Betriebsratswahl - weniger Wahlbewerber als Betriebsratssitze - Nachfrist für Wahlvorschläge
Instanzenzug: ArbG Nienburg Az: 2 BV 2/23 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 8 TaBV 49/23 Beschluss
Gründe
1A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.
2Die zu 1. und 2. beteiligten Arbeitgeberinnen sind Träger eines Gemeinschaftsbetriebs, in dem zum Zeitpunkt der vorliegend angefochtenen Wahl 367 Arbeitnehmer beschäftigt waren.
3Da die Gesamtzahl der Mitglieder des im Gemeinschaftsbetrieb gebildeten Betriebsrats unter die vorgeschriebene Zahl der Betriebsratsmitglieder gesunken war, bestellte dieser außerhalb des Zeitraums der regelmäßigen Betriebsratswahlen einen aus fünf Mitgliedern bestehenden Wahlvorstand zur Einleitung und Durchführung einer Betriebsratswahl. Am wurde das Wahlausschreiben durch Aushang bekannt gemacht. Es enthielt ua. die Angaben, es sei ein Betriebsrat mit neun Mitgliedern zu wählen und Wahlvorschläge könnten bis zum , 16:00 Uhr beim Wahlvorstand eingereicht werden.
4Bis zum Ablauf dieser Frist wurde bei dem Wahlvorstand lediglich ein Wahlvorschlag eingereicht, auf dem nur sechs Wahlbewerber aufgeführt waren. Der Wahlvorstand beschloss daraufhin, eine Nachfrist zur Einreichung von Wahlvorschlägen zu setzen, und gab dies am durch Aushang bekannt. Dieser lautet auszugsweise:
5Bis zum Ablauf des wurde kein weiterer Wahlbewerber vorgeschlagen.
6Die Wahl, aus der der zu 3. beteiligte Betriebsrat hervorging, wurde am durchgeführt. Am selben Tag gab der Wahlvorstand das vorläufige Ergebnis und am das endgültige Ergebnis der Wahl bekannt. Danach erhielten alle sechs Bewerber Stimmen.
7Mit ihrer am beim Arbeitsgericht eingegangenen Antragsschrift haben die Arbeitgeberinnen die Wahl angefochten und geltend gemacht, das Wahlverfahren sei mit zahlreichen Mängeln behaftet; ua. habe der Wahlvorstand eine zu kurze Nachfrist zur Einreichung von Wahlvorschlägen gesetzt.
8Die Arbeitgeberinnen haben beantragt,
9Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, das Wahlverfahren sei frei von Mängeln. Insbesondere sei im Hinblick auf die zu geringe Anzahl an Wahlbewerbern eine Nachfristsetzung nicht erforderlich gewesen. Unabhängig davon sei die Nachfrist aus Sicht des Wahlvorstands zutreffend bemessen gewesen. Jedenfalls habe sich eine etwaig unzutreffend berechnete Nachfrist nicht auf das Wahlergebnis ausgewirkt. Es könne ausgeschlossen werden, dass bei einer längeren Frist weitere Wahlvorschläge eingereicht worden wären.
10Das Arbeitsgericht hat die Wahl vom für unwirksam erklärt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betriebsrats hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat das Ziel der Abweisung des Antrags weiter. Die Arbeitgeberinnen beantragen, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
11B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht die Wahl des Betriebsrats nicht für unwirksam erklären. Da der Senat in Ermangelung entsprechender Feststellungen nicht beurteilen kann, ob die weiteren von den Arbeitgeberinnen geltend gemachten Verstöße gegen Vorschriften über das Wahlverfahren vorliegen, ist die Sache zur neuen Anhörung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
12I. Nach § 19 Abs. 1 und 2 BetrVG können mindestens drei wahlberechtigte Arbeitnehmer, eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft oder der Arbeitgeber die Betriebsratswahl anfechten, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Die Wahlanfechtung muss innerhalb von zwei Wochen ab der Bekanntgabe des Wahlergebnisses erfolgen.
13II. Hiervon ausgehend hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen, dass die formellen Voraussetzungen einer Wahlanfechtung vorliegen. Jedoch hat es zu Unrecht auch die materiellen Voraussetzungen der Anfechtung angenommen, weil der Wahlvorstand eine Nachfrist zur Benennung weiterer Wahlbewerber bis zum Ablauf des gesetzt hat.
141. Die formellen Anfechtungsvoraussetzungen sind erfüllt. Die Arbeitgeberinnen, die einen Gemeinschaftsbetrieb führen, sind - jedenfalls gemeinsam (vgl. - Rn. 23, BAGE 161, 276) - gemäß § 19 Abs. 2 BetrVG anfechtungsberechtigt. Ihr Wahlanfechtungsantrag ist am und damit rechtzeitig iSv. § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses beim Arbeitsgericht eingegangen. Das gilt selbst dann, wenn man von der (vorläufigen) Bekanntgabe des Wahlergebnisses am ausgeht und nicht von der Bekanntgabe durch Aushang vom .
152. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts liegen die materiellen Voraussetzungen für eine Anfechtung nicht deshalb vor, weil der Wahlvorstand, nachdem weniger Wahlbewerber als die nach der Staffel des § 9 BetrVG festgelegte Zahl der Betriebsratsmitglieder vorgeschlagen worden waren, in analoger Anwendung des § 9 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes vom (WO) eine zu kurze Nachfrist zur Einreichung von Wahlvorschlägen gesetzt hat.
16a) Der Wahlvorstand war nicht verpflichtet, eine Nachfrist für die Einreichung von Wahlvorschlägen in entsprechender Anwendung von § 9 Abs. 1 WO zu setzen (vgl. - Rn. 55; aA Boemke jurisPR-ArbR 38/2024 Anm. 1). Zwar mag eine Nachfristsetzung bei Einreichung einer Vorschlagsliste mit insgesamt weniger Wahlbewerbern, als Betriebsratssitze zu besetzen sind, der Gewinnung weiterer Wahlkandidaten dienlich sein. Allein damit lässt sich jedoch keine analoge Anwendung des § 9 Abs. 1 WO begründen.
17aa) Eine wortsinnübersteigende Gesetzesanwendung durch Analogie setzt voraus, dass eine vom Gesetzgeber unbeabsichtigt gelassene Lücke besteht und diese Planwidrigkeit aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden kann. Analoge Gesetzesanwendung erfordert darüber hinaus, dass der gesetzlich ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge verlangt wie die gesetzessprachlich erfassten Fälle. Richterliche Rechtsfortbildung darf nicht dazu führen, dass ein Gericht seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzt ( - Rn. 32 mwN).
18bb) Der in § 9 WO geregelte Fall, dass nach Ablauf der Einreichungsfrist keine gültige Vorschlagsliste eingereicht wurde, ist mit dem Fall, dass innerhalb der Einreichungsfrist nur eine Vorschlagsliste mit einer unzureichenden Anzahl von Bewerbern eingereicht wurde, nicht vergleichbar (vgl. auch - juris-Rn. 45 ff.). Im erstgenannten Fall kann keine Betriebsratswahl durchgeführt werden. Dementsprechend hat der Wahlvorstand nach § 9 Abs. 2 WO sofort bekannt zu machen, dass die Wahl nicht stattfindet, wenn trotz einer Bekanntmachung nach § 9 Abs. 1 WO eine gültige Vorschlagsliste nicht eingereicht wird. Dagegen steht es der Wahl eines Betriebsrats nicht entgegen, wenn weniger Arbeitnehmer für das Betriebsratsamt kandidieren als die nach der Staffel des § 9 BetrVG festgelegte Zahl der Betriebsratsmitglieder (vgl. - Rn. 30 ff.). Insofern verfolgt die Pflicht zur Nachfristsetzung gemäß § 9 Abs. 1 WO ein anderes Ziel als eine solche Pflicht im Fall eines wirksam eingereichten Wahlvorschlags mit zu wenigen Bewerbern verfolgen würde. Mit § 9 Abs. 1 WO soll vermieden werden, dass angesichts keiner einzigen fristgerecht eingereichten gültigen Vorschlagsliste eine Betriebsratswahl nicht stattfindet, worauf der Wahlvorstand hinzuweisen hat (§ 9 Abs. 1 Satz 2 WO). Die Annahme dieser Rechtsfolge bei erfolgloser Nachfristsetzung zur bloßen Gewinnung einer „ausreichenden“ Zahl an Wahlbewerbern wäre inkonsistent ( - Rn. 55). Es bliebe auch unklar, in welchen Fällen trotz der Einreichung einer wirksamen Vorschlagsliste eine Nachfrist in entsprechender Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 1 WO gesetzt werden sollte. Für die Annahme, eine Pflicht des Wahlvorstands zur Nachfristsetzung bestünde immer dann, wenn Vorschlagslisten mit insgesamt weniger Bewerbern als den zu vergebenen Betriebsratssitzen eingereicht worden sind, fehlte es an einem normativen Anknüpfungspunkt. Es läge vielmehr nahe, § 6 Abs. 2 WO als Grenze heranzuziehen, wonach jede Vorschlagsliste mindestens doppelt so viele Bewerberinnen oder Bewerber aufweisen soll, wie Betriebsratsmitglieder zu wählen sind. Es ist keine sachliche Rechtfertigung ersichtlich, warum bei einem Verstoß gegen die (Soll-)Vorschrift des § 6 Abs. 2 WO keine Nachfrist gesetzt werden muss, im ungeregelten, jedenfalls aber nicht zur Unwirksamkeit des Vorschlags führenden Fall von weniger Kandidaten (als der nach § 9 BetrVG vorgesehenen Größe des Betriebsrats) eine solche Nachfrist hingegen erforderlich sein soll. Dieser Widerspruch ist dahingehend aufzulösen, dass in beiden Fällen keine Nachfrist zu setzen ist.
19b) Daraus folgt zwar zugleich, dass in der Nachfristsetzung durch den Wahlvorstand ein Verstoß gegen das Wahlverfahren lag. Die Frist für die Einreichung von Vorschlagslisten nach § 6 Abs. 1 Satz 2 WO steht nicht zur Disposition des Wahlvorstands (vgl. ausdrücklich mit Bezug zu § 6 WO - Rn. 22; ferner bereits - zu B II der Gründe); sie vermag auch nicht mittels Nachfristgewährung verlängert zu werden. Im vorliegenden Streitfall hat der Verstoß jedoch das Wahlergebnis nicht geändert. Innerhalb der verlängerten Frist wurden keine neuen Vorschläge eingereicht. Bei der Wahl standen nur die Bewerber zur Wahl, die auf dem fristgerecht bis zum eingereichten Wahlvorschlag genannt waren.
20III. Der Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Die Sache ist zur neuen Anhörung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen, da sie nicht zur Entscheidung reif ist. Nach den Gründen des Landesarbeitsgerichts haben die Arbeitgeberinnen die Auffassung vertreten, „das Wahlverfahren sei mit zahlreichen Mängeln behaftet“. Das Landesarbeitsgericht hat - aus seiner Sicht konsequent - nicht näher festgestellt, welche weiteren Mängel dies - neben der unrichtigen Fristsetzung analog § 9 Abs. 1 WO - gewesen sind und sich auch inhaltlich mit keinen weiteren Verstößen gegen wesentliche Wahlvorschriften befasst. Die Arbeitgeberinnen haben in ihrer Rechtsbeschwerdeerwiderung klargestellt, dass sie an den weiteren Rügen festhalten.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2025:220525.B.7ABR10.24.0
Fundstelle(n):
JAAAK-00528