Suchen Barrierefrei
BGH Beschluss v. - 4 StR 267/25

Instanzenzug: LG Essen Az: 64 KLs 20/24

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind unter Auflösung der Gesamtstrafe und Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahre verurteilt. Zudem hat es ihn wegen Besitzes kinderpornographischer Inhalte in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Inhalte zu einer weiteren Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die Nachprüfung der Schuld- und Strafaussprüche hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

32. Die auf § 66 Abs. 2 StGB gestützte Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hält dagegen revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar hat das Landgericht rechtsfehlerfrei die nach dieser Vorschrift erforderlichen formellen und materiellen Anordnungsvoraussetzungen festgestellt. Eine den gesetzlichen Voraussetzungen entsprechende Ermessensausübung lässt sich den Urteilsgründen jedoch nicht entnehmen.

466 Abs. 2 muss aus den Urteilsgründen deutlich werden, dass sich das Tatgericht seiner Entscheidungsbefugnis bewusst war und welche Gründe für seine Ermessensausübung leitend waren (vgl. Rn. 3; ).

5Daran fehlt es hier. Die die Begründung der Maßregelentscheidung einleitende Formulierung „war ... die Unterbringung ... anzuordnen“ deutet darauf hin, dass die Strafkammer sich entweder nicht bewusst war, dass es sich bei § 66 Abs. 2 StGB um eine Ermessensentscheidung handelt, oder dass sie von ihrem Ermessen keinen Gebrauch gemacht hat.

6b) Die Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit der Sicherungsverwahrung sind nicht geeignet, die fehlenden Ausführungen zur Ermessensausübung zu ersetzen.

9.

103. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

11a) Zulässiges Verteidigungsverhalten – wie das Schweigen in der Hauptverhandlung, das Bestreiten einer sexuellen Devianz und die fehlende Einsicht in Fehlverhalten – darf weder hangbegründend noch als Anknüpfungspunkt für die Gefährlichkeit des Angeklagten verwertet werden. Denn müsste der Angeklagte befürchten, dass zulässiges Verteidigungsverhalten zur Begründung der Anordnung der Sicherungsverwahrung zu seinem Nachteil verwertet wird, wäre er in seiner Entscheidung nicht mehr frei, wie er sich gegen die Anklagevorwürfe verteidigen will (st. Rspr.; vgl. Rn. 3 ff. mwN). Dem Tatgericht ist es deshalb verwehrt, die Begründung eines Hanges zu gefährlichen Straftaten und die Entwicklung der Gefährlichkeitsprognose darauf zu stützen, dass der Angeklagte die ihm zur Last gelegten Taten leugnet, bagatellisiert oder einem anderen die Schuld zuschiebt (vgl. Rn. 6).

12b) Hangtätereigenschaft und Gefährlichkeit für die Allgemeinheit sind zudem, wie die begriffliche Differenzierung in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB zeigt, keine identischen Merkmale. Der Hang ist nur ein wesentliches Kriterium der Prognose. Während der Hang einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand bezeichnet, schätzt die Gefährlichkeitsprognose die Wahrscheinlichkeit dafür ein, ob sich der Täter in Zukunft trotz seines Hangs erheblichen Straftaten enthalten kann oder nicht (vgl. Rn. 10).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:250925B4STR267.25.0

Fundstelle(n):
DAAAK-03511