Instanzenzug: Az: 66 KLs 20/24
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagte vom Vorwurf der Körperverletzung in vier Fällen sowie des versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die mit der Sachrüge geführte Revision der Angeklagten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
I.
2Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3Am schlug die Angeklagte in einem Supermarkt einem Unbeteiligten unvermittelt und ohne Anlass mit der flachen Hand auf die Wange, nachdem sie verhaltensbedingt des Marktes verwiesen worden war (Fall 1 der Urteilsgründe).
4Am trat die Angeklagte einem siebenjährigen Jungen unvermittelt und ohne Anlass von der Seite mit der Fußspitze in den Bauch bzw. gegen die Brust, als er mit seiner Mutter und seiner achtjährigen Schwester eine Marktpassage betrat (Fall 2 der Urteilsgründe).
5Am fragte die Angeklagte die spätere Geschädigte und deren Begleiter erfolglos nach Kleingeld und entfernte sich zunächst auf die andere Straßenseite, kehrte dann aber zurück und schlug die Geschädigte unvermittelt und ohne Anlass mit der flachen Hand gegen die Wange (Fall 3 der Urteilsgründe).
6Am fragte die Angeklagte die spätere Geschädigte und deren Begleiterin im Vorbeilaufen erfolglos nach einer Zigarette und lief zunächst wenige Schritte weiter, kehrte dann um und versetzte der Geschädigten unvermittelt und ohne Anlass eine schmerzhafte Ohrfeige mit der flachen Hand gegen Wange bzw. Ohr (Fall 4 der Urteilsgründe).
7Am näherte sich die Angeklagte den an einer Fußgängerampel stehenden Passanten von hinten, wobei sie erkannte, dass die Fußgängerampel rot und – da einige Sekunden zuvor ein Linienbus die Kreuzung durchfahren hatte – die Ampel für den Bus- und Straßenverkehr noch grün zeigte. Unvermittelt stieß sie eine dort wartende Passantin von hinten kräftig mit beiden Händen auf Höhe des Schulterblattes. Überrascht durch den unerwarteten kräftigen Stoß stolperte die Geschädigte mit einem Ausfallschritt mindestens einen Meter nach vorn auf die Busspur der Straße. Der Fahrer des zu diesem Zeitpunkt die Busspur mit ca. 30 km/h befahrenden nächsten Linienbusses bemerkte die Geschädigte, als der Bus noch etwa 30 Meter von der Ampel entfernt war. Um eine Kollision zu verhindern und zugleich eine Gefährdung der Fahrgäste zu vermeiden, lenkte er den Bus unter Geschwindigkeitsreduzierung auf ca. 15 km/h nach links auf die zweite Fahrspur. Der Spurwechsel war abgeschlossen, als der Bus noch sechs bis sieben Meter von der Geschädigten entfernt war. Dieser gelang es zeitgleich, zurück auf den Bürgersteig zu springen. Zu einer Kollision kam es so nicht; die Geschädigte blieb unverletzt. Die Angeklagte nahm jedenfalls billigend in Kauf, dass die Geschädigte von dem Bus erfasst und hierdurch schwer verletzt wird. Sie entfernte sich sodann vom Ort des Geschehens (Fall 5 der Urteilsgründe).
8Die Strafkammer hat diese Taten als Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB (Fälle 1 bis 4 der Urteilsgründe) und als versuchten „vorsätzlichen“ gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, § 315 Abs. 3 Nr. 2, §§ 22, 23 StGB in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5, §§ 22, 23 StGB (Fall 5 der Urteilsgründe) gewertet. Sachverständig beraten ist sie davon ausgegangen, dass bei allen Taten die Einsichtsfähigkeit der Angeklagten, die zu den jeweiligen Tatzeitpunkten an einer paranoiden Schizophrenie litt, vollständig aufgehoben war. Die Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat die Strafkammer darauf gestützt, dass es sich jedenfalls bei den Fällen 2 und 5 der Urteilsgründe um erhebliche rechtswidrige Taten im Sinne von § 63 Satz 1 StGB handele und von der Angeklagten infolge ihrer krankhaften seelischen Störung mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades auch künftig erhebliche rechtswidrige Taten – insbesondere den Fällen 2 und 5 der Urteilsgründe vergleichbarer Art – zu erwarten seien.
II.
9Das angefochtene Urteil des Landgerichts hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
101. Die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) erweist sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft. Die Urteilsgründe verhalten sich nicht dazu, ob die Angeklagte im Fall 5 der Urteilsgründe von dem vom Landgericht bejahten Versuch eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und einer gefährlichen Körperverletzung zurückgetreten ist.
11a) Für die Frage, ob der Versuch einer Straftat fehlgeschlagen, beendet oder unbeendet ist, kommt es auf das Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (sog. Rücktrittshorizont; vgl. nur , NStZ-RR 2024, 40, 41 mwN). Ein freiwilliger Rücktritt vom Versuch ist nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil der Zurücktretende schuldunfähig war. Die freiwillige Aufgabe der weiteren Tatausführung kann auch mit natürlichem Vorsatz geschehen (vgl. , juris Rn. 12; Urteil vom – 2 StR 313/70, BGHSt 23, 356, 359 f.; LK-StGB/Murmann, 14. Aufl., § 24 Rn. 283 mwN). Lässt sich den Urteilsfeststellungen das Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsgerichtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand (vgl. , NStZ 2018, 468; Urteil vom – 4 StR 99/15, StV 2017, 675, 676 mwN).
12b) Dies ist hier der Fall. Das Landgericht hat weder ausdrückliche Feststellungen zum Rücktrittshorizont der Angeklagten getroffen noch aus seinen Feststellungen Rückschlüsse auf das Vorstellungsbild der Angeklagten nach Abschluss der Tathandlung gezogen. Dieses lässt sich auch nicht dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen oder aus dem äußeren Geschehensablauf erschließen. Es fehlt an Feststellungen dazu, ob die Angeklagte die Geschädigte nochmals auf die Straße hätte stoßen können, ob die Busspur und ggf. die linke Fahrspur weiterhin befahren waren und ob die Fußgängerampel noch rot zeigte. Der lediglich festgestellte Umstand, dass sich die Angeklagte „sodann“ entfernte, lässt keinen sicheren Schluss auf ihren Rücktrittshorizont zu. Somit bleibt offen, ob der vom Landgericht angenommene Versuch eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung fehlgeschlagen, beendet oder unbeendet war. Dies durfte indes nicht dahinstehen, da die Angeklagte im Fall eines unbeendeten Versuchs gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Variante 1 StGB bereits durch freiwilliges Abstandnehmen von weiteren Ausführungshandlungen wirksam von dem Versuch zurückgetreten wäre (vgl. , NStZ-RR 2024, 319, 320; Beschluss vom – 4 StR 531/17, NStZ 2018, 468 mwN).
13c) Der Erörterungsmangel führt zur Aufhebung der Unterbringungsanordnung. Da der Wille, die Tat nicht zur Vollendung kommen zu lassen, dem Verhalten des Täters in der Regel seine besondere Gefährlichkeit nimmt, kann der Senat – trotz der weiteren für eine Gefährlichkeit der Angeklagten sprechenden Umstände – nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei der Annahme eines Rücktritts zu einer anderen Bewertung der Gefährlichkeitsprognose gelangt wäre (st. Rspr.; vgl. etwa , juris Rn. 5; Beschluss vom – 4 StR 82/24 Rn. 6; Urteil vom – 4 StR 472/82, BGHSt 31, 132, 135 mwN). Dessen ungeachtet kann eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auch nicht auf den Versuch einer Tat gestützt werden, von deren weiterer Ausführung der Täter strafbefreiend zurückgetreten ist (vgl. Rn. 6; Urteil vom – 4 StR 472/82, BGHSt 31, 132, 135). Der Senat hebt die bisher zu Fall 5 der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.
142. Die Feststellungen zu den Fällen 1 bis 4 der Urteilsgründe sind ebenfalls nicht frei von Rechtsfehlern. In diesen Fällen ist die Überzeugung der Strafkammer von der Täterschaft der Angeklagten nicht hinreichend beweiswürdigend unterlegt.
15a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem allein es obliegt, die Ergebnisse der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist auf das Vorliegen von Rechtsfehlern beschränkt. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht u.a. der Fall, wenn die in den Urteilsgründen niedergelegten Beweiserwägungen lückenhaft oder unklar sind. Besondere Darlegungsanforderungen bestehen dabei in schwierigen Beweislagen, zu denen auch Konstellationen zählen, in denen der Tatnachweis im Wesentlichen auf einem Wiedererkennen des Angeklagten durch einen Tatzeugen beruht. Der Tatrichter ist hier regelmäßig verpflichtet, die Angaben des Zeugen zur Täterbeschreibung zumindest in gedrängter Form wiederzugeben und diese Täterbeschreibung zu dem Äußeren und dem Erscheinungsbild des Angeklagten in der Hauptverhandlung in Beziehung zu setzen. Er hat diejenigen Gesichtspunkte darzulegen, auf denen seine Folgerung beruht, dass insoweit tatsächlich Übereinstimmung besteht, und die Umstände wiederzugeben, die zur Identifizierung des Angeklagten durch den Zeugen geführt haben (vgl. , NStZ-RR 2017, 90; Beschluss vom – 4 StR 412/15, juris Rn. 3).
16b) Den hieraus folgenden Anforderungen werden die beweiswürdigenden Ausführungen des Landgerichts zu den Fällen 1 bis 4 der Urteilsgründe nicht gerecht. In den Fällen 1, 3 und 4 verhalten sich die Urteilsgründe weder dazu, wie die Angeklagte konkret als Täterin identifiziert wurde, noch zu einem etwaigen Wiedererkennen der Angeklagten durch die unmittelbaren Tatzeugen. Soweit die Strafkammer zu den Fällen 3 und 4 anführt, ein Polizeibeamter habe „die ihm aus dem Dienst bekannte“ Angeklagte „angetroffen“, genügt dies schon deshalb nicht, weil der Polizeibeamte die Angeklagte nur aufgrund der Angaben von Zeugen mittelbar als Täterin identifiziert haben kann und sie in Fall 4 auch nicht am Tatort antraf. Zu Fall 2 beschränken sich die Urteilsgründe auf die Mitteilung, die Zeugen hätten die Angeklagte „auch als die damalige Täterin“ wiedererkannt. Welche Merkmale hierfür maßgeblich waren und anhand welcher Kriterien das Landgericht die Beweisqualität dieses Wiedererkennens überprüft hat (vgl. , juris Rn. 5 mwN), lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen.
173. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Im Hinblick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist der Freispruch der Angeklagten mit aufzuheben (vgl. , juris Rn. 10 mwN).
III.
18Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass sich die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer im Rahmen der neu zu treffenden Feststellungen zu Fall 5 der Urteilsgründe genauer als bisher mit dem – natürlichen – Vorsatz der Angeklagten zu befassen haben wird.
191. Kann – wie hier – die Willensrichtung dafür entscheidend sein, ob sich die Handlung des Täters als eine die Unterbringung gemäß § 63 StGB begründende Verhaltensweise darstellt oder nicht, muss insbesondere der innere Tatbestand erörtert werden, soweit dies nach dem psychischen Zustand des Täters möglich ist (vgl. Rn. 13 mwN; Beschluss vom – 2 StR 338/13 Rn. 8; Beschluss vom – 1 StR 810/88, BGHR StGB § 63 Tat 2 mwN). Dabei wird zu beachten sein, dass es der Annahme eines natürlichen Tatvorsatzes nicht entgegensteht, wenn der Täter infolge seines Zustands Tatsachen verkennt, die jeder geistig Gesunde richtig erkannt hätte (vgl. ‒ 5 StR 189/14; Beschluss vom – 3 StR 222/08). Vorstellungsausfälle, die auf der psychischen Erkrankung beruhen, beeinträchtigen zwar die Verantwortlichkeit des Täters, führen aber nicht dazu, dass die sonst vorhandenen inneren Tatbestandsmerkmale verneint werden müssten (st. Rspr.; vgl. nur , juris Rn. 11; Beschluss vom – 4 StR 468/22 Rn. 13 mwN).
202. Der Tatbestand eines versuchten Delikts verlangt in subjektiver Hinsicht (Tatentschluss) das Vorliegen einer vorsatzgleichen Vorstellung, die sich auf alle Umstände des äußeren Tatbestands bezieht ( Rn. 8; Urteil vom – 4 StR 151/15, NJW 2015, 3732 Rn. 13).
21a) Im Fall des § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB muss es der Täter zumindest für möglich halten und billigend in Kauf nehmen, die Sicherheit des Straßenverkehrs durch das Bereiten von Hindernissen zu beeinträchtigen und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert zu gefährden.
22aa) Unter einem Hindernisbereiten im Sinne des § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB ist jede Einwirkung im Verkehrsraum zu verstehen, die geeignet ist, den reibungslosen Verkehrsablauf zu hemmen oder zu verzögern (vgl. ‒ 4 StR 283/95, BGHSt 41, 231, 234 mwN). Tatbestandlich erfasst werden auch solche Einwirkungen, die erst durch die psychisch vermittelte Reaktion des Fahrzeugführers zu einer Beeinträchtigung des Verkehrsablaufs führen, etwa weil sie Brems- oder Ausweichvorgänge mit den damit verbundenen Gefahren zur Folge haben. Daher kann es sich bei einem auf die Straße gestoßenen Menschen um ein Hindernis im Sinne des § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB handeln (vgl. ‒ 4 StR 123/06, NStZ 2007, 34, 35; Urteil vom , aaO 235).
23bb) Der Tatvorsatz bzw. Tatentschluss muss auch auf die Verursachung einer konkreten verkehrsspezifischen Gefahr gerichtet sein (vgl. , juris Rn. 11; Beschluss vom – 4 StR 68/21, juris Rn. 8 f.). Der Tatbestand des § 315b StGB ist dreistufig aufgebaut. Durch eine der in Abs. 1 bezeichneten Tathandlungen muss die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt und „dadurch“ eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines „anderen“ Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert begründet worden sein. Erforderlich ist danach, dass die Tathandlung eine abstrakte Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs bewirkt, die sich zu einer konkreten Gefahr für eines der genannten Schutzobjekte verdichtet (st. Rspr.; vgl. nur , juris Rn. 5; Beschluss vom – 4 StR 123/06, NStZ 2007, 34, 35; Urteil vom – 4 StR 103/02, BGHSt 48, 119, 122). Demgemäß ist der Tatbestand nur erfüllt, wenn die konkrete Gefahr auf einen infolge der Einwirkung des Täters regelwidrig ablaufenden Verkehrsvorgang zurückzuführen ist (, juris Rn. 14 mwN). Bei Außeneinwirkungen, die ‒ wie hier ‒ nicht durch eine vom Täter ausgenutzte Eigendynamik eines Fahrzeugs gekennzeichnet sind, ist eine verkehrsspezifische Gefahr nur dann zu bejahen, wenn der Fortbewegung des von dem Eingriff betroffenen Fahrzeugs in einer Weise entgegengewirkt wird, dass gerade infolge der Dynamik des Straßenverkehrs eine konkrete Gefahr für die Fahrzeuginsassen oder das Fahrzeug entsteht (grundlegend , BGHSt 48, 119, 124; vgl. dazu auch , juris Rn. 8; Beschluss vom – 4 StR 326/20 Rn. 3; Beschluss vom – 4 StR 349/17, NStZ-RR 2017, 356, 357; Beschluss vom – 4 StR 117/15, NStZ 2016, 407, 408). Die auf die Straße gestoßene Person, die das vom Täter dem Straßenverkehr bereitete Hindernis bildet, kann deshalb nicht zugleich der „dadurch“ gefährdete „andere“ Mensch im Sinne von § 315b Abs. 1 StGB sein (vgl. , NStZ 2007, 34 Rn. 5; Bosch, JA 2006, 900, 901). Für die Erfüllung des Tatbestands ist in Fällen der vorliegenden Art vielmehr erforderlich, dass der Täter eine Gefährdung der Insassen des von dem Hindernis betroffenen Fahrzeugs oder anderer Personen, etwa durch eine Notbremsung oder eine abrupte Ausweichbewegung, in seinen Tatentschluss aufgenommen hat. Ein auf die Gefährdung der auf die Straße gestoßenen Person beschränkter Vorsatz genügt nicht.
24b) Bei der Prüfung einer (versuchten) gefährlichen Körperverletzung wird sich das neue Tatgericht zu vergegenwärtigen haben, dass sowohl § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB als auch § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ihrem Wortlaut („mittels“) zufolge ein spezifisches Unmittelbarkeitserfordernis an die Tatbestandsverwirklichung knüpfen.
25aa) Eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB setzt voraus, dass die Art der Behandlung des Geschädigten durch den Täter nach den Umständen des Einzelfalls (generell) geeignet wäre, das Leben zu gefährden. Eine Lebensgefahr, die sich erst aus weiteren äußeren Umständen ergibt, reicht dafür nicht aus (vgl. Rn. 22; Beschluss vom – 4 StR 21/21 Rn. 4 mwN). Die bisher getroffenen Feststellungen belegen nicht, dass die Art der Behandlung – hier: das Stoßen auf die Busfahrspur – bereits für sich als lebensbedrohend in diesem Sinne angesehen werden kann. Der für das Landgericht ersichtlich maßgebliche Umstand, dass es infolge des durch den Stoß verursachten Stolperns der Geschädigten auf die Fahrbahn zu einem nachfolgenden, ihr Leben bedrohenden Unfallgeschehen hätte kommen können, ist für die rechtliche Bewertung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ohne Relevanz. In diesem Fall würde der Körperverletzungserfolg erst durch den nachfolgenden Unfall, nicht aber „mittels“ der Art der Behandlung durch den Täter eintreten (vgl. , juris Rn. 6; Beschluss vom – 4 StR 123/06, NStZ 2007, 34 Rn. 6). Anders wäre dies nur dann, wenn der Täter das Opfer direkt vor oder gegen ein herannahendes Fahrzeug stößt, so dass der von ihm gegebene Impuls selbst den Zusammenprall mit dem Fahrzeug herbeiführt.
26bb) Einen auf die Begehung einer gefährlichen Körperverletzung in der Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gerichteten Vorsatz hat, wer eine andere Person durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB misshandeln oder an der Gesundheit beschädigen will oder dies zumindest billigend in Kauf nimmt (vgl. etwa NStZ-RR 2015, 244; Urteil vom – 4 StR 551/12 Rn. 24; Beschluss vom – 4 StR 30/12, NStZ 2012, 697, 698). Ein fahrendes Kraftfahrzeug, das zur Verletzung einer Person eingesetzt wird, ist in der Regel als ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB anzusehen (vgl. , juris Rn. 24 mwN). Wird ein Kraftfahrzeug als Werkzeug eingesetzt, muss die Verletzung aber bereits durch den Anstoß selbst ausgelöst und auf einen Kontakt zwischen Fahrzeug und Körper zurückzuführen sein (st. Rspr.; vgl. nur , juris Rn. 19; Beschluss vom – 4 StR 514/22 Rn. 17; Beschluss vom – 4 StR 488/17; Beschluss vom ‒ 4 StR 594/15, NStZ 2016, 724 mwN). Der innere Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist daher nur dann erfüllt, wenn sich der Täter wenigstens mit der Möglichkeit abgefunden hat, dass die betroffene Person angefahren oder überfahren wird und unmittelbar hierdurch eine Körperverletzung erleidet (NStZ-RR 2015, 244 mwN; vgl. auch Beschluss vom – 4 StR 292/12 Rn. 10). Da es für den Tatbestand ohne Bedeutung ist, ob das Werkzeug gegen den Menschen oder der Mensch gegen das Werkzeug bewegt wird (vgl. , BGHSt 22, 235, 236; RGSt 24, 372, 373; LK-StGB/Grünewald, 13. Aufl., § 224 Rn. 21; LPK-StGB/Kindhäuser/Hilgendorf, 10. Aufl., § 224 Rn. 10; Fischer, StGB, 72. Aufl., § 224 Rn. 12; Heger in Lackner/Kühl, StGB, 31. Aufl., § 224 Rn. 4), kann eine (versuchte) gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB auch dann vorliegen, wenn der Täter das Opfer gezielt vor ein herannahendes Fahrzeug stößt (vgl. Engländer in Matt/Renzikowski, StGB, 2. Aufl., § 224 Rn. 10).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:290725B4STR280.25.0
Fundstelle(n):
GAAAK-03027