Zweimalige Festsetzung von Grunderwerbsteuer für den Erwerb von Gesellschaftsanteilen beim Auseinanderfallen von sogenanntem Signing und Closing
Leitsatz
Es ist rechtlich zweifelhaft, ob bei einem Erwerb von Anteilen an einer GmbH, bei dem das schuldrechtliche Erwerbsgeschäft (Signing) und die Übertragung der GmbH-Anteile (Closing) zeitlich auseinanderfallen, zweimal Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 2b des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) und § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG festgesetzt werden kann, wenn dem Finanzamt im Zeitpunkt der Festsetzung der Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG bekannt ist, dass die Übertragung der GmbH-Anteile (Closing) bereits erfolgt ist.
Gesetze: GrEStG § 1 Abs. 2b, Abs. 3 Nr. 1 und 3; GrEStG § 16 Abs. 4a, Abs. 5;
Instanzenzug:
Gründe
I.
1 Mit notariell beurkundetem Vertrag vom . 2023 (sogenanntes Signing) erwarb die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) sämtliche Anteile an der Z GmbH (GmbH). Die GmbH war Eigentümerin des Grundstücks in A, X-Straße .... Im notariellen Vertrag vom .2023 gaben die Beteiligten den Wert des Grundstücks mit ... € an.
2 Die Abtretung der GmbH-Anteile auf die Antragstellerin (sogenanntes Closing) erfolgte nach vollständiger Kaufpreiszahlung am .2023. Den Kaufvertrag zeigte der beurkundende Notar am .2023 beim Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) an. Eine Anzeige des Übergangs der GmbH-Anteile auf die Antragstellerin am .2023 erfolgte nicht.
3 Mit Schreiben vom teilte die steuerlich vertretene GmbH dem FA mit, dass die vollständige Kaufpreiszahlung als Bedingung für die Abtretung der GmbH-Anteile am .2023 erfolgt sei.
4 Das FA setzte daraufhin jeweils mit Bescheiden vom zweimal Grunderwerbsteuer fest, nämlich zum einen gegenüber der Antragstellerin wegen des Anspruchs auf Übertragung sämtlicher Anteile an der GmbH aufgrund des Vertrags vom .2023 gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 3 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) und zum anderen gegenüber der GmbH aufgrund des Wechsels im Gesellschafterbestand am .2023 gemäß § 1 Abs. 2b GrEStG. Als Bemessungsgrundlage setzte das FA einen Grundstückswert in Höhe von jeweils . € an. Die Grunderwerbsteuer wurde in beiden Verfahren auf jeweils . € festgesetzt und bezahlt.
5 Die Antragstellerin legte gegen den ihr gegenüber ergangenen Bescheid vom Einspruch ein, über den bislang noch nicht entschieden worden ist. Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) lehnten sowohl das FA als auch das Finanzgericht (FG) ab.
6 Mit ihrer vom FG zugelassenen Beschwerde trägt die Antragstellerin vor, es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids. Der Gesetzgeber habe keine zweifache Belastung desselben Anteilsübergangs mit Grunderwerbsteuer gewollt. Zwar seien unterschiedliche Tatbestände erfüllt, nämlich § 1 Abs. 2b GrEStG und § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG. Allerdings schreibe der Einleitungssatz des § 1 Abs. 3 GrEStG ausdrücklich vor, dass eine Besteuerung nach § 1 Abs. 3 GrEStG nur erfolgen solle, „soweit eine Besteuerung nach den Absätzen 2a und 2b nicht in Betracht kommt“. Der Gesetzgeber habe damit zum Ausdruck gebracht, dass er nur auf das Verfügungsgeschäft und nicht auch auf das Verpflichtungsgeschäft als Anknüpfungspunkt für die Besteuerung abstellen wolle. Mit der Festsetzung der Grunderwerbsteuer für das Signing verhalte sich das FA treuwidrig, weil die festgesetzte Steuer spätestens nach dem Closing wieder an die Antragstellerin zurückzuzahlen sei. Aus § 16 Abs. 4a, 5 Satz 2 GrEStG folge nichts anderes. Anderenfalls führe ein formaler Verstoß, wie im Streitfall die verspätete Anzeige des Closings, zu einer endgültigen Doppelbelastung.
7 Es lägen zudem widerstreitende Steuerfestsetzungen vor, sodass auch aus diesem Grund ernstliche Zweifel bestünden. Maßgeblich sei, ob ein bestimmter Sachverhalt nach § 174 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) in mehreren Steuerbescheiden zuungunsten eines oder mehrerer Steuerpflichtiger berücksichtigt worden sei. Beiden Grunderwerbsteuerfestsetzungen jeweils vom gegenüber der Antragstellerin und der GmbH liege als einheitlicher Lebenssachverhalt die Übertragung der Anteile an der grundbesitzenden GmbH zugrunde. Die doppelte Besteuerung eines einheitlichen Lebenssachverhalts verletze auch das verfassungsrechtliche Übermaßverbot.
8 Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den aufzuheben und die Vollziehung des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids vom auszusetzen.
9 Das FA beantragt,
die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
II.
10 Die nach § 128 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat das FG die beantragte AdV abgelehnt, denn der Antrag ist begründet.
11 1. Nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ist der Verwaltungsakt bereits vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung (§ 69 Abs. 2 Satz 7 FGO).
12 Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts sind zu bejahen, wenn bei einer summarischen Überprüfung des Bescheids neben für die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Verfahren der AdV gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt. Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (ständige Rechtsprechung seit dem , BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, unter II.3.; vgl. , BStBl II 2024, 543, Rz 25, m.w.N.).
13 2. Ausgehend von diesen Grundsätzen war die Vollziehung des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids vom auszusetzen.
14 a) Wie der Senat bereits mit Beschluss vom - II B 13/25 (AdV) (zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2025, 1388) entschieden hat, ist es ernstlich zweifelhaft im Sinne des § 69 FGO, ob bei einem Erwerb von Anteilen an einer GmbH, bei dem das schuldrechtliche Erwerbsgeschäft (Signing) und die Übertragung der GmbH-Anteile (Closing) zeitlich auseinanderfallen, zweimal Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 2b und § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG festgesetzt werden darf, wenn dem Finanzamt im Zeitpunkt der Festsetzung der Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG bekannt ist, dass die Übertragung der GmbH-Anteile (Closing) bereits stattgefunden hat. Die ernstlichen Zweifel ergeben sich insbesondere daraus, dass nach dem Einleitungssatz des § 1 Abs. 3 GrEStG eine Besteuerung nach dieser Vorschrift nur erfolgen soll, „soweit eine Besteuerung nach den Absätzen 2a und 2b nicht in Betracht kommt“. Soweit die Finanzverwaltung davon ausgeht, dass ein Vorrang des Tatbestands des § 1 Abs. 2b GrEStG gegenüber einer Besteuerung nach § 1 Abs. 3 GrEStG nur besteht, soweit die Verwirklichung des § 1 Abs. 3 Nr. 2 oder 4 GrEStG gleichzeitig erfolgt (vgl. Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung des § 1 Absatz 3 des Grunderwerbsteuergesetzes vom , BStBl I 2024, 383, Rz 30), lässt sich dies dem Wortlaut des Einleitungssatzes des § 1 Abs. 3 GrEStG nicht entnehmen. Die Einfügung des § 16 Abs. 4a, 5 GrEStG durch das Jahressteuergesetz 2022 vom (BGBl I 2022, 2294, BStBl I 2023, 7) hat den im Einleitungssatz normierten Vorrang nicht beseitigt. Denn soweit in der Gesetzesbegründung ausgeführt wird, dass der Anwendungsvorrang des § 1 Abs. 2a und 2b GrEStG nicht gelten solle, wenn der Abschluss des Rechtsgeschäfts und die Anteilsübertragung zeitlich auseinanderfallen, hat dies im Gesetzeswortlaut des Einleitungssatzes des § 1 Abs. 3 GrEStG keinen Ausdruck gefunden. Wegen der weiteren Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen im Beschluss vom - II B 13/25 (AdV) (zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2025, 1388) Bezug genommen.
15 b) An dieser Beurteilung hält der Senat bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage im vorliegenden Verfahren fest. Darauf, dass die Bescheide vom —anders als im Verfahren II B 13/25 (AdV)— nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 AO standen, kommt es nicht an. Danach ergeben sich ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerfestsetzung daraus, dass dem FA beim Erlass des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids am aufgrund des Anteilserwerbs nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG (Signing) bekannt war, dass der vom Notar nicht angezeigte Übergang der Anteile an der GmbH (Closing) am .2023 bereits erfolgt war und eine Grunderwerbsteuerpflicht nach § 1 Abs. 2b GrEStG bestand. Es hat dennoch am selben Tag zwei Grunderwerbsteuerbescheide über denselben Anteilserwerb erlassen, was der materiell-rechtlichen Vorrangregelung des Einleitungssatzes des § 1 Abs. 3 GrEStG widerspricht.
16 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2025:BA.271025.IIB47.25.0
Fundstelle(n):
OAAAK-03889