Instanzenzug: OLG Bamberg Az: 1 U 470/21vorgehend LG Bamberg Az: 24 O 68/21
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Mai 2012 von dritter Seite einen von der Beklagten hergestellten, neuen BMW X3 xDrive20d, der mit einem Dieselmotor der Baureihe N47 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist.
2Der Kläger hat die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu I), die Zahlung von Deliktszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu II), die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu III) sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu IV) begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang weiter.
Gründe
3Die Revision hat Erfolg.
I.
4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
5Dem Kläger stehe gegen die Beklagte kein Anspruch aus § 826 BGB zu. Das Landgericht habe zutreffend festgestellt, dass der Vortrag des Klägers zu den behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen eine Behauptung ins Blaue hinein darstelle. Das gelte auch hinsichtlich des Vortrags zu dem Thermofenster. Die Beklagte habe substantiiert vorgetragen, dass das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) das Thermofenster bei dem streitgegenständlichen Motortyp für zulässig erachtet habe. Dem sei der Kläger nicht ausreichend entgegengetreten. Seine den Wahrheitsgehalt der Auskünfte des KBA in Zweifel ziehenden Behauptungen erwiesen sich als willkürlich und seien wegen Rechtsmissbrauchs unbeachtlich. Demnach enthalte der Vortrag des Klägers letztlich nur allgemeine Ausführungen zu (irgend)einem Thermofenster, ohne auf das streitgegenständliche Fahrzeug im Einzelnen einzugehen. Davon abgesehen reiche das Vorbringen des Klägers bereits nicht aus, um auf seiner Grundlage einen Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung anzunehmen.
6Ebenso wenig bestehe ein Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, weil es sich nicht um Schutzgesetze handele.
II.
7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
81. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.
92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht in Betracht gezogen hat.
10a) Wie der Senat nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Dem Kläger kann indes nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
12b) Die angegriffene Entscheidung hat auch nicht deshalb Bestand, weil das Berufungsgericht den Vortrag des Klägers zu den behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen bereits als Behauptung ins Blaue hinein angesehen hat. Nach den getroffenen Feststellungen ist in das Fahrzeug des Klägers unstreitig ein "Thermofenster" integriert. Der Kläger hat behauptet, das Fahrzeug messe mittels Sensoren die Außentemperatur. Liege diese in einem Temperaturbereich zwischen 20°C und 30°C, werde die Abgasrückführung optimal angesteuert und zu 100 % durchgeführt. Außerhalb dieses Temperaturbereichs werde die Abgasrückführung schrittweise reduziert und schließlich ganz ausgeschaltet, so dass die Grenzwerte für den Stickoxidausstoß überschritten würden.
13Weitergehender Vortrag zum (bloßen, objektiven) Vorliegen einer Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 in Gestalt eines unstreitig in das Fahrzeug eingebauten "Thermofensters", das zu einer Verringerung des Emissionskontrollsystems führt, kann nicht verlangt werden (vgl. BGH, Urteil VIa ZR 347/22, juris Rn. 14 f.).
14Soweit das Berufungsgericht meint, der Kläger sei dem Vortrag der Beklagten, das KBA habe das "Thermofenster" bei dem streitgegenständlichen Motortyp für zulässig erachtet, nicht ausreichend entgegengetreten, verkennt es, dass den Kläger lediglich die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung als solcher im Sinne der Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 trifft, während der Beklagten die Darlegungs- und Beweislast dafür obliegt, dass eine festgestellte Abschalteinrichtung zulässig ist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 53 f.). Vor diesem Hintergrund durfte sich der Kläger damit begnügen, die Richtigkeit der von der Beklagten beigebrachten Auskünfte des KBA in Zweifel zu ziehen.
III.
15Die angefochtene Entscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
16Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Möhring Katzenstein
Ostwaldt Tausch
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:230925UVIAZR584.22.0
Fundstelle(n):
RAAAK-00881