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BGH Beschluss v. - 4 StR 113/25

Instanzenzug: LG Frankenthal Az: 8 KLs 5541 Js 11893/24

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Diebstahls in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Hausfriedensbruch und Nötigung, sowie wegen tateinheitlicher vorsätzlicher Körperverletzung, Bedrohung und Beleidigung sowie wegen tateinheitlicher Nachstellung, Sachbeschädigung und versuchten Diebstahls sowie wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Nachstellung und wegen tateinheitlicher Nachstellung, Diebstahls und Sachbeschädigung“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Zudem hat es seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

21. Die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II.4., 5. und 6. der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

3a) Nach den hierzu getroffenen Feststellungen kam es zuletzt kurz vor dem Jahreswechsel 2023/2024 zu einvernehmlichen Intimitäten zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten, die sich in der Folgezeit von dem Angeklagten distanzierte und keinen Kontakt mit ihm mehr wünschte. Trotz ihrer unmissverständlichen Aufforderung, in Ruhe gelassen zu werden, rief sie der Angeklagte wiederholt an, übersandte ihr über den Nachrichtendienst WhatsApp eine Vielzahl von Nachrichten und Bildern und erwartete sie ungefragt am am Bahnhof. Ungeachtet seiner Abweisung durch die Geschädigte und weiterer Aufforderungen, sie in Ruhe zu lassen, passte er sie am auf ihrem Heimweg erneut ab, setzte Anrufversuche, Mailboxnachrichten, unerwünschte Bestellungen sowie weitere von ihm bewusst herbeigeführte Zusammentreffen fort und lauerte der Geschädigten am 6. Februar vor ihrer Haustür und am vor ihrer Arbeitsstelle auf. Am 27. oder suchte er erneut die Wohnanschrift der Geschädigten auf, um einen von ihm an sie versandten Brief abzufangen und aus ihrem Briefkasten zu entwenden. Hierzu entfernte er die Briefkastentür mit dem Namensschild und machte den Briefkasten so bewusst unbrauchbar. Die Entwendung des Briefs scheiterte, da dieser durch die Geschädigte bereits dem Briefkasten entnommen worden war (Fall II.4. der Urteilsgründe). Am lauerte der Angeklagte der Geschädigten in einer Tiefgarage auf. Als diese in ihren Pkw einstieg und sich auf den Fahrersitz setzte, riss er die angelehnte Fahrertür auf und beugte sich mit den Worten: „Das ist die Rache dafür, dass du mich angezeigt hast!“ zu ihr. Dabei versuchte er zunächst, ihr das Mobiltelefon aus der Hand zu reißen, was ihm jedoch nicht gelang. In der Folge lehnte sich der Angeklagte über die sich wegduckende Geschädigte, „die sodann über Handbremse und Beifahrersitz lag“. Dabei holte er aus seiner Jackentasche einen scharfen, ca. 30 cm langen Gegenstand hervor, der einer Fleischgabel ähnelte. Diesen Gegenstand hielt er der Geschädigten an den Hals und äußerte erneut, dass dies die Rache dafür sei, dass sie ihn bei der Polizei angezeigt habe. Sodann schnitt er der Geschädigten mit dem Gegenstand die zu einem Dutt zusammengefassten Haare ab. Die Geschädigte wehrte sich in diesem Moment aus Angst nicht mehr. Sodann holte der Angeklagte ein Pfefferspray hervor und sprühte es der Geschädigten aus kurzer Entfernung mindestens zwei Mal in die Augen. Die Geschädigte empfand daraufhin ein schmerzendes Brennen und war dadurch in ihrer Gegenwehr erheblich eingeschränkt. Diese bewusst herbeigeführte Lage nutzte der Angeklagte aus und nahm den unter dem Rücken der Geschädigten auf dem Beifahrersitz liegenden Rucksack, in dem sich u.a. ihr Geldbeutel befand, an sich. Dabei verfolgte er die Absicht sowohl den Rucksack als auch dessen Inhalt für eigene Zwecke zu verwenden. Anschließend flüchtete er mit dem Rucksack und den abgeschnittenen Haaren der Geschädigten aus der Tiefgarage (Fall II.5. der Urteilsgründe). Am begab sich der Angeklagte erneut zu dem Tiefgaragenstellplatz der Geschädigten, schlug Front- und Heckscheibe ihres Pkws ein und beschädigte darüber hinaus Fahrzeugdach und -heck. Zudem demontierte er die Kennzeichen von dem Fahrzeug, um diese für sich zu verwenden, und hängte die am abgeschnittenen Haare der Geschädigten an die Fahrertür (Fall II.6. der Urteilsgründe). Aufgrund der gegen ihren Willen vorgenommenen Handlungen des Angeklagten litt die Geschädigte unter starken Ängsten, die Wohnung alleine zu verlassen, arbeitete deshalb überwiegend im Homeoffice, baute einen Türspion ein, installierte eine Überwachungskamera, mietete ein Postfach und einen Tiefgaragenstellplatz an und nahm einen Beratungstermin wahr. Nach der Tat im Fall II.6. der Urteilsgründe zog sie bis zur Inhaftierung des Angeklagten zu einer Freundin um. Das Landgericht hat die in den Fällen II.4. bis II.6. der Urteilsgründe vorgenommenen Handlungen des Angeklagten als geeignet bewertet, die Lebensführung der Geschädigten nicht unerheblich zu beeinträchtigen.

4Das Verhalten des Angeklagten im Fall II.4. der Urteilsgründe hat die Strafkammer als versuchten Diebstahl gemäß § 242 Abs. 1, Abs. 2, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit Sachbeschädigung nach § 303 Abs. 1 StGB und Nachstellung gemäß § 238 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 8 StGB, im Fall II.5. der Urteilsgründe als besonders schweren Raub gemäß § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB und Nachstellung gemäß § 238 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 8, Abs. 2 Nr. 1 StGB und im Fall II.6. der Urteilsgründe als Diebstahl gemäß § 242 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit Sachbeschädigung gemäß § 303 Abs. 1 StGB und Nachstellung nach § 238 Abs. 1 Nr. 8 StGB bewertet.

5b) Der Schuldspruch wegen besonders schweren Raubes im Fall II.5. der Urteilsgründe hat keinen Bestand, weil ein Finalzusammenhang zwischen dem Einsatz des Pfeffersprays und der Wegnahme des Rucksacks weder eindeutig festgestellt noch beweiswürdigend unterlegt ist.

6aa)§ 249 StGB setzt voraus, dass die eingesetzte Gewalt oder Drohung Mittel gerade zur Ermöglichung der Wegnahme ist. Folgt die Wegnahme der Anwendung der Nötigungsmittel zu anderen Zwecken nur zeitlich nach, ohne dass diese finale Verknüpfung besteht, so scheidet ein Schuldspruch wegen Raubes aus.Dass dies der Fall gewesen ist, ist in den Urteilsgründen festzustellen und beweiswürdigend zu unterlegen. Dabei ist der Tatrichter gehalten, die wesentlichen Beweiserwägungen so darzulegen, dass seine Überzeugungsbildung für das Revisionsgericht nachzuvollziehen und auf Rechtsfehler zu überprüfen ist (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 44 mwN).

7bb) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Den Urteilsgründen lässt sich schon nicht eindeutig entnehmen, zu welchem Zweck der Angeklagte das Pfefferspray eingesetzt hat. Soweit in der rechtlichen Würdigung ausgeführt wird, dass die Annahme eines Finalzusammenhanges „unabhängig davon“, ob der Angeklagte bereits bei der Gewaltanwendung geplant hatte, den Rucksack der Geschädigten wegzunehmen, zu bejahen sei, weil die Gewalthandlung fortgewirkt habe und die durch die Drohung mit erneuter Gewaltanwendung weiterwirkende Zwangslage nachträglich ausgenutzt worden sei, fehlt es – insbesondere hinsichtlich des Vorliegens einer Drohung – an einer entsprechenden beweiswürdigend unterlegten Feststellung.

8cc) Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen besonders schweren Raubes im Fall II.5. der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der für sich genommen rechtsfehlerfreien Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung und Nachstellung und der verhängten Einzelstrafe nach sich.

9c) Die Schuldsprüche im Fall II.4. der Urteilsgründe wegen Nachstellung tateinheitlich begangen mit versuchtem Diebstahl und Sachbeschädigung und im Fall II.6. der Urteilsgründe wegen Nachstellung in Tateinheit mit Diebstahl und Sachbeschädigung können ebenfalls nicht bestehen bleiben. Denn es liegt nahe, dass der Angeklagte im Fall II.5. der Urteilsgründe auch im zweiten Rechtsgang jedenfalls wegen Nachstellung gemäß § 238 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB verurteilt werden wird. Demnach käme die Annahme einer tatbestandlichen Handlungseinheit in Bezug auf die weiteren Nachstellungshandlungen in den Fällen II.4. und II.6. der Urteilsgründe in Betracht, weil eine Nachstellungstat im Fall II.5. nach § 238 Abs. 1, Abs. 2 StGB auch gegenüber den in diesen Fällen tateinheitlich verwirklichten (versuchten) Diebstahls- und Sachbeschädigungstaten verbindende Wirkung entfalten könnte (vgl. , juris Rn. 7; Beschluss vom – 3 StR 244/09, NJW 2010, 1680 Rn. 32; MüKo-StGB/Gericke, 5. Aufl., § 238 Rn. 70 mwN), sofern annähernde Wertgleichheit besteht. Als Maßstab für den vorzunehmenden Wertevergleich dient die Abstufung der einzelnen Delikte nach ihrem Unrechtsgehalt unter Orientierung an den Strafrahmen, wobei der Vergleich nicht nach einer abstrakt-generalisierenden Betrachtungsweise, sondern anhand der konkreten Gewichtung der Taten vorzunehmen ist (vgl. , BGHR BtMG § 30 Abs. 1 Nr. 2 Konkurrenzen 4 (Gründe); Urteil vom – 4 StR 99/12, NStZ-RR 2013, 147; Beschluss vom – 4 StR 223/13, juris Rn. 9; Urteil vom – 2 StR 322/84, BGHSt 33, 4, 6 ff.). Tatmehrheit käme dagegen in Betracht, wenn mehrere Nachstellungshandlungen für sich genommen bereits das Merkmal der Wiederholung erfüllen und in unterschiedlicher Weise jeweils eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung der Lebensgestaltung herbeiführen bzw. die Eignung dazu aufweisen (vgl. , juris Rn. 35; Mosbacher, NStZ 2007, 665, 669; MüKo-StGB/Gericke, 5. Aufl., § 238, Rn. 70) Damit unterliegen auch die Einzelstrafaussprüche in den Fällen II.4. und II.6. der Urteilsgründe der Aufhebung.

10d) Der Wegfall der Schuld- und Einzelstrafaussprüche in den Fällen II.4. bis II.6. entzieht auch dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage. Der Senat kann jedoch die äußeren Feststellungen aufrechterhalten, weil diese von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Das zur neuen Verhandlung und Entscheidung berufene Tatgericht kann ergänzende Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen treffen, soweit diese den bisherigen nicht widersprechen.

112. Die Aufhebung in den Fällen II.4., 5. und 6. der Urteilsgründe bedingt zudem die Aufhebung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB mit den zugehörigen Feststellungen. Denn die Maßregelanordnung gründet auf einer Gesamtbetrachtung aller abgeurteilten Taten und ihrer rechtlichen Einordnung, insbesondere auch auf der – der Aufhebung unterliegenden – Verurteilung im Fall II.5. der Urteilsgründe (unter anderem) wegen besonders schweren Raubes.

12Zudem ist die nach § 63 StGB erforderliche Gefährlichkeitsprognose nicht tragfähig begründet. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift das Folgende ausgeführt:

„a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat(en) auf Grund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln. Sie muss sich darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Dabei sind die individuell bedeutsamen Bedingungsfaktoren für die bisherige Delinquenz, deren Fortbestand, ihre fehlende Kompensation durch protektive Umstände und das Gewicht dieser Faktoren in künftigen Risikosituationen besonders in den Blick zu nehmen (vgl. , BeckRS 2024, 20253 Rn. 10; Urteil vom – 4 StR 380/21, BeckRS 2022, 4953 Rn. 7; Urteil vom – 5 StR 390/20, BeckRS 2021, 1188 Rn. 16). Der Umstand, dass ein Täter trotz bestehender Grunderkrankung in der Vergangenheit über einen längeren Zeitraum nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, kann im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger erheblicher Straftaten sein und ist deshalb regelmäßig in den Urteilsgründen zu erörtern (st. Rspr.; vgl. etwa , BeckRS 2024, 23961 Rn. 10; Beschluss vom – 4 StR 242/22, BeckRS 2022, 35262 Rn. 6; Beschluss vom – 1 StR 275/21 Rn. 7; Beschluss vom – 4 StR 317/20 Rn. 8; Beschluss vom – 1 StR 253/19, BeckRS 2019, 22918 Rn. 5; Beschluss vom – 4 StR 419/18, BeckRS 2019, 6453 Rn. 13).

b) Gemessen an diesen Anforderungen erweist sich die der Gefahrenprognose zu Grunde liegende Abwägung des Landgerichts als lückenhaft.

Das Landgericht hat festgestellt, dass der 37jährige Angeklagte seit vielen Jahren unter einer schweren kombinierten Persönlichkeitsstörung leidet (UA S. 4, 26, 43), die weitgehend unbehandelt ist (UA S. 43). Trotz dieser bestehenden Grunderkrankung ist der Angeklagte bislang nicht straffällig geworden (UA S. 5). Die Kammer hätte daher bei der Abwägung im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose den prognosegünstigen Umstand, dass der Angeklagte trotz langjährig bestehender Grunderkrankung strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, in den Blick nehmen müssen. Eine Erörterung war auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Zwar liegt mit dem besonders schweren Raub aus Tat II. 5 der Urteilsgründe eine schwere Anlasstat vor, dies entbindet indes nicht von der Erörterung des straffreien Vorlebens (vgl. , BeckRS 2024, 23961 Rn. 12). Aus den Urteilsfeststellungen ergeben sich über die angeklagten Vorgänge hinaus keine weiteren für die Gefahrenprognose relevanten Übergriffe. Die Andeutungen, dass der Angeklagte in der Vergangenheit auch mit einer anderen Frau einen „ähnlichen Konflikt“ (UA S. 11) und „massive Streitigkeiten“ mit seinen Nachbarn und seinem Vermieter (UA S. 5) gehabt sowie „sich ständig in den verschiedensten, ausufernden Konflikten mit seinen Mitmenschen befunden habe“ (UA S. 13), bleiben vage und sind zudem nicht näher beweiswürdigend unterlegt, so dass hieraus keine Rückschlüsse für die künftige Gefährlichkeit gezogen werden können. Gleiches gilt für die im Rahmen der Gefahrenprognose pauschal bezeichneten „zahlreichen Vorfälle in der Vergangenheit“ (UA S. 41).“

13Dem schließt sich der Senat an.

14Die weiter gehende Prüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:250925B4STR113.25.0

Fundstelle(n):
OAAAK-03782