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BVerfG Beschluss v. - 1 BvR 2284/23, 1 BvR 2285/23

Verfassungswidrigkeit des § 5c IfSG (Triage bei unzureichenden intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten) - Unvereinbarkeit mit Art 12 Abs 1 GG - fehlende Gesetzgebungskompetenz des Bundes, insb nicht aus Art 74 Abs 1 Nr 19 Alt 1 GG ("Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten") - Rechtssatzverfassungsbeschwerde erfolgreich

Leitsatz

1. Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet, dass Ärztinnen und Ärzte in ihrer beruflichen Tätigkeit frei von fachlichen Weisungen sind, und schützt - im Rahmen therapeutischer Verantwortung - auch ihre Entscheidung über das "Ob" und das "Wie" einer Heilbehandlung. 

2. Der Kompetenztitel aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Variante 1 GG ("Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren") bietet keine Grundlage für ein reines Pandemiefolgenrecht. Voraussetzung ist vielmehr eine gewisse auf Eindämmung oder Vorbeugung bezogene Gerichtetheit der Maßnahme.  

3. Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG begründet keine allgemeine Fürsorgekompetenz im Bereich des Gesundheitswesens. Die Entscheidung der Verfassung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 und 19a GG, dem Bund für das Gesundheitswesen nur auf einzelne Sachbereiche beschränkte Gesetzgebungskompetenzen zuzuweisen, darf nicht durch eine erweiternde Auslegung der Gesetzgebungskompetenz für die öffentliche Fürsorge unterlaufen werden. 

Gesetze: Art 12 Abs 1 GG, Art 74 Abs 1 Nr 1 GG, Art 74 Abs 1 Nr 7 GG, Art 74 Abs 1 Nr 19a GG, Art 74 Abs 1 Nr 19 Alt 1 GG, § 90 Abs 1 BVerfGG, § 5c Abs 1 IfSG vom , § 5c Abs 2 IfSG vom , § 5c Abs 3 IfSG vom

Gründe

A.

1Die Beschwerdeführenden sind Fachärztinnen und Fachärzte im Bereich der Notfall- und Intensivmedizin. Sie wenden sich mit ihren Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen den neu eingeführten § 5c des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (InfektionsschutzgesetzIfSG). Darin regelt der Bundesgesetzgeber, anhand welcher materieller Kriterien eine Entscheidung über die Zuteilung überlebenswichtiger intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten im Knappheitsfall zu treffen ist, soweit dieser durch eine übertragbare Krankheit jedenfalls mitverursacht ist, sowie das bei der Zuteilung einzuhaltende Verfahren und Dokumentations- und Mitteilungspflichten.

I.

2Bereits kurz nach Beginn der COVID-19-Pandemie setzte eine öffentliche Diskussion darüber ein, nach welchen Kriterien die Zuteilung von intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten bei nicht ausreichenden Ressourcen, also im Fall einer sogenannten Triage, erfolgen solle. Ziel der Triage ist es, eine medizinische Behandlungsreihenfolge festzulegen, um die medizinische Versorgung bei einem die Behandlungskapazitäten übersteigenden Patientenaufkommen zu steuern. Kennzeichnend für die Triage-Situation bei einem Mangel an intensivmedizinischen Ressourcen ist ein Dilemma: Jede Entscheidung über die Verteilung der zur Verfügung stehenden intensivmedizinischen Ressourcen kann regelmäßig zu einem Verlust von Menschenleben führen. Die Zuteilung der vorhandenen Ressourcen (sog. Allokation) kann folglich nie zum Wohle aller Patienten gelingen.

3In der Triage lassen sich im Grundsatz zwei Entscheidungssituationen unterscheiden: Bei der sogenannten Ex-ante-Triage ist die Zahl der verfügbaren intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten kleiner als die Zahl der Notfallpatienten, die zeitgleich eine intensivmedizinische Behandlung benötigen (Indikation) und wünschen (tatsächlicher oder mutmaßlicher Patientenwille). Es muss daher entschieden werden, wer von den neu behandlungsbedürftigen Notfallpatienten einen intensivmedizinischen Behandlungsplatz erhält und wer nicht. Bei der sogenannten Ex-post-Triage sind bereits alle Behandlungskapazitäten belegt, und es muss entschieden werden, ob ein neu behandlungsbedürftiger und -williger Notfallpatient einen Behandlungsplatz erhält, der bisher an einen anderen behandlungsbedürftigen Patienten vergeben ist.

4Mit der Neuregelung von § 5c IfSG hat der Gesetzgeber erstmals ein Verfahren sowie ein (positives) Priorisierungskriterium und zahlreiche nicht anzuwendende Kriterien im Falle einer Triage geregelt. Er hat damit auf den - (BVerfGE 160, 79 - Benachteiligungsrisiken von Menschen mit Behinderung in der Triage) reagiert. Der Erste Senat hatte in dem Beschluss festgestellt, dass der Gesetzgeber Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verletzt habe, weil er es unterlassen habe, Vorkehrungen zu treffen, damit niemand wegen einer Behinderung bei der Zuteilung überlebenswichtiger, nicht für alle zur Verfügung stehender intensivmedizinischer Ressourcen benachteiligt werde (vgl. BVerfGE 160, 79 <119 Rn. 109>). Das Gericht hatte den Gesetzgeber verpflichtet, unverzüglich geeignete Vorkehrungen zu treffen. Anlass der Entscheidung war die Verfassungsbeschwerde von neun Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung gewesen, die befürchtet hatten, im Laufe der COVID-19-Pandemie im Falle einer Triage aufgrund ihrer Behinderung oder Vorerkrankung nicht intensivmedizinisch behandelt zu werden.

II.

51. Bis zum Inkrafttreten des neuen § 5c IfSG hatte es keine ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen mit Entscheidungskriterien oder -verfahren für eine Triage-Situation gegeben, weder für den Fall einer pandemiebedingten Überlastung des Gesundheitssystems noch für Großschadensereignisse oder den notfallmedizinischen Regelbetrieb.

62. Der Neuregelung des § 5c IfSG war ein von der Öffentlichkeit intensiv begleitetes Gesetzgebungsverfahren vorausgegangen (vgl. u.a. BTDrucks 20/3877; BRDrucks 410/22(B); BTDrucks 20/3953; BTDrucks 20/4359; BT-Plenarprot. 20/60, S. 6749 ff.; BTDrucks 20/4368; BT-Plenarprot. 20/66, S. 7592 ff.). Streitig waren insbesondere die materiellen Zuteilungskriterien und das Verbot der Ex-post-Triage gewesen.

7Die Bundesregierung hatte zur Begründung des von ihr eingebrachten Gesetzentwurfs ausgeführt, mit der Neuregelung solle das Risiko einer Benachteiligung bei der Zuteilung von aufgrund einer übertragbaren Krankheit nicht ausreichend vorhandenen überlebenswichtigen intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten vermieden werden (vgl. BTDrucks 20/3877, S. 9). Der gleichberechtigte Zugang aller intensivmedizinisch behandlungsbedürftigen Patienten zur medizinischen Versorgung solle gewährleistet werden. Eine Diskriminierung, unter anderem aufgrund einer Behinderung, solle ausgeschlossen werden. Zugleich solle durch die Regelung der Zuteilungskriterien und des Verfahrens Rechtssicherheit für die Ärzte geschaffen werden (vgl. BTDrucks 20/3877, S. 10).

8Das Zweite Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes wurde nach Ausfertigung am verkündet und trat einen Tag später, am , in Kraft.

93. Die vom Bundesgesetzgeber beschlossene Fassung lautet:

§ 5c IfSG − Verfahren bei aufgrund einer übertragbaren Krankheit nicht ausreichend vorhandenen überlebenswichtigen intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten

(1) 1Niemand darf bei einer ärztlichen Entscheidung über die Zuteilung aufgrund einer übertragbaren Krankheit nicht ausreichend vorhandener überlebenswichtiger intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten (Zuteilungsentscheidung) benachteiligt werden, insbesondere nicht wegen einer Behinderung, des Grades der Gebrechlichkeit, des Alters, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung. 2Überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungskapazitäten sind im Sinne des Satzes 1 in einem Krankenhaus nicht ausreichend vorhanden, wenn

1. der überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungsbedarf der Patientinnen und Patienten des Krankenhauses mit den dort vorhandenen überlebenswichtigen intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten nicht gedeckt werden kann und

2. eine anderweitige intensivmedizinische Behandlung der betroffenen Patientinnen und Patienten nicht möglich ist, insbesondere, weil eine Verlegung nicht in Betracht kommt

a) aus gesundheitlichen Gründen oder

b) da die regionalen und überregionalen intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten nach den dem Krankenhaus vorliegenden Erkenntnissen ausgeschöpft sind.

(2) 1Eine Zuteilungsentscheidung darf nur aufgrund der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit der betroffenen Patientinnen und Patienten getroffen werden. 2Komorbiditäten dürfen bei der Beurteilung der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit nur berücksichtigt werden, soweit sie aufgrund ihrer Schwere oder Kombination die auf die aktuelle Krankheit bezogene kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit erheblich verringern. 3Kriterien, die sich auf die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit nicht auswirken, wie insbesondere eine Behinderung, das Alter, die verbleibende mittel- oder langfristige Lebenserwartung, der Grad der Gebrechlichkeit und die Lebensqualität, dürfen bei der Beurteilung der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit nicht berücksichtigt werden. 4Bereits zugeteilte überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungskapazitäten sind von der Zuteilungsentscheidung ausgenommen.

(3) 1Die Zuteilungsentscheidung ist einvernehmlich von zwei Ärztinnen oder Ärzten zu treffen, die

1. Fachärztinnen oder Fachärzte sind,

2. im Bereich Intensivmedizin praktizieren,

3. über mehrjährige Erfahrung im Bereich Intensivmedizin verfügen und

4. die von der Zuteilungsentscheidung betroffenen Patientinnen und Patienten unabhängig voneinander begutachtet haben.

2Besteht kein Einvernehmen, sind die von der Zuteilungsentscheidung betroffenen Patientinnen und Patienten von einer weiteren gleich qualifizierten Ärztin oder einem weiteren gleich qualifizierten Arzt zu begutachten und ist die Zuteilungsentscheidung mehrheitlich zu treffen. 3Von den an der Zuteilungsentscheidung beteiligten Ärztinnen und Ärzten darf nur eine Ärztin oder ein Arzt in die unmittelbare Behandlung der von der Zuteilungsentscheidung betroffenen Patientinnen oder Patienten eingebunden sein. 4Ist eine Patientin oder ein Patient mit einer Behinderung oder einer Komorbidität von der Zuteilungsentscheidung betroffen, muss die Einschätzung einer hinzuzuziehenden Person berücksichtigt werden, durch deren Fachexpertise den besonderen Belangen dieser Patientin oder dieses Patienten Rechnung getragen werden kann. 5Die Begutachtung der von der Zuteilungsentscheidung betroffenen Patientinnen und Patienten, die Mitwirkung an der Zuteilungsentscheidung sowie die Hinzuziehung nach Satz 4 kann in Form einer telemedizinischen Konsultation erfolgen.

(4) 1Die oder der im Zeitpunkt der Zuteilungsentscheidung für die Behandlung der betroffenen Patientinnen und Patienten verantwortliche Ärztin oder Arzt hat Folgendes zu dokumentieren:

1. die der Zuteilungsentscheidung zugrunde gelegten Umstände sowie

2. welche Personen an der Zuteilungsentscheidung mitgewirkt haben und hinzugezogen wurden und wie sie abgestimmt oder Stellung genommen haben.

2Die §§ 630f und 630g des Bürgerlichen Gesetzbuchs finden entsprechende Anwendung.

(5) 1Krankenhäuser mit intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten sind verpflichtet, in einer Verfahrensanweisung mindestens Folgendes festzulegen:

1. ein Verfahren zur Benennung der Ärztinnen und Ärzte, die für die Mitwirkung an der Zuteilungsentscheidung zuständig sind, und

2. die organisatorische Umsetzung der Entscheidungsabläufe nach Absatz 3.

2Sie haben die Einhaltung der Verfahrensanweisung sicherzustellen und müssen die Verfahrensanweisungen mindestens einmal im Jahr auf Weiterentwicklungsbedarf überprüfen und anpassen.

(6) Krankenhäuser sind verpflichtet, eine Zuteilungsentscheidung unverzüglich der für die Krankenhausplanung zuständigen Landesbehörde anzuzeigen und ihr mitzuteilen, weshalb im Zeitpunkt der Zuteilungsentscheidung überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungskapazitäten nicht ausreichend vorhanden waren, um die für die Krankenhausplanung zuständige Landesbehörde in die Lage zu versetzen, im Rahmen ihrer Zuständigkeit tätig zu werden.

(7) 1Das Bundesministerium für Gesundheit beauftragt innerhalb von sechs Monaten, nachdem erstmals einer für die Krankenhausplanung zuständigen Landesbehörde eine Zuteilungsentscheidung angezeigt wurde, spätestens jedoch bis zum , eine externe Evaluation dieser Vorschrift. Gegenstand der Evaluation sind insbesondere

1. die Erreichung der Ziele, Vorkehrungen zum Schutz vor Diskriminierung zu schaffen und Rechtssicherheit für die handelnden Ärztinnen und Ärzte zu gewährleisten, und

2. die Auswirkungen der Vorschrift und der nach Absatz 5 Satz 1 zu erstellenden Verfahrensanweisungen auf die medizinische Praxis unter Berücksichtigung der praktischen Umsetzbarkeit.

2Die Evaluation wird interdisziplinär insbesondere auf Grundlage rechtlicher, medizinischer und ethischer Erkenntnisse durch unabhängige Sachverständige durchgeführt, die jeweils zur Hälfte von dem Bundesministerium für Gesundheit und dem Deutschen Bundestag benannt werden. 3Die Sachverständigen haben bundesweite Verbände, Fachkreise und Selbstvertretungsorganisationen, deren Belange von der Vorschrift besonders berührt sind, angemessen zu beteiligen. 4Das Bundesministerium für Gesundheit übermittelt dem Deutschen Bundestag spätestens ein Jahr nach der Beauftragung das Ergebnis der Evaluation sowie eine Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesundheit zu diesem Ergebnis.

104. Der neu eingeführte § 5c IfSG macht gesetzliche Vorgaben für die Zuteilung überlebenswichtiger intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten in einer Knappheitssituation.

11a) § 5c IfSG regelt nach Absatz 1 Zuteilungsentscheidungen für den Fall, dass überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungskapazitäten aufgrund einer übertragbaren Krankheit nicht ausreichend vorhanden sind. Wird eine Knappheitssituation durch eine übertragbare Krankheit mitverursacht, werden jedoch alle Patientinnen und Patienten, die einer intensivmedizinischen Behandlung bedürfen, in die Zuteilungsentscheidung einbezogen, unabhängig davon, ob ihre Behandlungsbedürftigkeit von einer übertragbaren Krankheit herrührt (so ausdrücklich die Gesetzentwurfsbegründung, vgl. BTDrucks 20/3877, S. 20; vgl. auch Eckart, in: Eckart/Winkelmüller, BeckOK InfSchR, § 5c IfSG Rn. 32 <Juli 2023>; Palsherm, GesR 2023, S. 279 <280>).

12b) Das anzuwendende positive Zuteilungskriterium ist nach § 5c Abs. 2 Satz 1 IfSG allein die "aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit" der um die intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten konkurrierenden Patienten. Insoweit ist nach der Gesetzentwurfsbegründung auf die Prognose abzustellen, ob die Intensivtherapie überlebt wird (vgl. BTDrucks 20/3877, S. 21). Dabei definiert der Gesetzgeber näher, welche Kriterien für diese Prognose herangezogen beziehungsweise ausdrücklich nicht herangezogen werden dürfen (§ 5c Abs. 2 Sätze 2 und 3 IfSG). Darüber hinaus stellt § 5c Abs. 1 Satz 1 IfSG klar, dass eine Zuteilungsentscheidung nicht diskriminieren darf, insbesondere nicht aufgrund einer Behinderung.

13Patienten, denen bereits überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungskapazitäten zugeteilt worden sind, dürfen nach § 5c Abs. 2 Satz 4 IfSG in eine später erneut notwendig werdende Zuteilungsentscheidung nicht miteinbezogen werden (Verbot der Ex-post-Triage).

14c) Das Zuteilungsverfahren ist in § 5c Abs. 3 IfSG geregelt. Der Gesetzgeber überantwortet die Zuteilungsentscheidung den Ärztinnen und Ärzten. Danach müssen Zuteilungsentscheidungen von zwei mehrjährig intensivmedizinisch erfahrenen und praktizierenden Fachärzten, die die Patienten unabhängig voneinander begutachtet haben, einvernehmlich getroffen werden (§ 5c Abs. 3 Satz 1 IfSG). Bei Dissens verlangt das Gesetz, einen dritten Facharzt hinzuzuziehen, um eine Mehrheitsentscheidung herbeiführen zu können (§ 5c Abs. 3 Satz 2 IfSG). Bei Patienten mit Behinderung oder Komorbidität (also zusätzlichen Krankheiten neben einer Grunderkrankung) muss nach § 5c Abs. 3 Satz 4 IfSG die Einschätzung einer Person mit besonderer Fachexpertise hinzugezogen werden.

15Die Entscheidungsgrundlagen und die an einer Zuteilungsentscheidung mitwirkenden Personen sowie deren Stimmverhalten beziehungsweise Stellungnahme sind nach § 5c Abs. 4 IfSG zu dokumentieren.

III.

161. Die Beschwerdeführenden im Verfahren 1 BvR 2284/23 rügen eine Verletzung in ihren Rechten aus Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 4 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 103 Abs. 2 GG unmittelbar durch § 5c IfSG.

17a) Diese Norm sei mangels einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes bereits formell verfassungswidrig.

18Die Regelungen zur Priorisierung von Patienten im Falle nicht ausreichender intensivmedizinischer Kapazitäten könnten nicht auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG gestützt werden. Sie trügen zur praktischen Wirksamkeit des Infektionsschutzes weder unmittelbar noch mittelbar etwas bei, sondern kämen vielmehr erst dann zur Anwendung, wenn der Infektionsschutz versagt habe. Der Begriff der "Maßnahme" im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG umfasse jedoch nur "Instrumente zur Bekämpfung bereits aufgetretener Krankheiten als auch solche zur Vorbeugung".

19Die in § 5c IfSG geregelte Festlegung von materiellen Zuteilungskriterien sowie von besonderen Verfahrensweisen für ärztliche Zuteilungsentscheidungen betreffe vielmehr im Kern das ärztliche Berufsrecht. Dessen regulatorische Ausgestaltung in Bezug auf die Berufsausübung − also jenseits der Berufszulassung − unterfalle jedoch der Gesetzgebungskompetenz der Länder. Andere Kompetenztitel könnten im hiesigen Kontext die Regelung des § 5c IfSG nur dann als Bundesregelung legitimieren, wenn der Gesetzgeber die Verteilungsregeln strafrechtlich oder haftungsrechtlich flankiert hätte. Dies sei jedoch nicht der Fall. Auch könne keine Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs konstruiert werden. Die bloße Erwägung des aktuellen Normgebers, die Triageregelungen aus reiner Zweckmäßigkeit dem bereits bestehenden Infektionsschutzgesetz einfach hinzuzufügen, reiche zur Begründung einer Bundeskompetenz nicht aus.

20b) Darüber hinaus sei § 5c IfSG auch materiell verfassungswidrig.

21aa) Der Gesetzgeber habe mit der Regelung des § 5c IfSG die Freiheit der Berufsausübung beschränkt. § 5c Abs. 2 Satz 1 IfSG verenge die Prognose der "klinischen Erfolgsaussicht" auf die "aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit", § 5c Abs. 2 Satz 2 IfSG limitiere die Berücksichtigungsfähigkeit von Komorbiditäten auf eben dieses enge prognostische Zeitfenster, § 5c Abs. 2 Satz 3 IfSG schließe die Relevanz des Kriteriums der "Gebrechlichkeit" beim jeweiligen Patienten kategorisch aus. § 5c Abs. 2 Satz 4 IfSG verbiete die Ex-post-Triage, und § 5c Abs. 3 Sätze 1 bis 4 IfSG verpflichteten zur ausnahmslosen Inanspruchnahme eines Zweit-, bei Dissens sogar eines Drittarztes sowie bei vorhandener "Behinderung" beziehungsweise einer "Komorbidität" die Einbeziehung einer Drittperson mit besonderer "Fachexpertise" hinsichtlich dieser "besonderen Belange".In Prognosestellung und Behandlungsmöglichkeiten der Beschwerdeführenden bei Ausübung ihres Arztberufs werde hierdurch unverhältnismäßig eingegriffen.

22bb) Die Beschwerdeführenden würden darüber hinaus durch § 5c IfSG in ihrer höchstpersönlichen Gewissensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG verletzt. Ärztinnen und Ärzte sähen sich im Rahmen ihrer Berufsausübung in besonderer Weise an vorgeordnete Leitprinzipien und Normen der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit gebunden. § 5c IfSG sei einseitig aus der Perspektive der bezweckten Nichtdiskriminierung konzipiert. Verantwortliche Intensivmediziner würden systematisch und ohne eigene zumutbare Ausweichmöglichkeit in einen schweren Wertekonflikt im Verhältnis zu ihrer arztethischen Gewissensbindung gezwungen, weil es der Gesetzgeber versäumt habe, bei der Erfüllung seiner Schutzpflicht gegenüber Menschen mit Behinderung den Sachgesetzlichkeiten der klinischen Praxis und der Letztverantwortung des ärztlichen Personals in angemessener Weise Beachtung zu schenken.

23cc) Ferner verletze § 5c IfSG den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und verstoße in mehrfacher Hinsicht gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG.

242. Die Beschwerdeführenden im Verfahren 1 BvR 2285/23 rügen die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 Variante 2 GG. Es liege ein Eingriff in den Schutzbereich ihrer um die Gewissensfreiheit verstärkten Berufsfreiheit vor, der verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt sei.

25a) Ärztinnen und Ärzte hätten die durch Art. 12 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützte Möglichkeit, die Behandlung ihrer Patientinnen und Patienten individuell zu steuern, also nach der Entscheidung über das "Ob" einer Behandlung die aus ärztlicher Sicht notwendige und gebotene Therapie für eine Diagnose auszuwählen, anzuordnen und durchzuführen. Die Berufsfreiheit sei, für sich betrachtet, nicht die "richtige" Gewährleistung, die ethische Rahmung des Arztberufs juristisch abzubilden. Der Gesetzgeber könne Ärzte nicht dazu verpflichten, harte ethische Berufsstandards zu verletzen, die den Beruf konstituierten. Die Anforderung an die Rechtfertigung des Eingriffs in die Berufsfreiheit, dessen Schutzdimension durch die betroffene Gewissensfreiheit aufgeladen werde, sei an einem deutlich erhöhten Maßstab zu messen.

26b) Der Eingriff in Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 Variante 2 GG sei aus mehreren Gründen nicht gerechtfertigt. Der Tatbestand des § 5c IfSG sei unbestimmt und mit der Rechtsfolge einer möglichen berufsrechtlichen Sanktion für die Beschwerdeführenden unzumutbar. Ferner mache die Unklarheit in der Negativliste des § 5c Abs. 1 Satz 1 IfSG, die wegen der Regelbeispielstechnik ("insbesondere") für Normanwender geradezu unkalkulierbar werde, die Regelung unzumutbar und damit im Ergebnis unverhältnismäßig. Auch die Verfahrensregelungen seien in ihrer unbestimmten und übermäßigen Ausgestaltung unzumutbar; die Zweck-Mittel-Relation des Gesetzes sei in dieser Hinsicht nicht gewahrt. Zuletzt sei das Verbot der Ex-post-Triage, das in der Praxis zu einer Zuteilung nach dem Prioritätsprinzip führe, verfassungswidrig. Der Gesetzgeber verweigere Ärzten, die er mit Grenzentscheidungen belaste, welche an sich ihrem beruflichen Selbstverständnis widersprächen, eine ethische Kompensation.

273. Zu den Verfahren haben die Bundesregierung, vertreten durch das Bundesministerium für Gesundheit, die Landesregierung Nordrhein-Westfalen sowie - als sachkundige Dritte im Sinne des § 27a BVerfGG - die Bundesärztekammer, die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen e.V., die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung, chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V., die Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften Notärzte Deutschlands e.V., die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V., der Deutsche Pflegerat e.V., die Deutsche Vereinigung für Rehabilitation e.V., die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. und der Marburger Bund Verband der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte Deutschlands e.V. Bundesverband Stellung genommen.

28Der Deutsche Bundestag, der Bundesrat, die übrigen Landesregierungen, der Deutsche Ethikrat, die Deutsche Gesellschaft für Katastrophenmedizin e.V. und die Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V. haben von der Möglichkeit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.

29Unaufgefordert haben das Deutsche Institut für Menschenrechte e.V. und die Beschwerdeführenden des ersten Triage-Verfahrens (BVerfGE 160, 79) Stellungnahmen zum Verfahren abgegeben.

30a) Die Bundesregierung weist die verfassungsrechtliche Kritik an § 5c IfSG zurück. Die Verfassungsbeschwerden seien bereits unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.

31aa) Den Beschwerdeführenden fehle die Beschwerdebefugnis. Es sei schon zweifelhaft, ob sich aus dem Vortrag der Beschwerdeführenden die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung ergebe. Gegenstand der von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten ärztlichen Berufsausübungsfreiheit sei in erster Linie die Therapiefreiheit. Die Bestimmung der Kriterien einer Zuteilungsentscheidung falle aber nicht darunter. Sie betreffe vielmehr eine moralisch-ethische Grenzfrage, die die Therapiefreiheit übersteige. Unabhängig von der Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung fehle es auch an einer gegenwärtigen Betroffenheit. Die Pandemie sei beendet. Eine Überlastung regionaler oder gar überregionaler intensivmedizinischer Kapazitäten sei heute gänzlich fernliegend.

32bb) Die Verfassungsbeschwerden seien jedenfalls unbegründet. Die Regelung des § 5c IfSG sei formell und materiell verfassungsgemäß.

33(1) Die Gesetzgebungskompetenz für die in § 5c IfSG geregelte Sachlage liege beim Bund. Der Schwerpunkt der Regelung betreffe den Bereich der Bekämpfung gemeingefährlicher oder übertragbarer Krankheiten und sei deshalb vom Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG umfasst. Zur "Bekämpfung" einer übertragbaren Krankheit gehöre auch die Behandlung bereits infizierter Personen mit dem Ziel einer maximalen Genesungs- und Überlebensquote. Der Normzweck des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG erfordere bei übertragbaren Krankheiten ein bundeseinheitliches Vorgehen.

34Hilfsweise könne § 5c IfSG auch auf den Kompetenztitel der öffentlichen Fürsorge in Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG gestützt werden. Gerade Regelungen zum Schutz körperlich, geistig und seelisch behinderter Menschen wiesen materiell starke Elemente der öffentlichen Fürsorge auf, indem der Staat Vorkehrungen zur Absicherung dieser Personengruppe gegen Not, Hilfsbedürftigkeit und Diskriminierung treffe.

35(2) § 5c IfSG sei auch materiell verfassungsmäßig.

36Das Zuteilungskriterium der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit sei verfassungskonform. Es fehle bereits an einem Eingriff, weil das Kriterium auf den medizinischen Sachverstand der Ärzteschaft rekurriere. Jedenfalls aber sei ein etwaiger Eingriff gerechtfertigt. Die Frage der Verteilung von Lebenschancen betreffe ein zentrales ethisch-moralisches Dilemma, das nicht von Verfassungs wegen den Ärzten überantwortet sei.

37Auch § 5c Abs. 2 Satz 2 IfSG sei nicht zu beanstanden. Die Vorgabe, dass Komorbiditäten nur berücksichtigt werden dürften, sofern sie die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit erheblich verringerten, folge der Sache nach schon aus dem Zuteilungskriterium selbst.

38Weiterhin verletze die Aufnahme des Grades der Gebrechlichkeit und des Alters in den Negativkatalog des § 5c Abs. 2 Satz 3 IfSG die Beschwerdeführenden nicht in ihren Grundrechten. Soweit Einschränkungen mit Krankheitswert vorlägen, könnten diese Umstände bei der Prognose der Erfolgsaussicht berücksichtigt werden. Nicht berücksichtigt werden dürften lediglich der Assistenzbedarf im Alltag und eine davon abgeleitete skalengeleitete Einstufung des Grades der Gebrechlichkeit. Soweit § 5c Abs. 2 Satz 3 IfSG ein Abstellen auf das Alter untersage, sei das kalendarische Alter als reine Zahl von Lebensjahren gemeint. Maßgeblich für die Prognose sei aber auch nach Ansicht der medizinischen Fachgesellschaften allein das biologische Alter.

39Auch das Verbot der Ex-post-Triage greife nicht in die Berufsausübungsfreiheit der Ärzte ein. Der Abbruch einer medizinisch indizierten, lebensrettenden Behandlung sei nicht Teil der Therapiefreiheit, sondern ein moralisch-ethisches Dilemma.

40Die Verfahrensvorgaben des § 5c Abs. 3 IfSG verletzten die Beschwerdeführenden ebenfalls nicht in ihren Grundrechten. Für den Fall, dass die Einhaltung der Verfahrensvorgaben einmal tatsächlich unmöglich sein sollte oder die Rettung eines Menschenlebens gefährden würde, seien die Verfahrensvorgaben von Rechts wegen nachrangig.

41Die Konstruktion eines neuen Spezialgrundrechts der Ärzteschaft aus Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 GG erweise sich als Versuch, die an sich niedrigen Anforderungen an eine Rechtfertigung von Eingriffen in die Berufsausübungsfreiheit auf das von Art. 4 Abs. 1 GG geforderte Niveau anzuheben. Bereits mangels näherer Darlegung, dass und warum tatsächlich in jedem einzelnen Punkt die Gewissensfreiheit konkret berührt sein sollte, gehe dies ersichtlich fehl.

42b) Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen teilt mit, dass eine Abfrage bei den Krankenhäusern zum Umsetzungsstand der von § 5c Abs. 5 IfSG geforderten Verfahrensanweisungen gravierende Umsetzungsschwierigkeiten der angegriffenen Norm habe zu Tage treten lassen. Es bestehe insbesondere im Hinblick auf die fortbestehenden Rechtsunsicherheiten in Triage-Situationen die Gefahr einer Handlungsunsicherheit des ärztlichen Personals.

43c) Die Interessenverbände der Ärzteschaft und der Deutsche Pflegerat teilen ganz überwiegend das Anliegen der Verfassungsbeschwerden. Kritik wird vor allem am Verbot der Ex-post-Triage geäußert. Eine dadurch de facto bedingte Zuteilung nach dem Prioritätsprinzip sei verfassungswidrig, weil sie einer effizienten Ressourcenallokation widerspreche.

44Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen, die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung, chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen, die Deutsche Vereinigung für Rehabilitation sowie die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland begrüßen hingegen überwiegend die gesetzlichen Regelungen und weisen die verfassungsrechtliche Kritik zurück. Erfahrungen und Berichte zeigten, dass es im klinischen Alltag der Krankenhausversorgung auch ohne Zeitdruck und in nicht-kritischen Entscheidungssituationen zu Diskriminierungen komme. Konsequenter Diskriminierungsschutz auch in Notsituationen sei daher geboten. Gerechtigkeit im Rechtsstaat müsse sich an individuellen Rechtspositionen orientieren und nicht an einem zu erwartenden medizinischen Kollektivnutzen. Das Grundgesetz setze utilitaristischem Denken in Knappheitssituationen klare Grenzen.

B.

45Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig, soweit sie eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG durch die Regelung des materiellen (positiven) Zuteilungskriteriums der "aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit" in § 5c Abs. 2 Satz 1 IfSG, durch die Negativkriterien (§ 5c Abs. 2 Sätze 2 und 3 IfSG) und das Benachteiligungsverbot (§ 5c Abs. 1 Satz 1 IfSG), durch das Verbot der Ex-post-Triage in § 5c Abs. 2 Satz 4 IfSG sowie durch die Verpflichtung zu einer abgestimmten Entscheidung in § 5c Abs. 3 IfSG rügen. Im Übrigen sind die Verfassungsbeschwerden unzulässig.

I.

46Die Beschwerdeführenden beider Verfassungsbeschwerden sind beschwerdebefugt, soweit sie eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG durch § 5c Absätze 1 bis 3 IfSG rügen. Im Übrigen genügen die Verfassungsbeschwerden nicht den Darlegungsanforderungen.

471. Die Beschwerdebefugnis setzt die hinreichend begründete Behauptung voraus, durch einen Akt der öffentlichen Gewalt in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt zu sein. Dazu müssen sowohl die Möglichkeit der Grundrechtsverletzung als auch die eigene, unmittelbare und gegenwärtige Betroffenheit den Begründungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechend dargelegt sein. Zu den Anforderungen an die Begründung der Verfassungsbeschwerde gehört, das als verletzt behauptete Recht zu bezeichnen und den seine Verletzung enthaltenden Vorgang substantiiert und konkret bezogen auf die eigene Situation darzulegen. Soweit das Bundesverfassungsgericht für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt hat, muss anhand dieser Maßstäbe aufgezeigt werden, inwieweit Grundrechte durch die angegriffene Maßnahme verletzt sein sollen (vgl. BVerfGE 159, 223 <270 Rn. 89> - Bundesnotbremse I <Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen>; 169, 130 <153 f. Rn. 35> - Hessisches Verfassungsschutzgesetz; 169, 332 <358 Rn. 58> - Bundeskriminalamtgesetz II; stRspr).

482. Diesen Maßstäben genügen die Verfassungsbeschwerden im bezeichneten Umfang. Die Beschwerdeführenden machen hinreichend substantiiert geltend, durch § 5c Absätze 1 bis 3 IfSG in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG (a) selbst, gegenwärtig und unmittelbar (b) verletzt zu sein.

49a) Die Möglichkeit einer Verletzung der Beschwerdeführenden in Grundrechten beziehungsweise grundrechtsgleichen Rechten ist nur hinsichtlich Art. 12 Abs. 1 GG (aa), nicht aber hinsichtlich ihrer Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 GG (bb) und Art. 3 Abs. 1 GG (cc) sowie des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 103 Abs. 2 GG (dd) substantiiert dargelegt.

50aa) Die Beschwerdeführenden beider Verfassungsbeschwerden zeigen im Einzelnen auf, weshalb § 5c Absätze 1 bis 3 IfSG sie als praktizierende Ärztinnen und Ärzte mit deutscher Staatsangehörigkeit in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzen können. Sie erörtern nachvollziehbar, dass sie durch die Regelung des Zuteilungskriteriums und des Zuteilungsverfahrens in § 5c Absätze 1 bis 3 IfSG in ihrer Entscheidung, welche Patienten sie im Rahmen ihrer Therapiefreiheit behandeln, eingeschränkt werden. Es wird substantiiert dargelegt, dass das beanstandete materielle Zuteilungskriterium der "aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit" in § 5c Abs. 2 Satz 1 IfSG sowie dessen nähere Ausgestaltung durch die Negativkriterien in § 5c Abs. 2 Sätze 2 und 3 IfSG und das Benachteiligungsverbot in § 5c Abs. 1 Satz 1 IfSG dazu führe, dass im Falle einer Triage eine ärztliche Entscheidung getroffen werden müsse, die aus ihrer Sicht durch nicht-medizinische Kriterien sachwidrig beeinflusst werde. Auch das Verbot der Ex-post-Triage (§ 5c Abs. 2 Satz 4 IfSG) und die in § 5c Abs. 3 IfSG geregelte Verpflichtung einer abgestimmten Entscheidung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung einer Drittperson mit besonderer Expertise, hinderten sie in bestimmten Situationen an einer aus ihrer Sicht medizinisch gebotenen Entscheidung.

51Darüber hinaus zeigen die Beschwerdeführenden keinen Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG auf. Sie greifen zwar § 5c IfSG insgesamt an, die Beschwerdebegründungen verhalten sich aber nicht zu den Absätzen 4 bis 7 des § 5c IfSG.

52bb) Eine mögliche Verletzung der Gewissensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 Variante 2 GG durch § 5c IfSG haben die Beschwerdeführenden nicht substantiiert dargelegt. Dies gilt auch für die Rüge einer durch die Gewissensfreiheit aufgeladenen ärztlichen Berufsfreiheit. Es fehlt bezogen auf die einzelnen Beschwerdeführenden jeweils an der individuellen Darlegung eines Gewissenskonflikts.

53(1) Das Grundgesetz erkennt in Art. 4 Abs. 1 GG die Freiheit des Gewissens und seiner Entscheidungen, in denen sich die autonome sittliche Persönlichkeit unmittelbar äußert, als unverletzlich an (vgl. BVerfGE 12, 45 <53 f.>; 78, 391 <395>). Als eine Gewissensentscheidung ist eine ernste sittliche, das heißt an den Kategorien von "Gut" und "Böse" orientierte Entscheidung anzusehen, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte (vgl. BVerfGE 12, 45 <55>; 23, 191 <205>; 48, 127 <173 f.>). Eine Gewissensentscheidung ist hingegen nicht bereits jede relative Entscheidung über die Zweckmäßigkeit menschlichen Verhaltens aufgrund ernsthafter und nachdrücklicher Auffassung von guter politischer Ordnung und Vernunft, sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Nützlichkeit (vgl. BVerfGE 48, 127 <174>; 153, 182 <299 f. Rn. 309> − Suizidhilfe). Die von der Verfassung gewährleistete Gewissensfreiheit umfasst nicht nur die Freiheit, ein Gewissen zu haben, sondern grundsätzlich auch die Freiheit, von der öffentlichen Gewalt nicht verpflichtet zu werden, gegen Gebote und Verbote des Gewissens zu handeln (BVerfGE 78, 391 <395>).

54(2) Gemessen daran ist eine Verletzung von Art. 4 Abs. 1 GG nicht dargelegt. Die Beschwerdeführenden beider Verfassungsbeschwerden machen nicht hinreichend deutlich, weshalb die von ihnen als Beschränkung ihrer medizinischen Tätigkeit empfundenen Vorgaben des § 5c IfSG zugleich Gewissensentscheidungen im Sinne des Art. 4 Abs. 1 GG zuwiderlaufen können.

55Ärztliche Entscheidungen im Zusammenhang mit der Behandlung von Patienten können zwar die Gewissensfreiheit berühren. Ärztliches Handeln ist aber nicht per se als eine an den Kategorien von "Gut" und "Böse" orientierte Entscheidung anzusehen, auch wenn der Beruf des Arztes in besonderer Weise ein Beruf ist, "in dem die Gewissensentscheidung des einzelnen Berufsangehörigen im Zentrum der Arbeit steht" (vgl. BVerwGE 27, 303 <305 f.>). Allein der Verweis auf die Tätigkeit als Intensivmediziner als solcher legt nicht dar, dass jede ärztliche Entscheidung auf einer Gewissensüberzeugung beruht, schon weil es kollektive Gewissensüberzeugungen der Ärzteschaft in medizinisch-ethischen Fragen nach den dargelegten Maßstäben eines individuellen Konflikts nicht geben kann. Die Beschwerdeführenden nehmen im Übrigen lediglich Bezug auf ihre ärztlichen Berufspflichten. Inwieweit die Verpflichtung zu ärztlichem Handeln, das den Regeln des § 5c IfSG folgt, aus ihrer Sicht nicht nur berufswidrig ist, sondern zugleich eine individuelle Gewissensnot begründet, zeigen die Beschwerdeführenden jedoch nicht auf. Es fehlt an einer höchstpersönlichen Reflexion und Einnahme eines konkreten Standpunktes jeweils durch die einzelnen Beschwerdeführenden.

56Mangels Darlegung einer Verletzung ihrer Gewissensfreiheit fehlt es auch an der Darlegung eines kombinierten Grundrechts aus Gewissensfreiheit und Berufsfreiheit. Im Übrigen ist nicht substantiiert ausgeführt, welche grundrechtliche Schutzlücke durch die Konstruktion einer durch die Gewissensfreiheit überlagerten Berufsfreiheit zu schließen wäre.

57cc) Soweit die Beschwerdeführenden im Verfahren 1 BvR 2284/23 einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG rügen, zeigen sie keine sie betreffende Ungleichbehandlung auf. Die Vergleichsgruppenbildung konzentriert sich auf verschieden zu behandelnde Patientengruppen, geht jedoch nicht näher auf eine Ungleichbehandlung der behandelnden Ärzte ein. Die Verletzung der Beschwerdeführenden in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG durch eine Ungleichbehandlung Dritter ist aber grundsätzlich nicht möglich (vgl. BVerfGE 85, 191 <205 f.>; 132, 195 <235 Rn. 95>).

58dd) Zuletzt legen die Beschwerdeführenden im Verfahren 1 BvR 2284/23 auch eine mögliche Verletzung von Art. 103 Abs. 2 GG nicht substantiiert dar. Sie zeigen schon nicht auf, auf welcher (strafrechtlichen) Grundlage eine Strafbarkeit überhaupt in Betracht kommt. In der Folge findet auch keine Auseinandersetzung damit statt, dass § 5c IfSG selbst lediglich mittelbar strafrechtliche Wirkungen entfalten kann. Inwieweit eine solche Konstellation überhaupt von Art. 103 Abs. 2 GG erfasst ist, wird nicht erörtert.

59b) aa) Die Beschwerdeführenden beider Verfassungsbeschwerden sind selbst betroffen und haben dies auch ausreichend substantiiert dargelegt. Sie gehören als Fachärztinnen und -ärzte, die im Bereich der Notfall- und Intensivmedizin in Krankenhäusern auf Stationen mit intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten oder in speziellen Funktionen in der Notfall- und Intensivversorgung praktizieren und hier über mehrjährige Erfahrung verfügen, zum Adressatenkreis des § 5c IfSG. Im Fall einer Knappheitssituation müssen sie selbst die erforderliche Zuteilungsentscheidung treffen.

60Die Beschwerdeführenden sind auch unmittelbar betroffen, weil die geltend gemachte grundrechtliche Beschwer sie ohne weiteren Vollzugsakt trifft (vgl. zum Maßstab BVerfGE 163, 107 <122 f. Rn. 40> - Tierarztvorbehalt; 170, 377 <395 Rn. 29> - Strompreisbremse).

61bb) Ferner sind die Beschwerdeführenden gegenwärtig betroffen. Auch insoweit genügt ihr Vortrag den Darlegungsanforderungen.

62(1) Gegenwärtigkeit in diesem Sinne ist gegeben, wenn eine angegriffene Vorschrift auf die Rechtsstellung von Beschwerdeführenden aktuell und nicht nur potentiell einwirkt, wenn das Gesetz die Normadressaten mit Blick auf seine künftig eintretende Wirkung zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen zwingt oder wenn klar abzusehen ist, dass und wie Beschwerdeführende in der Zukunft von der Regelung betroffen sein werden. Allein die vage Aussicht, dass Beschwerdeführende irgendwann einmal in der Zukunft von der beanstandeten Gesetzesvorschrift betroffen sein könnten, genügt hingegen nicht (vgl. BVerfGE 110, 141 <151 f.>; 140, 42 <58 Rn. 59>; 159, 223 <269 Rn. 86>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom - 1 BvR 368/22 -, Rn. 13 - Berliner Hochschulgesetz).

63(2) Nachdem das Coronavirus SARS-CoV-2 in Deutschland zwischenzeitlich von der pandemischen in die endemische Phase übergangen ist, droht diesbezüglich zwar keine Überlastung der intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten. Die bestehende abstrakte Gefahr einer weiteren Pandemie, die sich jederzeit realisieren kann, begründet jedoch eine ausreichende gegenwärtige Betroffenheit der Beschwerdeführenden. Vom Auftreten eines neuartigen Virus bis zu einer kritischen Belastung des Gesundheitssystems können nur wenige Wochen oder Monate vergehen. Es ist im Laufe einer Pandemie mit einem leicht von Mensch zu Mensch übertragbaren und lebensgefährlichen Virus nicht fernliegend, dass Behandlungsressourcen in kurzer Zeit knapp werden können (vgl. BVerfGE 160, 79 <107 Rn. 77>). Diese Gefahr ist nicht nur vage, sondern hinreichend konkret. Dies haben die Beschwerdeführenden auch substantiiert vorgetragen.

64Der Einwand der Bundesregierung in ihrer Stellungnahme, eine gegenwärtige Betroffenheit sei jedenfalls im Hinblick auf die anstehende interdisziplinäre Evaluation und mögliche fortlaufende Anpassungen der Vorschrift nicht gegeben, verfängt nicht. Der Gesetzgeber kann durch Evaluationspflichten, die er sich selbst auferlegt, nicht die gegenwärtige Grundrechtsbetroffenheit der Beschwerdeführenden entkräften und hierdurch die Möglichkeit einer fristgerechten Erhebung der Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen das Gesetz aufheben. Die Gefahr einer kurzfristigen Überlastung des Gesundheitssystems kann im Falle einer Pandemie innerhalb von wenigen Wochen eintreten (vgl. Rn. 63). Da offen ist, ob der Gesetzgeber nach der Evaluation Änderungen an § 5c IfSG vornehmen wird, kann sich die abstrakte Gefahr für eine Grundrechtsbetroffenheit der Beschwerdeführenden in der konkret beanstandeten Form schon jetzt jederzeit realisieren. Zudem knüpft die Evaluationspflicht des § 5c Abs. 7 Satz 1 IfSG primär an eine erstmals notwendig gewordene Zuteilungsentscheidung und lediglich hilfsweise an ein kalendarisch bestimmtes Datum an. Bei einer notwendig gewordenen Zuteilungsentscheidung hat sich der geltend gemachte Grundrechtseingriff aber denknotwendig bereits realisiert.

II.

65Die Verfassungsbeschwerden wahren auch die Anforderungen der Subsidiarität (§ 90 Abs. 2 BVerfGG).

661. Diese erfordern grundsätzlich, vor Einlegung einer Verfassungsbeschwerde alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern. Das gilt auch, wenn zweifelhaft ist, ob ein entsprechender Rechtsbehelf nach dem jeweiligen Fachrecht statthaft ist und im konkreten Fall in zulässiger Weise eingelegt werden kann (vgl. BVerfGE 150, 309 <326 Rn. 42> - Kfz-Kennzeichenkontrollen BW-HE; 165, 1 <32 f. Rn. 45> - Polizeiliche Befugnisse nach SOG MV; 169, 130 <155 f. Rn. 40> - Hessisches Verfassungsschutzgesetz; stRspr). Wenn sich die Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz wendet, kann daher auch die Erhebung einer Feststellungs- oder Unterlassungsklage zu den zuvor zu ergreifenden Rechtsbehelfen gehören (vgl. BVerfGE 165, 1 <33 Rn. 46>; 169, 130 <156 Rn. 41>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom - 1 BvR 368/22 -, Rn. 17; stRspr).

67Vorbehaltlich der Möglichkeit vorbeugenden einstweiligen Rechtsschutzes und einer negativen Feststellungsklage (vgl. BVerfGE 145, 20 <54 f. Rn. 86>; 150, 309 <327 f. Rn. 45>) ist es aber unzumutbar, vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen eine straf- oder bußgeldbewehrte Rechtsnorm zu verstoßen und sich dem Risiko einer Ahndung auszusetzen, um dann im Straf- oder Bußgeldverfahren die Verfassungswidrigkeit der Norm geltend machen zu können (vgl. BVerfGE 81, 70 <82 f.>; 145, 20 <54 Rn. 85>; 150, 309 <327 f. Rn. 45>; 158, 170 <200 Rn. 71> -IT-Sicherheitslücken; stRspr).

68Wenn die Beurteilung einer Norm allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufwirft, deren Beantwortung dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten ist, ohne dass von einer vorausgegangenen fachgerichtlichen Prüfung verbesserte Entscheidungsgrundlagen zu erwarten wären, bedarf es ebenfalls einer vorangehenden fachgerichtlichen Entscheidung nicht (vgl. BVerfGE 165, 1 <33 Rn. 47>; 169, 130 <156 f. Rn. 42>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom - 1 BvR 1507/23 u.a. -, Rn. 38 - GKV-FinanzstabilisierungsG, jeweils m.w.N.; stRspr). Dies gilt auch, wenn Normen in nicht unerheblichem Umfang unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten und damit zahlreiche Auslegungsfragen aufwerfen. Denn auch insoweit ist es möglich, dass die verfassungsrechtliche Beurteilung nicht maßgeblich von deren Beantwortung abhängt (vgl. BVerfGE 159, 223 <274 f. Rn. 103>).

692. Ausgehend davon bedurfte es hier nicht der vorherigen Anrufung der Fachgerichte.

70Unabhängig davon, dass in der gegenwärtigen Lage kein konkreter Sachverhalt zur fachgerichtlichen Prüfung gestellt ist und es deshalb jedenfalls fraglich ist, ob verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz zur Minimierung eines straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlichen Risikos herangezogen werden könnte (vgl. Rn. 67), ist hier der Verweis auf eine inzidente Rechtssatzkontrolle durch die Verwaltungsgerichte unzumutbar. Im vorliegenden Fall stellten sich in einem fachgerichtlichen Verfahren allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen, und ein solches Verfahren ließe keine Verbreiterung oder Vertiefung des tatsächlichen oder rechtlichen Materials erwarten. Die aufgeworfenen Fragen nach der Gesetzgebungskompetenz und der Vereinbarkeit der Regelung mit der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG verlangen vielmehr nach einer spezifisch verfassungsrechtlichen Antwort. Der verfassungsrechtlichen Problematik liegen auch keine ungeklärten naturwissenschaftlich-medizinischen Sachfragen zu Grunde, die durch ein fachgerichtliches Verfahren zunächst noch besser aufbereitet werden müssten. Der Charakter der streitgegenständlichen Allokationsentscheidung ist im Kern normativ. Die maßgeblichen normativen Kriterien lassen sich allein der Verfassung entnehmen.

C.

71Die Verfassungsbeschwerden sind, soweit zulässig, auch begründet. § 5c Absätze 1 bis 3 IfSG greifen in die Berufsausübungsfreiheit der Beschwerdeführenden aus Art. 12 Abs. 1 GG ein (I). Dieser Eingriff ist nicht gerechtfertigt, weil die Regelungen mangels Gesetzgebungskompetenz des Bundes formell verfassungswidrig sind (II).

I.

721. Der Schutzbereich der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG ist eröffnet.

73a) Art. 12 Abs. 1 GG ist ein einheitliches Grundrecht, das Wahl und Ausübung des Berufs schützt (vgl. BVerfGE 7, 377 <400 f.>; 161, 63 <89 Rn. 43> - Windenergie-Beteiligungsgesellschaften). Die Berufsfreiheit umfasst eine wirtschaftliche und eine auf die Entfaltung der Persönlichkeit bezogene Dimension (vgl. BVerfGE 7, 377 <397>; 50, 290 <362>; 110, 226 <251>). Sie konkretisiert das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich der individuellen Leistung sowie der Existenzgestaltung und -erhaltung. Die Gewährleistung zielt auf eine möglichst unreglementierte berufliche Betätigung ab (vgl. BVerfGE 163, 107 <134 Rn. 73>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom - 1 BvR 1796/23 -, Rn. 103 - Altersgrenze Anwaltsnotare).

74Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG umfasst auch Wahl und Ausübung des ärztlichen Berufes (vgl. BVerfGE 103, 172 <183 f.>). Zur ärztlichen Berufsausübungsfreiheit gehört insbesondere die Therapiefreiheit (vgl. BVerfGE 102, 26 <35>; 106, 275 <304>; vgl. auch BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 420/97 -, Rn. 27 und vom - 1 BvR 422/00 -, Rn. 14). Ärztinnen und Ärzte haben die grundrechtlich geschützte Freiheit, ihre Patientinnen und Patienten individuell nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu behandeln. Dies stellt sicher, dass sie in ihrer beruflichen Tätigkeit frei von fachlichen Weisungen sind und im Rahmen ihrer therapeutischen Verantwortung ein ärztliches Ermessen über das "Ob" und das "Wie" einer Heilbehandlung haben (vgl. Huster/Köhler/Walther, VSSAR 2024, S. 3 <20>; Schumacher, Alternativmedizin, 2016, S. 43). Vom Schutzbereich erfasst sind sowohl die ärztliche Diagnose als auch die darauf aufbauende Therapie (Huber, Die medizinische Indikation als Grundrechtsproblem, 2020, S. 101 f.). Ärzte können nach pflichtgemäßem und gewissenhaftem Ermessen im Einzelfall zum Wohl des Patienten die geeignetste Behandlungsmethode wählen (Laufs, in: Festschrift für Erwin Deutsch, 1999, S. 625 <626>).

75Gesetzliche Verbote stehen der Eröffnung des Schutzbereichs nicht entgegen. Einer Tätigkeit, die grundsätzlich die Merkmale des Berufsbegriffs erfüllt, ist der Schutz durch das Grundrecht der Berufsfreiheit nicht schon dann versagt, wenn das einfache Recht die gewerbliche Ausübung dieser Tätigkeit verbietet. Vielmehr kommt eine Begrenzung des Schutzbereichs von Art. 12 Abs. 1 GG in dem Sinne, dass dessen Gewährleistung von vornherein nur erlaubte Tätigkeiten umfasst (vgl. BVerfGE 7, 377 <397>), allenfalls hinsichtlich solcher Tätigkeiten in Betracht, die schon ihrem Wesen nach als verboten anzusehen sind, weil sie aufgrund ihrer Sozial- und Gemeinschaftsschädlichkeit schlechthin nicht am Schutz durch das Grundrecht der Berufsfreiheit teilhaben können (vgl. BVerfGE 115, 276 <300 f.>; 153, 182 <300 f. Rn. 311 ff.>).

76b) Die Beschwerdeführenden können sich als natürliche Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit auf Art. 12 Abs. 1 GG berufen.

77Als praktizierende Ärztinnen und Ärzte werden sie vom sachlichen Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG erfasst. Ihre Therapiefreiheit wird durch § 5c Absätze 1 bis 3 IfSG berührt. Die in § 5c Absätze 1 bis 3 IfSG gemachten Vorgaben sowohl inhaltlicher wie formeller Art zu einer Triage-Entscheidung betreffen sie in der Freiheit ihrer Entscheidung, nach erfolgter Diagnose die medizinisch notwendige und gebotene Therapie nach ihrem Ermessen auszuwählen und durchzuführen.

782. Die Regelungen des § 5c Absätze 1 bis 3 IfSG greifen in den Schutzbereich der Berufsausübungsfreiheit ein.

79a) Art. 12 Abs. 1 GG entfaltet seine Schutzwirkung nur gegenüber solchen Normen oder Akten, die sich entweder unmittelbar auf die Berufstätigkeit beziehen oder zumindest die Rahmenbedingungen der Berufsausübung verändern und infolge ihrer Gestaltung in einem so engen Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs stehen, dass sie objektiv eine berufsregelnde Tendenz haben (vgl. BVerfGE 113, 29 <48>; 155, 238 <277 Rn. 96 f.> - WindSeeG; 163, 107 <134 Rn. 73>). Für einen Eingriff genügt daher nicht, dass eine Rechtsnorm oder ihre Anwendung unter bestimmten Umständen Rückwirkungen auf die Berufstätigkeit hat.

80b) Bei den Regelungen des § 5c Absätze 1 bis 3 IfSG handelt es sich um Beeinträchtigungen, die gerade auf die berufliche Betätigung bezogen sind. Die Beschwerdeführenden werden in ihrer Therapiefreiheit eingeschränkt und damit in ihrer Berufsausübungsfreiheit beeinträchtigt.

81Dies gilt zunächst für die gesetzliche Festlegung auf das materielle Zuteilungskriterium der "aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit" in § 5c Abs. 2 Satz 1 IfSG sowie die ergänzende Ausgestaltung durch die Negativkriterien in § 5c Abs. 2 Sätze 2 und 3 IfSG und das Benachteiligungsverbot in § 5c Abs. 1 Satz 1 IfSG. Durch diese Regelungen werden die Beschwerdeführenden in ihrer ärztlichen Entscheidung über das "Ob" einer Behandlung eingeschränkt.

82Auch das Verbot der Ex-post-Triage in § 5c Abs. 2 Satz 4 IfSG hindert die Beschwerdeführenden in bestimmten Situationen, die aus ihrer Sicht für richtig gehaltene ärztliche Entscheidung zu treffen. Den Beschwerdeführenden ist es danach nicht gestattet, einen Patienten mit höherer Überlebenswahrscheinlichkeit, der erst später intensivmedizinisch behandlungsbedürftig wird, einem Patienten mit geringerer Überlebenswahrscheinlichkeit, der bereits behandelt wird, vorzuziehen. Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte können in diesen Fällen nicht den Erkenntnisgewinn aus der bereits andauernden Behandlung berücksichtigen.

83Zuletzt greift auch die in § 5c Abs. 3 IfSG geregelte Verpflichtung einer abgestimmten Entscheidung nach dem Vier- beziehungsweise Sechs-Augen-Prinzip, gegebenenfalls unter Hinzuziehung einer Drittperson mit besonderer Expertise, sofern von der Zuteilungsentscheidung ein Patient mit einer Behinderung oder einer Komorbidität betroffen ist ("Konsultationserfordernis"), in die Berufsausübungsfreiheit der Beschwerdeführenden ein, indem sie die individuelle ärztliche Entscheidung einem kollegialen Entscheidungsverfahren unterstellt.

II.

84Diese Eingriffe sind verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. In Art. 12 Abs. 1 GG darf nur auf gesetzlicher Grundlage und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingegriffen werden (vgl. BVerfGE 141, 82 <98 Rn. 47> zum Sozietätsverbot; 145, 20 <67 Rn. 121>; 161, 1 <61 Rn. 148> - Übernachtungsteuer; 163, 107 <136 Rn. 77>; stRspr). Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung setzt voraus, dass die angegriffenen Regelungen formell und materiell verfassungsgemäß sind (vgl. BVerfGE 163, 107 <136 Rn. 77>). Hier fehlt es bereits an der formellen Verfassungsmäßigkeit, weil keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die angegriffenen Regelungen des § 5c IfSG besteht. Die vom Gesetzgeber zugrunde gelegte Kompetenznorm des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG (vgl. BTDrucks 20/3877, S. 11) ist nicht einschlägig. Auch andere Kompetenztitel (insbesondere Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) kommen nicht in Betracht.

851. a) Nach Art. 70 Abs. 1 GG haben die Länder das Recht zur Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse zuweist. Eine solche Zuweisung von Gesetzgebungskompetenzen an den Bund findet sich ausweislich Art. 70 Abs. 2 GG vor allem in den Vorschriften über die ausschließliche (Art. 71, 73 und Art. 105 Abs. 1 GG) und die konkurrierende Gesetzgebung (Art. 72, 74 und Art. 105 Abs. 2 GG). Weist die Materie eines Gesetzes Bezug zu verschiedenen Sachgebieten auf, die teils dem Bund, teils den Ländern zugewiesen sind, besteht die Notwendigkeit, sie dem einen oder anderen Kompetenzbereich zuzuordnen (vgl. BVerfGE 163, 1 <13 f. Rn. 22> - Windenergie im Wald m.w.N.). Nach der Systematik der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung wird der Kompetenzbereich der Länder grundsätzlich durch die Reichweite der Bundesgesetzgebungskompetenzen bestimmt (vgl. BVerfGE 157, 223 <254 Rn. 82>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom - 1 BvR 368/22 -, Rn. 26).

86Die Auslegung der Kompetenztitel des Grundgesetzes erfolgt anhand der allgemeinen Regeln der Verfassungsinterpretation und damit vor allem nach Wortlaut, Systematik, Normzweck und Entstehungsgeschichte (vgl. BVerfGE 163, 1 <14 Rn. 24>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom - 1 BvR 368/22 -, Rn. 27). In diesem Zusammenhang kommt insbesondere der Staatspraxis und der Entwicklung der betreffenden Kompetenzmaterie Bedeutung zu. Die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Normbestandes ist weniger relevant, wenn die Kompetenzmaterie einen Lebenssachverhalt benennt, und maßgeblicher, wenn die Regelungsmaterie normativ-rezeptiv einen vorgefundenen Normbereich aufgegriffen hat; dann kommt dem Gesichtspunkt des Traditionellen oder Herkömmlichen wesentliche Bedeutung zu (vgl. BVerfGE 3, 407 <414 f.>; 106, 62 <105>; 109, 190 <213>; 134, 33 <55 Rn. 55>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom - 1 BvR 368/22 -, Rn. 27).

87b) Die Zuordnung einer bestimmten Regelung zu einem Kompetenztitel entsprechend dem durch Auslegung ermittelten Zuweisungsgehalt geschieht anhand von unmittelbarem Regelungsgegenstand, Normzweck, Wirkung und Adressat der zuzuordnenden Norm sowie der Verfassungstradition. Sie ist in erster Linie anhand des objektiven Gegenstands des zu prüfenden Gesetzes vorzunehmen. Entscheidend ist der sachliche Gehalt einer Regelung und nicht die vom Gesetzgeber gewählte Bezeichnung. Die Wirkungen eines Gesetzes sind anhand von dessen Rechtsfolgen zu bestimmen. Der Normzweck ist mit Hilfe der anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung zu ermitteln, das heißt anhand des Wortlauts der Norm, ihrer systematischen Stellung und nach dem Sinnzusammenhang sowie anhand der Gesetzesmaterialien und ihrer Entstehungsgeschichte (vgl. BVerfGE 161, 63 <92 f. Rn. 56 f.>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom - 1 BvR 368/22 -, Rn. 28; stRspr). Hierbei kommt es auf den in der Norm zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers an. Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder (vgl. BVerfGE 161, 63 <92 f. Rn. 56 f.>; 163, 1 <14 f. Rn. 25>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom - 1 BvR 368/22 -, Rn. 28 m.w.N.; stRspr). Sind Teilregelungen derart eng mit dem Schwerpunkt der Gesamtregelung "verzahnt", dass sie als Teil derselben erscheinen, gehören sie zum Kompetenzbereich der Gesamtregelung. Umgekehrt ist eine Teilregelung, die einen erheblichen eigenen Regelungsgehalt hat und mit der Gesamtregelung nicht eng verzahnt ist, auch kompetenziell eigenständig zu beurteilen (vgl. BVerfGE 137, 108 <161 Rn. 123>; 161, 63 <93 Rn. 58>; stRspr).

88c) Eine gesetzliche Regelung ist nicht nur dann formell verfassungsgemäß, wenn der im Gesetzgebungsverfahren erwähnte und gegebenenfalls in der Gesetzesentwurfsbegründung genannte Kompetenztitel das Gesetz trägt. Das Grundgesetz schreibt grundsätzlich nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen ist. Entscheidend ist, dass im Ergebnis die Anforderungen des Grundgesetzes nicht verfehlt werden (vgl. BVerfGE 132, 134 <162 Rn. 70>). Auch auf einen anderen als den genannten Kompetenztitel kann eine Regelung daher gestützt werden (vgl. BVerfGE 140, 65 <80 Rn. 33> zum Betreuungsgeld).

892. Ausgehend davon sind die angegriffenen Regelungen des § 5c IfSG aufgrund ihres eigenständigen Regelungsgehalts kompetenziell isoliert von der Gesamtregelung des Infektionsschutzgesetzes zu beurteilen (a). Anders als der Gesetzgeber meint, ist § 5c IfSG nicht unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG zu subsumieren (b). Auch alternative Kompetenztitel sind nicht einschlägig (c).

90a) Die Regelungen des § 5c IfSG sind kompetenziell eigenständig zu bewerten (vgl. BVerfGE 137, 108 <161 Rn. 123>; 161, 63 <93 Rn. 58>). Der Gesetzgeber hat § 5c IfSG in den 2. Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes ("Koordinierung und Sicherstellung der öffentlichen Gesundheit in besonderen Lagen") eingefügt. Die Regelungen stehen dort solitär; sie sind nicht mit anderen Teilen des Infektionsschutzgesetzes verzahnt. Die einzige inhaltliche Gemeinsamkeit zu den im Infektionsschutzgesetz geregelten Materien ist, dass der Mangel an ausreichend vorhandenen überlebenswichtigen intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten zumindest auch auf eine übertragbare Krankheit zurückzuführen sein muss. Der Regelungsgehalt des § 5c IfSG ist jedoch im Übrigen gänzlich unabhängig davon.

91b) Der Bund kann § 5c Absätze 1 bis 3 IfSG nicht auf die Kompetenz zur Regelung von Maßnahmen gegen übertragbare Krankheiten nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Variante 1 GG stützen. Die Regelungen in § 5c Absätze 1 bis 3 IfSG, wie sie der Bundesgesetzgeber konzipiert hat, sind reine Pandemiefolgenregelungen und als solche keine Maßnahmen gegen übertragbare Krankheiten, weil sie übertragbaren Krankheiten weder vorbeugen noch diese einzudämmen helfen (aa, bb). Da die Triageregelungen für die Vorbeugung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten nicht unerlässlich sind, kann auch nicht auf eine Kompetenz kraft Sachzusammenhangs oder eine Annexkompetenz abgestellt werden (cc).

92aa) (1) Die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Variante 1 GG erfasst Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen. Krankheit im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG ist ein pathologischer Zustand, der im Regelfall der Behandlung bedarf. Eine übertragbare Krankheit beim Menschen liegt vor, wenn sie durch Krankheitserreger oder deren toxische Produkte verursacht wird, die unmittelbar oder mittelbar auf den Menschen übertragen werden. Das ist bei Infektionskrankheiten jedenfalls dann gegeben, wenn sie einen gewissen Grad an Schwere der Erkrankung mit sich bringen können (BVerfGE 159, 223 <281 Rn. 124> m.w.N.). Der Begriff der Maßnahme im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG umfasst sowohl Instrumente zur Bekämpfung bereits aufgetretener Krankheiten als auch solche zur Vorbeugung (vgl. BVerfGE 159, 223 <281 Rn. 124>; 159, 355 <396 Rn. 84> - Bundesnotbremse II <Schulschließungen>; 162, 378 <414 f. Rn. 85 ff.> - Impfnachweis <Masern>).

93Auch mittelbar wirkende Maßnahmen zur Vorbeugung oder Bekämpfung können von Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Variante 1 GG umfasst sein. Dabei ist für präventive Maßnahmen verfassungsrechtlich bislang allerdings nicht geklärt, wie eng der Zusammenhang zwischen der intendierten Maßnahme und dem Krankheitsauslöser sein muss (vgl. dazu Oeter/Münkler, in: Huber/Voßkuhle, GG, 8. Aufl. 2024, Art. 74 Rn. 135). Jedenfalls aber genügt eine vage Folgewirkung einer Maßnahme nicht, um diese bundesrechtlich auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG zu stützen (vgl. Axer, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum GG, Art. 74 Nr. 19 Rn. 16 <April 2011>).

94(2) Schon der Wortlaut in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG spricht dafür, dass es für die Anwendbarkeit des Kompetenztitels nicht genügt, wenn eine Regelung lediglich an die Auswirkungen einer Pandemie anknüpft, ohne dass sie der Eindämmung oder Vorbeugung der übertragbaren Krankheit als solcher dient. Der Begriff der "Maßnahme" ist zwar im Ausgangspunkt offen. Er erfährt allerdings eine Einschränkung durch die Verbindung mit der Formulierung "gegen Krankheiten". Nicht jede Maßnahme mit Bezug zu einer gemeingefährlichen oder übertragbaren Krankheit ist demnach vom Wortlaut erfasst. Die sprachliche Formulierung setzt vielmehr eine gewisse - auf Eindämmung oder Vorbeugung bezogene - Gerichtetheit der Maßnahme voraus. Entgegen der Auffassung der Bundesregierung in ihrer Stellungnahme gibt Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG nach seinem Wortsinn dem Bundesgesetzgeber auch keine Befugnis zur Bereitstellung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems zur Heilbehandlung Infizierter, das nicht zugleich auf die Eindämmung übertragbarer Krankheiten als solcher gerichtet ist (vgl. Kluckert, in: Kluckert, Das neue Infektionsschutzrecht, 2. Aufl. 2021, § 2 Rn. 5). Zwar können Heilbehandlungen als "Maßnahmen gegen übertragbare Krankheiten" der einzelnen Infizierten verstanden werden. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG spricht aber von Maßnahmen gegen übertragbare Krankheiten "bei" - und nicht "von" - Menschen und bringt damit zum Ausdruck, dass sich die Kompetenz auf Regelungen bezieht, die dazu dienen, im Bundesgebiet auftretende übertragbare Krankheiten als solche einzudämmen.

95(3) Ebenfalls sprechen sowohl die grundgesetzinterne Systematik als auch ein Blick auf das Fachrecht dafür, dass der Kompetenztitel lediglich Regelungen umfasst, die der Eindämmung oder Vorbeugung einer Pandemie dienen, hingegen nicht die Grundlage eines reinen Pandemiefolgenrechts bietet. Die nebeneinanderstehenden Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG (Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren, Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe, sowie das Recht des Apothekenwesens, der Arzneien, der Medizinprodukte, der Heilmittel, der Betäubungsmittel und der Gifte) eint, dass sie dem Schutz der Bevölkerung vor schwerwiegenden Gesundheitsgefahren dienen (vgl. BVerfGE 106, 62 <108>). Abgesehen vom Gesundheitsbezug lassen sich jedoch keine verbindenden Gemeinsamkeiten zwischen den enumerativen, auf bestimmte Bereiche beschränkten Kompetenzen erkennen (vgl. Wittreck, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 74 Rn. 86; Axer, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum GG, Art. 74 Nr. 19 Rn. 9 <April 2011>).

96Aufgrund der Nähe der Kompetenztitel nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG zur ärztlichen Berufsausübung (deren Regelung nach überkommenem Verständnis im Grundsatz in die Kompetenz der Länder fällt, vgl. BVerfGE 102, 26 <38>) hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass sich die Bundeskompetenz im Arztrecht auf Fragen der Zulassung beschränkt und sich nicht auf die ärztliche Berufsausübung insgesamt erstreckt (vgl. BVerfGE 102, 26 <37>); es hat daher bundesgesetzliche Regelungen für kompetenzwidrig erachtet, die auf die unmittelbare Anwendung selbst hergestellter Arzneimittel durch Ärzte bei ihren Patienten abzielten (vgl. BVerfGE 102, 26 <39>). Im Rahmen der Föderalismusreform 2006 reagierte der verfassungsändernde Gesetzgeber darauf und erweiterte die Kompetenz des Bundes auf das Recht der Arzneien generell. Für den Bereich des Infektionsschutzrechts blieb es hingegen bei einer punktuellen Kompetenz.

97Bei der Abgrenzung des Kompetenztitels der "Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe" zur ärztlichen Berufsausübung gilt, dass die Ausgestaltung der ärztlichen Berufsausübung dem Bundesgesetzgeber versagt ist (so ausdrücklich BVerfGE 98, 265 <305>). Zuständig für die Berufsgerichtsbarkeit (BVerfGE 4, 74 <83>; 17, 287 <292 f.>), das Facharztwesen (BVerfGE 33, 125 <155>), Werbeverbote (BVerfGE 71, 162 <172>) und den Schutz von Berufsbezeichnungen (BVerfGE 106, 62 <124 ff.>) sind allein die Länder.

98Auch im Fachrecht enthält - in der Tradition der fachrechtlichen Praxis - der Begriff der Maßnahme im Übrigen eine Zweiteilung in Verhütungsmaßnahmen einerseits und Bekämpfungsmaßnahmen andererseits, ohne dass sonstige Pandemiefolgenregelungen einbezogen wären. So regelt das Infektionsschutzgesetz in seinem 4. Abschnitt die Maßnahmen der Verhütung (§§ 16 ff. IfSG) und im 5. Abschnitt die Maßnahmen der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten (§§ 24 ff. IfSG). Noch etwas umfassender als die Verhütung ist der Begriff der Vorbeugung, den das Infektionsschutzgesetz als Gesetzeszweck vorgibt (vgl. § 1 Abs. 1 IfSG). Der Infektionsschutzgesetzgeber versteht ihn als Prävention vor Infektionen. Gemein ist den vorbeugenden Maßnahmen, dass diese grundsätzlich im Stadium vor Ausbruch einer übertragbaren Krankheit wirken sollen (vgl. Kießling, in: Kießling, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 1 Rn. 8). Wesen und Grenzen der "Bekämpfung" kommen in der infektionsschutzrechtlichen Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG für sogenannte Schutzmaßnahmen deutlich zum Ausdruck, die nur "soweit und solange" zulässig sind, wie "es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist". Eine Heilbehandlung darf nach § 28 Abs. 1 Satz 3 IfSG explizit nicht angeordnet werden. Fachrechtliche Bekämpfungsmaßnahmen setzen dementsprechend auf die Eindämmung von Infektionskrankheiten.

99(4) Schließlich spricht die Historie der Gesetzgebungskompetenz im Gesundheitsbereich für eine Beschränkung auf Regelungen zur Eindämmung oder Bekämpfung einer Pandemie und umgekehrt gegen die Einbeziehung reiner Pandemiefolgenregelungen. Es wird deutlich, dass anfangs umfangreiche Kompetenzen des Reiches im Gesundheitsbereich nach und nach auf die Länder verlagert wurden. Nach § 61 der Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849 sollte das Reich befugt sein, "im Interesse des Gesammtwohls allgemeine Maaßregeln für die Gesundheitspflege zu treffen". Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 übertrug dem Reich in Art. 4 Nr. 15 die "Maßregeln der Medizinal- und Veterinairpolizei". Die Weimarer Reichsverfassung vom schuf für das Reich die konkurrierende Gesetzgebung über das Gesundheitswesen, das Veterinärwesen und den Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge (Art. 7 Nr. 8 WRV), was ebenfalls noch einen weiten Zugriff des Reichsgesetzgebers auf Gesundheitsangelegenheiten erlaubte.

100Der Entwurf des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee sah in Art. 36 Nr. 17 neben weiteren punktuellen Kompetenzen im Gesundheitsbereich eine Vorranggesetzgebung des Bundes für "Maßnahmen gegen gemeingefährliche Krankheiten und Tierseuchen" vor. Damit war nicht nur die Bekämpfung, sondern auch die Verhütung gemeint (Schneider/Kramer <Hrsg.>, Das Grundgesetz - Dokumentation seiner Entstehung, Bd. 18, Teilbd. II, S. 1506). Neben einigen anderen Ausnahmen sollte das Gesundheitswesen aber ausdrücklich zu einem erheblichen Teil Sache der Länder bleiben (Schneider/Kramer <Hrsg.>, Das Grundgesetz - Dokumentation seiner Entstehung, Bd. 18, Teilbd. II, S. 1500 ff.).

101Im Parlamentarischen Rat war umstritten, ob anstelle des Begriffs der "Maßnahme" nicht die Formulierung "Schutz von Menschen gegen gemeingefährliche Krankheiten und Seuchen" besser sei (Schneider/Kramer <Hrsg.>, Das Grundgesetz - Dokumentation seiner Entstehung, Bd. 18, Teilbd. II, S. 1515 ff.). Man einigte sich schließlich aber auf den ursprünglichen Begriff der "Maßnahme", weil man befürchtete, die andere Formulierung könnte auch als "vorbeugender Schutz" aufgefasst werden (Schneider/Kramer <Hrsg.>, Das Grundgesetz - Dokumentation seiner Entstehung, Bd. 18, Teilbd. II, S. 1528 ff.). Hauptausschuss (Schneider/Kramer <Hrsg.>, Das Grundgesetz - Dokumentation seiner Entstehung, Bd. 18, Teilbd. II, S. 1552, 1555) und Zuständigkeitsausschuss (JöR n.F. 1 <1951>, S. 540-543) des Parlamentarischen Rates bekräftigten zudem ausdrücklich, dass außer dem Recht der Zulassung zu den ärztlichen Berufen das Arztrecht Ländersache bleiben sollte (vgl. BVerfGE 102, 26 <38>).

102Die Bundesregierung beabsichtigte im Jahr 1968, die Bundeskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG weiter zu fassen: Der Bund sollte zuständig sein für "die Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten bei Menschen, die Maßnahmen gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten bei Tieren, (…)" (BTDrucks V/3515, S. 2). Zur Begründung führte sie im Gesetzentwurf unter anderem aus, es sei geboten, dem Bund überregionale gesetzgeberische Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge und des Gesundheitsschutzes zu ermöglichen (vgl. BTDrucks V/3515, S. 3). Der Bundesrat lehnte die Änderung ab, weil er keinen sachlichen Grund für eine Änderung sah (vgl. BTDrucks V/3515, S. 10).

103Dieser historische Blick spricht für eine restriktive Auslegung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Variante 1 GG. Die Mitglieder des Parlamentarischen Rats hatten in erster Linie Bekämpfungsmaßnahmen nach dem Vorbild des Reichsseuchengesetzes im Sinn; schon vorbeugende Maßnahmen wurden nur ablehnend erwähnt. Die unterbliebene Erweiterung des Kompetenztitels macht deutlich, dass auch der verfassungsändernde Gesetzgeber an der beschränkten punktuellen Kompetenz des Bundes festhalten wollte.

104bb) Bei den Regelungen des § 5c IfSG handelt es sich nach den vorstehenden Ausführungen nicht um eine Maßnahme im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Variante 1 GG. Denn nach ihrer konkreten Konzeption stellen diese Regelungen kein Instrument der Vorbeugung oder der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten dar. Sie knüpfen als reine Pandemiefolgenregelungen an eine Knappheit infolge einer Pandemie an, nicht jedoch dienen sie selbst der Pandemiebekämpfung.

105(1) Die Regelungen des § 5c IfSG haben keinen vorbeugenden Charakter. Klassische Maßnahmen der Vorbeugung reichen von Aufklärung und Information der Bevölkerung, persönlicher Hygiene, dem Aufbau und Erhalt eines ausreichenden Impfschutzes bis hin zu besonderen Präventionsmaßnahmen im Lebensmittelbereich oder in Gemeinschaftseinrichtungen. Gegenstand des § 5c IfSG sind demgegenüber Regelungen zur ärztlichen Berufsausübung in Situationen, in denen Ärzte über die Zuteilung überlebenswichtiger intensivmedizinischer Ressourcen entscheiden müssen, die nicht für alle behandlungsbedürftigen Patienten ausreichend zur Verfügung stehen. Diese Regelungen tragen nicht dazu bei, das Auftreten von übertragbaren Krankheiten zu unterbinden. Sie mindern Infektionsrisiken nicht, sondern sagen nur aus, wie ein Arzt Patienten bei nicht ausreichenden intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten priorisieren muss. Damit zielen sie auf den Umgang mit Ressourcenknappheit. Sie helfen aber nicht, die Ursachen dieser Knappheit - das pandemische Geschehen - vorbeugend zu verhindern.

106(2) Die Vorschriften des § 5c IfSG regeln nach ihrer konkreten Konzeption auch keine Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. Weder Regelungsgegenstand oder Normzweck, noch Wirkung und Adressat der Normen lassen ein solches Ziel erkennen.

107(a) Gegenstand des § 5c IfSG ist eine reine Pandemiefolgenregelung. Die Norm macht Vorgaben für die Zuteilung überlebenswichtiger intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten in einer Knappheitssituation. § 5c IfSG trifft im Schwerpunkt also eine Regelung dazu, "wer" behandelt werden darf. Dabei kommt es schon nicht darauf an, dass die betroffenen Patienten überhaupt selbst an einer Infektionskrankheit leiden (vgl. Rn. 11).

108Das "Wie" der Behandlung regelt § 5c IfSG dagegen im Weiteren nicht. Die Norm macht keine Vorgaben zur Art und Weise der Behandlung. Die Heilbehandlung einer übertragbaren Krankheit ist aber nur dann Teil von deren Bekämpfung im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG, wenn sie zur Eindämmung der Krankheit als solcher beiträgt. Eine Heilbehandlung, die in diesem Sinne zugleich der Bekämpfung dienen soll, setzt voraus, dass sie dem Gesundheitsrisiko der Infektionskrankheit für die Allgemeinheit entgegenwirkt. Entscheidend ist dann nicht eine ärztliche Maßnahme am Infizierten, sondern eine ärztliche Maßnahme gegen die Verbreitung der Infektion. Um Infektionskrankheiten wirksam einzudämmen, sieht beispielsweise § 24 IfSG für die Heilbehandlung explizit einen Arztvorbehalt vor. Im Interesse der Allgemeinheit sollen Erkrankte durch eine fachgerechte Behandlung keine Infektionsquelle für Dritte darstellen; so soll auch das Übertragungsrisiko für den Behandelnden selbst minimiert werden (vgl. Gerhardt, in: Gerhardt, IfSG, 6. Aufl. 2022, § 24 Rn. 1; Mers, Infektionsschutz im liberalen Rechtsstaat, 2019, S. 39). Vorliegend geht es aber nicht um die Regelung von Vorgaben, wie die Patienten "richtig", das heißt medizinisch wirksam und gegebenenfalls unter Isolation zur Ausschaltung weiterer Infektionsgefahren behandelt werden sollen. Inhalt der Regelung ist auch nicht - unabhängig davon, wie eine solche Regelung verfassungsrechtlich zu bewerten wäre -, anhand von Triagekriterien einen Beitrag zur Pandemiebekämpfung zu leisten. Es geht vielmehr allein um eine normative Entscheidung in einem Allokationskonflikt. Das Vorhandensein einer übertragbaren Krankheit ist nur Teil des auslösenden Moments für die tatbestandliche Anwendbarkeit der Vorschrift, während die Allokationsentscheidung selbst darauf nicht einmal mehr abstellt, sondern in einer pandemiebedingten Ressourcenknappheit vielmehr auch Patienten einbezieht, die nicht an einer ansteckenden Infektion erkrankt sind. Systematisch kommt dieser Regelungsgehalt auch dadurch zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber keine Zuordnung der Vorschrift in den 5. Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes mit der Überschrift "Bekämpfung übertragbarer Krankheiten" vorgenommen hat.

109(b) Die Normzwecke stützen ebenso diese Auslegung. Auch danach liegt keine Maßnahme zur Pandemiebekämpfung vor.

110(aa) Die im Normtext selbst in § 5c Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 IfSG ausdrücklich genannten Zwecke des § 5c IfSG, die auch die Entwurfsbegründung benennt (vgl. BTDrucks 20/3877, S. 1 f. u. 10), sind die Vermeidung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen bei Zuteilungsentscheidungen, der auch über Behinderungen hinausreichende Ausschluss von Diskriminierung allgemein sowie die Schaffung von Rechtssicherheit für Ärzte. Keiner dieser Gesetzeszwecke zielt darauf, im Bundesgebiet auftretende übertragbare Krankheiten einzudämmen. Der ausdrücklich benannte Zweck des Gesetzes ist vielmehr, das Dilemma der Triage als solches - zwar bei einer pandemiebedingten Knappheit von Ressourcen, aber dann umfassend - in einer möglichst diskriminierungsfreien Art und Weise aufzulösen.

111(bb) Auch eine − im Gesetz nicht ausdrücklich als Zweck benannte − möglichst optimierte Nutzung knapper Ressourcen diente nicht der Pandemiebekämpfung. Zwar mag zumindest § 5c Abs. 2 Satz 1 IfSG auch auf einen höchstmöglichen Schutz von Leben im Sinne der Rettung möglichst vieler Patienten zielen ("save the most"). Die Ausrichtung der Zuteilungsentscheidung am Kriterium der "aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit" soll auch die zur Verfügung stehenden intensivmedizinischen Kapazitäten möglichst effizient einsetzen und zu einer möglichst niedrigen Mortalität führen. Es scheint plausibel, dass die Höhe der Überlebenswahrscheinlichkeit mit der Kürze der Verweildauer korreliert und ein Abstellen auf dieses Kriterium damit vergleichsweise vielen Patienten eine intensivmedizinische Behandlung ermöglicht (vgl. Dietrich, Ethik in der Medizin, 2023, S. 409 <423>).

112Auch dieses weitere Ziel diente aber schon deshalb nicht der Bekämpfung der Pandemie im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG, weil der Optimierungsgedanke unabhängig davon zum Tragen kommen soll, ob eine Person aufgrund einer pandemischen Erkrankung oder aus einem anderen Grund behandlungsbedürftig wird.

113(c) Die Regelungen des § 5c Absätze 1 bis 3 IfSG leisten auch tatsächlich keinen Beitrag dazu, die Ausbreitung übertragbarer Krankheiten zu unterbinden oder auch nur zu verlangsamen.

114Die Eigenheit einer übertragbaren Krankheit bringt es mit sich, dass das lokale Auftreten in einem Bundesland angesichts der oftmals schnellen Verbreitungsmöglichkeit mit unmittelbaren Gefahren für die Gesundheit aller in der Bundesrepublik Deutschland lebender Menschen verbunden ist. Die herkömmlichen Bekämpfungsmaßnahmen verhindern, dass sich eine Krankheit überregional ausbreitet, oder helfen, diese einzudämmen. Gesetzliche Regelungen richten sich dementsprechend dann gegen diese Gesundheitsgefahr, wenn sie eine Ausbreitung verhindern oder eine Eindämmung forcieren.

115Danach sind auch die hier angegriffenen Triageregelungen nicht gegen die Gesundheitsgefahr gerichtet. Von ihnen geht keine die Pandemie begrenzende oder eindämmende Wirkung aus, etwa weil sie eine Mangelsituation im Gesundheitswesen bekämpften und sich infolgedessen wiederum die mit der Krankheit einhergehenden Gesundheitsgefahren verringerten. Zudem sind in die Zuteilungsentscheidung auch solche Personen einbezogen, die nicht infektionsbedingt erkrankt sind.

116Auch mittelbar (vgl. Rn. 93) entfaltet § 5c IfSG keine spürbar eindämmende Wirkung gegen Infektionskrankheiten. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass im Falle einer notwendig werdenden Triage durch § 5c IfSG die Abläufe im Gesundheitssystem entlastet werden und damit die Funktionsfähigkeit von Krankenhäusern als zentralen Einrichtungen der Behandlung übertragbarer Krankheiten gestärkt wird. Eine ungewisse mittelbare Wirkung auf die "Leichtigkeit" der Gesundheitsversorgung erfüllt die Voraussetzungen einer Eindämmung übertragbarer Krankheiten aber nicht. Es fehlt insoweit an einem ausreichenden Zusammenhang zwischen der intendierten Maßnahme und dem Krankheitsauslöser. § 5c IfSG beschränkt sich vielmehr auf die Ressourcenverteilung bei bereits eingetretenen Gesundheitsschädigungen, die im konkreten Einzelfall nicht einmal notwendigerweise durch eine Infektion bedingt sind.

117cc) Eine Zuständigkeit des Bundes gründet auch nicht auf einer Kompetenz kraft Sachzusammenhangs mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG.

118(1) Eine Kompetenz kraft Sachzusammenhangs ist anzunehmen, wenn eine dem Bund zugewiesene Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne dass zugleich eine andere Materie mitgeregelt wird, wenn also das Übergreifen in einen an sich den Ländern übertragenen Kompetenzbereich für die Regelung der zugewiesenen Materie unerlässlich ist (vgl. BVerfGE 3, 407 <421>; 98, 265 <299>; 109, 190 <215>; 110, 33 <48>; stRspr).

119(2) Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Dafür, dass der Bund von seiner aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG folgenden Kompetenz für den Infektionsschutz Gebrauch machen kann, ist es gerade wegen der Selbstständigkeit der Frage des Umgangs mit knappen Behandlungskapazitäten (vgl. auch Rn. 104 ff.) keine unerlässliche Voraussetzung, dass er auch die (sogar umfassendere) Folgenregelung einer Kapazitätszuteilung im Knappheitsfall trifft.

120dd) Auch eine Annexkompetenz kommt nicht in Betracht. Im Unterschied zur Kompetenz kraft Sachzusammenhangs führt sie nicht zu einer materiell-sachgegenständlichen Kompetenzausdehnung, sondern bezieht die Kompetenzerweiterung auf Stadien der Vorbereitung und Durchführung (vgl. z.B. BVerfGE 8, 143 <149 f.>; 132, 1 <6 Rn. 17>). Es fehlt hier aber gerade an dem erforderlichen notwendigen Zusammenhang zwischen dem Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG und der hier in Rede stehenden Folgenregelung (vgl. Rn. 104 ff.).

121c) § 5c Absätze 1 bis 3 IfSG lassen sich ferner, entgegen dem Vortrag der Bundesregierung, auch nicht unter den Titel konkurrierender Gesetzgebung der öffentlichen Fürsorge nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG fassen.

122aa) Der Begriff der öffentlichen Fürsorge ist nicht eng auszulegen (vgl. BVerfGE 88, 203 <329> zum Schwangerschaftsabbruch II; 137, 108 <165 Rn. 135> zur Optionskommune; 140, 65 <78 Rn. 29>). Er setzt voraus, dass eine besondere Situation zumindest potenzieller Bedürftigkeit besteht, auf die der Gesetzgeber reagiert (BVerfGE 140, 65 <78 Rn. 29>). Dabei genügt es, wenn eine - sei es auch nur typisierend bezeichnete und nicht notwendig akute - Bedarfslage im Sinne einer mit besonderen Belastungen einhergehenden Lebenssituation besteht, auf deren Beseitigung oder Minderung das Gesetz zielt (vgl. BVerfGE 140, 65 <78 f. Rn. 29>). Das schließt auch organisationsrechtliche Vorgaben ein (vgl. BVerfGE 106, 62 <133> zum Altenpflegegesetz; 137, 108 <165 Rn. 135>). Eine Beschränkung auf Hilfsmaßnahmen bei wirtschaftlichen Notlagen oder bei akuter Hilfsbedürftigkeit besteht nicht; der Begriff schließt vielmehr auch präventive Maßnahmen zum Ausgleich von Notlagen und besonderen Belastungen sowie Vorkehrungen zur Verhinderung künftiger Hilfsbedürftigkeit ein (vgl. BVerfGE 106, 62 <134> m.w.N.). Die öffentliche Fürsorge umgreift auch neue Lebenssachverhalte, wenn sie nur in ihren wesentlichen Strukturelementen dem Bild entsprechen, das durch die "klassische Fürsorge" geprägt ist (vgl. BVerfGE 106, 62 <133>; 108, 186 <214> zur Altenpflegeumlage). Im Übrigen ist der Kompetenztitel der öffentlichen Fürsorge nicht auf Leistungen und Verpflichtungen der öffentlichen Hand begrenzt, sondern er deckt vielmehr auch Verpflichtungen Dritter (vgl. BVerfGE 57, 139 <159>; 106, 62 <134>).

123Das weite Begriffsverständnis der öffentlichen Fürsorge führt mitunter zu Abgrenzungsschwierigkeiten, insbesondere im Gesundheitsbereich. Die Entscheidung der Verfassung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 und 19a GG, dem Bund für das Gesundheitswesen nur auf einzelne Sachbereiche beschränkte Gesetzgebungszuständigkeiten zuzuweisen, darf nicht durch eine erweiternde Auslegung der Gesetzgebungskompetenz für die öffentliche Fürsorge unterlaufen werden (vgl. BVerfGE 88, 203 <330>; 106, 62 <132>). Unterstützungsleistungen jeglicher Art zur Überwindung finanzieller, pandemiebedingter Einbußen, aber auch eine umfassende Krankenhausplanung zur Pandemiebewältigung wären bei weiter Auslegung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG von diesem Kompetenztitel erfasst. Der Bundesgesetzgeber könnte zur Gesundheitsfürsorge umfassend tätig werden, was jegliche verfassungsrechtlich angelegte Begrenzung der Gesetzgebungskompetenz im Gesundheitsbereich für den Bereich der Pandemiebewältigung hinfällig machte. Aus der Kompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG scheiden daher vor allem Gesetze aus, die der Krankenversorgung, der Seuchenbekämpfung oder in sonstiger Weise in erster Linie dem Gesundheitswesen dienen. Für eine "Gesundheitsfürsorge" kommen von vornherein nur eng umgrenzte Teilbereiche - etwa Hilfen bei gesundheitlicher Hilfsbedürftigkeit oder Maßnahmen zum Ausgleich von Krankheit oder Behinderung - in Betracht. Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG begründet keine allgemeine Fürsorgekompetenz im Bereich des Gesundheitswesens; die öffentliche Fürsorge darf im Gesundheitsbereich keine Auffangfunktion einnehmen (vgl. BVerfGE 88, 203 <330>; 106, 62 <132>; vgl. dazu auch Riedel/Derpa, Kompetenzen des Bundes und der Länder im Gesundheitswesen, 2002, S. 12;Gebert, Verhaltens- und verhältnisbezogene Primärprävention und Gesundheitsförderung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 2020, S. 113 f.; Degenhart, in: Sachs, GG, 10. Aufl. 2024, Art. 74 Rn. 38).

124bb) Ausgehend davon können § 5c Absätze 1 bis 3 IfSG nicht auf den konkurrierenden Gesetzgebungstitel der öffentlichen Fürsorge nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG gestützt werden. Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG tritt hinter Art. 74 Abs. 1 Nr. 19, Nr. 19a GG als die spezielleren Kompetenztitel zurück.

125Zwar enthalten die Regelungen des § 5c IfSG fürsorgerische Elemente, soweit sie dem Schutz von Menschen mit Behinderung vor Diskriminierung zu dienen bestimmt sind. Es steht auch nicht per se einer Zuordnung zum Begriff der öffentlichen Fürsorge entgegen, dass es sich bei der Triage nicht um Situationen wirtschaftlicher Not handelt. Unschädlich ist zudem, dass sich die Regelungen des § 5c IfSG an die behandelnden Ärzte richten und nicht unmittelbar den Staat selbst verpflichten, weil auch die Verpflichtung Dritter in Betracht kommt. Gleichwohl sprechen − wie bereits in der Entscheidung zum Altenpflegegesetz (BVerfGE 106, 62 <132>), der zweiten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch (BVerfGE 88, 203 <330>) sowie der Entscheidung zu Optionskommunen (BVerfGE 137, 108 <165 Rn. 136>) − auch hier systematische Erwägungen gegen eine Eröffnung des Anwendungsbereichs des Kompetenztitels.

126§ 5c IfSG ist eine dem Gesundheitswesen zugehörige Norm. Es handelt sich im Kern um gesundheitspolitische Regelungen mit starkem berufsausübungsrechtlichem Einschlag. Insoweit unterscheidet sich § 5c IfSG von klassischen Fürsorgeregelungen wie etwa der Pflicht zur Beschäftigung von Schwerbehinderten sowie der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung einer Ausgleichsabgabe bei Verletzung dieser Pflicht, die auch auf den Kompetenztitel der öffentlichen Fürsorge gestützt werden können (vgl. BVerfGE 57, 139 <166 f.>). § 5c IfSG fehlt es an einem vergleichbaren primär fürsorgerechtlichen Charakter. Wenngleich die Norm auch antidiskriminierungsrechtliche Ziele verfolgt, regelt sie als Allokationsvorschrift die medizinische Behandlungsreihenfolge im Fall einer Triage und damit im Kern ärztliche Berufsausübung und krankenhausrechtliche Verfahrenspflichten. Sie betrifft den Inhalt ärztlicher Entscheidungen und macht Vorgaben zur Organisation innerhalb eines Krankenhauses. Die nur bei Erfüllung spezifischer Voraussetzungen eröffnete Subsumierbarkeit von staatlichen Maßnahmen zur Bewältigung von Pandemien unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG (vgl. Rn. 92 bis 103) würde unterlaufen, wenn Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG hier als Auffangkompetenztitel fungierte.

127d) Die angegriffenen Regelungen werden auch nicht von den Gesetzgebungstiteln des bürgerlichen Rechts oder des Strafrechts (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) erfasst.

128aa) Nach dem durch Staatspraxis und Regelungstradition seit mehr als 150 Jahren geprägten Rechtsverständnis umfasst das bürgerliche Recht die Gesamtheit aller Normen, die herkömmlicherweise dem Zivilrecht zugerechnet werden (vgl. BVerfGE 11, 192 <199>; 126, 331 <357>; 142, 268 <282 f. Rn. 54> zum Bestellerprinzip; 157, 223 <265 Rn. 111>). Bürgerliches Recht im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ist nicht als Gegensatz zum öffentlichen Recht zu verstehen, sodass Gegenstände, die nach heutigem Verständnis dem öffentlichen Recht zuzuordnen sind, auch dem Anwendungsbereich von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG unterfallen können (vgl. BVerfGE 11, 192 <199>; 157, 223 <265 Rn. 111>). Entscheidend ist, ob durch eine Vorschrift Privatrechtsverhältnisse, also die Rechtsverhältnisse zwischen Privaten und die sich aus ihnen ergebenden Rechte und Pflichten, geregelt werden - auch, soweit Regelungen des Privatrechts im normativen Zusammenhang mit (einzelnen) öffentlich-rechtlichen Vorschriften stehen und vom Traditionszusammenhang des bürgerlichen Rechts umfasst werden, sofern der Regelungsschwerpunkt im Privatrecht verbleibt (vgl. BVerfGE 42, 20 <31>; 142, 268 <282 f. Rn. 54>; 157, 223 <Rn. 111>).

129Zum Strafrecht im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gehört die Regelung aller, auch nachträglicher, repressiver oder präventiver staatlicher Reaktionen auf Straftaten, die an die Straftat anknüpfen, ausschließlich für Straftäter gelten und ihre sachliche Rechtfertigung auch aus der Anlasstat beziehen (vgl. BVerfGE 109, 190 <212>; 134, 33 <55 f. Rn. 55>).

130bb) Die angegriffenen Regelungen sind weder Teil des bürgerlichen Rechts noch des Strafrechts.

131§ 5c IfSG ist keine Regelung bürgerlichen Rechts. § 5c Absätze 1 bis 3 IfSG betreffen die generelle Pflichtenstellung von Ärzten in Triage-Situationen. Zwar enthält § 5c Abs. 4 IfSG einen ausdrücklichen Verweis auf die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften der §§ 630f, 630g BGB. Dies verdeutlicht, dass es sich um Regelungsgegenstände handelt, bei denen es nicht von vornherein ausgeschlossen ist, dass der Gesetzgeber sie aus dem vorhandenen bürgerlichen Recht für privatrechtliche Arzt-Patienten-Verhältnisse entwickeln könnte. Das zeigt auch das unter anderem auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gestützte Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Eine in der Literatur vorgeschlagene Regelung der Triage im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (vgl. Kersten/Rixen, Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise, 3. Aufl. 2022, S. 217 f.; Wolf, Triage in der Pandemie, 2024, S. 332) ist vom Gesetzgeber gerade nicht gewählt worden. § 5c Absätze 1 bis 3 IfSG betreffen vielmehr einen dem ärztlichen Berufsstand generell und umfassend aufgegebenen Pflichtenkanon. Die in § 5c IfSG geregelten ärztlichen Pflichten bestehen zudem gegenüber allen Patienten, die der knappen Ressource bedürfen und deshalb in die Zuteilungsentscheidung einbezogen werden. Die Gesetzentwurfsbegründung hebt daher hervor, dass die Regelungen unabhängig von den vertraglichen Beziehungen zwischen Patienten und Arzt anzuwenden sind (vgl. BTDrucks 20/3877, S. 21). Der Gesetzgeber wollte, losgelöst von zivilrechtlichen Vertragsverhältnissen, die Allokation knapper intensivmedizinischer Ressourcen in einer Ausnahmesituation regeln, indem er Vorgaben generell für die ärztliche Berufsausübung gemacht hat. Diesem klaren gesetzgeberischen Willen widerspräche erkennbar auch eine geltungserhaltende Reduktion der Norm auf bürgerlich-rechtliche Verhältnisse.

132Bei § 5c IfSG handelt es sich nach seinem Normzweck auch nicht um Regelungen des Strafrechts im Sinne des Kompetenztitels. Eine Bezugnahme auf Fragen der Strafbarkeit ist dem Normwortlaut selbst nicht zu entnehmen. Auch die Verortung im zweiten Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes spricht systematisch gegen ein Verständnis als strafrechtliche Vorschrift. Teleologisch dient § 5c IfSG der Vermeidung von Diskriminierungsrisiken in Überlastungssituationen aufgrund übertragbarer Krankheiten und hat damit präventiven Charakter, ohne insoweit aber an eine Straftat als solche anzuknüpfen. Eine potentielle, lediglich mittelbare Auswirkung auf die Strafbarkeit nach § 212 StGB führt nicht zur Einstufung als Strafrecht.

133e) Zuletzt kommt eine Bundeskompetenz auch nicht kraft Natur der Sache in Betracht.

134aa) Eine ungeschriebene Gesetzgebungskompetenz des Bundes kraft Natur der Sache liegt vor, wenn es sich notwendigerweise um eine Aufgabe des Gesamtstaates handelt (vgl. BVerfGE 3, 407 <427 f.>), wofür Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte oder die Überregionalität eines Sachverhalts allein noch nicht genügen (vgl. BVerfGE 3, 407 <421 f.>; 12, 205 <250 f.>; 26, 246 <257>). Es handelt sich dann um einen ungeschriebenen, im Wesen der Dinge begründeten, mithin einer ausdrücklichen Anerkennung durch das Grundgesetz nicht bedürftigen Rechtssatz, wonach gewisse Sachgebiete, weil sie ihrer Natur nach eigenste, der partikularen Gesetzgebungszuständigkeit a priori entrückte Angelegenheiten des Bundes darstellen, vom Bund und nur von ihm geregelt werden können (vgl. BVerfGE 12, 205 <251>; 26, 246 <257>). Eine Bundeskompetenz kraft Natur der Sache beschränkt sich damit auf eng umgrenzte Ausnahmefälle (vgl. BVerfGE 134, 33 <101 Rn. 161>).

135bb) Danach können § 5c Absätze 1 bis 3 IfSG nicht auf eine Bundeskompetenz kraft Natur der Sache gestützt werden. Allokationsregelungen erfordern im Pandemiefall nicht notwendigerweise eine gesamtstaatliche Regelung. Dass allein der Bund zur effektiven Beherrschung der Diskriminierungsrisiken in einer Triage-Situation in der Lage wäre, insbesondere weil den Ländern die dahingehende Handlungsfähigkeit fehlte (vgl. BVerfGE 84, 133 <148>; 85, 360 <374>), ist nicht erkennbar.

136Wenngleich eine Pandemie überregional und zeitgleich Ärztinnen und Ärzte in die Lage bringen kann, eine Triage durchführen zu müssen, können die notwendigen Entscheidungen grundsätzlich lokal nach unterschiedlichen Vorgaben getroffen werden. An den Grenzen zu den europäischen Nachbarländern besteht schon heute − auch nach Erlass des § 5c IfSG − eine vergleichbare Situation (vgl. zu den unterschiedlichen Vorgaben Stand 2020 Ehni/Wiesing/Ranisch, Zeitschrift für medizinische Ethik 2020, S. 475 ff.), ohne dass daraus zwangsläufig unbeherrschbare Folgen erwüchsen.

137Es wäre auch nicht von vornherein unmöglich, dass die Länder - soweit notwendig - im Wege der Selbstkoordinierung durch eine gegenseitig abgestimmte Gesetzgebung auch ländergrenzüberschreitende Fallkonstellationen einer handhabbaren Regelung zuführen. Selbst wenn eine Übereinkunft der Länder zu einem bestimmten Mindestmaß an Regelungen unverzichtbar sein sollte, wären hierfür Vorgaben des Bundes nicht zwingend notwendig. Bund und Länder sind verpflichtet, bei der Wahrnehmung ihrer Gesetzgebungskompetenzen die gebotene und ihnen zumutbare gegenseitige Rücksicht auf das Gesamtinteresse des Bundesstaats zu nehmen (vgl. BVerfGE 32, 199 <218>; 43, 291 <348>; 139, 321 <353 Rn. 101>; 160, 1 <25 Rn. 71> - Umschlagsverbot für Kernbrennstoffe in Bremer Häfen; stRspr). Bleiben die Auswirkungen einer gesetzlichen Regelung nicht auf den Raum des Landes begrenzt, so muss der Landesgesetzgeber Rücksicht auf die Interessen des Bundes und der übrigen Länder nehmen (BVerfGE 4, 115 <140>; 6, 309 <361>) und zugleich Sorge dafür tragen, dass es keine unzumutbaren Verwerfungen insbesondere an den Landesgrenzen geben kann. Dazu sind die jeweiligen landesrechtlichen Regelungen erforderlichenfalls aufeinander abzustimmen (vgl. BVerfGE 73, 118 <196 f.>).

138Der Umstand, dass in Fällen einer pandemischen Lage von nationaler Tragweite eine bundeseinheitliche Regelung zweckmäßiger sein könnte als eine Selbstkoordinierung der Länder (vgl. BVerfGE 106, 62 <150>; 138, 136 <178 Rn. 115>), genügt für die Annahme einer Kompetenz kraft Natur der Sache nicht. Nach der aktuellen Kompetenzverteilung des Grundgesetzes tragen die Länder maßgeblich die Verantwortung für diskriminierungssensible Allokationsregeln im Sinne reiner Pandemiefolgenregelungen, die auch länderübergreifend tragfähige Entscheidungen ermöglichen müssen.

D.

139Die Unvereinbarkeit des § 5c Absätze 1 bis 3 IfSG mit Art. 12 Abs. 1 GG führt zur Nichtigkeit dieser Regelung. Für eine vom Grundsatz der Nichtigkeitserklärung nach § 95 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 78 Satz 1 BVerfGG abweichende Unvereinbarkeitserklärung (vgl. BVerfGE 155, 310 <355 Rn. 103> - Kommunales Bildungspaket) besteht schon wegen der gegebenen Unzuständigkeit des tätig gewordenen Gesetzgebers für die konkret getroffene Norm kein hinreichender Anlass. Die Nichtigkeitserklärung ist auf § 5c Absätze 4 bis 7 IfSG zu erstrecken, weil diese Regelungen mit der gesetzlich definierten Zuteilungsentscheidung und den hierfür vorgesehenen materiellen Kriterien in unlösbarem Zusammenhang stehen und einzig aus ihr ihre Rechtfertigung beziehen (vgl. BVerfGE 166, 196 <286 Rn. 238> − Gefangenenvergütung II).

140Die Auslagenentscheidung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

141Die Entscheidung ist mit 6 : 2 Stimmen ergangen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rs20250923.1bvr228423

Fundstelle(n):
CAAAK-03384