Leitsatz
Zum Anspruch eines am Verfahren unbeteiligten Hochschullehrers auf Überlassung einer geschwärzten Kopie eines Gutachtens über die Beteiligtenfähigkeit US-amerikanischem Recht unterliegender Funds im Verfahren auf gerichtliche Bestellung eines aktienrechtlichen Sonderprüfers.
Gesetze: § 13 Abs 2 S 1 FamFG, § 142 Abs 2 AktG
Instanzenzug: OLG Celle Az: 9 W 86/17 Beschlussvorgehend Az: 15 O 28/16
Gründe
I.
1Die Rechtsbeschwerdeführer haben nach Zurückweisung ihres Sonderprüfungsantrags in der Hauptversammlung der Rechtsbeschwerdegegnerin vom gemäß § 142 Abs. 2 AktG die gerichtliche Bestellung eines aktienrechtlichen Sonderprüfers im Zusammenhang mit der sogenannten "Dieselaffäre" beantragt. Der Antrag wurde vom Landgericht zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte keinen Erfolg (OLG Celle, NZG 2025, 798). Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde.
2Der Antragsteller ist Ordinarius für Zivil- und Unternehmensrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien mit der Lehrbefugnis unter anderem für Gesellschaftsrecht, internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung. Zu seinen aktuellen Forschungsgebieten zählt das Recht der aktienrechtlichen Sonderprüfung.
3Der Antragsteller begehrt als nicht am Verfahren Beteiligter Akteneinsicht durch Überlassung einer (geschwärzten) Kopie eines vom Beschwerdegericht eingeholten Rechtsgutachtens des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht Hamburg (nachfolgend "MPI") vom zur Frage der Beteiligtenfähigkeit der Rechtsbeschwerdeführer (fortan "Rechtsgutachten").
4Ausweislich des Rechtsgutachtens ist die Weitergabe des Rechtsgutachtens an unbeteiligte Dritte nur nach vorheriger Zustimmung des MPI zulässig. Das MPI hat auf Nachfrage sein Einverständnis mit der Weitergabe an den Antragsteller erklärt.
5Der Antragsteller beruft sich auf das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit. Zur Begründung seines Einsichtsbegehrens führt er im Einzelnen an, dass er das Rechtsgutachten zur besseren Nachvollziehbarkeit der Beschwerdeentscheidung benötige. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts sei für ihn nicht nachvollziehbar, soweit die Beteiligtenfähigkeit der Rechtsbeschwerdeführer abgelehnt werde. Sein Interesse am Rechtsgutachten sei ausschließlich wissenschaftlicher Natur.
6Die Rechtsbeschwerdeführer haben ihr Einverständnis mit der Einsichtnahme erklärt, während die Rechtsbeschwerdegegnerin dem Einsichtsverlangen mit der Begründung entgegengetreten ist, der Antragsteller werde die Entscheidung des Beschwerdegerichts in einem Literaturbeitrag kritisch rezensieren, um so auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Rechtsbeschwerdeverfahren Einfluss nehmen zu wollen.
II.
71. Der zulässige Antrag ist begründet. Die Voraussetzungen für eine Akteneinsicht nach § 13 Abs. 2 Satz 1 FamFG, der auf das gerichtliche Verfahren der Bestellung eines Sonderprüfers gemäß § 142 Abs. 8 AktG anwendbar ist, liegen vor.
8a) Das Recht eines am Verfahren nicht Beteiligten, in die Akten nach § 13 Abs. 2 Satz 1 FamFG Einsicht zu nehmen, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Die Ermessensausübung hat aufgrund einer Abwägung zu erfolgen, der eine mehrstufige Prüfung vorauszugehen hat (, NZG 2024, 220 Rn. 24). Zunächst ist festzustellen, ob der Dritte ein berechtigtes Interesse dargelegt hat (dazu unten b) [aa] [1]). Erforderlich ist im nächsten Schritt eine Glaubhaftmachung (dazu unten b) [aa] [2]). Weiter dürfen keine schutzwürdigen Interessen eines Beteiligten oder Dritten entgegenstehen (dazu unten b) [bb]). Sodann sind gegebenenfalls die unterschiedlichen Interessen abzuwägen (dazu unten b) [bb] [2]).
9b) Hieran gemessen liegen die Voraussetzungen für die begehrte Akteneinsicht vor.
10aa) Der Antragssteller hat ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht dargelegt.
11(1) Ein berechtigtes Interesse muss sich nicht auf ein bereits vorhandenes Recht stützen, es geht über ein rechtliches Interesse i.S.v. § 299 Abs. 2 ZPO hinaus und ist anzunehmen, wenn ein vernünftiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse besteht, das auch tatsächlicher, etwa wirtschaftlicher oder wissenschaftlicher Art sein kann und im allgemeinen dann vorliegen wird, wenn ein künftiges Verhalten des Antragstellers durch Kenntnis vom Akteninhalt beeinflusst werden kann (, NZG 2024, 220 Rn. 24 mwN; zum wissenschaftlichen Interesse BeckOGK FamFG/Flöck, Stand , § 13 Rn. 63.1; MünchKommFamFG/Pabst, 4. Aufl., § 13 Rn. 17; BeckOK FamFG/Perleberg-Kölbel, Stand , FamFG, § 13 Rn. 20; zweifelnd bezüglich wissenschaftlicher Interessen BayOblG, ZfWG 2002, 202, 206 f. zu § 299 Abs. 2 ZPO).
12Soweit wissenschaftliche Interessen geltend gemacht werden, ist eine konkrete Darlegung des Forschungsvorhabens geboten, verbunden mit der Erläuterung, weshalb die Einsicht in die konkrete Akte bzw. bestimmte Aktenteile geeignet ist, das konkrete Forschungsvorhaben zu fördern. Dabei hat sich die ersuchte Stelle einer Bewertung des Forschungsansatzes zu enthalten, weil die grundrechtlich geschützte Freiheit auch die Wahl der Methoden umfasst und Forschungsansätze schützt, die sich als irrig oder fehlerhaft erweisen. Es genügt jedoch nicht die bloße Behauptung, wissenschaftlich tätig zu sein (BeckOGK FamFG/Flöck, Stand , § 13 Rn. 63.1).
13Der Antragsteller hat hier dargelegt, dass er sich im Rahmen seiner Forschung zum aktienrechtlichen Sonderprüfungsrechts mit der Frage der Beteiligtenfähigkeit US-amerikanischem Recht unterliegender Funds befasst und hierzu jüngst eine wissenschaftliche Publikation in einer Fachzeitschrift verfasst hat. Insoweit liegt es auf der Hand, dass der Inhalt des Rechtsgutachtens, das eben jene Problematik zum Gegenstand hat, für seine wissenschaftlichen Tätigkeiten von Interesse ist und das wissenschaftliche Oeuvre insoweit fördern kann. Die Forschungsfreiheit umfasst neben der Wahl von Fragestellung und Methode anerkanntermaßen auch die Materialsammlung (BeckOK GG/Kempen/Rossa, Stand , Art. 5 Rn. 182).
14Soweit die Rechtsbeschwerdegegnerin meint, der Antragssteller habe schon nach seinem eigenen Vorbringen kein ernsthaftes wissenschaftliches Interesse an einer Würdigung des Rechtsgutachtens, weil er sich bereits eine abschließende Meinung zur zugrundeliegenden Rechtsfrage gebildet habe, steht das einem berechtigten Interesse nicht entgegen. Denn der Antragsteller begründet die Einsichtnahme in das Rechtsgutachten gerade mit der Notwendigkeit der weiteren Aufklärung der Richtigkeit der Ansicht des Beschwerdegerichts und damit spiegelbildlich seiner eigenen. Im Übrigen würde die Wissenschaftsfreiheit auch das Recht umfassen, seine eigene Ansicht unter Infragestellung abweichender Stimmen argumentativ zu verteidigen.
15(2) Da der das berechtigte Interesse begründende Sachverhalt von der Rechtsbeschwerdegegnerin nicht bestritten wird, sie ihn lediglich anders als der Antragsteller beurteilt, und der Senat keine Zweifel daran hat, dass die Tatsachen gegeben sind, bedarf es keiner weitergehenden Glaubhaftmachung durch den Antragsteller (vgl. OLG Stuttgart, NJW-RR 2011, 1451, 1452).
16bb) Schutzwürdige Interessen Dritter bzw. eines Beteiligten stehen der Einsichtnahme nicht entgegen.
17Die Interessen eines Beteiligten oder Dritten stehen entgegen, wenn ihre Interessen durch die begehrte Akteneinsicht des anderen Beteiligten oder Dritten betroffen sein können, also unmittelbar oder mittelbar gefährdet oder verletzt werden können. Die Interessen eines Beteiligten oder Dritten stehen demgegenüber nicht entgegen, wenn sie mit der Akteneinsicht einverstanden sind. Umgekehrt begründet das fehlende Einverständnis nicht zwingend das Vorliegen eines entgegenstehenden Interesses (BeckOGK FamFG/Flöck, Stand , § 13 Rn. 72).
18Das Akteneinsichtsrecht nach § 13 Abs. 2 FamFG ist im Gegensatz zu dem des Beteiligten nach § 13 Abs. 1 FamFG nicht verfassungsrechtlich garantiert, weshalb an das Tatbestandsmerkmal der Schutzwürdigkeit geringere Anforderungen zu stellen sind. Es ist vor allem nicht notwendig, dass es sich um schwerwiegende Interessen handelt. Auch nicht verfassungsrechtlich geschützte Interessen können ein Einsichtsrecht ausschließen, jedes andere geschützte Interesse kann genügen (MünchKommFamFG/Pabst, 4. Aufl., § 13 Rn. 26). Erfasst sind sämtliche Interessen aus dem Vermögens- und Privatbereich, sofern sie nicht offensichtlich nicht schutzbedürftig erscheinen (BeckOGK FamFG/Flöck, Stand , § 13 Rn. 73).
19(1) Urheberrechte des MPI kommen als entgegenstehende Interessen nicht in Betracht, weil es der Weitergabe des Rechtsgutachtens zugestimmt hat.
20(2) Die Befürchtung der Rechtsbeschwerdegegnerin, der Antragsteller werde unter Heranziehung des Rechtsgutachtens die Entscheidung des Beschwerdegerichts in einem Literaturbeitrag kritisch bewerten, um auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Rechtsbeschwerdeverfahren Einfluss zu nehmen, stellt im Ausgangspunkt zwar noch ein schutzbedürftiges Vermögensinteresse der Rechtsbeschwerdegegnerin dar.
21In der Gesamtschau überwiegen allerdings hier die wissenschaftlichen Interessen des Antragstellers gegenüber jenem ausschließlich wirtschaftlichen Interesse. Zu berücksichtigen ist, dass das Rechtsgutachten allein auf die Rechtsbeschwerdeführer bezogene Daten enthält. Diese wiederum haben sich mit der Einsichtnahme des Antragstellers einverstanden erklärt. Die Rechtsbeschwerdegegnerin findet demgegenüber in dem Rechtsgutachten keine nähere Erwähnung, weil die dort erörterte abstrakte Frage der Beteiligtenfähigkeit der Rechtsbeschwerdeführer losgelöst von der Person der Rechtsbeschwerdegegnerin zu beantworten ist.
22Zwar mag es aus Sicht der Rechtsbeschwerdegegnerin lästig sein, dass sich der Antragsteller mit den Ergebnissen des Rechtsgutachtens möglicherweise kritisch und in einer Weise auseinandersetzt, die der für sie günstigen Sicht des Beschwerdegerichts widerspricht. Eine solche Auseinandersetzung ist allerdings Ausdruck der Wissenschaftsfreiheit und von der Rechtsbeschwerdegegnerin aufgrund der Besonderheiten des hier zu beurteilenden Einzelfalls, namentlich der fehlenden persönlichen Betroffenheit der Rechtsbeschwerdegegnerin vom Inhalt des Rechtsgutachtens, hinzunehmen.
232. Für die Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch ist bei Kollegialgerichten gemäß § 13 Abs. 7 FamFG der Vorsitzende zuständig. Dies gilt unabhängig davon, ob die nach § 13 Abs. 7 FamFG zu treffende Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht an Dritte in nicht abgeschlossenen Verfahren, wie hier, als Akt der Justizverwaltung oder der Rechtsprechung einzustufen ist (für letzteres BayOblG, Beschluss vom - 102 VA 60/25, BeckRS 2025, 15844 Rn. 12 ff.; offengelassen , NZG 2024, 220 Rn. 17 ff.). Die Zuständigkeit des Vorsitzenden besteht auch, wenn das verfahrensführende Gericht der Bundesgerichtshof ist, weil der mit der Zuständigkeitsregelung verbundene Zweck der Verfahrensstraffung und -beschleunigung (vgl. RegE eines Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, BT-Drucks. 16/6308, S. 182) auch in diesem Fall verwirklicht wird.
243. Die Entscheidung des Gerichts über die Akteneinsicht und die Einsichtnahme selbst in die Verfahrensakten sind gebührenfrei (BeckOK FamFG/ Perleberg-Kölbel, Stand , FamFG, § 13 Rn. 48).
Born
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:061025BIIZB19.24.0
Fundstelle(n):
XAAAK-02084