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BSG Urteil v. - B 1 KR 40/24 R

Tatbestand

1Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.

2Das zugelassene Krankenhaus der Klägerin behandelte vom 17. bis eine bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Patientin vollstationär. Am erfolgte eine Septorhinoplastik-Revision. Die Klägerin stellte der Beklagten für die Behandlung 4133,05 Euro auf Grundlage der Fallpauschale D37B in Rechnung. Die Beklagte beglich die Rechnung zunächst vollständig. Sie beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit einer Prüfung. Dieser zeigte der Klägerin mit Schreiben vom die Einleitung der Prüfung an und benannte als Prüfgegenstände primäre Fehlbelegung, sekundäre Fehlbelegung und Kodierprüfung. Im Ergebnis der Prüfung gelangte der MDK zu der Einschätzung, die Indikation zur Korrektur der Nase bei bestehender Nasenatmungsbehinderung sei medizinisch nachvollziehbar, die Verweildauer jedoch um drei Tage zu kürzen. Die Beklagte teilte dem Krankenhaus am unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des MDK mit, die Abrechnung sei um zwei Fehlbelegungstage zu korrigieren und kündigte die Aufrechnung des sich daraus ergebenden Erstattungsanspruchs in Höhe von 1414,86 Euro an. Die Aufrechnung erfolgte mit Zahlungsavis vom .

3Das SG hat die Beklagte zur Zahlung des aufgerechneten Betrages nebst Zinsen verurteilt (Urteil vom ). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Eine sekundäre Fehlbelegung habe nach den Ausführungen des vom SG beauftragten Sachverständigen nicht vorgelegen. Mit dem Einwand der vom Sachverständigen festgestellten primären Fehlbelegung sei die Beklagte gemäß § 8 Satz 3 und 4 Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV) 2016 präkludiert. Die Beklagte könne nach Ablauf der in § 8 PrüfvV 2016 geregelten Frist eine abschließende Entscheidung und auch eine entsprechende Begründung nicht mehr nachholen. Auch der Austausch der wesentlichen Gründe für den Erstattungsanspruch sei ausgeschlossen (Urteil vom ).

4Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 8 Satz 3 und 4 PrüfvV 2016. Die KK sei an einem Austausch der Begründung ihres Erstattungsanspruchs jedenfalls dann nicht durch § 8 Satz 3 und 4 PrüfvV 2016 gehindert, soweit sich die neue Begründung innerhalb des ursprünglichen Prüfauftrages halte. In Zusammenschau mit den Regelungen des § 6 PrüfvV 2016 ergebe sich eine inhaltliche Beschränkung nur im Hinblick auf den Prüfgegenstand und dessen Ergänzungen durch den MDK. Weiter reiche der mit der PrüfvV 2016 bezweckte Rechtsfrieden nicht. Prüfgegenstand seien die primäre und die sekundäre Fehlbelegung gewesen, mithin Fragen nach der medizinischen Erforderlichkeit der stationären Behandlung. Die neue Begründung bewege sich im Umfang des Prüfauftrages, es werde kein neuer Tatsachenstoff zum Gegenstand der Auseinandersetzung der Parteien gemacht.

7Die Beklagte berücksichtige nicht, dass das Prüfverfahren Rechtssicherheit für alle Beteiligten schaffen und den Streitgegenstand für ein gerichtliches Verfahren begrenzen solle.

Gründe

8Die Revision ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat die Berufung der Beklagten gegen das der Klage stattgebende SG-Urteil zu Recht zurückgewiesen.

9Die zulässig im Gleichordnungsverhältnis erhobene Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG (stRspr; vgl KR R - BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 9; - BSGE 133, 24 = SozR 4-2500 § 2 Nr 17, RdNr 7) ist begründet. Der mit der Klage geltend gemachte, nach Grund und Höhe nicht bestrittene Vergütungsanspruch aus der Behandlung eines anderen Versicherten der Beklagten ist nicht durch Aufrechnung mit einem aus der Septorhinoplastik-Revision bei der Versicherten resultierenden Erstattungsanspruch in Höhe von 1414,86 Euro erloschen (vgl zur Zugrundelegung von Vergütungsansprüchen bei unstrittiger Berechnungsweise - juris RdNr 11 mwN, stRspr; vgl zur Aufrechnung - SozR 4-5562 § 11 Nr 2 RdNr 8 ff und - B 1 KR 7/16 R - SozR 4-7610 § 366 Nr 1 RdNr 9 ff). Der Beklagten stand ein mit anderen Vergütungsforderungen aufrechenbarer Erstattungsanspruch aus der Behandlung vom 17. bis gegen die Klägerin nicht zu.

10Nach den für den Senat bindenden Feststellungen (§ 163 SGG) des LSG hat die Beklagte der Klägerin mit der Mitteilung vom ihre abschließende Entscheidung zur Wirtschaftlichkeit der Krankenhausbehandlung mitgeteilt. Sie hat damit nur eine sekundäre Fehlbelegung um zwei Belegungstage beanstandet und insoweit eine Vergütungskürzung geltend gemacht. Aufgrund der sekundären Fehlbelegung um zwei Belegungstage ergibt sich jedoch kein Erstattungsanspruch (dazu 1.). Mit der Mitteilung der abschließenden Entscheidung wird die im gerichtlichen Verfahren noch beachtliche Begründung des Erstattungsanspruchs auf die beanstandeten Prüfgegenstände beschränkt (dazu 2.). Einen auf eine primäre Fehlbelegung gestützten Erstattungsanspruch der Beklagten konnte die Beklagte danach nicht durchsetzen (dazu 3.).

111. Ein Erstattungsanspruch der Beklagten bestand nicht wegen sekundärer Fehlbelegung. Die Kürzung der Verweildauer um zwei Belegungstage führt bereits nicht zu einem sog Kurzliegerabschlag nach § 1 Abs 3 der Fallpauschalenvereinbarung für das Jahr 2019 (FPV 2019).

12Danach ist für die bis zur unteren Grenzverweildauer nicht erbrachten Belegungstage einschließlich des im Fallpauschalen-Katalog ausgewiesenen ersten Tages mit Abschlag ein Abschlag von der Fallpauschale vorzunehmen, wenn die Verweildauer von nicht verlegten Patientinnen oder Patienten kürzer ist als die untere Grenzverweildauer. Für die DRG D37B ist nach dem Fallpauschalen-Katalog 2019 als erster Tag mit Abschlag der Tag 1 ausgewiesen. Die Beklagte hat nach der den Senat bindenden Feststellung des LSG (§ 163 SGG) der Klägerin eine Korrektur der Verweildauer um zwei Fehlbelegungstage mitgeteilt. Das Überschreiten der unteren Grenzverweildauer der DRG D37B ab dem zweiten Belegungstag wurde jedoch auch bei einer Kürzung der Verweildauer (§ 1 Abs 7 FPV 2016) für die Behandlung vom 17. bis um zwei Belegungstage, bei denen der Tag der Entlassung nicht mitzählt, entsprechend der abschließenden Entscheidung der Beklagten mit dem 17. und noch erreicht. Im Übrigen hat das LSG für den Senat bindend festgestellt, dass eine sekundäre Fehlbelegung als Voraussetzung der Kürzung der Verweildauer nicht vorlag.

132. Mit der Mitteilung der abschließenden Entscheidung nach § 8 Satz 1 PrüfvV 2016 ist das Prüfverfahren nach § 275 Abs 1 Satz 1 Nr 1, § 275 Abs 1c SGB V in der bis geltenden Fassung (aF) beendet. Die abschließende Entscheidung beinhaltet im Interesse der Rechtssicherheit eine verbindliche Feststellung, welche der dem Krankenhaus mitgeteilten Prüfgegenstände (§ 4 Satz 2, § 6 Abs 3 Satz 3, 4 und 6 PrüfvV 2016) nur noch Gegenstand einer gerichtlichen Überprüfung sein können. Die Verbindlichkeit der abschließenden Mitteilung und der daraus resultierende Einwendungsausschluss der KK folgt aus einer Auslegung der normenvertraglichen Bestimmungen der PrüfvV nach den allgemeinen, für Gesetze geltenden Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft (vgl zu diesem Auslegungsmaßstab - BSGE 132, 152 = SozR 4-2500 § 301 Nr 10, RdNr 21; - BSGE 132, 143 = SozR 4-2500 § 275 Nr 33, RdNr 20). Danach ist die KK durch § 8 Satz 1 PrüfvV 2016 an die von ihr mitgeteilte abschließende Entscheidung zur Wirtschaftlichkeit der Leistung und/oder zur Korrektur der Abrechnung gebunden. Sie ist mit rechtlichen und tatsächlichen Einwänden hinsichtlich derjenigen in das Prüfverfahren einbezogenen Prüfgegenstände ausgeschlossen, die sie mit der abschließenden Entscheidung nicht beanstandet hat. Auf andere als die mitgeteilten und durch die wesentlichen Gründe nach § 8 Satz 2 PrüfvV 2016 ggf näher spezifizierten Beanstandungen der durch Anzeige gegenüber dem Krankenhaus in das Prüfverfahren einbezogenen Prüfgegenstände (§ 6 Abs 3 Satz 1 bis 4, 6 PrüfvV 2016) kann sie sich in der Folge nicht mehr berufen.

14a) Die von § 8 Satz 1 PrüfvV 2016 für die KK angeordnete Verbindlichkeit ihrer abschließenden Entscheidung ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Norm.

15Die KK hat nach § 8 Satz 1 PrüfvV 2016 dem Krankenhaus ihre abschließende Entscheidung zur Wirtschaftlichkeit der Leistung oder zur Korrektur der Abrechnung und den daraus folgenden Erstattungsanspruch mitzuteilen. Die Bezeichnung als "abschließende Entscheidung" impliziert, dass nach Durchführung der Prüfung feststehen soll, inwieweit die KK die vom Krankenhaus durchgeführte Behandlung als im Einklang mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs 1 SGB V) und den preisrechtlichen Regelungen stehend bestätigt und inwieweit sie sich dem Krankenhaus gegenüber dafür zur Vergütung nach den geltenden Abrechnungsbestimmungen verpflichtet sieht. Gestützt wird dies durch die weitere Bestimmung in § 8 Satz 3 PrüfvV 2016. Danach hat diese Mitteilung innerhalb von elf Monaten nach Übermittlung der Prüfanzeige (§ 6 Abs 3 PrüfvV 2016) zu erfolgen. Sie ist nicht in das Belieben der KK gestellt (vgl dazu und den rechtlichen Konsequenzen bei Unterlassen einer abschließenden Entscheidung - RdNr 17 ff, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).

16b) Dies befindet sich im Einklang mit dem Regelungszweck des § 275 Abs 1c SGB V aF und der Ermächtigungsgrundlage des § 17c Abs 2 KHG.

17aa) Nach § 275 Abs 1c Satz 1 SGB V aF ist die Einleitung des Prüfverfahrens als dritte Stufe der Sachverhaltsermittlung im Sinne der Verfahrensbeschleunigung nur zeitlich befristet zulässig. Diese Begrenzung würde unterlaufen, wenn Prüfgegenstände der Prüfung nach § 275 Abs 1c SGB V aF auch nach formalem Abschluss des Verfahrens erneut einer Prüfung unterzogen werden könnten. Der Senat hat bereits entschieden, dass die KK aus Gründen der Beschleunigung und Konzentration verpflichtet ist, die Abrechnung des Krankenhauses im Rahmen eines eingeleiteten Prüfverfahrens nach § 275 Abs 1 Satz 1 Nr 1, Abs 1c SGB V aF umfassend zu prüfen, ohne auf eine Umsetzung der auf den Einzelfall bezogenen gutachtlichen Stellungnahme des MDK beschränkt zu sein. Für die Prüfung sind alle ihr bekannten und zugänglichen Daten einzubeziehen (vgl - BSGE 133, 126 = SozR 4-2500 § 275 Nr 36, RdNr 21, 24; - RdNr 25, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Der KK ist es daher auch zur Wahrung der zeitlichen Grenzen für die Einleitung des Prüfverfahrens verwehrt, nach dessen Abschluss zur Begründung anderer oder weitergehender Erstattungsansprüche erneut auf während des Prüfverfahrens bereits bekannt gewordene oder zumindest verfügbare Erkenntnisse zurückzugreifen.

18bb) Ziel des in der PrüfvV vereinbarten Prüfverfahrens ist nach der Ermächtigungsgrundlage des § 17c Abs 2 KHG die Regelung eines effizienten, konsensorientierten Verfahrens der Prüfungen nach § 275 Abs 1c SGB V aF (§ 1 Satz 1 PrüfvV 2016; ähnlich § 1 Satz 1 PrüfvV 2014; vgl BT-Drucks 17/13947 S 38 zu § 17c Abs 2 Satz 1 KHG idF des Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom , BGBl I 2423; Gerlach in BeckOK KHR, § 17c KHG RdNr 5, Stand ; Ossege in NK-GesundhR, 2. Aufl 2018, § 275 SGB V RdNr 6). Die nach § 17c Abs 2 Satz 2 KHG zu treffenden Regelungen "über die Prüfungsdauer" sollen eine Beschleunigung des Prüfverfahrens ermöglichen (vgl BT-Drucks 17/13947 S 38). Die auf Grundlage der Ermächtigungsnorm des § 17c Abs 2 KHG vereinbarten Regelungen der PrüfvV dienen dem angemessenen Ausgleich zwischen dem Interesse der KK sowie der Versichertengemeinschaft an der Durchsetzung des Wirtschaftlichkeitsgebots (der wirtschaftlichen Erbringung der Leistung und der sachlich-rechnerischen Richtigkeit des darauf bezogenen Vergütungsanspruchs) einerseits und dem Interesse des Krankenhauses an einem zügigen Abschluss des Prüfverfahrens sowie der Rechtssicherheit andererseits (vgl - SozR 4-2500 § 275 Nr 38 RdNr 10). Sie sind von dem Gedanken getragen, durch Bündelung des Streitstoffs (Konzentration) die Effektivität des Prüfverfahrens zu erhöhen und wiederholte Prüfungen derselben Abrechnung weitgehend zu vermeiden. Dem entspricht es, durch eine abschließende Entscheidung zwischen den Beteiligten Rechtssicherheit darüber herbeizuführen, ob und ggf in welchem Umfang die geprüfte Vergütungsforderung weiterhin streitig bleibt (näher dazu nachfolgend unter dd).

19cc) Der Senat hat ausgehend vom Regelungszweck bereits entschieden, dass die Mitteilung der abschließenden Entscheidung das Prüfverfahren beendet und die KK damit auf den weiteren Lauf der Frist für die Durchführung der Prüfung aus § 8 Satz 3 PrüfvV 2016 verzichtet ( - BSGE 133, 126 = SozR 4-2500 § 275 Nr 36, RdNr 26). Damit ist eine Fortsetzung oder Wiederaufnahme des Prüfverfahrens ausgeschlossen. Die Wirkung der abschließenden Entscheidung ist zwar auf das eingeleitete Prüfverfahren nach § 275 Abs 1 Satz 1 Nr 1, Abs 1c SGB V aF beschränkt. Sie umfasst aber die mit der Prüfanzeige des MDK (§ 6 Abs 3 Satz 1 bis 4 PrüfvV 2016) benannten und ggf später durch Anzeige an das Krankenhaus erweiterten (§ 6 Abs 3 Satz 6 PrüfvV 2016) Prüfgegenstände. Hinsichtlich dieser Prüfgegenstände hatte die KK Zugriff auf die im Prüfverfahren vom Krankenhaus vorgelegten Unterlagen und die vom MDK gewonnenen Erkenntnisse. Mit dem Abschluss des Prüfverfahrens endet dieser Zugriff (vgl - RdNr 17, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).

20dd) Die Mitteilung der abschließenden Entscheidung beendet nicht nur formell das Prüfverfahren. Sie schafft auch Klarheit, welche der benannten Prüfgegenstände von der KK nach der Prüfung beanstandet und der Vergütungsforderung entgegengehalten werden. Damit wird nicht nur eine Beschleunigung der Abrechnungsprüfung insgesamt erreicht, in dem mit der abschließenden Entscheidung weitere Elemente der Prüfung entzogen werden und der Umfang einer ggf nachfolgenden gerichtlichen Überprüfung beschränkt wird. Die Verbindlichkeit der abschließenden Entscheidung für die KK bewirkt vor allem Rechtssicherheit für das Krankenhaus. Dieses muss mit Zugang der abschließenden Entscheidung nicht mehr damit rechnen, dass die KK in der Folgezeit einen (weiteren) Erstattungsanspruch aus Gründen geltend macht, die bereits im Prüfverfahren geprüft und nicht beanstandet worden sind. Im Umfang der Nichtbeanstandung der in das Prüfverfahren einbezogenen Prüfgegenstände sind bestehende Zweifel der KK an der Richtigkeit der Vergütungsforderung ausgeräumt (dazu <1>). Tatsächliche oder rechtliche Einwände, die sich auf nicht beanstandete Prüfgegenstände beziehen, kann die KK in der Folgezeit zur Begründung eines Erstattungsanspruchs nicht mehr wirksam geltend machen (dazu <2>).

21(1) Mit der Benennung von Prüfgegenständen in der Prüfanzeige (§ 6 Abs 3 PrüfvV 2016) und der Anforderung von Unterlagen (§ 7 Abs 2 Satz 2 PrüfvV 2016) stellt der MDK im Rahmen der von der KK initiierten MDK-Prüfung als dritter Stufe der Abrechnungsprüfung bestimmte Elemente der Begründung des Vergütungsanspruchs in Frage (vgl - BSGE 132, 143 = SozR 4-2500 § 275 Nr 33, RdNr 22). Gleiches gilt, wenn die Benennung der Prüfgegenstände zur Durchführung eines Vorverfahrens bereits von der KK gegenüber dem Krankenhaus mit der Einleitung des Prüfverfahrens nach § 4 Satz 1 PrüfvV 2016 erfolgt und diese vom MDK ggf konkretisiert werden. Prüfgegenstände sind nach § 4 Satz 1 und 2 PrüfvV 2016 die von der KK festgestellten Auffälligkeiten der Abrechnung, die sie nach § 275 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V zur Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme des MDK verpflichten. Die der KK und dem Krankenhaus bekannte Ungewissheit über das Bestehen und die Höhe des Vergütungsanspruchs wird durch die abschließende Entscheidung nach § 8 Satz 1 PrüfvV 2016 in der Regel insoweit beseitigt, als die KK zu einzelnen ins Prüfverfahren einbezogenen Prüfgegenständen die Abrechnung ausdrücklich bestätigt oder keine Beanstandung und keine Korrektur der Abrechnung mitteilt. Die KK bringt in beiden Fällen zum Ausdruck, dass sie nach Durchführung des Prüfverfahrens ihre auf den festgestellten Auffälligkeiten beruhenden Zweifel hinsichtlich einzelner Elemente der Begründung des Vergütungsanspruchs als geklärt ansieht und darauf einen Erstattungsanspruch nicht stützt.

22(2) Tatsächliche oder rechtliche Einwände gegen den Vergütungsanspruch, die sich aus den vom MDK geprüften Gegenständen hätten ergeben können und die mit der abschließenden Entscheidung nicht geltend gemacht worden sind, kann die KK in der Folgezeit nicht mehr wirksam geltend machen. Mit der Nichtbeanstandung wird der Streitstoff in Bezug auf den Vergütungsanspruch im Sinne einer materiellen Präklusion als prozessualer Sperre (vgl - NVwZ 1987, 131, 132 = juris RdNr 10) dergestalt begrenzt, dass geprüfte Prüfgegenstände im Umfang ihrer Nichtbeanstandung einer gerichtlichen Prüfung entzogen sind. Im Umfang der Nichtbeanstandung ist die Begründung des Vergütungsanspruchs als zutreffend zu berücksichtigen. Von dieser den Streitstoff begrenzenden Wirkung der abschließenden Entscheidung sind diejenigen Elemente der Begründung des Vergütungsanspruchs nicht erfasst, die nicht Gegenstand des Prüfverfahrens (§ 4 Satz 2, § 6 Abs 3 PrüfvV 2016) waren. Hierauf bezogene Einwände sind der KK nicht verwehrt, wenngleich im gerichtlichen Verfahren der geltend gemachte Erstattungsanspruch insoweit nur mit Daten konkretisiert werden kann, die der KK außerhalb des Prüfverfahrens in rechtmäßiger Weise bekannt geworden sind (näher hierzu - BSGE 134, 172 = SozR 4-2500 § 275 Nr 39, RdNr 33; - RdNr 27, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).

23c) Die Begrenzung des für das gerichtliche Verfahren verbleibenden Prüfungsumfangs durch die abschließende Entscheidung der KK ist die folgerichtige Konsequenz des Systems des durch die PrüfvV 2016 geregelten Prüfverfahrens, das auch in erheblichem Umfang das Krankenhaus bei der Geltendmachung seiner Ansprüche beschränkt. Sowohl das Krankenhaus als auch die KK werden den Geboten der Beschleunigung, Konzentration und Rechtssicherheit unterworfen (vgl nur - BSGE 133, 126 = SozR 4-2500 § 275 Nr 36, RdNr 21, dort zu Datenänderungen durch das Krankenhaus und zur Anforderung von Unterlagen durch den MDK einschließlich der Berücksichtigung sonstiger rechtmäßig erlangter Erkenntnisse durch die KK während des noch nicht abgeschlossenen Prüfverfahrens).

24Die Konzentration und Beschleunigung des Prüfverfahrens wird durch die materiellen Präklusionsregelungen zu Lasten des Krankenhauses in § 7 Abs 2 PrüfvV 2016 betreffend die Unterlagenübermittlung (vgl zur PrüfvV 2014 - BSGE 132, 143 = SozR 4-2500 § 275 Nr 33, RdNr 17 f) und in § 7 Abs 5 PrüfvV 2016 betreffend die zeitlich nur beschränkt zulässige Datenkorrektur nach Einleitung des Prüfverfahrens (vgl zur PrüfvV 2014 - BSGE 132, 152 = SozR 4-2500 § 301 Nr 10, RdNr 14 f; zur PrüfvV 2016 - SozR 4-2500 § 301 Nr 11 RdNr 16) erreicht. Demgegenüber setzt § 8 PrüfvV 2016 dem Recht der KKn Grenzen, die Abrechnung des Krankenhauses auf der Grundlage des Ergebnisses des Prüfverfahrens zu beanstanden. Zum einen sind die KKn nach § 8 Satz 1 und 3 PrüfvV 2016 verpflichtet, das Prüfverfahren innerhalb der dort genannten Frist durch Mitteilung ihrer Entscheidung abzuschließen (vgl dazu - RdNr 18 ff, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) und zum anderen den fortdauernden Streitstoff zu definieren.

25d) Der Verbindlichkeit der abschließenden Entscheidung der KK steht das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs 1, § 70 Abs 1 Satz 2 SGB V) nicht entgegen.

26Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass der KK entgegen ihrer mitgeteilten abschließenden Entscheidung ein Erstattungsanspruch aufgrund eines in das Prüfverfahren einbezogenen Prüfgegenstandes zusteht. Das Wirtschaftlichkeitsgebot verknüpft die Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung, ihre Vergütung und die Kontrolle des Vorliegens ihrer Voraussetzungen durch die KKn und den MDK untrennbar miteinander. Damit ist die Verpflichtung der KKn zu rechtsgrundlosen Zahlungen an Leistungserbringer und der Ausschluss von Erstattungsansprüchen allein aufgrund des Ablaufs materiell-rechtlicher Ausschlussfristen ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage unvereinbar (vgl - BSGE 112, 156 = SozR 4-2500 § 114 Nr 1, RdNr 31 ff, dort zur Ausschlussfrist durch Schiedsspruch in einem landesvertraglichen Sicherstellungsvertrag nach § 112 SGB V; - RdNr 13 f, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).

27Mit der Verbindlichkeit der abschließenden Entscheidung wird ein Erstattungsanspruch der KK nicht ausgeschlossen, sondern nur dessen Geltendmachung durch Klage oder Aufrechnung eingeschränkt. Dies betrifft insbesondere die von vornherein nicht in das Prüfverfahren einbezogenen möglichen Prüfgegenstände (siehe RdNr 22) und die Rechtsfolgen bei nicht fristgemäß erklärter abschließender Entscheidung (vgl dazu - RdNr 21, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Auch beruht der aus der Verbindlichkeit der abschließenden Entscheidung folgende Ausschluss nachträglicher Beanstandungen bereits geprüfter Prüfgegenstände nach dem Regelungskonzept nur ausnahmsweise auf dem Ablauf von Fristen. § 8 PrüfvV 2016 erwartet gerade von den KKn, dass sie sich aktiv mit dem Ergebnis des Prüfverfahrens, das sie veranlasst und mitbestimmt haben, auseinandersetzen.

28e) Einer verbindlichen Wirkung der abschließenden Entscheidung steht auch nicht entgegen, dass die KK diese Entscheidung in der Regel nur anhand der gutachtlichen Stellungnahme des MDK, nicht aber aus eigener Kenntnis der vom Krankenhaus im Prüfverfahren übermittelten Daten treffen kann.

29Die Einbeziehung des MDK in die Abrechnungsprüfung ist gerade dem Umstand geschuldet, dass die mit der Abrechnungsprüfung betrauten Mitarbeiter der KKn zwar in Abrechnungsfragen versiert sind und ggf auch - aufgrund Erfahrung - über ein gewisses medizinisches Grundverständnis verfügen, es ihnen aber an der medizinischen Fachkunde zur Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit von Leistungen und den der Kodierung vorgelagerten medizinischen Fragen fehlt (vgl - SozR 4-2500 § 301 Nr 1 RdNr 29). Ist nach § 275 Abs 1 Satz 1 Nr 1, § 276 Abs 2 SGB V allein der MDK berechtigt, Behandlungsunterlagen des Krankenhauses anzufordern, hat die KK ihre das Prüfverfahren abschließende Entscheidung gerade in Unkenntnis dieser Unterlagen zu treffen. Erachtet die KK die gutachtliche Stellungnahme des MDK für diesen Zweck als nicht ausreichend, liegt es an ihr, den MDK mit der Klärung offener Fragen zu Prüfgegenständen oder sich aus der gutachtlichen Stellungnahme neu ergebenden Fragen zu beauftragen. Macht sie davon keinen Gebrauch, muss es dabei sein Bewenden haben.

303. Auf die im Jahr 2019 durchgeführte Krankenhausbehandlung der Versicherten ist die aufgrund § 17c Abs 2 KHG erlassene und am in Kraft getretene PrüfvV 2016 anwendbar (§ 13 Abs 1 PrüfvV 2016). Danach kann die Beklagte einen Erstattungsanspruch aufgrund einer primären Fehlbelegung im gerichtlichen Verfahren nicht mehr geltend machen. Sie ist nach der erfolgten Mitteilung ihrer abschließenden Entscheidung, es liege eine sekundäre Fehlbelegung vor, mit dem Einwand einer primären Fehlbelegung ausgeschlossen (dazu a). Es bedurfte keiner Beweiserhebung zur Frage, ob eine primäre Fehlbelegung vorlag (dazu b).

31a) Nach Mitteilung der abschließenden Entscheidung war die Begründung des Erstattungsanspruchs mit einer primären Fehlbelegung ausgeschlossen. Die Beklagte hat mit ihrer abschließenden Entscheidung vom nur eine Vergütungskürzung wegen sekundärer Fehlbelegung geltend gemacht. Zu dem angezeigten Prüfgegenstand der primären Fehlbelegung hat sie sich nicht geäußert und damit den Vergütungsanspruch der Klägerin dem Grunde nach als bestehend anerkannt.

32Auch wenn hinsichtlich des Vergütungsumfangs zwischen primärer und sekundärer Fehlbelegung Überschneidungen bestehen, handelt es sich um unterschiedliche Prüfgegenstände. Diese können nicht beliebig gegeneinander ausgetauscht werden. Zwar zielen die Prüfgegenstände der primären und sekundären Fehlbelegung jeweils auf die Wirtschaftlichkeit der abgerechneten Behandlung ab (vgl zu einem Fall primärer Fehlbelegung - BSGE 117, 82 = SozR 4-2500 § 109 Nr 40; zu einem Fall sekundärer Fehlbelegung - BSGE 118, 219 = SozR 4-2500 § 109 Nr 43; Lungstras/Bockholdt, NZS 2021, 1, 3 f; ausführlich zur primären und sekundären Fehlbelegung Greiser/Rielage, SGb 2022, 78, 79 ff). Aus der beispielhaften Aufzählung der Prüfgegenstände in § 4 Satz 2 PrüfvV 2016 ergibt sich aber bereits, dass es sich um unterschiedliche Prüfgegenstände handelt. Auch inhaltlich sind primäre und sekundäre Fehlbelegung klar voneinander abgegrenzt: Die Prüfung der primären Fehlbelegung ist auf die Feststellung gerichtet, ob stationäre Krankenhausbehandlung von Beginn an erforderlich war. Nur dann bestand ein Leistungsanspruch des Versicherten nach § 39 Abs 1 SGB V und konnte ein Vergütungsanspruch des Krankenhauses entstehen. Die Prüfung der sekundären Fehlbelegung setzt das grundsätzliche Bestehen eines Leistungs- und Vergütungsanspruchs voraus. Sie fragt danach, ob die Behandlungsdauer erforderlich und die grundsätzlich angefallene Fallpauschalenvergütung um den sog Kurzliegerabschlag zu mindern ist oder der Überliegerzuschlag zu reduzieren ist oder zu entfallen hat (vgl § 1 Abs 2 und 3 FPV 2019).

33Mit der Mitteilung ihrer abschließenden Entscheidung vom hat die Beklagte den im gerichtlichen Verfahren noch beachtlichen Prüfgegenstand wirksam auf die sekundäre Fehlbelegung beschränkt. Sie hat in der abschließenden Entscheidung allein eine Kürzung um zwei Belegungstage mitgeteilt. Damit hat sie das Prüfverfahren hinsichtlich des angezeigten Prüfgegenstandes "primäre Fehlbelegung" ohne Beanstandung abgeschlossen. Ihr ist damit der Einwand abgeschnitten, dass ein Vergütungsanspruch wegen primärer Fehlbelegung überhaupt nicht bestand. Es kann offenbleiben, ob der KK auch im umgekehrten Fall der Beanstandung einer tatsächlich nicht vorliegenden primären Fehlbelegung der Einwand der sekundären Fehlbelegung verwehrt ist.

34b) Hier jedenfalls bestand im Hinblick auf die primäre Fehlbelegung kein ungeklärter, entscheidungserheblicher Sachverhalt, der eine Verpflichtung des Gerichts zur Ermittlung des Sachverhalts (§ 103 SGG) begründet hätte. Das vom SG eingeholte Gutachten ist insoweit unerheblich. Denn selbst wenn aus den vom Sachverständigen genannten Gründen eine primäre Fehlbelegung vorliegen würde, kann die Beklagte daraus keinen Erstattungsanspruch begründen.

354. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 3 Satz 1 sowie § 47 Abs 1 Satz 1 GKG.

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ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2025:120625UB1KR4024R0

Fundstelle(n):
UAAAK-03527