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BGH Urteil v. - VIa ZR 912/22

Instanzenzug: OLG Oldenburg (Oldenburg) Az: 14 U 145/21vorgehend LG Osnabrück Az: 12 O 2890/20

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Sie erwarb im Juli 2019 von einem zunächst mitverklagten Autohaus einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz GLC 250d 4MATIC, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.

2Die Klägerin hat zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich einer bezifferten Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu verurteilen. Sie hat ferner die Zahlung von vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen und die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie der Teilerledigung des Rechtsstreits wegen zwischenzeitlich gezogener Nutzungen begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge weiter.

Gründe

3Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

I.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Der Klägerin stehe kein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Die unstreitige Verwendung eines Thermofensters könne für sich genommen den Vorwurf eines sittenwidrigen Handelns der Beklagten nicht begründen, weil die Klägerin keine konkreten Anhaltspunkte für einen bewussten Gesetzesverstoß der für die Beklagte handelnden Personen dargelegt habe. In gleicher Weise habe die Klägerin auch hinsichtlich der Verwendung einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) und einer AdBlue-Dosierstrategie weder konkrete Anhaltspunkte für einen Prüfstandsbezug dieser Funktionen noch für einen bewussten Gesetzesverstoß der für die Beklagte handelnden Personen dargetan. Einem Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stehe der fehlende Schutzgesetzcharakter dieser Vorschriften entgegen.

II.

6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

71. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die von der Revision erhobene Verfahrensrüge hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

82. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

9Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

10Die Berufungsentscheidung ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, da diese nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es der Klägerin Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

C. Fischer                              Messing                              Katzenstein

                       F. Schmidt                            Ostwaldt

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:111125UVIAZR912.22.0

Fundstelle(n):
EAAAK-04176