Aufstockungsbetrag bei Postbeschäftigungsunfähigkeit
Leitsatz
Nach § 5 Abs. 5 Buchst. d des Tarifvertrags zur Regelung des Besitzstandes aus der bisherigen VAP-Zusatzversorgung (TV BZV) vom ruht der Anspruch auf einen Aufstockungsbetrag zur Rente wegen Postbeschäftigungsunfähigkeit, solange und soweit dem Betriebsrentenempfänger die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung aus versicherungsrechtlichen Gründen abgelehnt wird, weil er der Verpflichtung zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Rente nicht nachgekommen ist, ohne dass es auf eine fiktive Betrachtung ankommt, ob auch aus anderen Gründen kein Rentenanspruch bestanden hätte.
Instanzenzug: Az: 17 Ca 375/21 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamburg Az: 4 Sa 37/23 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über einen Aufstockungsbetrag infolge Postbeschäftigungsunfähigkeit.
2Die 1957 geborene Klägerin war bei der Beklagten vom bis zum als Angestellte im Innendienst beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand ua. der Tarifvertrag zur Regelung des Besitzstandes aus der bisherigen VAP-Zusatzversorgung (TV BZV) vom kraft einzelvertraglicher Bezugnahme Anwendung.
3Der TV BZV enthält ua. folgende Regelungen:
4Nachdem die Klägerin im Jahr 2012 länger arbeitsunfähig erkrankt war, wurde sie im November 2012 auf Veranlassung der Beklagten betriebsärztlich untersucht. Mit Bescheinigung vom wurde ihr Postbeschäftigungsunfähigkeit attestiert. Am stellte sie einen Antrag auf Betriebsrente Post gemäß TV BZV. Das von der Klägerin unterschriebene Antragsformular enthielt folgende Ausführungen:
5Ab dem gewährte die Beklagte der Klägerin eine Betriebsrente iHv. 91,03 Euro, einen Besitzstandsbetrag iHv. 154,20 Euro sowie einen Aufstockungsbetrag iHv. 596,19 Euro im Monat. Die Klägerin beantragte eine Erwerbsminderungsrente bei der Deutschen Rentenversicherung. Der Antrag wurde durch Bescheid vom mit der Begründung abgelehnt, die Klägerin sei zwar aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, in ihrem bisherigen Beruf als Postmitarbeiterin zu arbeiten. Indes stünden gesundheitliche Gründe einer sonstigen Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für wöchentlich sechs Stunden oder mehr nicht entgegen. Auch die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung lägen nicht vor. Auf erneute Antragstellung vom beschied die Deutsche Rentenversicherung die Klägerin mit Bescheid vom gleichermaßen.
6Die Beklagte forderte die Klägerin mit Schreiben vom , und auf, einen Nachweis über freiwillig entrichtete Versicherungsbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung vorzulegen. Die Klägerin beantragte in den Jahren 2016 und 2017 erneut die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Die Deutsche Rentenversicherung lehnte die Anträge mit Bescheiden vom und mit der Begründung ab, die Klägerin erfülle nicht die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Sie hätte mindestens 36 Monate Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung erbringen müssen, in diesem Zeitraum jedoch nur zwölf Monate mit Pflichtbeiträgen vorzuweisen. Freiwillige Beiträge habe sie nicht geleistet.
7Am fand eine weitere betriebsärztliche Untersuchung der Klägerin statt, bei der weiterhin ihre Postbeschäftigungsunfähigkeit festgestellt wurde. Die Beklagte teilte ihr unter Hinweis auf den ablehnenden Bescheid der Deutschen Rentenversicherung vom mit Schreiben vom mit, dass der Aufstockungsbetrag ab dem nicht mehr gewährt werde.
8Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe weiterhin Anspruch auf den Aufstockungsbetrag. § 5 Abs. 5 Buchst. d TV BZV sei so auszulegen, dass eine Widerlegung des Kausalzusammenhangs zwischen der Nichterhaltung der Rentenanwartschaft durch Zahlung freiwilliger Beiträge und der Versagung der Erwerbsminderungsrente möglich sei. § 5 Abs. 3, Abs. 5 Buchst. d TV BZV sei wegen eines Verstoßes gegen Art. 12, 14 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG unter Berücksichtigung der Wertungen des KSchG sowie des TzBfG unwirksam. Eine auflösende Bedingung könne in Tarifverträgen nur vorgesehen werden, wenn Arbeitnehmer zugleich wirtschaftlich durch dauerhafte Rentenleistungen abgesichert seien. Im Übrigen mache der Tarifvertrag die gesetzlich vorgesehene freiwillige Beitragsleistung zu einer Pflichtbeitragsleistung. Damit stehe die Tarifregelung im Widerspruch zum gesetzlichen Leitbild. Für Menschen mit einfachem Bildungshintergrund sei die Regelung mit zu hohen Anforderungen verbunden.
9Die Klägerin hat beantragt,
10Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
11Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin die Zahlungsansprüche für den Zeitraum vom bis zum weiter. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.
Gründe
12Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.
13I. Die Revision ist zulässig, insbesondere ausreichend begründet. Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Berufungsgericht die Begründung des Arbeitsgerichts in Bezug genommen hat, setzt sich die Revision ausreichend mit den Erwägungen des Berufungsurteils auseinander (vgl. zu den Anforderungen - Rn. 9). Die Klägerin macht eine abweichende Auslegung des § 5 Abs. 5 Buchst. d TV BZV geltend. Zwar hat sich das Arbeitsgericht auch mit einem Ausschluss des Anspruchs der Klägerin wegen eines Verstoßes gegen § 5 Abs. 3 Satz 2 TV BZV - der Pflicht zur Wiederholung des Rentenantrags - befasst. Aus dem Berufungsurteil wird aber nicht hinreichend deutlich, dass sich das Landesarbeitsgericht auch diese Begründung für den in der Revision noch streitigen Zeitraum tragend zu eigen gemacht hat.
14II. Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin gegen die klageabweisende Entscheidung des Arbeitsgerichts betreffend die Ansprüche für den Zeitraum vom bis zum zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist im noch anhängigen Umfang zulässig, aber unbegründet.
151. Die Klage ist auch in Bezug auf die Zinsforderung ausreichend bestimmt, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Anders als in der Entscheidung des Senats vom (- 3 AZR 349/20 - Rn. 17) gibt die Klägerin Beträge und Zeiträume an, für die sie Zinsen verlangt. Damit lassen sich die Zinsforderungen klar und eindeutig bestimmen. Ob sie für den jeweiligen Zeitraum den vollen Zinssatz auf den jeweils vollen Betrag verlangen kann, ist eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit des Antrags.
162. Die Klage ist unbegründet. Der Anspruch der Klägerin ruhte im streitgegenständlichen Zeitraum vom bis zum gemäß § 5 Abs. 5 Buchst. d TV BZV.
17a) § 5 Abs. 5 Buchst. d TV BZV bestimmt, dass der Anspruch auf den Aufstockungsbetrag ruht, solange und soweit dem Betriebsrentenempfänger die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung aus versicherungsrechtlichen Gründen abgelehnt wird, weil er der Verpflichtung zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Rente nicht nachgekommen ist.
18b) Diese Umstände für ein Ruhen des Anspruchs auf den Aufstockungsbetrag lagen bei der Klägerin im fraglichen Zeitraum vor. Aufgrund der Bescheide der gesetzlichen Rentenversicherung vom und steht fest, dass ihr die Zahlung einer Rente aus versicherungsrechtlichen Gründen abgelehnt wurde. Statt der erforderlichen 36 Monate Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in den letzten fünf Jahren (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI) hatte sie nur zwölf Monate mit Pflichtbeiträgen vorzuweisen. Von der Möglichkeit einer Ersetzung durch freiwillige Beiträge (§ 55 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI) hatte sie keinen Gebrauch gemacht.
19c) Es ist gemäß § 5 Abs. 5 Buchst. d TV BZV allein auf den Rentenbescheid und seine Begründung abzustellen. Unerheblich ist, ob der Klägerin für den Fall, dass sie durch das Leisten freiwilliger Beiträge die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt hätte, eine Rente bewilligt worden wäre. Der tarifliche Ruhenstatbestand stellt allein darauf ab, dass die gesetzliche Rentenversicherung eine Rentenzahlung abgelehnt hat, weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Auf eine fiktive Betrachtung, ob möglicherweise auch aus anderen Gründen kein Rentenanspruch bestanden hätte, kommt es nach der Tarifbestimmung entgegen der Auffassung der Klägerin nicht an. Auch das Merkmal „erforderlichenfalls“ in § 5 Abs. 3 Satz 3 TV BZV bezieht sich nicht auf die Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente in materieller Hinsicht. Es stellt vielmehr auf das Erfordernis freiwilliger Beiträge ab, wenn die Pflichtbeiträge für eine Versorgung aufgrund der gesetzlichen Rentenversicherung nicht ausreichen.
20aa) Für dieses Verständnis sprechen - neben dem klaren Wortlaut der Tarifnorm - vor allem der erkennbare Sinn und Zweck sowie die Praktikabilität der Regelung. § 5 Abs. 5 Buchst. d TV BZV vermeidet, dass die Beklagte hypothetisch die inhaltlichen Anforderungen einer Erwerbsminderungsrente iSd. gesetzlichen Rentenversicherung neben der Feststellung der Postbeschäftigungsunfähigkeit - die nicht mit einer Erwerbsminderung identisch ist - prüfen muss. Ob die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Bezug einer Erwerbsminderungsrente vorliegen, soll nach dem Regelungskonzept nicht durch die Tarifunterworfenen, sondern durch den zuständigen Rentenversicherungsträger geprüft werden. Der Aufstockungsbetrag soll zudem, wie sich aus § 5 Abs. 1 Satz 2 TV BZV wie auch § 4 Abs. 2 Satz 2 TV BZV ergibt, eine gegenüber der gesetzlichen Rente subsidiäre Leistung nur für den Fall darstellen, dass keine gesetzliche Altersrente oder volle Erwerbsminderungsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wird. Der Ruhenstatbestand des § 5 Abs. 5 Buchst. d TV BZV stellt dabei sicher, dass dieser Charakter nicht in der Weise durch das Verhalten der Betriebsrentenempfänger unterlaufen werden kann, dass sie nicht die gesetzlich möglichen freiwilligen Beiträge zur Aufrechterhaltung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung zahlen.
21bb) Dies dient dem berechtigten Interesse der Beklagten, ihre Kosten zu begrenzen, soweit Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung erbracht werden oder dieses bei Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zumindest in Betracht kommt. Dem entspricht die Verpflichtung des Betriebsrentenempfängers gemäß § 5 Abs. 3 Satz 3 TV BZV, die Anwartschaft auf gesetzliche Rente erforderlichenfalls durch Zahlung freiwilliger Beiträge aufrechtzuerhalten, um bei einer Verschlechterung oder Veränderung des Gesundheitszustands in den Genuss der gesetzlichen Rente gelangen zu können.
22cc) Eine teleologische Reduktion oder ergänzende Vertragsauslegung im Sinne des Verständnisses der Klägerin scheidet aus. Weder liegt - ausgehend vom Willen der Tarifvertragsparteien - die hierfür erforderliche unbewusste Regelungslücke vor, noch ist die Regelung nachträglich lückenhaft geworden (vgl. zu den Voraussetzungen einer ergänzenden Tarifauslegung: - Rn. 29; - 6 AZR 460/18 - Rn. 26 mwN; - 3 AZR 23/11 - Rn. 29 mwN).
233. Grundrechtliche Wertungen stehen der Auslegung nicht entgegen. Der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG ist nicht betroffen. Der Klägerin wird nichts genommen, sondern nur unter bestimmten Voraussetzungen etwas nicht gewährt, worauf sie nicht einschränkungslos vertrauen durfte. Die Verpflichtung, die Anwartschaft auf gesetzliche Rente erforderlichenfalls durch Zahlung freiwilliger Beiträge aufrechtzuerhalten, ist nicht nur in § 5 Abs. 3 Satz 3 TV BZV geregelt. Die Klägerin wurde hierauf außerdem bereits bei Antragstellung im Jahr 2013 ausdrücklich hingewiesen. Aus § 12 Abs. 1 GG kann die Klägerin für ihre Versorgungsansprüche ebenfalls nichts für sie Günstiges ableiten. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen ihr Arbeitsverhältnis wirksam beendet werden konnte, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.
244. Die Bestimmung des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 BetrAVG, wonach Leistungen der betrieblichen Altersversorgung durch Anrechnung von Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen nur insoweit gekürzt werden dürfen, wie diese auf Pflichtbeiträgen beruhen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Ruhenstatbestand des § 5 Abs. 5 Buchst. d TV BZV bewirkt keine Kürzung oder Anrechnung von Leistungen der Ansprüche der Berechtigten in diesem Sinne. Die Zusage der Beklagten ist insoweit vielmehr bereits von Anfang an beschränkt. Ob der Anrechnungstatbestand des § 5 Abs. 4 TV BZV der gesetzlichen Anordnung in § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 BetrAVG genügt oder Leistungen aufgrund freiwilliger Beiträge ausnehmen muss, ist hier nicht entscheidungserheblich (vgl. hierzu ErfK/Steinmeyer 25. Aufl. BetrAVG § 5 Rn. 12 mwN).
255. Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin schließlich auf § 28 Abs. 3 VVG. Ungeachtet der Frage, unter welchen Voraussetzungen danach die Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit mangels Ursächlichkeit für den Eintritt des Versicherungsfalls nicht zur Leistungsfreiheit des Versicherers führt, bestand zwischen den Parteien kein Versicherungsvertrag, in dem eine vertragliche Obliegenheit verletzt werden konnte (vgl. - Rn. 12).
26III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2025:240625.U.3AZR157.24.0
Fundstelle(n):
DAAAK-03015