund der früheren Verwicklung des Betroffenen in Straftaten und seiner teils aggressiven Verhaltensweisen eine begleitete Rückführung notwendig sei, die einen erheblichen zeitlichen Vorlauf erfordere. Zu Recht habe das Amtsgericht den Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG als erfüllt angesehen. Diese werde gemäß § 62 Abs. 3a Nr. 3 AufenthG vermutet, denn der Betroffene habe trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht seinen Aufenthaltsort gewechselt, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar war. Eine Übersetzung des Hinweises in eine der ghanaischen Landessprachen sei ausreichend. Der Einwand des Betroffenen, er spreche kein Englisch, sei demgegenüber unbeachtlich. Der Betroffene habe ferner über seine Identität getäuscht, indem er gegenüber der ghanaischen Vertretung behauptet habe, er komme aus Togo, so dass auch der konkrete Anhaltspunkt für eine Fluchtgefahr nach § 62 Abs. 3b Nr. 1 AufenthG gegeben sei. Nach umfassender Abwägung aller Gesichtspunkte sei selbst bei Fehlen der Voraussetzungen der Tatbestände der § 62 Abs. 3a und 3b AufenthG Fluchtgefahr gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG gegeben. Ein Ergreifen des Betroffenen sei jeweils nur zufällig möglich gewesen.
52. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
6a) Der Haftanordnung hat ein zulässiger Haftantrag zugrunde gelegen. Der Antrag der beteiligten Behörde erfüllt die gesetzlichen Anforderungen (§ 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG). Auch die Angaben zur erforderlichen Dauer der Haft waren nach den Ergänzungen durch die beteiligte Behörde im Beschwerdeverfahren, zu denen der Betroffene persönlich angehört worden ist, für die weitere Haft ausreichend. Danach sollte der Betroffene wegen begangener Straftaten und aggressiven Verhaltens mit Sicherheitsbegleitung abgeschoben werden. Eine sicherheitsbegleitete Abschiebung mit Linienflug war nicht möglich und die Chartermaßnahme am die schnellstmögliche Rückführungsmöglichkeit (vgl. , juris Rn. 13). Weiterer Angaben zum Verfahren zur Beschaffung eines Passersatzpapiers bedurfte es nicht, nachdem die beteiligte Behörde mitgeteilt hatte, dass der Betroffene nach Vorlage der Kopie seiner Geburtsurkunde von den ghanaischen Behörden identifiziert worden sei und Verzögerungen durch diese nicht zu erwarten seien.
7b) Im Ergebnis zu Recht hat das Beschwerdegericht den Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG bejaht.
8aa) Es besteht ein konkreter Anhaltspunkt für die Annahme von Fluchtgefahr nach § 62 Abs. 3b Nr. 1 AufenthG, weil der Betroffene durch unterschiedliche Angaben zu seiner Staatsangehörigkeit über seine Identität getäuscht hat.
9(1) Nach dieser Vorschrift kann ein konkreter Anhaltspunkt für Fluchtgefahr sein, dass der Ausländer gegenüber den mit der Ausführung des Aufenthaltsgesetzes betrauten Behörden über seine Identität in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise getäuscht und die Angabe nicht selbst berichtigt hat, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität. Zur Identität im Sinn des § 62 Abs. 3b Nr. 1 AufenthG gehören jedenfalls die Personalien gemäß § 91e Nr. 1 AufenthG und somit auch die Staatsangehörigkeit (vgl. Keßler in Hofmann, NK-Ausländerrecht, 3. Aufl., § 62 AufenthG Rn. 27; Hailbronner, Ausländerrecht, 140. AL, § 62 AufenthG Rn. 117; BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 20/20, NVwZ-RR 2021, 595 Rn. 10; vom - XIII ZA 3/23, juris Rn. 21). Dem steht die gesonderte Nennung der Staatsangehörigkeit neben der Identität in § 49 Abs. 2 AufenthG und § 60b Abs. 1 AufenthG nicht entgegen, zumal der Begriff der Identität in den amtlichen Überschriften dieser Vorschriften als Oberbegriff verwendet wird. Falsche Angaben über die Staatsangehörigkeit als Teil der Identität können die Abschiebung erheblich erschweren und sind daher als Anhaltspunkt für das Vorliegen von Fluchtgefahr von besonderer Relevanz.
10(2) Der Betroffene hat bei Stellung des Asylantrags zunächst angegeben, (nur) ghanaischer Staatsangehöriger zu sein. Bei der Anhörung vor einer ghanaischen Delegation hat er sodann am aber erklärt, (nur) togoischer Staatsangehöriger zu sein, wobei schließlich - mehrere Jahre später - seine ghanaische Staatsangehörigkeit bestätigt werden konnte. Zwar weist die Rechtsbeschwerde zu Recht darauf hin, dass der Betroffene bei der Anhörung zudem angegeben hat, sein Vater stamme aus einer Stadt im Norden Togos und er gehöre einem Stamm an, der in der Grenzregion zu Togo lebe. Das schließt eine Identitätstäuschung aber nicht aus. Angesichts des Umstands, dass der Betroffene zunächst behauptet hat, ghanaischer Staatsangehöriger zu sein, und dies schließlich auch bestätigt werden konnte, spricht bereits viel für eine vorsätzliche Täuschung bei der Anhörung durch die ghanaischen Behörden, auf die es für eine Abschiebung entscheidend ankam. Selbst wenn dem Betroffenen aber nicht sicher bekannt gewesen sein sollte, welchem Staat er angehört, hätte er dies bereits bei der Stellung des Asylantrags und sodann spätestens bei der Anhörung offenlegen müssen, weil die Angabe, er sei möglicherweise ghanaische Staatsangehöriger, zu einer weiteren Prüfung der ghanaischen Behörden geführt hätte. Die Vorgabe der falschen Identität ist auch gegenüber einer mit der Ausführung des Aufenthaltsgesetzes betrauten Behörde erfolgt, weil bei der Anhörung eine Mitarbeiterin der Bundespolizei anwesend war. Die beteiligte Behörde hat aufgrund der falschen Angabe in der Folge versucht, eine Identifizierung des Betroffenen durch die togoischen Behörden herbeizuführen.
11bb) Dieser Identitätstäuschung kommt bei Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls hohes Gewicht zu, weil durch die Falschangabe die Identifizierung des Betroffenen durch die ghanaischen Behörden zunächst verhindert und damit die Abschiebung des Betroffenen um fast fünf Jahre verzögert wurde. Auf dieser Grundlage ist die vom Beschwerdegericht vorgenommene Gesamtabwägung - bei der es zutreffend berücksichtigt hat, dass der Betroffene ohne festen Wohnsitz war, seinen Lebensunterhalt mit dem Sammeln von Pfandflaschen bestritt und von 2020 bis 2022 für die beteiligte Behörde nicht erreichbar war - zur Feststellung von Fluchtgefahr im Ergebnis nicht zu beanstanden. Darauf, ob das Beschwerdegericht ferner zu Recht die Vermutung des § 62 Abs. 3a Nr. 3 AufenthG bejaht hat, kommt es nicht an.
12c) Auch die angeordnete Dauer der Haft war entgegen der Rechtsbeschwerde im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden. Das Beschwerdegericht hat das Beschleunigungsgebot hinreichend beachtet (vgl. dazu , juris Rn. 13 mwN). Die beteiligte Behörde hat ihren Haftantrag im Beschwerdeverfahren - wie ausgeführt (siehe Rn. 6) zulässigerweise dahin ergänzt, dass der Betroffene wegen Körperverletzung, Diebstahls und versuchten Raubes strafrechtlich in Erscheinung getreten sei, sich verbal aggressiv zeige und die geplante Chartermaßnahme die schnellstmögliche Rückführungsmaßnahme sei. Dazu hatte der anwaltlich vertretene Betroffene, der im Beschwerdeverfahren erneut persönlich angehört worden ist, ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme, hat sich ausweislich des angegriffenen Beschlusses dagegen aber nicht gewendet. Eine schnellere und gleich sichere Möglichkeit der Abschiebung kam nach den Feststellungen daher schon nicht in Betracht. Insbesondere war die Behörde entgegen der Rechtsbeschwerde nicht zur Prüfung verpflichtet, ob die mit einem erheblichen organisatorischen Aufwand einhergehende Chartermaßnahme hätte vorgezogen werden können (vgl. , DVBl 2025, 162 Rn. 15 f.).
133. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
Roloff Tolkmitt Picker
Vogt-Beheim Holzinger
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:061025BXIIIZB63.22.0
Fundstelle(n):
HAAAK-04405