Instanzenzug: LG Gera Az: 7 KLs 820 Js 32750/22
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwölf Fällen, des Besitzes von Betäubungsmitteln, des Handeltreibens mit Cannabis in sechs Fällen sowie des „unerlaubten“ Erwerbs von Cannabis schuldig gesprochen. Den Angeklagten Gr. hat es zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt, die Angeklagte Ge. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten. Ferner hat es die Unterbringung der Angeklagten Ge. in einer Entziehungsanstalt bei Vorwegvollzug eines Teils der Freiheitsstrafe sowie gegen beide Angeklagte die gesamtschuldnerische Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 236.361 Euro angeordnet. Die Revisionen der Angeklagten, die sie mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts, der Angeklagte Gr. zudem mit Verfahrensbeanstandungen, begründen, erzielen den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg, im Übrigen sind sie unbegründet.
I.
2Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3Die Angeklagten, die im Tatzeitraum miteinander liiert waren, verkauften zwischen November 2020 und August 2021 in zwölf Fällen in ihrer Wohnung Methamphetamin, welches sie in Mengen von 200 bis 400 Gramm aus unterschiedlichen Quellen bezogen hatten, zu einem Preis von 80 Euro pro Gramm an „nachgeordnete Zwischenhändler und zahlreiche Kleinabnehmer“ (Fälle II.2.a) bis II.2.l) der Urteilsgründe). Der Angeklagte Gr. war für den Einkauf zuständig, die Angeklagte Ge. übernahm „das Umpacken und Verwiegen der Drogen, die Übergabe an die Kleinabnehmer sowie die Buchführung“. Die Angeklagten konsumierten Teile der von ihnen zum Handel erworbenen Drogen selbst.
4Gemäß ihren Absprachen verkauften die Angeklagten zwischen Januar und September 2021 außerdem Marihuana, das sie von den gesondert Verfolgten Go. und L. in Mengen von einem bis zwei Kilogramm bezogen hatten (Fälle II.2.m), II.2.o), II.2.q) und II.2.r) der Urteilsgründe), darüber hinaus im Juli 2021 und im Februar 2023 in Mengen von jeweils einem Kilogramm aus unterschiedlichen Quellen bezogenes Haschisch (Fälle II.2.p) und II.2.s) der Urteilsgründe). Der Verkaufspreis betrug jeweils sieben Euro pro Gramm. Zudem kauften sie im März 2021 Haschisch der Sorte „Batman“ bei den gesondert Verfolgten Go. und L., um es zu probieren (Fall II.2.n) der Urteilsgründe). Am bewahrten die Angeklagten 0,93 Gramm Methamphetamin in ihrer Wohnung auf (Fall II.2.t) der Urteilsgründe).
5Das Landgericht hat sachverständig beraten angenommen, bei beiden Angeklagten bestehe eine Abhängigkeit von Cannabis und Methamphetamin, die bei der Angeklagten Ge. – anders als bei dem Angeklagten Gr. – die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt rechtfertige. Die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit der Angeklagten sei jedoch zu keinem Zeitpunkt erheblich eingeschränkt oder aufgehoben gewesen.
II.
6Die Revisionen der Angeklagten sind teilweise begründet.
71. Die vom Angeklagten Gr. erhobenen Formalrügen bleiben aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg.
82. Die auf die Sachrügen veranlasste umfassende Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat zu den Schuldsprüchen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
93. Die Rechtsfolgenentscheidungen halten dagegen revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
10a) Die Strafaussprüche unterliegen der Aufhebung. Die Annahme der Strafkammer, die Angeklagten seien uneingeschränkt schuldfähig gewesen, leidet an einem durchgreifenden Darstellungsmangel.
11aa) Der Tatrichter hat die Frage der Schuldfähigkeit eines Angeklagten ohne Bindung an die Äußerungen eines Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beurteilen. Schließt er sich – wie hier – einem Sachverständigen an, muss er zumindest die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen auf eine für das Revisionsgericht nachprüfbare Weise im Urteil mitteilen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 599/18, Rn. 13, und vom – 1 StR 41/23, Rn. 5 ff. jeweils mwN).
12bb) An einer diesen Anforderungen genügenden Darstellung fehlt es für beide Angeklagte.
13Zur Angeklagten Ge. teilt das Urteil den Befund des psychiatrischen Sachverständigen mit, der Substanzkonsum beeinträchtige die Angeklagte in ihrer Lebensführung schwerwiegend und ziehe „sich durch ihre gesamte Biographie“. Zudem stehe „die Diagnose einer ‚Borderline-Störung‘ im Raum“. Anzeichen für eine schwere andere seelische Störung im Sinne des § 20 StGB bestünden indes nicht. Auf welche Anknüpfungs- und/oder Befundtatsachen sich der Sachverständige insoweit gestützt hat, wird auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht erkennbar. Der Senat kann mithin nicht nachvollziehen, ob es sich bei der vom Landgericht diskutierten Borderline-Störung um eine gesicherte Diagnose oder um eine bloße Verdachtsdiagnose handelt und welches konkrete Ausmaß diese Störung im Tatzeitraum hatte. Nicht erkennbar ist ferner, ob das Landgericht eine mögliche Mehrzahl von Störungsbildern wie geboten (vgl. , Rn. 18, und vom – 5 StR 616/24, NStZ-RR 2025, 105, 107 Rn. 21 mwN; Beschluss vom – 1 StR 329/20, Rn. 11 mwN) im Rahmen einer umfassenden Gesamtbetrachtung gewürdigt hat.
14Auch betreffend den Angeklagten Gr. beschränken sich die Urteilsgründe im Wesentlichen auf die Mitteilung der Ergebnisse des „im Hinblick auf die Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 64 StGB“ beauftragten Sachverständigen, dem zufolge weder die „Suchtproblematik betreffend Cannabis und Crystal Meth“ noch „depressive Störungen“ oder erkennbare dissoziale Verhaltensmuster die Voraussetzungen eines Eingangsmerkmals des § 20 StGB erfüllten. Zwar liegt eine Einschränkung der Steuerungsfähigkeit betreffend den Angeklagten Gr. nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht nahe. Aber auch insoweit lassen die Urteilsgründe besorgen, dass sich die Strafkammer ihrer Aufgabe, Feststellungen und Anknüpfungstatsachen des Sachverständigen eigenständig zu prüfen (vgl. , Rn. 11 mwN), nicht in vollem Umfang bewusst gewesen ist. Um dies zu belegen, bedarf es zwar nicht der umfassenden – oder gar wörtlichen – Wiedergabe des Sachverständigengutachtens. Geboten ist aber, die Ausführungen des Sachverständigen in einem Umfang wiederzugeben, der die Beurteilung der Schlüssigkeit der sachverständigen Begutachtung erlaubt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 318/18, Rn. 6, und vom – 5 StR 608/23). Die Urteilsgründe müssen ferner erkennen lassen, dass das Tatgericht die sachverständige Bewertung inhaltlich erfasst hat und warum es ihr gefolgt ist. Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
15cc) Der Darlegungsmangel führt in allen Fällen zur Aufhebung der Einzelstrafen und in der Folge des Gesamtstrafenausspruchs. Dass bei einem der Angeklagten die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 20 StGB aufgehoben gewesen sein könnte, schließt der Senat aus.
16b) Der Maßregelausspruch hält revisionsrechtlicher Überprüfung ebenfalls nicht stand.
17aa) Die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten Ge. in einer Entziehungsanstalt kann schon deswegen keinen Bestand haben, weil sich die Urteilsgründe nicht – wie von § 64 Satz 1 StGB gefordert – dazu verhalten, ob im Zeitpunkt der Hauptverhandlung die begründete Wahrscheinlichkeit bestand, dass die Angeklagte infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde.
18bb) Im Übrigen erweist sich die Darlegung der – hinsichtlich der Angeklagten Ge. von der Strafkammer bejahten, hinsichtlich des Angeklagten Gr. verneinten – Erfolgsaussicht der Maßregel im Sinne des § 64 Satz 2 StGB als nicht tragfähig.
19(1) Nach der gesetzlichen Neuregelung des § 64 StGB darf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur angeordnet werden, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten ist, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen. Notwendig, aber auch ausreichend für die vom Tatgericht zu treffende Prognose ist eine auf Tatsachen gegründete „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ für das Eintreten des Behandlungserfolgs (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 6 StR 452/23, StV 2024, 252, und vom – 3 StR 411/23, Rn. 13; BT-Drucks. 20/5913, S. 48 ff., 70). Die hier für beide Angeklagte angenommene Therapiebereitschaft ist dabei ein (wesentlicher) prognosegünstiger Umstand, der aber – wie die Strafkammer zutreffend erkannt hat – allein für die Annahme einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht nicht genügt, wenn zugleich prognoseungünstige Umstände von Gewicht festzustellen sind (, NStZ-RR 2024, 45, 47 f. mwN; Beschluss vom – 5 StR 227/24, Rn. 9). Erforderlich ist eine richterliche Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonst maßgeblichen, also prognosegünstigen und prognoseungünstigen Umstände (vgl. , Rn. 22 mwN). Die Erfolgsaussicht der Maßregel ist durch hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte zu belegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 5/25, Rn. 5, und vom – 4 StR 579/24, NStZ-RR 2025, 169 Rn. 5); ebenso bedürfen die Umstände, die das Tatgericht heranzieht, um die fehlende Erfolgsaussicht zu begründen, einer nachvollziehbaren Tatsachengrundlage. Erst dann ist das Revisionsgericht in der Lage zu überprüfen, ob das Tatgericht eine durch Tatsachen belegte Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu Recht bejaht oder verneint hat (vgl. , Rn. 16).
20(2) Diesen Anforderungen an die Darlegung der Anordnungsvoraussetzungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Wegen der unzureichenden Darstellung zur Frage der verminderten Schuldfähigkeit der Angeklagten bleibt bereits der Schweregrad der jeweiligen Substanzkonsumstörung unklar (vgl. dazu etwa , NStZ-RR 2024, 45, 49; Beschluss vom – 4 StR 351/24, Rn. 8). Gleiches gilt für das – gegebenenfalls prognoseungünstige – Bestehen einer Borderlinestörung bei der Angeklagten Ge. und für die von der Strafkammer ohne hinreichende Erläuterung als prognoseungünstig eingeschätzte dissoziale Persönlichkeitsakzentuierung des Angeklagten Gr.. Der Senat kann mithin die Entscheidung, bei der Angeklagten Ge. die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anzuordnen und bei dem Angeklagten Gr. von der Unterbringung abzusehen, nicht nachvollziehen. Ob die Strafkammer in den Blick genommen hat, dass die von ihr hinsichtlich des Angeklagten Gr. – im Ausgangspunkt zutreffend – als prognoseungünstig gewertete Erledigung einer früheren Maßregel bereits längere Zeit zurückliegt und der seither verstrichene Zeitraum prognosebedeutsam sein könnte, lassen die Urteilsgründe ebenfalls nicht erkennen.
21cc) Die aufgezeigten Rechtsfehler bedingen die Aufhebung der Maßregelaussprüche und bei der Angeklagten Ge. der hieran anknüpfenden Anordnung eines Vorwegvollzugs (, Rn. 15).
22c) Schließlich unterliegen die Einziehungsentscheidungen der Aufhebung.
23Zwar hat die Strafkammer zutreffend erkannt, dass ein Vermögenswert nur dann im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB „durch die Tat erlangt“ ist, wenn er dem Täter oder Teilnehmer unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes in irgendeiner Phase des Tatablaufs so zugeflossen ist, dass er dessen faktischer Verfügungsgewalt unterliegt, wobei unerheblich ist, ob das Erlangte beim Täter oder Teilnehmer verbleibt oder ob und gegebenenfalls in welchem Umfang dieser eine unmittelbar aus der Tat gewonnene (Mit-)Verfügungsmacht später – etwa durch absprachegemäße Weitergabe an einen anderen – wieder aufgegeben hat (st. Rspr.; vgl. nur , wistra 2025, 198).
24Die Annahme der Strafkammer, dass „beide Angeklagte Mitverfügungsgewalt über die Barmittel ausübten“, wird indes ohne nähere Darlegung – etwa zu den tatsächlichen Geldflüssen – von den getroffenen Feststellungen zur Aufgabenverteilung der Angeklagten nicht getragen, zumal das Landgericht Mitverfügungsgewalt auch dann angenommen hat, wenn der Angeklagte Gr. nicht im gemeinsamen Haushalt anwesend war, weil er sich – wie im zeitlichen Zusammenhang mit dem Tatgeschehen zu Fall II.2.r) der Urteilsgründe – im Krankenhaus befand.
254. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung – zu den Maßregelaussprüchen naheliegend unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) – neuer Verhandlung und Entscheidung.
26Der Senat hebt die für den Strafausspruch relevanten Feststellungen zur Frage der verminderten Schuldfähigkeit mit auf (vgl. , NStZ 2023, 377). Im Übrigen haben die den Strafaussprüchen zugrundeliegenden Feststellungen Bestand. Das gilt auch für die Feststellungen des Landgerichts zu den Wirkstoffgehalten. Zwar war die Strafkammer bei der Schätzung des Wirkstoffgehaltes des Methamphetamins angesichts der Einstufung der Qualität als „sehr gut“ oder „besonders gut“ nicht gehalten, das niedrigste Verhältnis der Enantiomere (R)-Methamphetamin (auch L-Methamphetamin, vgl. Patzak in: Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., Stoffe Rn. 297) und (S)-Methamphetamin festzustellen, welches „im Rahmen von Wirkstoffuntersuchungen“ – offenbar in anderen Strafverfahren – ermittelt wurde. Das Vorgehen der Strafkammer beschwert die Angeklagten indes ebenso wenig wie der Umstand, dass die Strafkammer den Wirkstoffgehalt des L-Methamphetamins (vgl. hierzu , NJW 2023, 3248 Rn. 6 ff.) bei der Erörterung der Überschreitung des Grenzwertes der nicht geringen Menge außer Betracht gelassen hat.
27Der Aufhebung unterliegen außerdem die die Maßregelaussprüche und die Einziehungsentscheidungen betreffenden Feststellungen, um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.
285. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die von der Strafkammer strafschärfend herangezogene Erwägung, die Angeklagten hätten Drogen „als Zwischenhändler“ und nicht nur an Endabnehmer verkauft, was auf eine besondere kriminelle Energie schließen lasse, revisionsrechtlichen Bedenken begegnet. Dieser Umstand könnte nur dann strafschärfend berücksichtigt werden, wenn er im konkreten Fall über das mit der Tatbestandsverwirklichung verbundene Unrecht hinausginge (§ 46 Abs. 3 StGB). Im Übrigen wird der Verkauf von Drogen an einen Zwischenhändler nicht in allen Fällen von den im zweiten Rechtsgang bindenden Feststellungen zum Schuldspruch getragen.
III.
29Angesichts der Teilaufhebung und Zurückverweisung ist die Kostenbeschwerde des Angeklagten Gr. gegenstandslos (vgl. , Rn. 19 mwN).
Menges Meyberg Grube
Schmidt Lutz
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:150725B2STR547.24.0
Fundstelle(n):
WAAAK-02310