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BGH Urteil v. - VIa ZR 992/22

Instanzenzug: Az: 24 U 212/21vorgehend Az: 10 O 226/20

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Sie erwarb im August 2015 einen - mittlerweile abgemeldeten - Neuwagen VW Touareg 3.0, in dem ein V6-Turbodieselmotor des Typs EA897 evo (Schadstoffklasse Euro 6) verbaut ist.

2Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz nebst Zinsen abzüglich einer bezifferten Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie Zahlung der Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt sie ihre Berufungsanträge weiter.

Gründe

3Revision

I.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin folge nicht aus §§ 826, 31 BGB. Es könne nicht festgestellt werden, dass ein Repräsentant der Beklagten diesen Tatbestand verwirklicht habe. Die Beklagte sei nicht die Herstellerin des streitgegenständlichen Motors. Es lasse sich auch nicht feststellen, dass die Beklagte bei der Entwicklung der Motorsteuerung für das streitgegenständliche Fahrzeugmodell - konkret bei der Entwicklung der Abschalteinrichtungen - mitgewirkt habe. Allerdings komme ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten ebenso in Betracht, wenn die für die Beklagte handelnden Personen gewusst hätten, dass die von der Konzerntochter gelieferten Motoren mit einer auf arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) abzielenden Abschalteinrichtung beziehungsweise Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet gewesen seien und die von der Beklagten hergestellten Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstands mit diesem Motor versehen und in den Verkehr gebracht hätten. Erforderlich sei insoweit, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter, für deren Verhalten die Beklagte entsprechend § 31 BGB einzustehen habe, ein derartiges Vorstellungsbild habe. Ein solches Vorstellungsbild könne jedoch nicht festgestellt werden. Ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 stehe der Klägerin nicht zu, weil das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht zum Schutzbereich dieser Bestimmungen gehöre.

II.

6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

71. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB verneint hat. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

82. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, Rn. 29 bis 32).

9Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

10Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil er sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

11Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es der Klägerin Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

                                                      

                                                    

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:051125UVIAZR992.22.0

Fundstelle(n):
OAAAK-04177