Instanzenzug: Hanseatisches Az: 13 U 192/21vorgehend Az: 418 HKO 79/20
Gründe
I.
1 Die Klägerin verlangt von der Beklagten im Zusammenhang mit der Beendigung eines Kooperationsvertrags die Zahlung einer Vertragsstrafe.
2 Die Klägerin betreibt eine Internetplattform, auf der Unternehmen, wie etwa Autovermieter oder -werkstätten, Überführungsfahrten ausschreiben können. Auf diese Ausschreibungen können sich dort registrierte Leistungserbringer bewerben, nach Zuschlagserteilung für die festgelegte Vergütung die Fahrten durchführen und ihre Forderung aus der über die Plattform vermittelten Überführung an einen von der Klägerin vorgegebenen Factoringdienstleister, den sogenannten Factoringpartner, abtreten. Dieser Factoringpartner war vom bis zum die vormals als D. GmbH firmierende Beklagte.
3 Grundlage der Zusammenarbeit der Parteien war eine Kooperationsvereinbarung vom März 2017. Darin ist unter Punkt 1.5. bestimmt, dass die Klägerin allen Leistungserbringern eine Forderungsabtretung technisch ermöglicht und zur Anpassung des Zahlungsprozesses sowie gegebenenfalls zum Ausschluss der Beklagten aus dem Prozess berechtigt ist, falls diese ihn aufgrund von technischen Problemen für mehr als 48 Stunden nicht mehr gewährleistet.Punkt 7. regelt die ordentliche Kündigung mit einer zweimonatigen Frist und die Kündigung aus wichtigem Grund der auf unbestimmte Zeit geschlossenen Vereinbarung.
4 Unter Punkt 5. "Exklusivität/Kundenschutz" heißt es unter anderem:
"5.1. Im Falle der Beendigung dieses Vertrages, aus wichtigem Grund oder gemäß Ziff. 1.5., ist D. für eine Dauer von 12 Monaten nicht berechtigt, vertragliche Übertragungsangebote (Abtretungserklärungen) von Forderungen der Leistungserbringer anzunehmen. Die Parteien sind sich darüber einig, dass D. jederzeit berechtigt ist, Abtretungserklärungen von Leistungserbringern anzunehmen, deren Grundlage nicht von O. vermittelte Aufträge sind.
5.2. Nach Beendigung dieses Vertrages ist D. verpflichtet, sämtliche in Besitz befindlichen Daten und Unterlagen sowie eventuell hiervon gefertigte Kopien oder sonstige Vervielfältigungen, die mit den Leistungserbringern in Zusammenhang stehen, auf Wunsch von O. herauszugeben oder dauerhaft zu löschen, sofern hierfür nicht gesetzliche Aufbewahrungsfristen bestehen. Diese Verpflichtung gilt insbesondere für Namen, geschäftliche Bezeichnungen und Adressen der Leistungserbringer einschließlich deren Kontoverbindungen. Im Falle der Löschung ist die Löschung O. schriftlich zu bestätigen.
5.3. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Ziffern 5.1. und 5.2. verpflichtet sich D. unter Ausschluss der Einrede des Fortsetzungszusammenhangs zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 10.000 € an O. ."
5 Das Vertragsverhältnis wurde durch ordentliche Kündigung der Beklagten zum beendet. Nach Vertragsbeendigung kündigte die Klägerin am als Bevollmächtigte für die Leistungserbringer deren Factoringverträge mit der Beklagten.
6 Mit an die Leistungserbringer R. , H. , Ha. , B. und M. Cars UG gerichteten Schreiben vom bestätigte die Beklagte jeweils die Beendigung des Factoringvertrags zum und führte unter anderem aus:
"Selbstverständlich können Sie trotz unserer Kündigung des Kooperationsvertrages mit der O. bis zum Ablauf Ihrer Kündigungsfrist () auch weiter bei rechnung.de Ihre Rechnungen zum Factoring einreichen und wir werden diese gewohnt schnell für Sie factorieren.
Anderslautende Behauptungen der O. sind unzutreffend, es war daher auch nicht nötig, Ihren Vertrag mit uns zu kündigen. Für den Abschluss eines neuen Factoringvertrages können Sie sich jederzeit gern an uns wenden."
7 Auf die Klage der Klägerin, die dadurch die Vertragsstrafe nach Punkt 5.3. der Kooperationsvereinbarung in fünf Fällen verwirkt sieht, hat das Landgericht die Beklagte unter anderem zur Zahlung von 50.000 € nebst Zinsen verurteilt. Zur Begründung hat es angeführt, die Beklagte habe jeweils gegen Punkt 5.2. der Vereinbarung verstoßen, indem sie unter Verwendung löschungspflichtiger Daten in ihren Kündigungsbestätigungsschreiben an die vorgenannten Leistungserbringer herangetreten sei.
8 Die dagegen eingelegte Berufung, mit der die Beklagte die Klageabweisung hinsichtlich des zugesprochenen Vertragsstrafenanspruchs weiterverfolgt hat, hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Es hat abweichend vom Landgericht angenommen, der die Vertragsstrafe auslösende Verstoß liege darin, dass die Beklagte entgegen Punkt 5.1. des Kooperationsvertrags in ihren Kündigungsbestätigungsschreiben ihre Factoringleistungen gegenüber den Leistungserbringern weiter beworben habe. Denn diese Klausel, die nach ihrer Formulierung nur den Forderungsankauf selbst verbiete, sei nach ihrem Sinn und Zweck als Wettbewerbsverbot auszulegen.
II.
9 Die dagegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hat Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Die Beschwerde beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht eine unzulässige Überraschungsentscheidung getroffen hat.
101. Eine gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßende Überraschungsentscheidung liegt unter anderem vor, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis gemäß § 139 Abs. 2 ZPO einen Sachverhalt in einer Weise rechtlich würdigt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht zu rechnen braucht. Das Gericht hat in diesem Fall auf seine Rechtsauffassung hinzuweisen und dem Prozessbeteiligten eine Möglichkeit zur Stellungnahme zu eröffnen (vgl. Senat, Beschluss vom - III ZR 63/23, BeckRS 2024, 5358 Rn. 13; , BeckRS 2021, 12753 Rn. 10).
112. Dies hat das Berufungsgericht nicht beachtet, indem es ohne vorherigen rechtlichen Hinweis und ohne Begründung davon ausgegangen ist, dass Punkt 5.1. des Kooperationsvertrags auch in dem hier vorliegenden Fall einer Vertragsbeendigung durch eine ordentliche Kündigung anwendbar sei, obwohl sich dies aus dem Wortlaut der Klausel und insbesondere der darin enthaltenen Textpassage "Im Falle der Beendigung dieses Vertrages, aus wichtigem Grund oder gemäß Ziff. 1.5., …" gerade nicht ergibt. Vielmehr ist danach diese Auslegung sogar zweifelhaft, da diese Textpassage durchaus naheliegend als abschließende Aufzählung derjenigen Vertragsbeendigungsgründe - nämlich Kündigung aus wichtigem Grund und wegen technischer Probleme bei der Beklagten gemäß Punkt 1.5. - verstanden werden kann, auf die Punkt 5.1. allein anwendbar sein soll. Dass das Berufungsgericht diese Regelung auch im vorliegenden Fall einer ordentlichen Vertragsbeendigung für offenkundig anwendbar gehalten hat, obwohl dies erklärungsbedürftig gewesen wäre, ist daher im Hinblick auf die Formulierung der Klausel selbst für einen anwaltlich vertretenen Prozessbeteiligten nicht ohne Weiteres vorhersehbar gewesen.
123. Aus dem vorherigen Verfahrensverlauf ergibt sich nichts anderes, da das Landgericht die geltend gemachte Vertragsstrafe allein wegen Missachtung des Datenlöschungsgebots nach Punkt 5.2. des Kooperationsvertrags für verwirkt gehalten und mögliche Zuwiderhandlungen der Beklagten gegen Punkt 5.1. nicht erörtert hat. Auch die Klägerin selbst hat ihren Vertragsstrafenanspruch in erster Linie mit der Nichtlöschung der Kundendaten nach Punkt 5.2. begründet. Im Übrigen hat sich das Vorbringen beider Parteien in erster und zweiter Instanz darin erschöpft, die generelle Möglichkeit eines Verstoßes gegen Punkt 5.1. beiläufig zu erwähnen und dessen Inhalt kommentarlos wiederzugeben. Irgendwelche (Rechts-)Ausführungen zur konkreten Anwendbarkeit der Klausel im vorliegenden Fall sind weder dem beiderseitigen Parteivortrag noch den Entscheidungen der Vorinstanzen zu entnehmen.
134. Danach hätte das Berufungsgericht vor seiner Entscheidung die Beklagte darauf hinweisen müssen, dass es Punkt 5.1. für einschlägig halte und ihr insoweit Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen. Auf einen solchen Hinweis hätte die Beklagte - wie nunmehr im Beschwerdeverfahren - geltend gemacht, dass der Anwendbarkeit von Punkt 5.1. bei einer - wie hier - erfolgten ordentlichen Vertragsbeendigung dessen Wortlaut entgegenstehe. Mit diesem Rechtseinwand hätte sich das Berufungsgericht eingehend auseinandersetzen müssen, wobei nicht auszuschließen ist, dass es dabei zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Dies gilt umso mehr, als das Berufungsgericht den Wortlaut von Punkt 5.1. lediglich in Bezug auf die von ihm angenommene Bedeutung dieser Klausel als (umfassendes) Wettbewerbsverbot, nicht aber in Bezug auf die Frage ihrer Anwendbarkeit im Fall der ordentlichen Kündigung des Kooperationsvertrags in den Blick genommen hat, obwohl es sich auch insoweit schon nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen damit zuvörderst hätte befassen müssen.
145. Im Rahmen einer solchen, zunächst vom Wortlaut ausgehenden Auslegung der Textpassage "Im Falle der Beendigung dieses Vertrages, aus wichtigem Grund oder gemäß Ziff. 1.5., …" wäre insbesondere zu erwägen gewesen, ob die Parteien damit tatsächlich die für die Anwendbarkeit der Klausel maßgeblichen Vertragsbeendigungsgründe abschließend aufgezählt oder vielmehr nur im Sinne einer beispielhaften Aufzählung gemeint haben: "Im Falle der Beendigung dieses Vertrages, [auch] aus wichtigem Grund oder gemäß Ziff. 1.5., …". Das Berufungsgericht wird dies nachzuholen und bei der Auslegung der Vertragsbestimmung auch deren Sinn und Zweck unter Beachtung der Interessenlage beider Parteien zu berücksichtigen haben.
Herrmann Arend
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:250925BIIIZR58.23.0
Fundstelle(n):
UAAAK-01249