Instanzenzug: Az: 51 KLs 5/23
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagte M. wegen Steuerhinterziehung sowie Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in jeweils 62 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Den Angeklagte B. hat es wegen Steuerhinterziehung sowie Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in jeweils zehn Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 50 € verurteilt. Hiergegen richten sich die Revisionen beider Angeklagter, mit denen sie jeweils die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügen. Beide Rechtsmittel haben auf die allgemeine Sachrüge hin den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I.
2Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
31. Die Angeklagte war im gesamten Tatzeitraum von Dezember 2013 bis Januar 2019 Geschäftsführerin der P. GmbH (nachfolgend: GmbH), der Angeklagte wurde im April 2018 zum weiteren Geschäftsführer bestellt. Geschäftsgegenstand der GmbH war unter anderem die Reparatur von Paletten, für die sie im Tatzeitraum insgesamt 30 polnische Arbeiter einsetzte, von denen keiner über eine sogenannte A1-Entsendebescheinigung verfügte. Obwohl beiden Angeklagten ihre Pflichten als Geschäftsführer einer als Arbeitgeberin tätigen GmbH bekannt waren, meldeten sie die Entgelte der polnischen Arbeiter nicht der für die Einziehung der Sozialversicherungsbeiträge zuständigen Einzugsstelle und erfassten die ausgezahlten Löhne nicht in den Lohnsteueranmeldungen beziehungsweise reichten für die Anmeldungszeiträume Dezember 2013, März 2014, Februar 2015, Februar 2016, Februar 2018 und Juni 2018 keine Lohnsteueranmeldungen beim zuständigen Finanzamt ein.
42. Das Landgericht hat die ausbezahlten Löhne anhand der von den Arbeitern an die GmbH gestellten Rechnungen oder der Überweisungsbeträge ermittelt. Für einige Arbeiter hat es den Familienstand und die Zahl der Kinder festgestellt, ebenso die Beitragssätze der Einzugsstelle für die Jahre 2013 bis 2019 jeweils für die Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Bei dem Arbeiter, für den der Tätigkeitszeitraum bekannt war, hat es einen Arbeitslohn von 45 € pro Tag ermittelt (150 Paletten zu je 0,30 € pro Tag bei 6 Arbeitstagen pro Woche). Für vier Arbeitnehmer hat das Landgericht konkrete Beschäftigungszeiten festgestellt. Bei den übrigen Arbeitern hat es unter Zugrundelegung der Reparatur von 200 Paletten pro Tag zu je 0,30 € geschätzt, in welchem Zeitraum die in Rechnung gestellten beziehungsweise überwiesenen Beträge erwirtschaftet werden konnten und diese dann linear auf diesen Zeitraum verteilt. Außerdem hat es für jeden Arbeiter pro Monat rund 55 € für durch die GmbH gewährte Verpflegung und zwischen 224 € (2013) und 246 € (2019) für Unterkunft angesetzt. Auf dieser Grundlage hat es für jeden Arbeiter den monatlich geschuldeten (Gesamt-)Sozialversicherungsbeitrag (SV-Beitrag; Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil) festgestellt und die verkürzte Lohnsteuer nebst Solidaritätszuschlag angegeben.
53. In rechtlicher Hinsicht hat das Landgericht die Tätigkeit der Arbeiter als abhängige Beschäftigung gewertet und die GmbH als Arbeitgeberin angesehen.
II.
61. Die von beiden Angeklagten erhobene Verfahrensrüge hat aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts zutreffend dargelegten Gründen keinen Erfolg.
72. Die auf die allgemeine Sachrüge veranlasste materiell-rechtliche Überprüfung der angefochtenen Entscheidung führt in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang zur Aufhebung des Urteils.
8a) Die Schuldsprüche werden von den Feststellungen getragen.
9b) Die Rechtsfolgenaussprüche halten jedoch rechtlicher Nachprüfung nur teilweise Stand.
10aa) Hinsichtlich der in den Fällen 65 C. II. 3. Fall 4 bis C. II. 3. Fall 65 der Urteilsgründe gegen die Angeklagte und in den Fällen C. II. 3. Fall 56 bis C. II. 3. Fall 65 der Urteilsgründe gegen den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt festgesetzten Einzelstrafen genügt das Urteil nicht den Darlegungsanforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO.
11(1) Dem Tatgericht obliegt es nach ständiger Rechtsprechung (vgl. Rn. 5 mwN), die geschuldeten Beiträge zur Sozialversicherung für die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte gesondert nach Anzahl, Beschäftigungszeiten, Löhnen der Arbeitnehmer und der Höhe des Beitragssatzes der örtlich zuständigen Krankenkasse festzustellen, weil die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkassen sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung zu berechnen ist. Dabei genügt es nicht, die vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge lediglich der Höhe nach anzugeben. Vielmehr müssen die Urteilsgründe die Berechnungsgrundlagen und Berechnungen im Einzelnen wiedergeben (vgl. hierzu ausführlich Rn. 28).
12(2) Den vorgenannten Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht.
13Das Landgericht hat zwar zunächst in nicht zu beanstandender Weise anhand der aufgefundenen Rechnungen und Buchungen für jeden Beitragsmonat und jeden Arbeitnehmer einen Lohn ermittelt und die Beitragssätze der zuständigen Einzugsstelle angegeben. Soweit die gebotene Hochrechnung des gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV als Nettolohn zu behandelnden Barlohns und der ebenfalls beitragspflichtigen Sachbezüge im Wege des Abtastverfahrens beziehungsweise unter Heranziehung eines Hochrechnungsfaktors auf Bruttolöhne unterblieb, ist das zwar rechtsfehlerhaft, belastet die Angeklagten aber nicht.
14Das Landgericht versäumt es jedoch mitzuteilen, wie es die in der Spalte „SV-Beiträge“ aufgelisteten Beträge, bei denen es sich um die Summe der Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile handeln soll (UA S. 23), errechnet hat. Eine – den Angeklagten begünstigende – Berechnung auf Basis der Nettolöhne ist sichtlich nicht erfolgt; tatsächlich übersteigen die sogenannten „SV-Beiträge“ die Summe aus Bar- und Sachlohn in der Mehrzahl der Fälle. Sie entsprechen auch nicht den Beiträgen, die sich bei einer ordnungsgemäßen Hochschleusung der Nettolöhne auf Bruttolöhne ergäben, sondern übersteigen teilweise auch diese noch.
15Aufgrund der unzureichenden Darstellung der Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge ist eine revisionsgerichtliche Überprüfung nicht möglich. Da der Senat nicht ausschließen kann, dass das Landgericht bei beiden Angeklagten der Bemessung der Einzelstrafen einen zu hohen Schuldumfang zugrunde gelegt hat und das Urteil auf diesem Mangel beruht (§ 337 Abs. 1 StPO), haben die in den Fällen C. II. 3. Fall 69 bis C. II. 3. Fall 130 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen keinen Bestand.
16Die Aufhebung der genannten Einzelstrafen zieht die der Gesamtstrafenaussprüche nach sich.
17bb) Darüber hinaus hat das Landgericht in den Fällen C. II. 3. Fall 69 bis C. II. 3. Fall 130 der Urteilsgründe für die verhängten Einzelgeldstrafen die Tagessatzhöhe jeweils nicht bestimmt. Einer Festsetzung bedarf es aber auch dann, wenn die Einzelgeldstrafen gemäß § 53 Abs. 2 Satz 1 StGB in eine Gesamt(freiheits)strafe einbezogen werden (st. Rspr.; siehe nur BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 353/24 Rn. 5; vom – 1 StR 308/15 Rn. 3 und vom – 4 StR 599/80, BGHSt 30, 93, 96). Die Festsetzung der Tagessatzhöhe wird vom neuen Tatgericht nachzuholen sein. Dabei haben etwaige nach dem angefochtenen Urteil eingetretene Verbesserungen der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Angeklagten außer Betracht zu bleiben (BGH, Beschlüsse vom – 6 StR 644/21 Rn. 5 und vom – 6 StR 268/21 Rn. 4; jeweils mwN).
Jäger Fischer Wimmer
Allgayer Welnhofer-Zeitler
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:070825B1STR60.25.0
Fundstelle(n):
NAAAK-04040