Instanzenzug: LG Marburg Az: 1 KLs 2 Js 2125/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen „unerlaubten“ Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit bandenmäßigem Handeltreiben mit Cannabis in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Es hat gegen ihn die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 114.161,50 Euro, gesamtschuldnerisch haftend mit zwei namentlich bezeichneten weiteren Gesamtschuldnern, angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts und eine Verfahrensrüge gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
I.
2Nach den Feststellungen und Wertungen des Landgerichts erwarb der Angeklagte im Fall II.2. der Urteilsgründe (= Tat 1 der Anklageschrift) als Mitglied einer Bande mit den gesondert verfolgten Ka. und Kö. bei 16 verschiedenen Gelegenheiten im Zeitraum vom bis zum in unterschiedlichen Zusammensetzungen insgesamt 1 Kilogramm Kokain, knapp 6 Kilogramm Amphetamin, 12 Kilogramm Marihuana und 2,2 Kilogramm Haschisch (die zum Amphetamin und zum Marihuana abweichende eigene Addition des Landgerichts in den Feststellungen leidet an den vom Generalbundesanwalt zutreffend aufgezeigten Rechenfehlern) und verkaufte die Drogen in der Folge gewinnbringend. Die Bezahlung erfolgte auf Kommissionsbasis, indem auf die Lieferungen regelmäßig Teilzahlungen geleistet wurden und der Lieferant eine offene Rechnung führte. Die Strafkammer ist im Hinblick auf diese Zahlungsweise von einer betäubungsmittelrechtlichen Bewertungseinheit ausgegangen und hat für diesen Fall eine Einzelfreiheitsstrafe von vier Jahren verhängt.
3Im Fall II.4. der Urteilsgründe (= Tat 2 der Anklageschrift) besaß der Angeklagte als Mitglied derselben Bande zum gewinnbringenden Weiterverkauf 981,42 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffanteil von mindestens 116,19 Gramm THC, 556,76 Gramm Cannabisharz mit einem Wirkstoffanteil von mindestens 144,48 Gramm THC, 1.186,53 Gramm Amphetamin (Trockengewicht) mit einem Wirkstoffanteil von 71,52 Gramm Amphetamin-Base, 233,78 Gramm Kokain mit einem Anteil an Kokain-Hydrochlorid von mindestens 140,64 Gramm sowie einige wenige Ecstasy-Pillen. Die Drogen wurden am in einem von der Bande als Bunker genutzten Pkw in der Nähe seiner Wohnung sichergestellt. Das Landgericht hat für diese Tat eine Einzelfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verhängt.
II.
4Die Verfahrensrüge einer Verletzung der Unterbrechungsfrist nach § 229 Abs. 1 StPO versagt aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen.
III.
5Der Schuldspruch hält in beiden Fällen der revisionsrechtlichen Überprüfung auf die Sachrüge nicht stand, soweit das Landgericht den Angeklagten in Anwendung des § 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG jeweils auch wegen tateinheitlichen bandenmäßigen Handeltreibens mit Cannabis verurteilt hat. Dies führt im Fall II.2. der Urteilsgründe zur Schuldspruchänderung durch den Senat, während ein weiterer Rechtsfehler in der konkurrenzrechtlichen Bewertung dieses Falles durch das Landgericht ohne Auswirkungen auf den Schuldspruch bleibt. Im Fall II.4. der Urteilsgründe zieht der Rechtsfehler bei der Anwendung des § 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG die Aufhebung im Schuldspruch nach sich.
61. Soweit der Angeklagte nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen neben anderen Drogen jeweils auch mit Cannabis handelte, hat das Landgericht die gebotene Überprüfung versäumt, ob es sich bei dem nach der Tatbegehung, aber vor seiner Entscheidung in Kraft getretenen und insoweit von ihm in beiden Fällen angewendeten § 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG um das mildere Gesetz im Vergleich zu § 30a Abs. 1 und 3 BtMG handelt (§ 2 Abs. 3 StGB).
7Das mildere von zwei Gesetzen ist dasjenige, das anhand des konkreten Falles nach einem Gesamtvergleich des früher und des derzeit geltenden Strafrechts das dem Angeklagten günstigere Ergebnis zulässt (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 154/24, NStZ 2024, 547 Rn. 5; vom – 1 StR 382/24, NStZ 2025, 106, 107 Rn. 3, und vom – 2 StR 93/24, Rn. 3). Hängt die Beurteilung des im Einzelfall milderen Rechts davon ab, ob die Möglichkeit einer Strafrahmenverschiebung genutzt, etwa ein gesetzlich geregelter besonders oder minder schwerer Fall angenommen wird, obliegt die Bewertung grundsätzlich dem Tatgericht, sofern eine abweichende Würdigung nicht sicher auszuschließen ist (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 108/24, Rn. 6, und vom – 2 StR 93/24, Rn. 3).
82. Bei Anwendung dieser Grundsätze kann der Senat im Fall II.2. der Urteilsgründe sicher ausschließen, dass das Landgericht bei Durchführung des erforderlichen konkreten Gesamtvergleichs zu einer Bewertung des § 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG als milderes Gesetz gelangt wäre.
9a) Das Landgericht hat diese Tat als minder schweren Fall des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach § 30a Abs. 3 BtMG bewertet. Es hat sodann die Sperrwirkung der Tatbestände des § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG, des § 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG und des § 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG erörtert und, insoweit auch bei einer gesonderten Betrachtung jedes Einzelgeschäfts rechtsfehlerfrei, mitgeteilt, für alle diese Tatbestände keinen minder schweren Fall anzunehmen und von einer Strafuntergrenze von zwei Jahren auszugehen. Dabei hat die Strafkammer übersehen, dass der damit von ihr zur Überprüfung der Sperrwirkung herangezogene Regelstrafrahmen des § 34 Abs. 4 KCanG, der Freiheitsstrafe von zwei Jahren bis fünfzehn Jahren vorsieht, im konkreten Vergleich nicht günstiger ist als der Strafrahmen des minder schweren Falles nach § 30a Abs. 3 BtMG mit der Obergrenze von zehn Jahren Freiheitsstrafe. Die Tat ist daher einheitlich, auch soweit sie den Handel mit Cannabis zum Gegenstand hatte, nach dem zur Tatzeit geltenden Recht als bandenmäßiges Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu beurteilen.
10b) Der Senat ändert den Schuldspruch in diesem Fall entsprechend § 354 Abs. 1 StPO ab. Er lässt der Anregung des Generalbundesanwalts folgend die ausdrückliche Bezeichnung der Tat als „unerlaubt“ im Urteilstenor entfallen, da Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz ausschließlich den unerlaubten Umgang mit den dort genannten Stoffen betreffen (vgl. zuletzt , NStZ-RR 2025, 124, 125 Rn. 5 mwN). § 265 Abs. 1 StPO steht der Schuldspruchänderung durch den Senat nicht entgegen, da der in diesem Fall zu den Abläufen der einzelnen Ankaufsgeschäfte geständige Angeklagte sich nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
11c) Allerdings hat das Landgericht aufgrund der Bezahlungsmodalität nach Art einer laufenden Rechnung zu Unrecht darauf erkannt, dass der Tatbestand des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in diesem Fall nur ein einziges Mal verwirklicht sei. Vielmehr gilt, dass die sukzessive Bezahlung zuvor „auf Kommission“ erhaltener Rauschgiftmengen nach Art einer laufenden Rechnung wegen der Überschneidung der tatbestandlichen Ausführungshandlungen die Umsatzgeschäfte zu einer einheitlichen Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit verbindet; die Geschäfte bilden hingegen, anders als vom Landgericht angenommen, keine betäubungsmittelrechtliche Bewertungseinheit (vgl. BGH, Beschlüsse vom – GSSt 4/17, BGHSt 63, 1, und vom – 3 StR 88/17, NStZ-RR 2018, 351). Das bedeutet, dass in diesen Fällen die Tatbestände des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in der jeweiligen Anzahl der Einzelgeschäfte tateinheitlich verwirklicht sind. Eine Zusammenrechnung der jeweils erworbenen Einzelmengen zur Bestimmung der nicht geringen Menge findet in dieser Konstellation, anders als in Fällen der Bewertungseinheit, nicht statt (, Rn. 10 f. mwN). Der Rechtsfehler lässt den Schuldspruch wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge indes unberührt, da die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen für jeden einzelnen der 16 Erwerbsvorgänge die Überschreitung des Grenzwerts der nicht geringen Menge belegen und keinen Anhaltspunkt für eine Vereinigung der Drogen zu einem einheitlichen Verkaufsvorrat bieten. Von einer – entbehrlichen – Kennzeichnung der gleichartigen Tateinheit in der Urteilsformel sieht der Senat ab (vgl. , Rn. 2 mwN).
123. Im Fall II.4. der Urteilsgründe lässt sich nach den dargelegten Grundsätzen im Revisionsverfahren dagegen nicht abschließend bestimmen, welche Rechtslage die mildere ist. Zwar ist das Landgericht hier nicht zur Annahme eines minder schweren Falles des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gelangt, sondern hat den Regelstrafrahmen des § 30a Abs. 1 BtMG angewendet. Die für die Strafrahmenwahl gegebene Begründung weist indes einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
13a) Das Landgericht hat bei der Strafzumessung zwar zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass die Tat zum Urteilszeitpunkt bereits über zwei Jahre zurücklag. Es hat indes – hier wie auch bei der Strafzumessung im Fall II.2. der Urteilsgründe – nicht erkennbar die lange Verfahrensdauer seit der Durchsuchung vom in seine Erwägungen eingestellt. Dies lässt besorgen, dass die Strafkammer, die im Rahmen ihrer Erwägungen zum Kompensationsausspruch als „Verfahrensdauer an sich“ fälschlich ausdrücklich den Zeitraum zwischen der Begehung der Tat und deren Aburteilung bezeichnet hat, den Unterschied verkannt und der Verfahrensdauer im Rahmen der Strafzumessung keine eigenständige Bedeutung beigemessen hat. Eine überdurchschnittlich lange Verfahrensdauer ist ungeachtet eines geringeren Strafbedürfnisses auf Grund des zeitlichen Abstands zwischen Tatbegehung und Urteil (und unbeschadet eines etwa zu gewährenden Vollstreckungsabschlags) bei der Strafzumessung zu berücksichtigen und stellt regelmäßig einen bestimmenden Strafzumessungsgrund im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO dar (st. Rspr.; vgl. nur , Rn. 49; Beschlüsse vom – 4 StR 202/21, NStZ-RR 2022, 200, und vom – 2 StR 17/25, Rn. 3, jew. mwN). Gründe, warum dies hier anders zu beurteilen sein könnte, sind auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht zu entnehmen.
14b) Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer ohne den aufgezeigten Rechtsfehler ebenso wie im Fall II.2. der Urteilsgründe zur Annahme eines minder schweren Falles nach § 30a Abs. 3 BtMG gelangt wäre.
15c) Da der gemilderte Strafrahmen nach § 30a Abs. 3 BtMG sich als konkret milder erwiese als der Regelstrafrahmen des § 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG, kann der Senat nicht entscheiden, ob für diesen Fall das neue Recht nach dem Konsumcannabisgesetz für den Angeklagten bei dem gebotenen konkreten Gesamtvergleich günstiger ist. Die Frage bedarf vielmehr einer erneuten tatrichterlichen Bewertung.
IV.
16Die gegen den Angeklagten verhängten Strafen unterliegen insgesamt der Aufhebung. Im Fall II.2. der Urteilsgründe hat das Landgericht, das einen minder schweren Fall des § 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG verneint hat, den maßgeblichen Strafrahmen im Ergebnis zwar zutreffend bestimmt. Es hat aber auch insoweit bei der konkreten Strafzumessung die lange Verfahrensdauer nicht erkennbar in seine Erwägungen eingestellt. Die Aufhebung des Strafausspruchs in Fall II.2. der Urteilsgründe und des Schuld- und Strafausspruchs in II.4. der Urteilsgründe entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
V.
17Die Feststellungen bleiben von den bloßen Wertungsfehlern unberührt und können aufrechterhalten bleiben. Das zur neuen Verhandlung und Entscheidung berufene Tatgericht kann wie stets ergänzende Feststellungen treffen, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen. Es wird bedenken können, dass sich das Verhältnis der bisherigen Einzelstrafen angesichts der vollständigen Sicherstellung und der niedrigeren Handelsmengen in Fall II.4. der Urteilsgründe auch ungeachtet des unterschiedlichen Einlassungsverhaltens des Angeklagten in den beiden Fällen ohne nähere Begründung nicht ohne weiteres als stimmig erweist.
VI.
18Im Übrigen hat die revisionsrechtliche Überprüfung des landgerichtlichen Urteils im Einziehungsausspruch einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler lediglich in Höhe von 5.700 Euro ergeben.
19Dass die Strafkammer auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen von einem Verkaufserlös mindestens in Höhe der Einstandspreise ausgegangen ist und in dieser Höhe die Einziehung des Wertes von Taterträgen aus den Einzelgeschäften im Fall II.2. der Urteilsgründe anordnen wollte, lässt für sich keinen Rechtsfehler erkennen. Der auch ansonsten rechtsfehlerfrei getroffene Einziehungsausspruch leidet jedoch an einem Rechenfehler, soweit er die Tat zu II.2.a. vom 28./ betrifft. Obschon die Feststellungen für diesen Fall die Vereinbarung von Kaufpreisen von 4.100 Euro für das erworbene Marihuana und von 4.000 Euro für das Kokain belegen, gelangt das Landgericht bei der Addition der beiden Einzelpreise zu einem Gesamtbestellwert von 13.800 Euro statt rechnerisch zutreffend von 8.100 Euro.
20Der Senat kürzt auf den Antrag des Generalbundesanwalts entsprechend § 354 Abs. 1 StPO den Einziehungsbetrag in Höhe der Differenz von 5.700 Euro und lässt zugleich die entbehrliche namentliche Bezeichnung der übrigen Gesamtschuldner in der Urteilsformel (vgl. , Rn. 7 mwN) entfallen.
Menges Zeng Grube
Lutz Zimmermann
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:300725B2STR198.25.0
Fundstelle(n):
JAAAK-00781