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BGH Beschluss v. - 4 StR 255/25

Instanzenzug: Az: 21 Ks 5/24

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit Besitz einer halbautomatischen Selbstladepistole „zum Verschießen von Patronenmunition“ zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Urteils.

21. Nach den Feststellungen des Landgerichts lernten sich der Angeklagte und die spätere Geschädigte im August 2019 als Patienten in einer psychiatrischen Klinik kennen. In der Folge gingen beide eine Beziehung ein, und die unter paranoider Schizophrenie und Depressionen leidende Geschädigte zog in das Wohnhaus des Angeklagten. Sie steuerte fortan von ihrer Erwerbsminderungsrente regelmäßige Zahlungen zur Haushaltsführung bei, aufgrund derer der verwitwete Angeklagte das Haus „halten“ konnte. Das Zusammenleben war erheblich von der psychischen Erkrankung der Geschädigten geprägt, die zeitweise die Medikamente wegen von ihr beklagter Nebenwirkungen eigenmächtig absetzte. Im Jahr 2022 kam es deswegen zu mehreren Polizeieinsätzen und Aufenthalten der Geschädigten in der Psychiatrie wegen eigen- und fremdgefährdender Verhaltensweisen, in deren Zuge sie Suizidgedanken äußerte. Gleichwohl blieb das Paar trotz zwischenzeitlich anderslautender Ankündigungen zusammen, wobei sich die Geschädigte aufgrund ihrer gesundheitlichen Verfassung immer weiter zurückzog und schließlich nur noch regelmäßigen Besuch von einer Bekannten empfing, der häufig mit erheblichem Alkoholkonsum einherging.

3Am frühen Morgen des befand sich die Geschädigte in der Küche des Wohnhauses, als der Angeklagte ihr mit einer Schusswaffe der Marke Ceska, Modell 83, mit einem „Nahschuss“ in den Kopf schoss. Das Projektil durchdrang das Großhirn der Geschädigten von rechts schläfenwärts nach links scheitelwärts. Sie verstarb kurze Zeit später infolge hohen Blutverlustes. Ob es zuvor noch zu einem Gespräch zwischen den beiden oder etwa zu einem Streit wegen des psychischen Zustands der Geschädigten gekommen war, konnte die Strafkammer nicht feststellen. Sodann setzte der Angeklagte Notrufe ab und teilte darin mit, dass sich seine Partnerin soeben erschossen habe. Reanimationsversuche lehnte er ab. Die wenig später eintreffenden Rettungskräfte konnten nur noch den Tod der Geschädigten feststellen.

4Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des in der Hauptverhandlung schweigenden Angeklagten mit sachverständiger Hilfe gewonnen, indem es zunächst eine Selbsttötung der Geschädigten wegen des nahezu völligen Fehlens von Schmauchspuren an ihren Händen ausgeschlossen hat. Die nachgewiesenen Schmauchspuren an den Händen des Angeklagten erreichten zwar auch nicht die bei einer eigenhändigen Schussabgabe zu erwartende Anzahl an Partikeln. Jedoch sei der im Umgang mit Schusswaffen erfahrene Angeklagte in der Lage gewesen, bis zum Eintreffen der Polizei seine Hände zu reinigen. Eine Bestätigung ihrer Annahme hat die Strafkammer in dem für einen Suizid ungewöhnlichen Verlauf des Schusskanals sowie dem Fehlen von sogenannten Backspattern an den Händen der Geschädigten gesehen, weil solche Rückspritzspuren im Falle einer Selbstbeibringung der Schussverletzung zu erwarten gewesen wären. Im Weiteren hat das Landgericht die Tötung durch eine unbekannte dritte Person ausgeschlossen, nachdem an der Tatwaffe nebst Patronen lediglich DNA-Antragungen des Angeklagten und der Geschädigten gesichert werden konnten, woraus es den Schluss gezogen hat, dass nur diese beiden Personen mit der Tatwaffe und der Munition in Kontakt gekommen seien. Aus Sicht der Strafkammer lasse sich die gesicherte DNA der Geschädigten in Abrieben vom Schlitten und Hahn sowie in Mischspuren – zusammen mit der DNA des Angeklagten – an Abzug, Griff und Magazin sowie an den sichergestellten Patronen „zwanglos“ damit erklären, dass die im selben Haushalt lebende Geschädigte vor der Tatbegehung Zugriff auf Tatwaffe und Munition gehabt habe. Seine Überzeugung hat das Landgericht auch nicht durch die späteren Äußerungen des Angeklagten gegenüber Dritten zu einem Suizid seiner Lebensgefährtin als erschüttert betrachtet, weil diese mehrfach voneinander abwichen bzw. mit dem Ergebnis der Beweisaufnahme in Widerspruch stünden.

52. Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand, denn die Beweiswürdigung des Landgerichts ist durchgreifend rechtsfehlerhaft (§ 261 StPO).

6Das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen, ist allein Sache des Tatrichters. Die revisionsrechtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob ihm dabei Rechtsfehler unterlaufen sind (zum eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstab vgl. nur Rn. 9 mwN). Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht unter anderem der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft ist. Danach ist der Tatrichter gehalten, die Beweise erschöpfend zu bewerten. In den schriftlichen Urteilsgründen muss er dies erkennen lassen. Er hat sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen. Umstände, die geeignet sind, die gerichtliche Entscheidung maßgeblich zu beeinflussen, dürfen nicht stillschweigend übergangen werden (vgl. Rn. 44; Urteil vom – 4 StR 423/16 Rn. 8 mwN). Auch hat er sich mit naheliegenden alternativen Geschehensabläufen zu befassen (vgl. Rn. 5 mwN). Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. nur , juris Rn. 14 mwN).

7Gemessen daran erweist sich die Beweiswürdigung des Landgerichts als lückenhaft, denn es hat nicht sämtliche Umstände, die dazu geeignet waren, die Entscheidung zu beeinflussen, mit dem gebotenen Gewicht in seine Überlegungen einbezogen und einer umfassenden Gesamtwürdigung zugeführt.

8a) Das Landgericht erörtert das DNA-Spurenbild an der Tatwaffe nebst Munition zwar unter dem Gesichtspunkt des Ausschlusses eines Alternativtäters. Dabei begründet es das Zustandekommen der DNA-Spuren der Geschädigten – neben denen des Angeklagten – mit ihrer Zugriffsmöglichkeit im Rahmen des gemeinsamen Zusammenlebens. Eine nähere und erschöpfende Auseinandersetzung mit der Aussagekraft des festgestellten Spurenbildes lassen die Urteilsgründe aber vermissen, obwohl sich die Strafkammer hätte hierzu gedrängt sehen müssen. Denn die DNA der Geschädigten wurde an allen wesentlichen (äußeren) Bauteilen der Pistole sowie am Magazin und an den Patronen nachgewiesen. Der DNA-Befund könnte damit über den von ihr beigemessenen Beweiswert eines „zwanglos denkbaren“ Kontakts im gemeinsamen Haushalt hinausgehen. Vor allem die DNA der Geschädigten am Magazin und an den Patronen sowie an „Schlitten“ (Verschluss) und Abzug deuten auf konkrete Bedienungen hin, insbesondere auf ein Laden bis hin zur Herstellung der Schussbereitschaft sowie (zumindest) auf ein Ansetzen zur Schussabgabe. Dies könnte indiziell für einen möglichen Suizid oder eine aktive Mitwirkung an der Schussabgabe sprechen, zumal die Strafkammer selbst davon ausgeht, dass Erkenntnisse zum „letzten“ Spurenleger nicht getroffen werden können. Das DNA-Spurenbild hätte ferner mit Blick auf die psychische Verfassung der Geschädigten, insbesondere wegen ihres Leidens unter Depressionen und in der Vergangenheit geäußerter Suizidabsichten, über den Ausschluss eines möglichen Alternativtäters hinaus eigenständig und im Rahmen einer Gesamtschau bewertet werden müssen.

9b) Weiter fehlt eine umfassende Befassung mit der Tatversion des Angeklagten eines Suizids seiner Lebensgefährtin vor dem Hintergrund einer hier naheliegenden dritten Geschehensvariante, nämlich einer Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB). Das Landgericht nimmt zwar die Äußerungen des Angeklagten zum inkriminierten Geschehen gegenüber Dritten auf ihre Konstanz und Vereinbarkeit mit den erhobenen Beweisen in den Blick. Dabei lässt es aber die Besonderheit der vorliegenden Beweissituation außer Betracht, dass der Angeklagte möglicherweise nur deshalb eine (alternative) straflose Selbsttötung behauptet, um sich seinerseits von einer strafbewehrten Tötung auf Verlangen zu entlasten. Anlass zu einer entsprechenden Erörterung bestand – neben der Spurenlage an der Tatwaffe nebst Patronen – auch deshalb, weil die Strafkammer einen mit der Person des Angeklagten verbundenen Grund für die Tötung seiner seit Jahren unter Depressionen leidenden Lebensgefährtin nicht festzustellen vermochte. Im Übrigen ließen sich ebenso unter Zugrundelegung eines solchen Geschehensablaufs die von der Strafkammer erörterten Widersprüche in den Angaben des Angeklagten zum Suizid der Geschädigten und deren Unvereinbarkeit mit den übrigen Beweisergebnissen erklären.

103. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Da das Landgericht von einem tateinheitlichen Verstoß gegen das Waffengesetz ausgegangen ist, zieht die Aufhebung der Verurteilung wegen Totschlags auch die Aufhebung der Verurteilung wegen Besitzes einer halbautomatischen Selbstladewaffe nach sich (vgl. Rn. 37). Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat daraufhin, dass der Tatrichter im Rahmen seiner Prüfung einer Tatbegehung durch einen unbekannten Dritten stärker als bislang geschehen die örtlichen Begebenheiten in den Blick zu nehmen haben wird.

Quentin                       Maatsch                       Momsen-Pflanz

                 Marks                        Gödicke

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:260825B4STR255.25.0

Fundstelle(n):
KAAAK-00892