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BSG Urteil v. - B 5 R 17/23 R

Instanzenzug: Az: S 11 R 3027/21 Urteilvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg Az: L 11 R 1001/22 Urteil

Tatbestand

1Die Klägerin begehrt die Auskehrung der Nachzahlung einer rückwirkend für denselben Zeitraum bewilligten Rente wegen voller statt teilweiser Erwerbsminderung.

2Die Beklagte gewährte der Klägerin zunächst eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (Bescheid vom ) und nach weiteren Ermittlungen im Widerspruchsverfahren eine Rente wegen voller Erwerbsminderung (Bescheid vom ), jeweils rückwirkend zum Antragsmonat April 2019. Die Rente wegen voller Erwerbsminderung zahlte die Beklagte ab August 2021 laufend an die Klägerin aus. Ab diesem Zeitpunkt hob sie zugleich mit Bescheid vom ihren Bescheid vom auf. Für April 2019 bis Juli 2021 errechnete sie eine Nachzahlung iHv 39 081,99 Euro. Von diesem Betrag seien bereits 23 688,88 Euro an die Bundesagentur für Arbeit für das von der Klägerin zu Unrecht vom bis zum bezogene Arbeitslosengeld erstattet worden. Die verbleibende Nachzahlung iHv 15 393,11 Euro sei geringer als die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die die Klägerin in der Zeit von April 2019 bis Juli 2021 iHv insgesamt 19 541,15 Euro erhalten habe. Ihr Anspruch auf die Rente wegen voller Erwerbsminderung gelte deshalb als erfüllt. Ein Nachzahlungsbetrag ergebe sich hiernach nicht (Abrechnungsmitteilung vom ). Den Widerspruch der Klägerin, mit dem sie geltend machte, dass die Überzahlung, die während des parallelen Bezugs der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und dem Arbeitslosengeld entstanden sei, nicht mit ihrem Nachzahlungsanspruch für den Zeitraum nach dem Ende des Arbeitslosengeldbezugs zu verrechnen sei, wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom ).

3Das SG hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen (Urteil vom ). Das LSG hat das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 5546,32 Euro zu zahlen. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Zwar erhalte die Klägerin für den streitbefangenen Zeitraum von April 2019 bis Juli 2021 insgesamt 9694,36 Euro mehr, als sie bezogen hätte, wenn ihr eine Rente wegen voller Erwerbsminderung von Anfang an bewilligt worden wäre. Jedoch könnten die für den Zeitraum vom bis zum ausgezahlten Leistungen (Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und Arbeitslosengeld) nicht mit der für den darauf folgenden Zeitraum ab dem gewährten Rente wegen voller Erwerbsminderung verrechnet werden. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 89 Abs 1 Satz 5 SGB VI. Ein "Zusammentreffen der Renten" iS dieser Regelung könne sich nur auf denselben Bezugszeitraum beziehen. Dies erfordere eine monatliche Betrachtung. Ein rückwirkend zuerkannter Anspruch auf Gewährung einer höheren Rente könne nur durch eine für denselben Monat gewährte niedrigere Rente als erfüllt gelten. Anderenfalls könnte die Beklagte als Herrin des Verwaltungs- und Vorverfahrens maßgeblich - ggf auch durch eine hinauszögernde Bearbeitung - beeinflussen, in welcher Höhe sie sich eine Überzahlung von dem Rentenberechtigten zurückholen könne (Urteil vom ).

4Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 89 Abs 1 SGB VI. Entgegen der Auffassung des LSG sehe die Vorschrift keine monatsweise Betrachtung der in Rede stehenden Beträge bei der Abrechnung der Nachzahlung vor. Zu berücksichtigen seien vielmehr die jeweiligen Beträge im gesamten Nachzahlungszeitraum.

5Die Beklagte beantragt,das aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das insgesamt zurückzuweisen.

6Die im Revisionsverfahren nicht vertretene Klägerin hat keinen Antrag gestellt.

Gründe

7I. Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Das Urteil des LSG war aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG insgesamt zurückzuweisen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten über die Abrechnung der Rentennachzahlung (sog Abrechnungsmitteilung) ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs 2 Satz 1 SGG). Zu Recht hat die Beklagte die Auskehrung eines weiteren Nachzahlungsbetrags an die Klägerin abgelehnt.

8II. Die Abrechnungsmitteilung der Beklagten vom , die einen Verwaltungsakt iS von § 31 Satz 1 SGB X darstellt (vgl hierzu - SozR 4-1300 § 31 Nr 15 RdNr 11 ff), ist formell rechtmäßig. Vor ihrem Erlass hörte die Beklagte die Klägerin zwar nicht an (§ 24 Abs 1 SGB X). Der Anhörungsmangel wurde aber gemäß § 41 Abs 1 Nr 3 SGB X im Widerspruchsverfahren geheilt, weil die Beklagte der Klägerin zuvor in dem angefochtenen Bescheid die entscheidungserheblichen Gesichtspunkte mitgeteilt und die Klägerin damit nachträglich Gelegenheit zur sachgerechten Äußerung erhalten hatte (vgl hierzu - für BSGE und SozR vorgesehen - juris RdNr 23 mwN; speziell zur Abrechnungsmitteilung - SozR 4-1300 § 31 Nr 15 RdNr 27). Aus der angefochtenen Abrechnungsmitteilung ergibt sich, dass die Beklagte den Nachzahlungsanspruch wegen der Erstattungsforderung der Bundesagentur für Arbeit und der im Nachzahlungszeitraum insgesamt gezahlten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung als erfüllt erachtete. Die Klägerin nutzte mit ihrem Widerspruch die Gelegenheit zur sachgerechten Äußerung. Selbst wenn man für die Heilung des Anhörungsmangels darüber hinaus eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Widerspruchsvorbringen verlangen wollte (vgl Baumeister in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl 2023, § 41 RdNr 56 mwN; s auch - BVerwGE 153, 367 - juris RdNr 17 mwN), wäre diese Anforderung gleichfalls erfüllt, indem die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom auf das Vorbringen der Klägerin hin die Erfüllungsfiktion für den gesamten Nachzahlungsbetrag nochmals erläuterte.

9III. Die Abrechnungsmitteilung ist auch materiell rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Auszahlung der Nachzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum von April 2019 bis Juli 2021 aus § 89 Abs 1 Satz 6 SGB VI in der seit dem geltenden Fassung des Gesetzes über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetz) vom (BGBl I 2016). Danach ist ein unter Berücksichtigung von Erstattungsansprüchen anderer Leistungsträger verbleibender Nachzahlungsbetrag aus einer höheren oder ranghöheren Rente aus eigener Versicherung vom Rentenversicherungsträger nur auszuzahlen, soweit er die niedrigere oder rangniedrigere Rente übersteigt. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

10Der Auszahlungsanspruch der Klägerin ist durch Erfüllung erloschen (§ 362 Abs 1 BGB; vgl dazu, dass die Vorschrift auch für Ansprüche auf Sozialleistungen gilt, - SozR 4-1300 § 31 Nr 15 RdNr 28; - SozR 4-3500 § 74 Nr 4 RdNr 27; - BSGE 80, 41 = SozR 3-2200 § 1303 Nr 6 - juris RdNr 15). Dies folgt aus § 89 Abs 1 Satz 5 SGB VI in der seit dem geltenden Fassung des RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetzes vom (BGBl I 2016). Danach gilt für den Zeitraum des Zusammentreffens der Rentenansprüche bis zum Beginn der laufenden Zahlung der Anspruch auf die höhere oder ranghöhere Rente nach Berücksichtigung von Erstattungsansprüchen anderer Leistungsträger bis zur Höhe der gezahlten niedrigeren oder rangniedrigeren Rente als erfüllt. Die Voraussetzungen dafür sind gegeben. Nach Erfüllung des Erstattungsanspruchs der Bundesagentur für Arbeit für das an die Klägerin im Nachzahlungszeitraum geleistete Arbeitslosengeld (dazu unter 1.) und nach Abzug der bezogenen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (dazu unter 2.) verbleibt kein an die Klägerin auszukehrender Auszahlungsbetrag mehr.

111. Dem Anspruch der Klägerin auf Nachzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum von April 2019 bis Juli 2021 iHv 39 081,99 Euro steht zunächst der Erstattungsanspruch der Bundesagentur für Arbeit iHv 23 688,88 Euro für das in der Zeit vom bis zum geleistete Arbeitslosengeld nach § 145 Abs 3 Satz 1 SGB III in der seit dem geltenden Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom (BGBl I 2854) iVm § 103 SGB X entgegen. Nach § 145 Abs 3 Satz 1 SGB III steht der Bundesagentur für Arbeit ein Erstattungsanspruch entsprechend § 103 SGB X gegen den Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zu, wenn der leistungsgeminderten Person - hier der Klägerin - vom Rentenversicherungsträger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannt wird. Dies folgt aus § 156 Abs 2 Satz 2 SGB III in der seit dem geltenden Fassung des vorgenannten Gesetzes vom , der bei der Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung die entsprechende Anwendung von § 145 Abs 3 SGB III anordnet. Damit hat die Arbeitslosengeld leistende Bundesagentur für Arbeit bei rückwirkender Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung stets einen Erstattungsanspruch gegen den Rentenversicherungsträger(Kallert in Knickrehm/Roßbach/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 9. Aufl 2025, § 156 RdNr 26; Schaumberg in LPK-SGB III, 4. Aufl. 2025, § 156 RdNr 20; Aubel in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 3. Aufl 2023, Stand , § 145 RdNr 5 und 61; Scholz in Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III, 7. Aufl 2021, § 156 RdNr 68; ebenso zu den inhaltsgleichen Vorgängervorschriften § 125 Abs 3 Satz 1 und § 142 Abs 2 Satz 2 SGB III in ihren bis zum geltenden Fassungen - SozR 4-2600 § 89 Nr 3 RdNr 22; - SozR 4-1300 § 104 Nr 5 RdNr 29; - SozR 4-2600 § 89 Nr 2 RdNr 22; - juris RdNr 16). In dieser Höhe gilt der Nachzahlungsanspruch der Klägerin gemäß § 103 Abs 1 iVm § 107 Abs 1 SGB X als erfüllt. Darüber besteht zwischen den Beteiligten zu Recht auch kein Streit.

122. Die Auskehrung des danach noch verbleibenden Nachzahlungsbetrags iHv 15 393,11 Euro kann die Klägerin nicht verlangen. Die Beklagte hat im Zeitraum von April 2019 bis Juli 2021 bereits eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung iHv insgesamt 19 541,15 Euro geleistet. Damit ist auch insoweit nach § 89 Abs 1 Satz 5 Satz VI eine anspruchsvernichtende Erfüllung eingetreten (§ 362 Abs 1 BGB). Ein Nachzahlungsbetrag für die Klägerin verbleibt danach nicht.

13Die Beklagte war berechtigt, die Überzahlung, die während des parallelen Bezugs von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und Arbeitslosengeld mit der Rente wegen voller Erwerbsminderung entstanden ist, auch mit dem Nachzahlungsanspruch der Klägerin für den Zeitraum nach dem Ende des Bezugs des Arbeitslosengelds - ab dem bis zum - zu verrechnen. Entgegen der Ansicht des LSG ist im Rahmen der Erfüllungsfiktion des § 89 Abs 1 Satz 5 SGB VI bei der Gegenüberstellung der Beträge aus der (rang)höheren mit der (rang)niedrigeren Rente aus eigener Versicherung im Nachzahlungszeitraum keine monatsbezogene Saldierung vorzunehmen. Vielmehr ist eine den Nachzahlungszeitraum insgesamt umfassende Saldierung der Beträge - hier also von April 2019 bis Juli 2021 - durchzuführen. Diese Gesamtbetrachtung folgt aus dem Wortlaut (dazu unter a), der Gesetzessystematik (dazu unter b), der Entstehungsgeschichte (dazu unter c) sowie dem Sinn und Zweck der Vorschrift (dazu unter d).

14a) Der Wortlaut des § 89 Abs 1 Satz 5 SGB VI stellt für die Erfüllungsfiktion auf den "Zeitraum des Zusammentreffens der Rentenansprüche" ab. Der in der Norm verwendete Begriff "Zeitraum" bietet als Umschreibung eines bestimmen Zeitabschnitts oder Zeitrahmens keinen Anhalt dafür, diesen bei der Berechnung eines verbleibenden Nachzahlungsanspruchs des Versicherten aus der (rang)höheren Rente monatsbezogen einzugrenzen. Dem steht nicht entgegen, dass der "Monat" bzw der "Kalendermonat" als Zeitraum in der gesetzlichen Rentenversicherung von prägender Bedeutung ist (vgl hierzu - für SozR 4 vorgesehen - juris RdNr 28). So werden die Renten in einem Monatsbetrag berechnet und ausgezahlt (vgl § 63 Abs 6, § 64, § 99, § 118 Abs 1 Satz 1, § 272a Abs 1 Satz 1 SGB VI). Gerade vor diesem Hintergrund wäre es für den Gesetzgeber möglich und auch naheliegend gewesen, wenn er dies gewollt hätte, in § 89 Abs 1 SGB VI statt auf den "Zeitraum" auf den "(Kalender-)Monat" des Zusammentreffens der Rentenansprüche abzustellen. Dies hat er aber nicht getan. Vielmehr hat der Gesetzgeber als zeitliche Bezugsgröße für die Erfüllungsfiktion in § 89 Abs 1 Satz 5 SGB VI ausdrücklich "den Zeitraum des Zusammentreffens der Rentenansprüche bis zum Beginn der laufenden Zahlung" bestimmt. Dieser nach Beginn (erstmaliges Zusammentreffen der Rentenansprüche) und Ende (Beginn der laufenden Zahlung der <rang>höheren Rente) definierte Zeitrahmen, der typischerweise nicht in einem Kalendermonat abgeschlossen ist, sondern in der Regel mehrere Monate umfasst, impliziert, dass im Rahmen der Abrechnung von Nachzahlungsansprüchen von Versicherten bei der Gegenüberstellung der Beträge aus der (rang)höheren Rente und der (rang)niedrigeren Rente auf den gesamten Zeitraum, für den rückwirkend die (rang)höhere Rente parallel zur (rang)niedrigeren Rente bewilligt wurde, abzustellen ist.

15Auch der Wortlaut der Regelungen in § 89 Abs 1 Satz 6 und 7 SGB VI deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber für die Ermittlung der dort genannten Beträge den Gesamtzeitraum "des Zusammentreffens der Rentenansprüche bis zum Beginn der laufenden Zahlung" im Blick hatte. Diese Bestimmungen stellen - anders als etwa § 41a Abs 3 und 6 SGB II oder § 44a Abs 4 und 7 SGB XII für abschließende Leistungsfestsetzungen bei zuvor erfolgten vorläufigen Bewilligungen in der Grundsicherung - nicht auf Monate, sondern allein betragsbezogen für die Auszahlung auf den "verbleibende(n) Nachzahlungsbetrag" und für den Ausschluss der Rückforderung auf den "übersteigende(n) Betrag" ab. Schließlich wird durch das Tatbestandsmerkmal "für denselben Zeitraum" in § 89 Abs 1 Satz 3 SGB VI, auf den § 89 Abs 1 Satz 5 SGB VI verweist, klargestellt, dass eine Aufhebung des Bescheids über die (rang)niedrigere Rente - wie hier auch erfolgt - vom Beginn der laufenden Zahlung der (rang)höheren Rente für den gesamten Zeitraum zu erfolgen hat, in welchem beide Rentenansprüche zeitlich zusammentreffen. Dann aber erschließt sich nicht, aus welchem Grund dieser Gesamtzeitraum bis zum Beginn der laufenden Zahlung der (rang)höheren Rente nicht die zeitliche Bezugsgröße auch für die Berechnung eines verbleibenden Rentennachzahlungsbetrags sein sollte.

16b) Für eine gesamtzeitraumbezogene Betrachtungsweise sprechen darüber hinaus systematische Erwägungen. § 89 SGB VI steht im Vierten Unterabschnitt des Zweiten Kapitels des SGB VI, der mit "Zusammentreffen von Renten und Einkommen" überschrieben ist. Die Bestimmungen dieses Unterabschnitts haben gemeinsam, dass "Überversorgungen" von Versicherten verhindert werden sollen (vgl jeweils exemplarisch zu § 89 SGB VI: - SozR 4-2600 § 89 Nr 3 RdNr 17; - juris RdNr 17; zu § 93 SGB VI: - SozR 4-1200 § 14 Nr 13 RdNr 33; - SozR 3-2600 § 311 Nr 3 - juris RdNr 21; zu § 96a SGB VI: - BSGE 126, 14 = SozR 4-2600 § 96a Nr 18, RdNr 19; - juris RdNr 41; zu § 97 SGB VI: - für SozR 4 vorgesehen - juris RdNr 22). Daher ist es systemgerecht, bei dem in § 89 SGB VI geregelten Zusammentreffen mehrerer Rentenansprüche aus eigener Versicherung auf den gesamten Zeitraum abzustellen, in welchem die Rentenansprüche zusammenfallen, um auch bei einer nachträglichen Gewährung für denselben Zeitraum doppelte Rentenleistungen zu vermeiden. Überdies hat der Gesetzgeber in diesem Unterabschnitt einzelne Sonderregelungen unter Bezugnahme auf den Kalendermonat (§ 90 Abs 2 SGB VI), einen Teil des Monats (§ 93 Abs 2 Nr 1 SGB VI) oder sonstige Zeiträume (§ 93 Abs 4 Satz 2 SGB VI) getroffen. Auch dadurch wird deutlich, dass in § 89 Abs 1 SGB VI eine Beschränkung des Zeitrahmens, etwa auf monatliche Zeiteinheiten, nicht beabsichtigt ist.

17c) Das Auslegungsergebnis wird durch die Entstehungsgeschichte der Norm bestätigt. § 89 Abs 1 SGB VI wurde durch das RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetz vom (BGBl I 2016) mit Wirkung vom durch Satz 3 bis 7 SGB VI ergänzt.

18aa) Dass der Gesetzgeber bei der Ergänzung der Regelungen zum Verhältnis von (rang)höheren und (rang)niedrigeren Rentenansprüchen aus eigener Versicherung bei der Abwicklung von Nachzahlungsansprüchen der Versicherten eine Gesamtsaldierung der Beträge im Blick hatte, folgt schon aus dem Umstand, dass er in der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 89 Abs 1 Satz 6 und 7 SGB VI ausdrücklich und wiederholt auf die im "Nachzahlungszeitraum insgesamt" bereits gezahlte Rente abgestellt hat. So heißt es dort (Gesetzentwurf der Bundesregierung vom zum RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetz, BT-Drucks 19/4668 S 33 zu Nr 5 Buchst a) unter Hinweis auf § 89 Abs 1 Satz 5 SGB VI und die beiden vorgenannten Normen wie folgt: "Für den Zeitraum des Zusammentreffens der Rentenansprüche bis zum Aufhebungszeitpunkt gilt der Anspruch auf die höhere oder ranghöhere Rente bis zur Höhe der bereits gezahlten niedrigeren oder rangniedrigeren Rente als erfüllt (Erfüllungsfiktion nach § 89 Abs 1 Satz 5). Verbleibt nach Abrechnung von Erstattungsansprüchen anderer Leistungsträger noch ein Restnachzahlungsbetrag, wird dieser aufgrund der Erfüllungsfiktion nur in dem Umfang ausgezahlt, wie er die im Nachzahlungszeitraum insgesamt bereits gezahlte niedrigere oder rangniedrigere Rente übersteigt (§ 89 Abs 1 Satz 6). Ist der Restnachzahlungsbetrag aufgrund erfüllter Erstattungsansprüche kleiner als die im Nachzahlungszeitraum insgesamt gezahlte niedrigere oder rangniedrigere Rente, wird er vom Rentenversicherungsträger nicht ausgezahlt. Zugleich sind in diesem Fall - wie auch in dem Fall, in dem aufgrund entsprechend hoher Erstattungsansprüche keine Restnachzahlung verbleibt - keine Rentenbeträge von den Versicherten zurückzufordern (§ 89 Abs 1 Satz 7)." Die hier gewählte Formulierung "im Nachtzahlungszeitraum insgesamt" als der "Zeitraum des Zusammentreffens der Rentenansprüche bis zum Aufhebungszeitpunkt" spricht nachdrücklich dafür, dass bei der Gegenüberstellung der Beträge der (rang)höheren und der (rang)niedrigeren Rente keine monatsweise, sondern vielmehr eine den gesamten Nachzahlungszeitraum umfassende Betrachtung anzustellen ist (vgl in diesem Sinne ebenso Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, Stand Mai 2025, § 89 RdNr 10; Scharf in Keck/Michaelis, Die Rentenversicherung im SGB, Stand März 2025, § 89 RdNr 10; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, Stand Juni 2024, § 89 RdNr 11d).

19bb) Dieses Auslegungsergebnis des Senats wird durch den historischen Kontext bekräftigt, in dem die Gesetzesänderung steht. Mit den genannten Bestimmungen reagierte der Gesetzgeber insbesondere auf die Rechtsprechung des BSG zur Rückforderung der Überzahlung bei nachträglicher Bewilligung einer höheren Rente wegen voller Erwerbsminderung anstelle der bisherigen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für denselben Zeitraum (Hinweis im Gesetzentwurf auf die <B 13 R 33/15 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 4> und vom <B 5 R 26/15 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 3>). Er sah die Gefahr, dass nach den bestehenden Aufhebungsvorschriften eine Bescheidrücknahme regelmäßig nicht in Betracht kam, und darin einen Widerspruch zur Intention des § 89 Abs 1 Satz 1 SGB VI, wonach dem Versicherten nur die höchste Rente aus eigener Versicherung zu leisten sei. Deshalb wollte der Gesetzgeber mit der Einfügung von Satz 3 bis 7 in § 89 SGB VI für Anwendungsfälle des rückwirkenden Zusammentreffens von mehreren Renten eine - §§ 45 und 48 SGB X ersetzende - "spezialgesetzliche" Korrekturmöglichkeit schaffen. Damit sollte das Rückabwicklungsverfahren vereinfacht werden, um das Doppelzahlungsverbot des § 89 Abs 1 Satz 1 SGB VI auch rückwirkend durchsetzen zu können (s zum Ganzen Gesetzentwurf der Bundesregierung vom zum RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetz, BT-Drucks 19/4668 S 32 f zu Nr 5 Buchst a; vgl hierzu auch Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, Stand Mai 2025, § 89 RdNr 7; Scharf in Keck/Michaelis, Die Rentenversicherung im SGB, Stand März 2025, § 89 RdNr 7; Woditschka, RVaktuell 2018, 273, 276 f).

20Vor der Gesetzesänderung konnten die Rentenversicherungsträger einer Überkompensation durch die kumulierte Gewährung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und Arbeitslosengeld nach rückwirkender Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung für denselben Zeitraum auch nach Erstattung des Arbeitslosengelds an die Bundesagentur für Arbeit insbesondere mit Hilfe des § 45 SGB X entgegenwirken, wenn auch erst nach Anhörung des Versicherten sowie Vertrauensschutzprüfung und Ermessensausübung (vgl - SozR 4-2600 § 89 Nr 4 RdNr 16 ff; - SozR 4-2600 § 89 Nr 3 RdNr 33 ff; vgl aber zu den praktischen Schwierigkeiten bei der Umsetzung Woditschka, RVaktuell 2018, 273 f; Matlok/Woditschka, RVaktuell 2017, 50 ff). Diese (zumindest) grundsätzlich bestehende Möglichkeit der Gesamtkorrektur sollte nicht ausgeschlossen, sondern - wie bereits ausgeführt - durch die Einfügung des § 89 Abs 1 Satz 3 bis 7 SGB VI als "spezialgesetzliche Korrekturnorm" (Gesetzentwurf der Bundesregierung vom zum RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetz, BT-Drucks 19/4668 S 32 f zu Nr 5 Buchst a) erleichtert werden.

21d) Für die vom Senat gefundene Auslegung spricht schließlich der Sinn und Zweck des § 89 Abs 1 SGB VI. Die von der Klägerin begehrte monatsbezogene Saldierung hätte zur Folge, dass sie neben der Rente wegen voller Erwerbsminderung einen erheblichen Teil der bezogenen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zusätzlich behalten könnte. Dies aber widerspräche der grundlegenden Zweckbestimmung des § 89 Abs 1 SGB VI, wonach nur eine (und zwar die höchste) Rente aus eigener Versicherung für denselben Zeitraum geleistet werden soll (Gesetzentwurf der Bundesregierung vom zum RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetz, BT-Drucks 19/4668 S 33 zu Nr 5 Buchst a). Mit der Einfügung von § 89 Abs 1 Satz 5 und 6 SGB VI wollte der Gesetzgeber aber - wie oben ausgeführt - gerade sicherstellen, dass an den Rentenbezieher nicht mehr nachgezahlt wird, als ihm - spiegelbildlich - bei korrekter ursprünglicher Festsetzung materiell-rechtlich zugestanden hätte (ebenso Woditschka, RVaktuell 2018, 273, 276; zu diesem Aspekt vgl auch - BSGE 135, 143 = SozR 4-1300 § 104 Nr 9, RdNr 29).

22Eine hiervon abweichende Besserstellung des Versicherten sieht das Gesetz bei Doppelzahlungen von Versichertenrenten für denselben Zeitraum aus Vertrauensschutzgründen nur in § 89 Abs 1 Satz 7 SGB VI vor. Danach muss der Versicherte eine Rentenzahlung nicht erstatten, wenn der Nachzahlungsbetrag der (rang)höheren Rente nach Befriedigung der Erstattungsansprüche anderer Leistungsträger nicht genügt, um die bereits geleistete (rang)niedrigere Rente auszugleichen. Das Rückforderungsverbot des § 89 Abs 1 Satz 7 SGB VI ist ersichtlich als abschließende Ausnahmebestimmung zu § 89 Abs 1 Satz 5 und 6 SGB VI gefasst und daher, wie Ausnahmenregelungen generell (vgl hierzu - SozR 4-2600 § 51 Nr 6 RdNr 19 mwN) eng auszulegen. Mit dieser Vorschrift soll lediglich sichergestellt werden, dass überzahlte Rentenbeträge durch die Rentenversicherungsträger für die Vergangenheit von den Versicherten nicht zurückgefordert werden (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung vom zum RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetz, BT-Drucks 19/4668 S 33 zu Nr 5 Buchst a), aber im Übrigen - wie oben bereits dargestellt - keine materielle Besserstellung der Versicherten durch eine nachträgliche Leistungsgewährung begründet werden.

23Das vom LSG befürchtete (vermeintliche) Missbrauchsrisiko durch eine ggf hinausgezögerte positive Entscheidung des Rentenversicherungsträgers über eine Rente wegen voller Erwerbsminderung anstelle einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung kann eine Besserstellung des Versicherten nicht begründen. Ungeachtet des Umstands, dass das LSG keine Feststellungen für eine derartige Verzögerung durch die Beklagte im Fall der Klägerin getroffen hat, kommt es für den Rentenbeginn nicht auf den Zeitpunkt der Entscheidung über die Rentenbewilligung, sondern maßgeblich auf das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen für die jeweilige Rente aus eigener Versicherung an (§ 99 Abs 1 SGB VI), sodass der Rentenversicherungsträger durch eine verzögerte Leistungsbewilligung keinen materiellen Vorteil erlangt. Wegen der Vertrauensschutzregelung in § 89 Abs 1 Satz 7 SGB VI und etwaiger Zinszahlungen (§ 44 SGB I) stellt sich der Rentenversicherungsträger im Gegenteil bei einer (erst) nachträglichen Bewilligung einer (rang)höheren Rente für denselben Leistungszeitraum im Regelfall sogar schlechter.

24IV. Die Kostenentscheidung folgt dem Ausgang der Hauptsache und beruht auf § 183 Satz 1 iVm § 193 Abs 1 und 4 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2025:050625UB5R1723R0

Fundstelle(n):
HAAAK-02448