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BGH Urteil v. - VIII ZR 289/23

Leitsatz

Zur Frage des Vorliegens von Eigenbedarf gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB, wenn der im selben Haus wie der Mieter wohnende Vermieter beabsichtigt, die eigene Wohnung baulich zu verändern, um sie anschließend zu verkaufen, und die ähnlich große, vermietete Wohnung während der Umbauarbeiten und auch dauerhaft selbst zu nutzen.

Gesetze: Art 14 Abs 1 S 1 GG, § 573 Abs 1 S 1 BGB, § 573 Abs 2 Nr 2 BGB, § 573 Abs 2 Nr 3 BGB

Instanzenzug: Az: 64 S 116/23vorgehend Az: 206 C 366/22

Tatbestand

1Die Beklagte ist seit dem Jahr 2006 Mieterin einer Zweizimmerwohnung im dritten Obergeschoss eines Mehrparteienhauses in Berlin. Der Kläger trat durch Eigentumserwerb an der Wohnung in das Mietverhältnis ein. Er selbst bewohnt die unmittelbar darüber liegende Wohnung, die ähnlich groß und geschnitten ist wie die von der Beklagten gemietete Wohnung. Über der Wohnung des Klägers befindet sich das bislang nicht ausgebaute Dachgeschoss des Hauses. Auch diese beiden Einheiten - die von ihm selbst bewohnte Wohnung und das Dachgeschoss - stehen im Eigentum des Klägers.

2Mit Schreiben vom kündigte der Kläger das Mietverhältnis mit der Beklagten zum wegen Eigenbedarfs. Zur Begründung heißt es in dem Kündigungsschreiben, der Kläger beabsichtige, das Dachgeschoss auszubauen und mit seiner Wohnung im vierten Obergeschoss zu verbinden. Die dafür erforderlichen Bauarbeiten sollten nach Freiwerden der von der Beklagten bewohnten Wohnung beginnen und würden mehrere Monate in Anspruch nehmen. Seine eigene Wohnung im vierten Obergeschoss stehe dem Kläger dann über diesen Zeitraum nicht mehr zur Verfügung, so dass er die Wohnung der Beklagten im dritten Obergeschoss benötige. Nach Abschluss der Arbeiten wolle er nicht mehr in die Wohnung im vierten Obergeschoss zurückkehren, sondern diese verkaufen.

3Das Amtsgericht hat der auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gerichteten Klage nach Beweisaufnahme über den geltend gemachten Eigenbedarf stattgegeben. Auf die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Landgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen.

4Mit der vom Senat zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Gründe

5Die Revision hat Erfolg.

I.

6Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:

7Das Amtsgericht habe der Räumungsklage zu Unrecht stattgegeben. Denn das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis sei durch die Kündigung vom nicht beendet worden. Diese sei nicht wirksam wegen Eigenbedarfs gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB ausgesprochen worden; es handele sich vielmehr um eine Verwertungskündigung im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB, ohne dass die Voraussetzungen dieser Vorschrift vorlägen.

8Die Disposition des Klägers über seine Wohnungen habe ihren zentralen Grund nicht darin, dass auf der Grundlage geänderter Lebensverhältnisse ein neu entstandenes oder erweitertes Eigennutzungsinteresse umgesetzt werden solle, wie es die Verdrängung des Mieters nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB voraussetze. Zwar sei der Selbstnutzungswunsch eines Wohnungseigentümers grundsätzlich zu respektieren und dieser dürfe auch individuelle Vorstellungen hinsichtlich der Ausgestaltung seiner Wohnverhältnisse haben, die gerichtlich nur eingeschränkt darauf hin überprüfbar seien, ob sie ernsthaft, vernünftig und nachvollziehbar seien. Ein solcher Fall des Eigenbedarfs im Sinne eines "Benötigens" der streitgegenständlichen Wohnung liege hier jedoch gerade nicht vor. Denn die aktuellen Wohnverhältnisse des Klägers entsprächen denjenigen in der Wohnung der Beklagten und würden sich durch einen Umzug nicht wesentlich ändern. Es gehe dem Kläger stattdessen allein darum, eine seiner Wohnungen veräußern, also verwerten zu können im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Da mit dieser Begründung das Mietverhältnis der Beklagten nicht wirksam hätte gekündigt werden können, bedeute es einen Rechtsmissbrauch des Klägers, den mit seiner von ihm gegenwärtig genutzten Wohnung vollständig befriedigten Eigenbedarf auf die von der Beklagten bewohnte Wohnung zu verlagern.

9Die Absicht des Klägers bestehe darin, die derzeit von ihm selbst bewohnte Wohnung mit dem darüber liegenden Dachgeschoss baulich zu verbinden und zur Erzielung eines optimalen Verkaufspreises als gemeinsame, ausgebaute Wohneinheit zu veräußern. Dies sei für sich genommen nicht ausreichend, um den Anforderungen der Vorschrift des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB zu genügen. Dieses reine Verwertungsinteresse stehe einem Eigenbedarf rechtlich nicht gleich. Es genieße nach der gesetzlichen Konzeption (nur) den (geringeren) Schutz gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften lägen jedoch unstreitig nicht vor.

10Es möge zwar zutreffen, dass für die Einheit im vierten Obergeschoss nach baulicher Vereinigung mit dem ausgebauten Dachgeschoss ein höherer Veräußerungserlös erzielt werden könne als bei getrennter Veräußerung; dies reiche als Kündigungsgrund jedoch nicht ohne weiteres aus. Denn das Eigentum gewähre dem Vermieter grundsätzlich keinen Anspruch auf Gewinnoptimierung oder Einräumung gerade der Nutzungsmöglichkeiten, die den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil versprächen.

II.

11Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

12Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Anspruch des Klägers auf Räumung und Herausgabe der von der Beklagten gemieteten Wohnung (§ 546 Abs. 1, § 985 BGB) aufgrund der streitgegenständlichen Kündigungserklärung nicht verneint werden. Das Berufungsgericht hat bereits die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Senats geltenden Maßstäbe für das Vorliegen von Eigenbedarf im Sinne der Vorschrift des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB verkannt, demgegenüber einen Fall der Verwertungskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB angenommen und rechtsfehlerhaft gemeint, das Berufen des Klägers auf einen Eigenbedarf sei deshalb rechtsmissbräuchlich.

131. Nach § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Vermieter das Mietverhältnis ordentlich nur kündigen, wenn er an dessen Beendigung ein berechtigtes Interesse hat. Ein solches berechtigtes Interesse liegt insbesondere vor, wenn der Vermieter die Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Bei der Auslegung und Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB haben die Gerichte die in dieser Vorschrift und den Bestimmungen der §§ 574 ff. BGB zum Ausdruck kommende Interessenabwägung des Gesetzgebers zwischen dem Erlangungsinteresse des Vermieters und dem Bestandsinteresse des Mieters in einer Weise nachzuvollziehen, die dem beiderseitigen Eigentumsschutz (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) Rechnung trägt und die beiderseitigen Belange in einen verhältnismäßigen Ausgleich bringt (Senatsurteil vom - VIII ZR 166/14, BGHZ 204, 216 Rn. 13 ff.; vgl. auch BVerfGE 89, 1, 8 ff.; BVerfG, NJW-RR 1999, 1097, 1098 [jeweils zu § 564b, § 556a BGB aF]).

14a) Das Tatbestandsmerkmal des Benötigens erfordert nicht, dass der Vermieter oder einer der in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB genannten Angehörigen auf die Nutzung der Wohnung angewiesen ist (st. Rspr.; vgl. etwa Senatsurteil vom - VIII ZR 180/18, BGHZ 222, 133 Rn. 18; Senatsbeschluss [Rechtsentscheid] vom - VIII ARZ 4/87, BGHZ 103, 91, 100 [zu § 564b Abs. 2 Nr. 2 BGB aF]; BVerfGE 68, 361, 373 f.; BVerfG, NJW 1994, 309, 310; 1994, 994 f.). Vielmehr benötigt ein Vermieter eine Mietwohnung bereits dann im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB, wenn sein (ernsthafter) Wunsch, die Wohnung künftig selbst zu nutzen oder nahen Angehörigen zu Wohnzwecken zur Verfügung zu stellen, auf vernünftige und nachvollziehbare Gründe gestützt wird (st. Rspr.; vgl. etwa Senatsbeschluss [Rechtsentscheid] vom - VIII ARZ 4/87, aaO; , NJW 2015, 2727 Rn. 9 mwN; vom - VIII ZR 180/18, aaO; Senatsbeschluss vom - VIII ZR 186/17, NJW-RR 2019, 130 Rn. 24 mwN). Eine solche Auslegung ist im Hinblick auf die sowohl dem Vermieter als auch dem Mieter zukommende Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geboten (Senatsurteil vom - VIII ZR 180/18, aaO Rn. 19).

15b) Danach haben die Gerichte den Entschluss des Vermieters, die vermietete Wohnung nunmehr selbst zu nutzen oder durch den - eng gezogenen - Kreis privilegierter Dritter nutzen zu lassen, grundsätzlich zu achten und ihrer Rechtsfindung zugrunde zu legen (st. Rspr.; vgl. nur BVerfGE 68, 361, 373 f.; 79, 292, 304 f.; BVerfG, NJW 1994, 309, 310; 1995, 1480, 1481; , BGHZ 204, 216 Rn. 14; vom - VIII ZR 180/18, BGHZ 222, 133 Rn. 19). Ebenso haben sie grundsätzlich zu respektieren, welchen Wohnbedarf der Vermieter für sich oder seine Angehörigen als angemessen ansieht. Die Gerichte sind daher nicht berechtigt, ihre Vorstellungen von angemessenem Wohnen verbindlich an die Stelle der Lebensplanung des Vermieters (oder seiner Angehörigen) zu setzen (vgl. zum Ganzen , aaO; vom - VIII ZR 144/19, NJW 2020, 1215 Rn. 18; BVerfGE 79, aaO; BVerfG, NJW 1994, 2605; jeweils mwN). Zur Wahrung berechtigter Belange des Mieters dürfen die Gerichte allerdings den Eigennutzungswunsch des Vermieters - unter sorgfältiger Würdigung der Einzelfallumstände (Senatsbeschluss vom - VIII ZR 186/17, NJW-RR 2019, 130 Rn. 25 f.) - darauf überprüfen, ob er ernsthaft verfolgt wird, von vernünftigen und nachvollziehbaren Gründen getragen ist oder - etwa weil der geltend gemachte Wohnbedarf weit überhöht ist, die Wohnung die Nutzungswünsche des Vermieters überhaupt nicht erfüllen kann oder der Wohnbedarf in einer anderen (frei gewordenen) Wohnung des Vermieters ohne wesentliche Abstriche befriedigt werden kann - rechtsmissbräuchlich ist (vgl. , aaO Rn. 15 mwN; vom - VIII ZR 270/15, NJW 2017, 1474 Rn. 19; vom - VIII ZR 180/18, aaO; Senatsbeschlüsse vom - VIII ZR 178/15, WuM 2016, 628 Rn. 17; vom - VIII ZR 186/17, WuM 2018, 776 Rn. 21; BVerfGE 89, 1, 10; BVerfG, NJW 1993, 1637 f.; 1994, 309, 310; 1994, 310, 311; 1994, 994 f.; WuM 2002, 21, 22).

162. Diesen Maßstäben wird die Beurteilung des Berufungsgerichts hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals des Benötigens der Wohnung im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht gerecht. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, der vom Kläger beabsichtigte Verkauf seiner Wohnung stehe unter den hier gegebenen Umständen der Annahme von Eigenbedarf hinsichtlich der Wohnung der Beklagten entgegen, die hierauf gestützte Kündigung sei vielmehr rechtsmissbräuchlich, zumal sich durch den vom Kläger beabsichtigten Umzug dessen Wohnverhältnisse nicht änderten.

17a) Indem das Berufungsgericht ohne die erforderliche konkrete Würdigung der Einzelfallumstände die Kündigung des Klägers vom allein schon aufgrund seines Wunsches, die derzeit von ihm bewohnte Wohnung zu verkaufen, als missbräuchlich angesehen hat, hat es dem aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG folgenden Recht des Eigentümers, seine Wohnung bei Eigenbedarf selbst zu nutzen oder durch privilegierte Angehörige nutzen zu lassen, nicht hinreichend Rechnung getragen. Die dem Umbau- und dem Verkaufswunsch selbst - nach dem Vortrag des Klägers und den dementsprechenden erstinstanzlichen Feststellungen - zugrunde liegenden Motive des Klägers und seine Lebensplanung hat es - was die Revision mit Erfolg rügt - bei seiner Würdigung rechtsfehlerhaft aus dem Blick verloren. Das Berufungsgericht hat damit den Sachverhalt und den Kern des klägerischen Vortrags nicht vollständig ausgeschöpft und insbesondere nicht geprüft, ob der Eigenbedarfswunsch von ernsthaften, vernünftigen und nachvollziehbaren Gründen getragen ist.

18b) Anders als das Berufungsgerichts offenbar gemeint hat, ist das Nutzungsinteresse des Vermieters - hier des Klägers - hinsichtlich der vermieteten Wohnung auch dann zu respektieren, wenn er den Bedarfsgrund willentlich herbeigeführt beziehungsweise selbst verursacht hat (vgl. , BGHZ 222, 133 Rn. 16, 56; vom - VIII ZR 144/19, NJW 2020, 1215 Rn. 17; BVerfGE 79, 292, 305; 81, 29, 34). Für die in Rede stehende Veräußerung der bisher vom Kläger genutzten Wohnung gilt jedenfalls unter den hier gegebenen Umständen nichts Anderes (vgl. hierzu BVerfGE 81, aaO).

19c) Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts kann das Vorliegen von Eigenbedarf des Klägers auch nicht deshalb verneint werden, weil sich dessen Wohnverhältnisse in Bezug auf den Zuschnitt und die Größe der beiden hier in Rede stehenden Wohnungen nicht wesentlich änderten. Damit stellt das Berufungsgericht Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal des Benötigens der Wohnung im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB, die nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich nicht bestehen (siehe bereits Senatsbeschluss [Rechtsentscheid] vom - VIII ARZ 4/87, BGHZ 103, 91, 98, 100 [zu § 564b Abs. 2 Nr. 2 BGB aF]; vgl. auch Senatsurteil vom - VIII ZR 180/18, aaO Rn. 16).

20d) Vor diesem Hintergrund ist - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - die von dem Kläger ausgesprochene Kündigung nicht an den Maßstäben einer Verwertungskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB, sondern allein an den Maßstäben einer Eigenbedarfskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu messen. Der Anwendungsbereich der Vorschrift des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB ist schon nicht eröffnet, da es dem Kläger im Streitfall nicht darum geht, eine vermietete Wohnung zu verkaufen, und er sich aufgrund eines Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung gehindert sieht. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist unter Zugrundelegung der getroffenen Feststellungen kein Raum für die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Umgehung der Voraussetzungen der Vorschrift des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB.

III.

21Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben; es ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist, da das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - tatsächliche Feststellungen zum Vorliegen des Eigenbedarfs des Klägers nicht getroffen hat, nicht zur Endentscheidung reif und deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dabei macht der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch.

Dr. Bünger                        Kosziol                          Dr. Schmidt

                   Dr. Reichelt                       Messing

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:240925UVIIIZR289.23.0

Fundstelle(n):
GAAAK-00876