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BAG Urteil v. - 1 AZR 120/24

Tarifliche Regelungssperre - Mitbestimmung des Betriebsrats

Leitsatz

Eine Regelung in einer Betriebsvereinbarung, nach der ein tarifgebundener Arbeitgeber den Arbeitnehmern künftig keine Freistellung von der Arbeitspflicht für eine Frühstückspause während der Arbeitszeit mehr gewährt, enthält keine Änderung eines betrieblichen Entlohnungsgrundsatzes und unterliegt damit nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats.

Instanzenzug: Az: 2 Ca 409/22 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 5 Sa 408/23 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Gewährung einer bezahlten Arbeitspause.

2Die Beklagte erbringt Beförderungsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr. Sie ist Mitglied im Arbeitgeberverband Deutscher Eisenbahnen e. V. (AGV Deutscher Eisenbahnen). Ihre Mehrheitsgesellschafterin ist die Region H.

3Der Kläger ist im Betrieb der Beklagten in N als Werkstattmeister tätig. In § 12 Abs. 1 seines Arbeitsvertrags vom ist vereinbart, dass Änderungen und Ergänzungen des Arbeitsvertrags nur wirksam sind, wenn sie schriftlich vereinbart werden. Die Aufhebung des Schriftformerfordernisses bedarf ebenfalls der Schriftform.

4Der vom AGV Deutscher Eisenbahnen geschlossene Tarifvertrag für die Bediensteten der nichtbundeseigenen Eisenbahnen und von Kraftverkehrsbetrieben vom idF vom (ETV) sieht in seinem § 3 Abs. 2 vor, dass Nebenabreden nur wirksam sind, wenn sie schriftlich vereinbart werden. Zudem enthält § 12 ETV Regelungen für den Fall einer „Arbeitsversäumnis“. Danach hat der Arbeitnehmer persönliche Angelegenheiten „unbeschadet der Absätze 6 bis 8 außerhalb der Arbeitszeit zu erledigen“ (§ 12 Abs. 1 Satz 2 ETV). Wird der Arbeitnehmer nach den Absätzen 6, 7 oder 8 unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts von der Arbeit freigestellt, erhält er das Arbeitsentgelt, das er bei regelmäßigem Verlauf seiner Arbeitszeit erhalten würde (§ 12 Abs. 2 ETV). In § 12 Abs. 6 ETV sind konkrete Anlässe benannt, bei denen der Arbeitnehmer unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts im dort jeweils bestimmten Ausmaß „von der Arbeit freigestellt wird“. Die Absätze 7 und 8 der Norm enthalten Vorgaben für eine Fortzahlung des Arbeitsentgelts bei der Erfüllung allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten sowie für eine Teilnahme an Tagungen durch gewählte gewerkschaftliche Vertreter. § 12 Abs. 9 Unterabs. 1 ETV bestimmt, dass der Arbeitgeber „in sonstigen dringenden Fällen Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Vergütung bis zu drei Arbeitstagen gewähren“ kann. Zudem kann in begründeten Fällen eine kurzfristige Arbeitsbefreiung ohne Fortzahlung der Vergütung gewährt werden, wenn die dienstlichen oder betrieblichen Verhältnisse es gestatten (§ 12 Abs. 9 Unterabs. 2 ETV).

5Die Arbeitszeit für die im Werkstattbereich des Betriebs N beschäftigten Arbeitnehmer beginnt um 06:30 Uhr und endet - inklusive Umkleidezeit - um 14:42 Uhr. Neben der gesetzlichen Ruhepause von 12:30 Uhr bis 13:00 Uhr erhielten die Arbeitnehmer über viele Jahre während ihrer Arbeitszeit eine 15-minütige Frühstückspause unter Fortzahlung der Vergütung.

6Die Beklagte schloss mit dem im Betrieb gebildeten Betriebsrat am die „Betriebsvereinbarung Nr. 44 … Betriebsvereinbarung zur Restrukturierung und Konsolidierung“ (BV Nr. 44). § 1 Abs. 2 Unterabs. 2.1 BV Nr. 44 sieht ua. vor, dass die „bisher geübte Praxis der Vergütung einer 15-minütigen Frühstückspause im Werkstattbereich … dauerhaft und mit sofortiger Wirkung eingestellt“ wird.

7Seit September 2018 zahlt die Beklagte keine Vergütung mehr für eine Frühstückspause. Der Kläger nimmt eine solche Pause seitdem nicht mehr in Anspruch.

8Er hat die Ansicht vertreten, bei der Beklagten habe eine betriebliche Übung über die Gewährung einer bezahlten Frühstückspause im Werkstattbereich bestanden. Diese sei mangels Betriebsvereinbarungsoffenheit nicht durch die Regelung in der BV Nr. 44 abgelöst worden. Zudem sei § 1 Abs. 2 Unterabs. 2.1 BV Nr. 44 wegen Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam. Die Beklagte müsse ihm daher für jeden Tag, an dem er in den Jahren 2019 bis 2023 während seiner Arbeit keine Frühstückspause gemacht habe, 15 Minuten auf seinem Arbeitszeitkonto gutschreiben.

9Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,

10Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, wegen des tariflichen Schriftformerfordernisses sei eine betriebliche Übung schon nicht entstanden. Jedenfalls sei eine solche wirksam und dauerhaft durch die Regelung in der BV Nr. 44 abgelöst worden.

11Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Gründe

12Die Revision ist begründet. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung durfte die Klage nicht abgewiesen werden. Dies führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

13I. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, eine möglicherweise rechtswirksam entstandene betriebliche Übung über die „Gewährung einer bezahlte[n] zusätzliche[n] Frühstückspause von 15 Minuten im Werkstattbereich“ sei jedenfalls durch die Regelung in § 1 Abs. 2 Unterabs. 2.1 BV Nr. 44 beseitigt worden, ist unzutreffend. Die Bestimmung ist wegen Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam.

141. Nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Dies gilt nach Satz 2 der Vorschrift dann nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt. Die Regelung in § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG verdeutlicht, dass es den Tarifvertragsparteien vorbehalten bleibt, ob sie ergänzende Betriebsvereinbarungen zulassen wollen oder nicht. Eine tarifliche Regelung von Arbeitsbedingungen liegt vor, wenn sie in einem nach seinem räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich einschlägigen Tarifvertrag enthalten ist und der Betrieb in den Geltungsbereich dieses Tarifvertrags fällt. Auf die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers kommt es dabei nicht an. Der Verstoß gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG führt zur Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung. Die Sperrwirkung greift dagegen nicht, soweit es um Angelegenheiten geht, die nach § 87 Abs. 1 BetrVG der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen (st. Rspr., vgl. etwa  - Rn. 19 mwN).

152. Nach diesen Grundsätzen verstößt § 1 Abs. 2 Unterabs. 2.1 BV Nr. 44 gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG.

16a) Die Bestimmung in der BV Nr. 44 zielt nach ihrem Wortlaut darauf ab, die „Vergütung“ einer 15-minütigen Pause im Werkstattbereich zu beenden. Nach dem - insoweit unstreitigen - Vortrag des Klägers konnten die Arbeitnehmer im Werkstattbereich früher während ihrer Arbeitszeit arbeitstäglich eine Frühstückspause machen, ohne dass deswegen die Vergütung von der Beklagten gekürzt worden wäre oder sie länger hätten arbeiten müssen. Damit handelte es sich bei der Pause nicht um eine zusätzlich vergütete Leistung, sondern vielmehr um eine - zeitlich und situativ begrenzte - tägliche Freistellung von der Arbeitspflicht. Ausgehend hiervon ist § 1 Abs. 2 Unterabs. 2.1 BV Nr. 44 dahin zu verstehen, dass im Werkstattbereich eine solche - ggf. aufgrund betrieblicher Übung vertraglich vereinbarte - Freistellung künftig nicht mehr erfolgt.

17b) Dieser Regelungsgegenstand ist bereits durch den ETV ausgestaltet.

18aa) Die Tarifvertragsparteien haben in § 12 ETV Bestimmungen zur Arbeitsversäumnis getroffen. Nach § 12 Abs. 1 Satz 2 ETV hat der Arbeitnehmer persönliche Angelegenheiten grundsätzlich außerhalb der Arbeitszeit zu erledigen. Ausnahmen hiervon sind in den Absätzen 6 bis 8 festgelegt. Die Normen regeln verschiedene Situationen oder Anlässe, bei denen Arbeitnehmer nach § 12 Abs. 2 ETV unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts von ihrer Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung befreit werden. In sonstigen dringenden Fällen kann der Arbeitgeber nach § 12 Abs. 9 Unterabs. 1 ETV eine Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Vergütung von bis zu drei Arbeitstagen gewähren. Zudem kann dies in begründeten Fällen auch kurzfristig ohne Fortzahlung der Vergütung erfolgen, wenn die dienstlichen oder betrieblichen Verhältnisse es gestatten (§ 12 Abs. 9 Unterabs. 2 ETV). Damit enthält der ETV Regelungen für eine Freistellung der Arbeitnehmer von ihrer Arbeitspflicht.

19bb) Unerheblich ist, ob § 1 Abs. 2 Unterabs. 2.1 BV Nr. 44 inhaltlich den sich aus § 12 Abs. 9 Unterabs. 1 ETV ergebenden Vorgaben entspricht. Darauf kommt es bei der Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nicht an. Die Norm dient der Sicherung der ausgeübten und aktualisierten Tarifautonomie sowie der Erhaltung und Stärkung der Funktionsfähigkeit der Koalitionen. Sie soll verhindern, dass Gegenstände, derer sich die Tarifvertragsparteien angenommen haben, konkurrierend - und sei es inhaltsgleich - in Betriebsvereinbarungen geregelt werden (vgl. etwa  - Rn. 17, BAGE 161, 305). Die auf der verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie nach Art. 9 Abs. 3 GG beruhende Normsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien soll nicht durch ergänzende oder abweichende Regelungen der Betriebsparteien ausgehöhlt werden (vgl.  - Rn. 48 mwN, BAGE 151, 286). Damit sperrt § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG auch solche Regelungen in Betriebsvereinbarungen, deren Inhalt nicht gegen die tariflichen Vorgaben „verstößt“.

20c) Der Betrieb der Beklagten fällt nach § 1 Abs. 1 Buchst. a und b ETV zudem räumlich und fachlich in den - persönlich für alle Arbeitnehmer geltenden (§ 1 Abs. 1 Buchst. c ETV) - ETV. Die Beklagte erbringt Leistungen zur Beförderung von Personen im öffentlichen Nahverkehr. Damit unterhält sie einen Kraftverkehrsbetrieb im Personennahverkehr.

21d) Die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ist nicht unter dem Gesichtspunkt einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit iSv. § 87 Abs. 1 BetrVG aufgehoben. Ungeachtet der Reichweite des Tarifvorbehalts in § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG unterfällt der Inhalt der Regelung in § 1 Abs. 2 Unterabs. 2.1 BV Nr. 44 keinem der in § 87 Abs. 1 BetrVG genannten Tatbestände.

22aa) Nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG hat der Betriebsrat zwar nicht nur bei Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, sondern auch bei der Lage der Pausen mitzubestimmen. Die in dieser Norm angesprochenen Pausen sind jedoch nur Ruhepausen, durch die die Arbeitszeit unterbrochen wird, die also nicht selbst zur Arbeitszeit gehören ( - zu B II 1 a der Gründe, BAGE 36, 138). Eine Bestimmung, nach der eine bezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht für eine Frühstückspause nicht mehr erfolgt, wird daher von diesem Mitbestimmungstatbestand nicht erfasst.

23bb) Gleiches gilt für § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Danach steht dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit zu. Um eine solche Maßnahme handelt es sich bei der Regelung in § 1 Abs. 2 Unterabs. 2.1 BV Nr. 44 nicht. Sie betrifft nicht die Dauer der für die Arbeitnehmer im Werkstattbereich geltenden Arbeitszeit, sondern lediglich die bezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht für eine Frühstückspause. Der Umfang der betriebsüblichen Arbeitszeit im Werkstattbereich bleibt unverändert.

24cc) Auch § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG greift nicht ein. Bei der Aufhebung einer täglichen, kurzzeitigen Freistellung von der Pflicht zur Erbringung von - ggf. schweren - Arbeiten handelt es sich nicht um eine auf den Arbeitsschutz abzielende Maßnahme.

25dd) § 1 Abs. 2 Unterabs. 2.1 BV Nr. 44 regelt zudem keine Änderung eines bestehenden betrieblichen Entlohnungsgrundsatzes iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.

26(1) Gegenstand dieses Mitbestimmungsrechts sind - dem Zweck des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG entsprechend - sämtliche für die Arbeitnehmer vermögenswerten Leistungen des Arbeitgebers. Erfasst werden alle Formen der Vergütung, die der Arbeitgeber aus Anlass des Arbeitsverhältnisses gewährt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um Geld- oder Sachleistungen handelt und ob sie freiwillig, nur einmalig oder nachträglich für Leistungen des Arbeitnehmers gewährt werden. Lohncharakter haben aber nur vermögenswerte Leistungen des Arbeitgebers. Dazu muss die Leistung des Arbeitgebers als solche das Vermögen der Arbeitnehmer mehren, sei es unmittelbar, sei es dadurch, dass sie ihnen sonst notwendige eigene Aufwendungen erspart. Der Arbeitgeber muss dem Vermögen der Arbeitnehmer etwas zuwenden (vgl.  - zu B III 1 b der Gründe, BAGE 115, 49).

27(2) Daran fehlt es hier. Die nach den Behauptungen des Klägers bei der Beklagten bestehende betriebliche Übung - die durch die BV Nr. 44 beendet werden sollte - bezieht sich ausschließlich auf eine Freistellung von der Arbeitspflicht. Die tarifgebundene Beklagte hat den Arbeitnehmern keine über das geschuldete Entgelt hinausgehende vermögenswerte Leistung zugewendet, sondern sie lediglich kurzfristig und situativ gebunden von ihrer Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung befreit. Damit hat sie nicht das Vermögen der begünstigten Arbeitnehmer gemehrt, sondern ihnen nur zusätzliche arbeitsfreie Zeit gewährt. Entgegen der Ansicht der Beklagten führt die Einstellung einer solchen Praxis auch nicht dazu, dass sich der relative Abstand der jeweiligen Vergütungen zueinander geändert hätte. Die Arbeitnehmer im Betrieb erhalten - auch wenn die im Werkstattbereich tätigen Arbeitnehmer keine bezahlte Frühstückspause mehr nehmen können - weiterhin unverändert dieselbe Vergütung.

28II. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

291. Eine Entscheidung über den Leistungsantrag scheidet aus, weil der Senat auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht beurteilen kann, ob er hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist.

30a) Der Antrag, einem Arbeitszeitkonto Stunden „gutzuschreiben“, ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wenn der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer ein Zeitkonto führt, auf dem zu erfassende Arbeitszeiten nicht aufgenommen wurden und noch gutgeschrieben werden können. Allerdings ist dafür grundsätzlich eine Konkretisierung des Leistungsbegehrens dahingehend erforderlich, an welcher Stelle des Arbeitszeitkontos die Gutschrift erfolgen soll (st. Rspr., vgl. nur  - Rn. 37 mwN).

31b) Daran fehlt es bislang. Auch dem Vortrag des Klägers lässt sich nicht entnehmen, an welcher Stelle des von der Beklagten geführten Arbeitszeitkontos die Gutschrift erfolgen soll. Der Kläger hat zum Inhalt und zur Ausgestaltung dieses Kontos keinen Sachvortrag gehalten.

32c) Der Senat kann den Klageantrag zu 1. dennoch nicht als unzulässig abweisen. Beide Tatsacheninstanzen haben das - dort noch in getrennten Anträgen angebrachte - Begehren für hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO erachtet. Der Kläger hatte deshalb nach dem Prozessverlauf nicht ausreichend Gelegenheit und Veranlassung, einen sachdienlichen Klageantrag zu stellen, der den Bestimmtheitsanforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügt. Dies führt zur Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht, um dem Kläger eine Konkretisierung seines Klageantrags zu 1. und eine entsprechende Sachentscheidung zu ermöglichen (vgl. ausf.  - Rn. 20 ff.).

332. Eine isolierte Entscheidung über den Feststellungsantrag durch Teilurteil nach § 301 ZPO ist dem Senat ebenfalls verwehrt.

34a) Ein Teilurteil darf ergehen, wenn einer von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen zur Endentscheidung reif ist. Entscheidungsreife liegt aber nur dann vor, wenn das Teilurteil unabhängig vom Schlussurteil erlassen werden kann und die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen - auch infolge abweichender Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht - ausgeschlossen ist. Eine solche Gefahr besteht, wenn in einem Teilurteil eine Frage entschieden wird, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren über andere Ansprüche oder Anspruchsteile noch einmal stellt oder stellen kann. Ein Teilurteil ist daher nur zulässig, wenn der weitere Verlauf des Prozesses die zu treffende Entscheidung unter keinen Umständen mehr berühren kann ( - Rn. 15 mwN).

35b) Dies ist hier nicht der Fall. Sowohl im Rahmen des - durch den Kläger ggf. konkretisierten - Leistungsbegehrens als auch im Rahmen seines Feststellungsantrags können sich Fragen stellen, die das Entstehen und den Inhalt einer bei der Beklagten geltenden betrieblichen Übung betreffen.

36III. Das Landesarbeitsarbeitsgericht wird im Rahmen des fortgesetzten Berufungsverfahrens Folgendes zu beachten haben:

371. Es wird dem Kläger Gelegenheit geben müssen, auch seinen Feststellungsantrag anzupassen. Der Klageantrag dürfte - abweichend von seinem Wortlaut - dahin zu verstehen sein, dass der Kläger die Feststellung begehrt, er sei auch über den hinaus berechtigt (gewesen), arbeitstäglich eine 15-minütige Frühstückspause ohne Entgeltkürzung zu machen. Soweit der Klageantrag dabei auch Jahre erfasst, die Gegenstand des (konkretisierten) Leistungsbegehrens sind, wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob ein Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO oder - unter dem Gesichtspunkt einer Zwischenfeststellungsklage - nach Absatz 2 der Norm besteht. Zudem stellt sich für das Jahr 2018 die Frage nach dem Vorrang einer Leistungsklage.

382. Das Landesarbeitsgericht wird dem Kläger zudem die Möglichkeit gewähren müssen, zur Ausgestaltung seines Arbeitszeitkontos näher vorzutragen. Der Kläger macht - ohne dies allerdings ausdrücklich auszuführen - gegen die Beklagte ersichtlich einen Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB wegen Verstoßes gegen eine ggf. kraft betrieblicher Übung entstandene Freistellungsvereinbarung über täglich 15 Minuten seiner Arbeitszeit geltend. Da die vereinbarte Freistellung zeitlich gebunden war, ist eine Erfüllung der sich hieraus ergebenden Ansprüche für die Vergangenheit unmöglich. Dem Kläger wäre daher im Wege des Schadensersatzes ein Zeitguthaben für eine künftige Freistellung zu gewähren. Eine Gutschrift solcher Zeitguthaben auf seinem Arbeitszeitkonto setzt aber voraus, dass sie nachträglich noch erfolgen kann.

393. Das Berufungsgericht wird außerdem zu prüfen haben, ob bei der Beklagten eine betriebliche Übung besteht, nach der die Arbeitnehmer im Werkstattbereich arbeitstäglich für eine 15-minütige Frühstückspause von ihrer Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt werden.

40a) Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Aus diesem als Vertragsangebot zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern in der Regel stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen (st. Rspr., vgl. etwa  - Rn. 32 mwN). Entscheidend wird sein, ob die Arbeitnehmer im Werkstattbereich das Verhalten der Beklagten nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) so verstehen mussten, dass diese sich dauerhaft binden wollte, eine entsprechende Freistellung zu gewähren. Ob die Beklagte dabei tatsächlich mit Verpflichtungswillen gehandelt hat, ist unerheblich (vgl. etwa  - aaO).

41b) Bei der Beklagten handelt es sich nicht um einen Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes. Ob die für den öffentlichen Dienst geltenden - erschwerten - Anforderungen an das Entstehen einer betrieblichen Übung auch dann gelten, wenn ein von der öffentlichen Hand gehaltenes Unternehmen in privater Rechtsform geführt wird (vgl. dazu  - zu I 2 der Gründe, BAGE 102, 351), ist zwar bislang nicht abschließend geklärt. Darauf kommt es hier aber nicht an. Die Gesellschafter der Beklagten sind nicht ausschließlich öffentliche Stellen. Vielmehr gehört ein - wenn auch geringer - Gesellschaftsanteil einem privaten Gesellschafter.

42c) Zudem wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, dass weder die vertragliche noch die tarifliche Schriftformklausel der Begründung einer betrieblichen Übung entgegenstehen dürften. Welche der beiden Regelungen für das Arbeitsverhältnis des - durch die DGB Rechtsschutz GmbH vertretenen und damit möglicherweise (wie die Beklagte) normativ an den ETV gebundenen (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG) - Klägers einschlägig ist, könnte daher dahinstehen.

43aa) Die doppelte Schriftformklausel in § 12 Abs. 1 des Arbeitsvertrags dürfte - nach dem derzeitigen Sachstand - den Kläger unangemessen iSv. § 307 Abs. 1 BGB benachteiligen und deshalb unwirksam sein. Auf den Umstand, dass der Arbeitsvertrag erst im Jahr 2004 und damit ggf. viele Jahre nach Entstehen einer etwaigen betrieblichen Übung abgeschlossen wurde, käme es dann nicht an.

44(1) Zwar fehlt es bislang an Feststellungen, dass es sich bei dieser Klausel um eine Allgemeine Geschäftsbedingung iSv. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB handelt. Eine solche ist aber zu bejahen, wenn sich aus dem Inhalt und der äußeren Gestaltung der in einem Vertrag verwendeten Bedingungen ein vom Verwender zu widerlegender Anschein dafür ergibt, dass sie zur Mehrfachverwendung formuliert worden sind und der Anschein nicht widerlegt worden ist. Ein solcher Anschein für eine beabsichtigte Mehrfachverwendung kann ua. dann gegeben sein, wenn der Vertrag - wie hier - zahlreiche formelhafte Klauseln enthält und nicht auf die individuelle Vertragssituation abgestimmt ist. Dass der Vertrag in Teilen individuelle Vereinbarungen enthält, ist unschädlich (vgl. etwa  - Rn. 32 mwN).

45(2) Sofern § 12 Abs. 1 des Arbeitsvertrags eine Allgemeine Geschäftsbedingung iSv. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB darstellen sollte, benachteiligt sie den anderen Vertragsteil unangemessen iSv. § 307 Abs. 1 BGB. Da sie beim Vertragspartner den Eindruck erweckt, mündliche Abreden seien entgegen § 305b BGB unwirksam, ist eine solche Klausel geeignet, ihn von der Durchsetzung der ihm zustehenden Rechte abzuhalten. Eine entsprechende Schriftformklausel beinhaltet eine unzutreffende Belehrung über die Rechtslage und birgt damit die Gefahr einer Irreführung des Vertragspartners. Der Arbeitnehmer wird davon abgehalten, sich auf Rechte zu berufen, die ihm aufgrund einer wirksamen mündlichen Vereinbarung zustehen (vgl.  - Rn. 39 mwN, BAGE 126, 364).

46bb) Das tarifliche Schriftformgebot nach § 3 Abs. 2 ETV stünde ebenfalls nicht entgegen. Eine betriebliche Übung über die Freistellung von der Arbeitspflicht für eine arbeitstägliche 15-minütige Frühstückspause beträfe die Arbeitsleistung und damit die Hauptleistungspflichten der Arbeitnehmer. Damit läge keine „Nebenabrede“ iSd. § 3 Abs. 2 ETV vor. Nebenabreden sind üblicherweise Vereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien, die weder die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers noch die Gegenleistung des Arbeitgebers unmittelbar zum Gegenstand haben. Bei Vereinbarungen über die beiderseitigen Hauptrechte und -pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nach § 611a BGB - insbesondere bei Abreden über das Arbeitsentgelt und die Arbeitsleistung - handelt es sich hingegen nicht um Nebenabreden im Sinn tariflicher Formvorschriften. Solche Abreden betreffen vielmehr den Kern des Arbeitsverhältnisses (vgl.  - Rn. 24). Anhaltspunkte für die Annahme, § 3 Abs. 2 ETV liege ein hiervon abweichendes Verständnis zugrunde, sind nicht ersichtlich.

474. Erforderlichenfalls wird das Berufungsgericht Feststellungen zur Höhe eines Ersatzfreistellungsguthabens zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2025:200525.U.1AZR120.24.0

Fundstelle(n):
ZAAAK-01217