Verfassungswidrigkeit der Altersgrenze von 70 Jahren nach § 47 Nr 2 Var 1, § 48a BNotO, soweit Anwaltsnotariat betroffen ist - Altersgrenze unter gegebenen Umständen nicht mehr angemessen und damit unverhältnismäßig - Unvereinbarkeit mit Art 12 Abs 1 GG - Fortgeltung bis
Leitsatz
1. Die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG hat eine wirtschaftliche und eine auf die Entfaltung der Persönlichkeit bezogene Dimension. Sie konkretisiert das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich der individuellen Leistung sowie der Existenzgestaltung und -erhaltung und zielt auf eine möglichst unreglementierte berufliche Betätigung ab.
2. Die Altersgrenze des vollendeten siebzigsten Lebensjahres nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO erreicht die mit ihr verfolgten legitimen Ziele - die Gewährleistung der Funktionstüchtigkeit der vorsorgenden Rechtspflege sowie einer (gerechten) Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen und den Schutz der Rechtspflege vor Gefahren durch eine altersbedingt nachlassende Leistungsfähigkeit von Notaren - infolge eines nachhaltigen Bewerbermangels im Anwaltsnotariat und der heutigen Erkenntnisse zur Bedeutung des Alters für die Berufstüchtigkeit nur noch zu einem geringen Grad und schränkt die Berufsfreiheit unverhältnismäßig ein, soweit sie das Anwaltsnotariat betrifft.
Gesetze: Art 12 Abs 1 GG, Art 74 Abs 1 Nr 1 GG, § 90 BVerfGG, § 3 Abs 2 BNotO, § 5b BNotO, § 47 Nr 2 Alt 1 BNotO vom , § 48a BNotO vom
Instanzenzug: Az: NotZ 1/23 Beschlussvorgehend Az: 1 BvR 1796/23 Ablehnung einstweilige Anordnungvorgehend Az: NotZ (Brfg) 4/22 Beschlussvorgehend Az: NotZ (Brfg) 4/22 Urteilvorgehend Az: Not 5/21 Urteil
Gründe
1Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die gesetzliche Altersgrenze des vollendeten siebzigsten Lebensjahres für das Notaramt nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a Bundesnotarordnung (BNotO) mit dem Grundgesetz im Einklang steht, soweit sie das Anwaltsnotariat betrifft.
I.
21. Das Berufsrecht der Notarinnen und Notare ist in der Bundesnotarordnung vom (BGBl I S. 98), zuletzt geändert durch Art. 12 des Gesetzes vom (BGBl I Nr. 323 S. 9), geregelt.
3a) Notare sind nach § 1 BNotO unabhängige Träger eines öffentlichen Amtes. Sie werden für die Beurkundung von Rechtsvorgängen und andere Aufgaben auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege in den Ländern bestellt. Ihre Amtstätigkeit besteht insbesondere in der Urkundstätigkeit nach §§ 20 bis 22 BNotO. Diese umfasst Beurkundungen und Beglaubigungen (§ 20 BNotO), das Ausstellen bestimmter Bescheinigungen (§ 21 BNotO), die Abnahme von Eiden und eidliche Vernehmungen sowie die Aufnahme eidesstattlicher Versicherungen (§ 22 BNotO). Hinzu tritt die Betreuungstätigkeit der Notare, und zwar die Aufbewahrung und die Ablieferung von Wertgegenständen (§ 23 BNotO) sowie die sonstige Betreuung der Beteiligten auf dem Gebiet vorsorgender Rechtspflege, insbesondere die Anfertigung von Urkundenentwürfen und die Beratung der Beteiligten (§ 24 BNotO).
4b) Notarinnen und Notare gehören nicht dem öffentlichen Dienst an. Sie üben zwar einen staatlich gebundenen Beruf aus, nehmen ihre Aufgaben jedoch als selbständige Berufsträger wahr (vgl. BVerfGE 131, 130 <139>).
5c) Die notarielle Berufsausübung ist örtlich beschränkt. Jedem Notar wird ein bestimmter Ort als Amtssitz zugewiesen, an dem er seine Geschäftsstelle zu halten hat (§ 10 BNotO). Sein Amtsbereich ist der Bezirk des Amtsgerichts, in dem er seinen Amtssitz hat (§ 10a Abs. 1 BNotO), und sein Amtsbezirk der Oberlandesgerichtsbezirk, in dem er seinen Amtssitz hat (§ 11 Abs. 1 BNotO). Der Notar soll seine Urkundstätigkeit innerhalb seines Amtsbereichs ausüben (vgl. § 10a Abs. 2 BNotO). Außerhalb seines Amtsbezirks darf der Notar nur unter engen Voraussetzungen tätig werden (vgl. § 11 Abs. 2 BNotO). Einen sachlichen oder persönlichen Bezug zum Amtsbereich oder Amtsbezirk muss die Urkundstätigkeit allerdings nicht aufweisen; Auftraggeber sind in der Wahl eines Notars grundsätzlich bundesweit frei (vgl. hierzu und zu einzelnen örtlichen Zuständigkeitsbestimmungen Regler, in: Eschwey, BeckOK BNotO, § 10 Rn. 1 (Aug. 2025)).
6d) Während die notarielle Amtsausübung als solche bundeseinheitlich geregelt ist, unterscheidet sich die äußere Organisation des Notariats kraft Bundesrechts regional; es bestehen zwei Berufsausübungsformen.
7aa) Nach § 3 BNotO in Verbindung mit §§ 114, 116 BNotO werden Notare entweder zur hauptberuflichen Amtsausübung (sogenannte Nur-Notare) oder als Anwaltsnotare zur gleichzeitigen Amtsausübung neben dem Beruf des Rechtsanwalts bestellt. Länder mit ausschließlich hauptberuflichem Notariat sind Bayern, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, das Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. In Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein besteht ausschließlich das Anwaltsnotariat. In Baden-Württemberg werden hauptberufliche Notare bestellt (§ 114 Abs. 1 Satz 1 BNotO); Anwaltsnotare, die am bestellt waren, genießen Bestandsschutz (§ 116 Abs. 1 BNotO). In Nordrhein-Westfalen besteht das hauptberufliche Notariat im Oberlandesgerichtsbezirk Köln und in Teilen des Oberlandesgerichtsbezirks Düsseldorf; im Übrigen - so im Amtsgerichtsbezirk des Beschwerdeführers - werden Anwaltsnotare bestellt.
8bb) Hauptberufliche und Anwaltsnotare unterliegen bei ihrer Amtsausübung als solcher keinen unterschiedlichen berufsrechtlichen Regelungen. Jedoch bestehen nach der Bundesnotarordnung rechtliche Unterschiede, die sich auf die äußere Organisation des Notariats beziehen.
9(1) So darf der hauptberufliche Notar keinen weiteren Beruf ausüben, auch eine Zulassung als Rechtsanwalt ist ausgeschlossen (§ 8 Abs. 2 Satz 1 BNotO). Für den Anwaltsnotar ist das Notaramt nach der gesetzlichen Konzeption hingegen nur ein Nebenberuf zum Anwaltsberuf (§ 3 Abs. 2 BNotO). Der Anwaltsnotar muss daher stets als Rechtsanwalt zugelassen sein (vgl. § 3 Abs. 2 BNotO, § 47 Nr. 4 BNotO) und darf bestimmte weitere Berufe ausüben (§ 8 Abs. 2 Satz 2 BNotO).
10(2) Ein wesentlicher Unterschied betrifft den Berufszugang. Hauptberufliche und Anwaltsnotare müssen zwar jeweils persönlich und fachlich für das Amt geeignet sein (§ 5 Abs. 1 BNotO). Das Höchstalter für die erstmalige Bestellung ist für beide Berufsausübungsformen nach § 5 Abs. 4 BNotO das vollendete sechzigste Lebensjahr. Im Übrigen divergieren die Voraussetzungen aber. Zum hauptberuflichen Notar soll nach § 5a BNotO nur bestellt werden, wer einen dreijährigen Anwärterdienst als Notarassessor in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis geleistet hat. Eine Abschlussprüfung ist nicht vorgesehen. Hingegen soll zum Anwaltsnotar gemäß § 5b BNotO nur bestellt werden, wer mindestens fünf Jahre rechtsanwaltlich tätig war, die Tätigkeit seit mindestens drei Jahren im vorgesehenen Amtsbereich ausübt, die notarielle Fachprüfung nach § 7a BNotO bestanden hat und - nach § 5b Abs. 4 BNotO insbesondere aufgrund einer Ausbildung in einer anderen Kanzlei - hinreichend mit der notariellen Berufspraxis vertraut ist.
11(3) Ein neu bestellter hauptberuflicher Notar ist regelmäßig der Amtsnachfolger eines aus dem Amt ausgeschiedenen Notars, dessen Personal und Sachmittel er übernimmt, so dass oft auch die Mandantenbeziehungen übergehen. Nach der Verwaltungspraxis im Anwaltsnotariat hat ein ausscheidender Notar hingegen keinen Amtsnachfolger. Sein Notariat wird abgewickelt (vgl. Seebach, in: Frenz/Miermeister, BNotO, 6. Aufl. 2024, § 51 Rn. 11 ff.; Frisch, in: Eschwey, BeckOK BNotO, § 51 Rn. 9 f. (Aug. 2025)).
12(4) Während sich hauptberufliche Notare nur mit Notaren, die am selben Amtssitz bestellt sind, verbinden dürfen, ist Anwaltsnotaren darüber hinaus auch die gemeinsame Berufsausübung mit Angehörigen bestimmter anderer freier Berufe gestattet (§ 9 BNotO).
13e) Die Anzahl der Notarstellen bestimmt sich nach § 4 BNotO. Danach werden so viele Notare bestellt, wie es den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege entspricht (§ 4 Satz 1 BNotO). Dabei sind insbesondere das Bedürfnis nach einer angemessenen Versorgung der Rechtsuchenden mit notariellen Leistungen und die Wahrung einer geordneten Altersstruktur der Angehörigen des Berufs zu berücksichtigen (Altersstrukturklausel) (§ 4 Satz 2 BNotO).
14Zuständig für die Bedürfnisprüfung und die Bestellung von Notaren sind nach § 1, § 12 Abs. 1 BNotO die Länder, wobei es in ihrem pflichtgemäßen Ermessen liegt, wie viele Notarstellen sie einrichten (vgl. BVerfGE 73, 280 <294>; NotZ (Brfg) 5/19 -, Rn. 4). Das Bedürfnis ermitteln die Landesjustizverwaltungen regelmäßig anhand des Aufkommens der Urkundsgeschäfte im jeweiligen Amtsgerichtsbezirk. Als maßgebliche Rechengröße verwenden sie dabei Richtwerte (sogenannte Bedürfniszahlen). So ist - beispielhaft - nach § 10a der Allgemeinen Verfügung des Landes Nordrhein-Westfalen über die Angelegenheiten der Notarinnen und Notare vom in der Fassung vom (AVNot NW) ein Bedürfnis für die Bestellung eines hauptberuflichen Notars in der Regel gegeben, wenn in einem Amtsgerichtsbezirk der Jahresdurchschnitt der Urkundsgeschäfte der Notare unter Mitberücksichtigung einer weiteren Notarstelle in den letzten drei Kalenderjahren mindestens 1.350 beträgt (Bedarfsrichtwert). Hierbei sind Niederschriften mit dem Faktor 1,0, Beglaubigungen mit Entwurf mit dem Faktor 0,5 und Beglaubigungen ohne Entwurf mit dem Faktor 0,1 zu gewichten. Für Anwaltsnotare beträgt der Richtwert 450 gewichtete Urkunden (§ 15 Abs. 1 AVNot NW). In anderen Ländern weichen teils die Richtwerte ab, teils wird auch darauf verzichtet, Urkundsgeschäfte zu gewichten.
15Die Bedürfniszahlen für das Anwaltsnotariat sind in den vergangenen Jahren zum Teil erhöht worden. Beispielhaft hat Nordrhein-Westfalen den Bedarfsrichtwert zum von 275 auf 350 gewichtete Urkunden angehoben, sodann zum auf den genannten Wert von 450 gewichteten Urkunden. Anhebungen gab es auch in Bremen und Berlin. Weitere Länder mit Anwaltsnotariat haben angegeben, eine Anhebung zu erwägen.
162. Das Notaramt sowohl der hauptberuflichen als auch der Anwaltsnotare erlischt nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO mit Erreichen der Altersgrenze des vollendeten siebzigsten Lebensjahres. Diese mit der Verfassungsbeschwerde mittelbar angegriffenen Vorschriften lauten wie folgt:
§ 47 Bundesnotarordnung - Erlöschen des Amtes
Das Amt des Notars erlischt durch (...)
2. Erreichen der Altersgrenze (§ 48a) oder Tod (…).
§ 48a Bundesnotarordnung - Altersgrenze
Die Notare erreichen mit dem Ende des Monats, in dem sie das siebzigste Lebensjahr vollenden, die Altersgrenze.
173. Diese Vorschriften führte der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Änderung des Berufsrechts der Notare und der Rechtsanwälte vom (BGBl I S. 150) ein. Im gleichen Zuge wurden die Altersgrenze für die erstmalige Bestellung zum Notar (heute § 5 Abs. 4 BNotO) sowie die Altersstrukturklausel des § 4 Satz 2 BNotO in das Gesetz aufgenommen.
18a) In der ursprünglichen Fassung der Bundesnotarordnung waren weder Altersgrenzen noch sonstige altersbezogene Regelungen enthalten. Nach § 113 Absatz II Unterabsatz 1 BNotO konnte allerdings ein hauptberuflicher Notar im Tätigkeitsgebiet der Notarkasse in Bayern und im damaligen Regierungsbezirk Pfalz seines Amtes enthoben werden, wenn er das siebzigste Lebensjahr vollendet hatte. Die Verwaltungspraxis einiger Länder, Altershöchstgrenzen für Bewerber zum Anwaltsnotariat vorzusehen, fand mit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein Ende, weil es hierfür damals an einer gesetzlichen Grundlage fehlte (vgl. BVerfGE 80, 257).
19Auch die Verordnung des Ministerrats der Deutschen Demokratischen Republik über die Tätigkeit von Notaren in eigener Praxis vom (GBl. I Nr. 37 S. 475), die gemäß dem Einigungsvertrag in den neuen Ländern noch bis zum weitergalt, enthielt keine Altersgrenze für das Erlöschen des Notaramtes, allerdings unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung einen Ausschluss von Bewerbern, die das sechzigste Lebensjahr vollendet hatten.
20b) Die Novelle des Jahres 1991 ging auf einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zurück, nach dem mit Blick auf die demographische Entwicklung der Zugang zum Anwaltsnotariat neu geregelt werden sollte. Angesichts der stark zunehmenden Zahl der Rechtsanwälte bestehe die Gefahr, dass es in absehbarer Zeit zu einer mit dem öffentlichen Amt unverträglichen Überbesetzung bei den Anwaltsnotaren kommen werde (vgl. BTDrucks 11/6007, S. 1).
21aa) Zwar könnten die Justizverwaltungen nach § 4 Abs. 2 BNotO in der Fassung vom ein Bedürfnis für die Bestellung zum Anwaltsnotar auch von dem formalen Kriterium des Ablaufs einer Wartezeit des Bewerbers abhängig machen. Die Steuerung des Zugangs fast ausschließlich über die Wartezeit habe sich aber als problematisch erwiesen. Der Weg, nach Ablauf einer Wartezeit grundsätzlich jedem Rechtsanwalt das Notariat zu eröffnen, könne nicht weiter beschritten werden. Andernfalls entfalle auf den einzelnen Anwaltsnotar nur eine so geringe Zahl von Amtsgeschäften, dass er den Notarberuf auf Dauer ohne hinreichende Erfahrung in den wesentlichen Bereichen eines Notariats ausüben müsste und die finanzielle Basis für die Führung der Amtsgeschäfte nicht mehr zu erwirtschaften wäre. Die Versorgung der Bevölkerung mit vorsorgender Rechtspflege geriete in Gefahr. Daher sei § 4 BNotO so zu ändern, dass allein die Wartezeit künftig kein geeignetes Kriterium mehr sei, um das Bedürfnis für die Bestellung eines Anwaltsnotars zu ermitteln. Sie solle allerdings Regelvoraussetzung für die Bestellung zum Anwaltsnotar bleiben (vgl. BTDrucks 11/6007, S. 8 f.). Daher entfiel nach dem im Jahr 1991 vorgelegten Regierungsentwurf die bisher in § 4 Abs. 2 BNotO geregelte Möglichkeit, die Bestellung zum Anwaltsnotar allein vom Ablauf einer Wartezeit abhängig zu machen.
22bb) Darüber hinaus enthielt der Regierungsentwurf bereits die Altershöchstgrenze für die erstmalige Bestellung zum Notar (§ 6 Abs. 1 Satz 2 BNotO Reg-E, vgl. BTDrucks 11/6007, S. 4). Dazu heißt es in der Entwurfsbegründung (BTDrucks 11/6007, S. 10):
In Satz 2 wird in Anknüpfung an die Praxis einiger Länder (Nordrhein-Westfalen: 60 Jahre, Hessen: 62 Jahre, Niedersachsen: 62 Jahre) eine Höchstaltersgrenze für die Bestellung zum Notar gesetzlich vorgesehen. Die Einführung der Höchstaltersgrenze von 60 Jahren dient - auch mit Rücksicht auf die altersbedingt größeren Schwierigkeiten bei der Einarbeitung in den Notarberuf - dazu, im Interesse einer Kontinuität einem häufigen Wechsel der Amtsträger entgegenzuwirken. Zugleich wird der Gefahr einer Überalterung des Notarberufs begegnet. Da der Aspekt der Einarbeitung entfällt, wenn ein ehemaliger Notar erneut, oder ein Notar an einem anderen Ort bestellt werden möchte, soll die Höchstaltersgrenze nur für die erstmalige Bestellung gelten.
23c) In den parlamentarischen Beratungen äußerten Abgeordnete die Sorge, die nach dem Gesetzentwurf vorgesehenen strengeren Berufszugangsregelungen könnten den Zugang zum Anwaltsnotariat für geraume Zeit versperren (vgl. BT-Plenarprot. 11/194, S. 14895 f.).
24aa) Die letztlich vom Deutschen Bundestag angenommene Beschlussempfehlung des Rechtsauschusses ergänzte den Gesetzentwurf daher um die Regelung der Altersgrenze des vollendeten siebzigsten Lebensjahres nach § 47 Nr. 1 Variante 1 BNotO a. F., § 48a BNotO für das Erlöschen des Notaramts (vgl. BTDrucks 11/8307, S. 7). Zur Begründung hieß es, die Einführung eines Höchstalters für die Ausübung des Notarberufs als eines öffentlichen Amtes stehe im Zusammenhang mit dem Bestreben, eine geordnete Altersstruktur, insbesondere im Anwaltsnotariat, zu wahren (vgl. BTDrucks 11/8307, S. 18).
25Nach einer Übergangsvorschrift (Art. 3 des Änderungsgesetzes) konnten Notare, die bei Inkrafttreten des Gesetzes das achtundfünfzigste Lebensjahr vollendet hatten, für weitere zwölf Jahre im Amt bleiben.
26bb) Ebenso ergänzte die Beschlussempfehlung den Gesetzentwurf um die altersbezogene Regelung des § 4 Satz 2 BNotO, wonach bei der Bestellung von Notaren die Wahrung einer geordneten Altersstruktur zu berücksichtigen ist. Nach der Begründung der Beschlussempfehlung wurde die Wahrung einer geordneten Altersstruktur des Notarberufs besonders angesprochen, um der Sorge zu begegnen, durch die neuen Berufszugangsbestimmungen werde auf geraume Zeit der Zugang zum Anwaltsnotariat verschlossen (vgl. BTDrucks 11/8307, S. 17).
27Gleichzeitig entfiel - wie schon im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehen - die in § 4 Abs. 2 BNotO in der Fassung vom geregelte Möglichkeit, die Bestellung zum Anwaltsnotar allein vom Ablauf einer Wartezeit abhängig zu machen.
28d) Die Regelungen traten am im damaligen Geltungsbereich der Bundesnotarordnung - dem früheren Bundesgebiet und dem Land Berlin einschließlich des früheren Ostteils - in Kraft. In den neuen Ländern löste die Bundesnotarordnung mit Wirkung vom die Verordnung über die Tätigkeit der Notare in eigener Praxis ab (vgl. Art. 13 Abs. 1 des Dritten Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung und anderer Gesetze vom ; BGBl I S. 2585), so dass die Regelungen ab diesem Zeitpunkt auch dort galten. Auch hier bestimmte eine Übergangsvorschrift, dass in den neuen Ländern bestellte Notare, die bei Inkrafttreten des Gesetzes das achtundfünfzigste Lebensjahr vollendet hatten, für weitere zwölf Jahre im Amt bleiben konnten (Art. 13 Abs. 9 des Gesetzes). Aufgrund einer geänderten Nummerierung der Erlöschensgründe des § 47 BNotO ist das Erreichen der Altersgrenze nunmehr in § 47 Nr. 2 Variante 1 BNotO geregelt (vgl. BGBl I 2017 S. 1121 <1146>).
294. Die neu eingeführte Altersgrenze nach § 47 Nr. 1 Variante 1 BNotO a.F., § 48a BNotO war Gegenstand einer Rechtssatzverfassungsbeschwerde. Mit Beschluss vom - 1 BvR 1581/91 -, juris, nahm die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts diese nicht zur Entscheidung an. Der Eingriff in die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG sei verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Die Regelung diene dem besonders wichtigen Gemeinschaftsgut, im Interesse funktionstüchtiger Rechtspflege eine geordnete Altersstruktur innerhalb des Notarberufs zu erreichen. Rechtsuchenden sollten Notare unterschiedlichen Lebensalters zur Verfügung stehen, die aufgrund der Anzahl und Art ihrer Amtsgeschäfte auf allen Gebieten des Notariats über ein Mindestmaß an Berufserfahrung verfügten.
305. a) In Deutschland waren zum insgesamt 6.346 Notare bestellt, davon 1.700 hauptberufliche Notare und 4.646 Anwaltsnotare. Die Zahl der hauptberuflichen Notare ist weitgehend stabil. Zum betrug sie 1.535, zum 1.719, wobei der zwischenzeitliche Anstieg darauf beruht, dass rund 300 baden-württembergische Notare im Landesdienst zum kraft Gesetzes zu hauptberuflichen Notaren bestellt wurden (vgl. § 114 Abs. 2 BNotO). Die Zahl der Anwaltsnotare ist hingegen deutlich rückläufig. Zum waren 6.122 und zum 5.460 bestellt; derzeit (siehe zuvor) sind es noch 4.646 Anwaltsnotare.
31b) Von den hauptberuflichen Notaren zählten im Jahr 2024 rund 23 % zur Altersgruppe der Sechzig- bis Neunundsechzigjährigen, 32 % zur Gruppe der Fünfzig- bis Neunundfünfzigjährigen, 31 % zur Gruppe der Vierzig- bis Neunundvierzigjährigen, und 14 % waren jünger als vierzig Jahre. Bei den Anwaltsnotaren gehörten rund 31 % zur Gruppe der Sechzig- bis Neunundsechzigjährigen, 35 % zur Gruppe der Fünfzig- bis Neunundfünfzigjährigen, 28 % zur Gruppe der Vierzig- bis Neunundvierzigjährigen, und 5 % waren jünger als vierzig Jahre.
32c) Die Bewerberlage im Notariat unterscheidet sich nach den Berufsausübungsformen.
33aa) Im Bereich des hauptberuflichen Notariats ist maßgeblich auf die Zahl der Bewerbungen für den notariellen Anwärterdienst abzustellen. Insoweit besteht fast flächendeckend ein Bewerberüberhang. In mehreren Ländern des hauptberuflichen Notariats übersteigen die Bewerberzahlen die Zahl der ausgeschriebenen Stellen für Notarassessoren sogar ganz erheblich, etwa in Hamburg, wo im Jahr 2024 auf drei Stellen 54 Bewerber entfielen. Anders ist die Lage zum Teil in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, wo die Bewerberzahlen rückläufig sind und zuletzt in einzelnen Jahren die Zahl der Bewerber die Zahl der ausgeschriebenen Stellen nicht mehr erreichte.
34bb) Im Anwaltsnotariat bleibt die Zahl der Bewerbungen seit Jahren erheblich hinter der Zahl der ausgeschriebenen Notarstellen zurück. Bereits im Jahr 2012 bestand in der Mehrzahl der Oberlandesgerichtsbezirke des Anwaltsnotariats ein Bewerbermangel.
35In den Folgejahren verstetigte und intensivierte sich dieser Mangel, so dass er sich in den Jahren 2022 und 2023 nahezu flächendeckend in allen Oberlandesgerichtsbezirken des Anwaltsnotariats fand, von einzelnen örtlichen Ausnahmen wie dem Amtsgerichtsbezirk Frankfurt am Main und - im Jahr 2023 - dem Bezirk des Kammergerichts Berlin abgesehen. Im Oberlandesgerichtsbezirk Hamm entfielen im Jahr 2022 auf 322 ausgeschriebene Stellen 53 Bewerbungen und im Jahr 2023 auf 68 Stellen 40 Bewerbungen.
36Im Jahr 2024 war der Bewerbermangel weiterhin zu beobachten, so in den Oberlandesgerichtsbezirken Braunschweig (67 ausgeschriebene Stellen, sechs Bewerbungen), Bremen (fünf Stellen, zwei Bewerbungen), Celle (98 Stellen, 37 Bewerbungen), Frankfurt am Main (157 Stellen, 48 Bewerbungen), Oldenburg (63 Stellen, 23 Bewerbungen) und Schleswig (112 Stellen, 25 Bewerbungen). Einen Sonderfall bildete erneut der Amtsgerichtsbezirk Frankfurt am Main (acht Stellen, 21 Bewerbungen). Im Oberlandesgerichtsbezirk Hamm entfielen auf 18 Stellen 16 Bewerbungen, so dass der Mangel weniger gravierend war; hier wirkte sich möglicherweise aus, dass die Landesjustizverwaltung zuvor die Bedürfniszahl angehoben hatte. Im Oberlandesgerichtsbezirk Düsseldorf - soweit dort das Anwaltsnotariat besteht - überstieg die Zahl der Bewerbungen mit sieben die Zahl der Stellen mit zwei. Im Bezirk des Kammergerichts waren im Jahr 2024 keine Notarstellen ausgeschrieben.
II.
371. Der im Jahr 1953 geborene Beschwerdeführer ist seit 1983 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Im Jahr 1992 wurde er als Notar zu gleichzeitiger Amtsausübung neben dem Beruf des Rechtsanwalts (Anwaltsnotar) bestellt. Ihm wurde ein Amtssitz in Dinslaken im Bezirk des Oberlandesgerichts Düsseldorf zugewiesen. Sein Notaramt ist durch Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze des vollendeten siebzigsten Lebensjahres mit Ablauf des erloschen. Inzwischen ist der Beschwerdeführer zum ständigen Notarvertreter einer Anwaltsnotarin bestellt worden, deren Sozius als Rechtsanwalt er ist.
382. a) Im Jahr 2021 hat der Beschwerdeführer beim Oberlandesgericht Köln eine berufsgerichtliche Klage gegen den Präsidenten des Oberlandesgerichts Düsseldorf als Aufsichtsbehörde erhoben. Er hat beantragt festzustellen, dass sein Notaramt nicht mit Erreichen der Altersgrenze erlösche. Die gesetzliche Altersgrenze verstoße gegen Art. 21 Abs. 1 GRCh sowie gegen das Verbot der Altersdiskriminierung nach Art. 1, Art. 2 Abs. 2 a) der Richtlinie 2000/78/EG. Sie sei wegen eines inzwischen eingetretenen Mangels an Bewerbern für Notariatsstellen nicht mehr erforderlich und damit nicht gerechtfertigt. Das Oberlandesgericht Köln hat die Klage mit Urteil vom als unbegründet abgewiesen.
39b) Die hiergegen gerichtete Berufung des Beschwerdeführers hat der zurückgewiesen. Zur Begründung hat er insbesondere das Folgende ausgeführt:
40Die Altersgrenze sei nach ständiger Rechtsprechung sowohl mit Verfassungsrecht als auch mit Art. 21 Abs. 1 GRCh und der Richtlinie 2000/78/EG vereinbar. Der Einwand des Beschwerdeführers, im Anwaltsnotariat sei die Erforderlichkeit der Altersgrenze wegen eines demographisch bedingten Nachwuchsmangels zwischenzeitlich entfallen, so dass die Altersgrenze jetzt eine unzulässige Diskriminierung bewirke, greife nicht durch. Die Regelung führe zwar zu einer unmittelbar auf dem Alter beruhenden Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 a) der Richtlinie. Diese Ungleichbehandlung sei jedoch gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie gerechtfertigt.
41Die Altersgrenze verfolge das legitime beschäftigungspolitische Ziel, im Interesse einer funktionstüchtigen Rechtspflege eine geordnete Altersstruktur innerhalb des Notarberufs zu erreichen. In der Absicht, der Gefahr einer Überalterung des Notarberufs zu begegnen, stecke auch der Gedanke, jüngeren Bewerbern den Zugang zum Notaramt zu erleichtern. Auch solle durch die Altersgrenze eine ausreichende Fluktuation im Interesse der beruflichen Perspektive der jüngeren Bewerber sichergestellt werden.
42Die Altersgrenze sei zur Erreichung dieses Ziels nach wie vor erforderlich. In tatsächlicher Hinsicht habe ein vom Senat eingeholtes Gutachten der Bundesnotarkammer zwar ergeben, dass im Anwaltsnotariat ein teils deutlicher Bewerbermangel festzustellen sei, während im hauptberuflichen Notariat ein Bewerberüberhang bestehe. Die Erforderlichkeit der Altersgrenze hänge im Anwaltsnotariat allerdings nicht vom Vorliegen eines Bewerberüberhangs ab. Vielmehr sei es gerade bei nicht ausreichender Bewerberzahl erforderlich, dass weiterhin lebensältere Notare aus dem Nebenberuf ausschieden, um die Berufschancen zwischen den Generationen gerecht zu verteilen und eine Überalterung des Berufsstandes zu verhindern. Nur wenn lebensältere Notare aus dem Notarberuf ausschieden, hätten jüngere Notare eine hinreichende Aussicht auf ein angemessenes Urkunden- und Gebührenaufkommen und nähmen die erheblichen persönlichen und finanziellen Belastungen auf sich, die mit dem Berufseintritt verbunden seien. Dies gelte insbesondere deshalb, weil der Bewerbermangel keine demographischen Ursachen habe, sondern strukturell bedingt sei, nämlich durch den hohen persönlichen und finanziellen Aufwand für das Ablegen der notariellen Fachprüfung und durch die hohen Kosten für die Einrichtung einer Geschäftsstelle. Der Gesetzgeber habe seinen - ihm vom Gerichtshof der Europäischen Union zugebilligten - weiten Ermessens-, Beurteilungs- und Prognosespielraum nicht überschritten.
43Die Altersgrenze sei auch zur Erreichung des Ziels angemessen. Ein angemessener Interessenausgleich werde dadurch gewährleistet, dass die Altersgrenze für Notare über den Pensionsaltersgrenzen für Beamte und Richter liege. Auch sei das Anwaltsnotariat nur ein "Nebenberuf". Der Beschwerdeführer sei nicht gehindert, als Rechtsanwalt, Notarvertreter oder Notariatsverwalter tätig zu sein. Eine Altersgrenze, die nur Notare mit geringen Beurkundungszahlen ausscheiden lasse, sei nach den oben aufgeführten Erwägungen kein geeignetes milderes Mittel.
44Für ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV bestehe kein Anlass. Der Streitfall werfe keine neuen Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2000/78/EG auf. Die Grundsätze seien in ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs geklärt. Ein Vorabentscheidungsverfahren sei auch im Hinblick auf die Einholung des Gutachtens der Bundesnotarkammer durch den Senat nicht erforderlich. Der Beklagte sei seiner Darlegungslast nachgekommen. Sein Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs zur Rechtfertigung der Altersgrenze sei ausreichend gewesen.
45c) Die auf das Urteil hin erhobene Anhörungsrüge hat der als unbegründet zurückgewiesen. Der Senat habe den gesamten Vortrag des Beschwerdeführers auch zum "Schrumpfen und Vergreisen" der Anwaltschaft zur Kenntnis genommen, geprüft und erwogen, jedoch nach Beweisaufnahme anders bewertet. Das stelle keine Gehörsverletzung dar. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers liege auch keine Überraschungsentscheidung vor, da die Problematik des hohen Aufwands für den Berufseintritt in der mündlichen Verhandlung ausführlich erörtert worden sei.
46d) Die gegen das Urteil mit der Begründung erhobene Nichtigkeitsklage, der Bundesgerichtshof sei seiner Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV willkürlich nicht nachgekommen, hat der als unzulässig verworfen. Die Nichtigkeitsklage sei auf eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt und diene nicht dazu, eine - wie im vorliegenden Fall - vom Gericht des Ausgangsverfahrens in Kenntnis der Problematik bereits beantwortete Rechtsfrage erneut zu überprüfen.
473. Der Beschwerdeführer richtet seine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen das Urteil und die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs sowie gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Köln. Mittelbar wendet er sich gegen § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO.
48Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seiner Rechte aus Art. 12 Abs. 1 GG unmittelbar durch die Urteile des Bundesgerichtshofs und des Oberlandesgerichts Köln sowie mittelbar durch § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO. Die Altersgrenze sei aufgrund der seit Inkrafttreten der Norm geänderten Faktenlage für das Anwaltsnotariat mittlerweile unverhältnismäßig. Zwar diene sie dem besonders wichtigen Gemeinschaftsgut, im Interesse funktionstüchtiger Rechtspflege eine geordnete Altersstruktur innerhalb des Notarberufs zu erreichen. Aufgrund der beschränkten Anzahl an Notarstellen könnten lebensjüngere Bewerber nur im Rahmen freiwerdender Notarstellen Berücksichtigung finden. Doch sei die Altersgrenze zur Erreichung dieser Ziele nicht mehr erforderlich und angemessen. Im Anwaltsnotariat gebe es keinen Bewerberüberhang mehr. Dabei könne dahinstehen, ob die Gründe hierfür im demographischen Wandel oder den geänderten Zulassungsvoraussetzungen lägen. Jedenfalls sei die Altersgrenze nicht mehr erforderlich, um lebensjüngeren Anwaltsnotaren den Zugang zum Beruf zu ermöglichen und dadurch Generationengerechtigkeit herzustellen. Dem Argument des Bundesgerichtshofs, das Ausscheiden lebensälterer Notare sei erforderlich, damit lebensjüngere Notare eine hinreichende Aussicht auf ein angemessenes Urkunden- und Gebührenaufkommen hätten, könne nicht gefolgt werden. Denn erfolgte Stellenausschreibungen seien das Ergebnis der Berechnung von Bedürfniszahlen, die das wirtschaftliche Überleben und die Selbständigkeit jeder ausgeschriebenen Notariatsstelle sicherstelle. Die Altersgrenze sei ursprünglich geschaffen worden, um der nachfolgenden Generation einen Zugang zum Markt zu eröffnen, nicht damit die lebensältere Generation der jüngeren Generation diesen Markt vollständig überlasse.
49Weiter sieht sich der Beschwerdeführer - entsprechend seinen Ausführungen zu Art. 12 Abs. 1 GG - in seinen Rechten aus Art. 15 Abs. 1 GRCh, hilfsweise aus Art. 16 GRCh verletzt. Darüber hinaus verstießen die hier angegriffenen Urteile sowie die gesetzliche Regelung gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters, das in Art. 21 Abs. 1 GRCh verbürgt sei und durch die Richtlinie 2000/78/EG im Bereich von Beschäftigung und Beruf konkretisiert werde. Aufgrund seines Lebensalters erfahre er eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung.
50Das Urteil des Bundesgerichtshofs verletze ihn auch in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Der Bundesgerichtshof hätte gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV ein Vorabentscheidungsverfahren durchführen müssen. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wäre insbesondere die Frage vorzulegen gewesen, ob Art. 21 GRCh und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG einer zwingenden Altersgrenze entgegenstünden, wenn ausgeschriebene Stellen mangels einer hinreichenden Anzahl von Bewerbern unbesetzt blieben. Der Bundesgerichtshof habe insoweit willkürlich angenommen, die Rechtslage sei von vornherein eindeutig ("acte clair"), was jedoch nicht zutreffe. Auch hätte der Bundesgerichtshof die Frage zur Vorabentscheidung vorlegen müssen, ob der Senat - mit Blick auf die Beweislastregelung des Art. 10 der Richtlinie 2000/78/EG - ein Sachverständigengutachten der Bundesnotarkammer habe einholen dürfen.
51Ferner sei er durch das Urteil des Bundesgerichtshofs in seinem Recht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Sein umfangreiches Vorbringen zum demographischen Wandel in der Anwaltschaft, namentlich zu ihrem "Schrumpfen und Vergreisen", habe der Bundesgerichtshof nicht berücksichtigt. Dieser habe zwar Ausführungen zum demographischen Wandel gemacht, sich jedoch nicht mit den vorgelegten Daten und Quellen auseinandergesetzt. Außerdem handele es sich bei dem Urteil um eine verfassungswidrige Überraschungsentscheidung, da der Bundesgerichtshof unerwartet angenommen habe, jüngere Notare hätten nur dann eine hinreichende Aussicht auf ein angemessenes Urkunden- und Gebührenaufkommen, wenn lebensältere Notare aus dem Notarberuf ausschieden und Marktanteile frei würden. Hiermit habe er, der Beschwerdeführer, nicht rechnen müssen.
52Die Rügen der Verletzung der grundrechtsgleichen Rechte nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 103 Abs. 1 GG erstreckt der Beschwerdeführer auch auf das Urteil des Oberlandesgerichts Köln. Hinsichtlich der Beschlüsse des und vom sieht er schließlich ebenfalls Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
III.
53Der Beschwerdeführer hat mit der Verfassungsbeschwerde einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 32 BVerfGG mit dem Inhalt verbunden, dass das Erlöschen seines Amtes als Anwaltsnotar bis zur Entscheidung in der Hauptsache vorläufig aufgeschoben werde. Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat den Antrag mit Beschluss vom zurückgewiesen, da der Beschwerdeführer keine Gründe von ganz besonderem Gewicht substantiiert dargelegt habe, die die Aussetzung eines Gesetzes rechtfertigten.
IV.
54Der Deutsche Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung, alle Landesregierungen, der Bundesgerichtshof, der Beklagte des Ausgangsverfahrens sowie - als sachkundige Dritte im Sinne des § 27a BVerfGG - die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die Bundesnotarkammer, die Bundesrechtsanwaltskammer, das Institut für Anwaltsrecht der Universität zu Köln, der Bundesverband der Wirtschaftskanzleien in Deutschland e.V., der Deutsche Anwaltverein e.V., die Deutsche Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie e.V., der Deutsche Notarverein e.V., das Deutsche Zentrum für Altersfragen e.V. und die Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Der Senat hat zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung bestimmten Äußerungsberechtigten und sachkundigen Dritten einen Katalog an Tatsachenfragen übermittelt. Geäußert haben sich die Folgenden:
551. Das Bundesministerium der Justiz, das im Namen der Bundesregierung Stellung genommen hat, hält die Altersgrenze weiterhin für verfassungskonform. Diese sei nach wie vor geeignet und erforderlich, um die mit ihr verfolgten Ziele - die gleichmäßige Abdeckung aller Altersgruppen durch die Berufsträger und die gerechte Verteilung der Berufschancen - zu erreichen. Die Altersgrenze habe im Anwaltsnotariat die angestrebte geordnete Altersstruktur erreicht. Es bestehe eine Gleichverteilung von Anwaltsnotaren in den verschiedenen Altersgruppen. Die Wirksamkeit der Altersgrenze zeige insbesondere die Situation in den neuen Bundesländern. Dort sei sie erst im Jahr 1998 mit einer Übergangsfrist von zwölf Jahren eingeführt worden. Bis zum Ablauf der Übergangsfrist im Jahr 2010 sei das dortige hauptberufliche Notariat überaltert gewesen.
56Den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Bewerbermangel gebe es tatsächlich nicht. Der von den Ländern vorrangig anhand der Bedürfniszahlen ermittelte Bedarf an Notarstellen spiegele nicht den "Realbedarf" wider; dieser sei geringer. Denn die Bedürfniszahlen seien seit langer Zeit nicht an den Umstand angepasst worden, dass die tatsächlich erledigten Urkundsgeschäfte je Anwaltsnotariat in den letzten Jahren gestiegen seien, Anwaltsnotare also mittlerweile mehr Urkundsgeschäfte erledigten. Durch gestiegene Anforderungen an den Notarberuf bilde dieser für Anwaltsnotare sehr viel häufiger als in der Vergangenheit den tatsächlichen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit. Dies führe im Durchschnitt zu höheren Urkundszahlen je Anwaltsnotar als zuvor. Zudem gebe es immer wieder Notare, die deutlich überdurchschnittliche Urkundsaufkommen vorwiesen. Ohne eine Anpassung der Bedürfniszahlen werde ein tatsächlich zu hoher Stellenbedarf ausgewiesen. In Nordrhein-Westfalen und Berlin sei daher bereits eine solche Anpassung erfolgt. Mit dem scheinbaren Stellenbedarf sei auch der entsprechend scheinbare Bewerbermangel verschwunden. Für die anhand des "Realbedarfs" ausgeschriebenen Stellen gebe es genügend Bewerber.
57Im Übrigen sei der Rückgang der Bewerberzahlen für das Anwaltsnotariat nicht auf demographische, sondern auf strukturelle Ursachen zurückzuführen, namentlich auf die zeit- und kostenintensive notarielle Fachprüfung sowie die gestiegenen fachlichen und wirtschaftlichen Anforderungen an Einrichtung, Ausstattung und Führung eines Notariats.
582. Die Bayerische und Sächsische Staatsregierung sind übereinstimmend der Ansicht, die Altersgrenze sei mit dem deutschen Verfassungsrecht und dem Unionsrecht vereinbar, da der Eingriff in die Grundrechte der Berufsträger gerechtfertigt sei. Die Argumentation des Beschwerdeführers sei auf das hauptberufliche Notariat nicht übertragbar, weil hier durchgängig ein erheblicher Bewerberüberhang bestehe.
59Die Altersgrenze sei im Übrigen für eine geordnete Bedarfsplanung zwingend erforderlich. Dies betreffe gerade das hauptberufliche Notariat, weil hier die Anzahl der eingestellten Notarassessoren von der Erwartung der zu besetzenden Notarstellen abhänge. Ohne eine Altersgrenze könne die Justizverwaltung den Nachwuchsbedarf nur schwer absehen. Die Sächsische Staatsregierung verweist zudem auf Erfahrungen im Freistaat Sachsen. Ohne Altersgrenze sei es von 1997 bis 2010 zu einem deutlichen Überhang an Notarassessoren gekommen. Deren Wartezeit bis zu einer Bestellung habe sich damals auf sieben bis zwölf Jahre belaufen. Die Einführung der Altersgrenze, deren Effekte aufgrund der Übergangsregelung erst im Jahr 2010 eingetreten seien, habe zur Planbarkeit und zu einer erheblichen Konsolidierung der Notariatsstrukturen beigetragen.
60Die Bayerische Staatsregierung meint darüber hinaus, die Altersgrenze berücksichtige auch angemessen die mit zunehmendem Lebensalter abnehmende Leistungsfähigkeit sowie das höhere Risiko gesundheitsbedingter Ausfälle.
613. Mehrere Landesregierungen von Ländern mit Anwaltsnotariat haben sich auf den Fragenkatalog des Senats hin speziell zum Rückgang der Bewerberzahlen geäußert. Genannt werden als mögliche Ursachen ebenfalls der Vorbereitungsaufwand für die notarielle Fachprüfung als Hemmnis, sich für den Beruf als Anwaltsnotar zu entscheiden (Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein), sowie die gestiegenen Anforderungen an die notarielle Tätigkeit, etwa im Hinblick auf die zunehmende Regulierungsdichte und die Digitalisierung, ferner die Schwierigkeit, geeignetes Fachpersonal zu gewinnen (Nordrhein-Westfalen, Bremen). Die Hessische Landesregierung hat mitgeteilt, insoweit über keine belastbaren Erkenntnisse zu verfügen.
624. Der Beklagte des Ausgangsverfahrens hält die Verfassungsbeschwerde ebenfalls für unbegründet und verneint insbesondere die gerügte Verletzung von Verfahrensgrundrechten durch den Bundesgerichtshof.
635. Die Bundesnotarkammer, die Bundesrechtsanwaltskammer und die angefragten Berufsverbände - der Bundesverband der Wirtschaftskanzleien in Deutschland, der Deutsche Anwaltverein und der Deutsche Notarverein - nehmen übereinstimmend die Verfassungskonformität der Altersgrenze an und sprechen sich für ihre Beibehaltung aus.
64a) Die Bundesnotarkammer hat dazu ein Rechtsgutachten vorgelegt, das sich insbesondere mit der Rechtfertigung des Eingriffs in die Berufsfreiheit befasst. Legitimer Zweck der Altersgrenze sei die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und die Eröffnung von Berufszugangschancen für den Nachwuchs. Die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege sei in zahlreiche Unteraspekte aufzufächern. Dazu zähle auch der Schutz der Allgemeinheit vor Gefahren durch nicht mehr leistungsfähige Amtsträger. Das Anliegen, mittels Altersgrenzen die Leistungsfähigkeit der Amtsträger zu gewährleisten, sei im Notariat von besonderer Bedeutung. Das Berufsbild des Notars setze bei typisierter Betrachtung eine erhöhte Leistungsfähigkeit voraus, und zwar mit Blick auf die zahlreichen Amtspflichten des Notars, die zunehmende Komplexität des anwendbaren materiellen Rechts und die Digitalisierung der Berufspraxis. Es erscheine plausibel, dass mit zunehmendem Lebensalter die Leistungsfähigkeit abnehme. Daher bestehe ein Bedürfnis nach Altersgrenzen.
65b) Ähnlich argumentiert der Deutsche Notarverein. Eine Altersgrenze für Notare stelle sicher, dass nur Personen im Amt blieben, die den hohen Anforderungen an Präzision und Fachwissen vollumfänglich gerecht würden.
66c) Die Bundesrechtsanwaltskammer hebt unter anderem hervor, die Altersgrenze gewährleiste eine angemessene Lastenverteilung zwischen den Generationen. So profitierten ältere Notare von der wirtschaftlichen Sicherheit, die mit der Begrenzung der Zahl der Notarstellen einhergehe. Im Gegenzug erscheine es angemessen, eine Notarstelle nach Durchlaufen eines regulär langen Berufslebens zu Gunsten nachfolgender Generationen räumen zu müssen. Ohne Altersgrenze überalterte das Notariat auch zunehmend und entfernte sich von gesellschaftlichen Realitäten.
67d) Nach Einschätzung des Deutschen Anwaltvereins ist für die rechtliche Beurteilung der Altersgrenze insbesondere die Nähe des Notarberufs zum öffentlichen Dienst wesentlich. Weil Notare einen staatlich gebundenen Beruf ausübten, nämlich Staatsaufgaben im Bereich der vorsorgenden Rechtspflege wahrnähmen, müssten sie hinnehmen, dass in Anlehnung an Art. 33 Abs. 5 GG Sonderregelungen den Schutz aus Art. 12 Abs. 1 GG zurückdrängten. Diesen Gesichtspunkt stellt auch der Bundesverband der Wirtschaftskanzleien heraus, der überdies darauf hinweist, der Eingriff in das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG werde dadurch abgemildert, dass die Betroffenen nach ihrem Ausscheiden aus dem Notarberuf als Rechtsanwalt und als Notarvertreter tätig werden dürften.
686. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes sieht die Verfassungsbeschwerde hingegen als begründet an. Überwiegende Gründe sprächen gegen die Vereinbarkeit der Altersgrenze für Notare mit den Gleichheitsrechten, insbesondere Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 21 Abs. 1 GRCh in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG. Die Altersgrenze bewirke eine Ungleichbehandlung wegen des Alters, die nicht gerechtfertigt sei. Das Ziel, im Interesse einer funktionstüchtigen Rechtspflege eine geordnete Altersstruktur zu erreichen, sei zwar ein legitimes beschäftigungspolitisches Ziel im Sinne des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG. Auch der Gerichtshof der Europäischen Union habe die Erleichterung des Generationswechsels und die Verjüngung des Berufsstands immer wieder als legitime Ziele für Altersgrenzen anerkannt. Doch seien Altersgrenzen in Frage zu stellen, wenn - wie hier - im betroffenen Berufsfeld Stellen unbesetzt blieben. Ein Nachrücken der jüngeren Generation erscheine damit auch unabhängig von einer Altersgrenze möglich. Die Argumentation des Bundesgerichtshofs zum erforderlichen Freiwerden von Urkunden- und Gebührenaufkommen überzeuge demgegenüber nicht. Diese Anreizwirkung der Altersgrenze sei nicht belegt und angesichts des konstanten Bewerberrückgangs im Anwaltsnotariat nicht plausibel.
69Altersgrenzen bärgen zudem komplexe und besondere Diskriminierungsrisiken. Zwar komme der Gesetzgebung ein Ermessensspielraum zu, der es erlaube, pauschalisierend in bestimmten Lebensbereichen an eine Altersgrenze anzuknüpfen. Im Rahmen der Angemessenheit solcher Altersgrenzen gelte es aber zu berücksichtigen, dass diese auf mitunter unbewussten, wirkmächtigen negativen Altersbildern beruhten und solche Bilder bestätigen und verfestigen könnten. Die Altersforschung zeige, die individuellen Unterschiede in der Leistungsfähigkeit seien im Alter derart groß, dass die Verallgemeinerung durch Altersgrenzen weitergehend als bisher in Frage gestellt werden müsse. So habe die zunehmende Lebenserwartung nicht nur das Leben verlängert, sondern auch das körperliche und geistige Befinden von Senioren gesteigert. Demgegenüber drohten Altersgrenzen, auf Stereotype und Vorurteile zu rekurrieren oder diese zu verfestigen.
707. Das Institut für Anwaltsrecht der Universität zu Köln hat statistische Daten zum Notar- und Rechtsanwaltsberuf übermittelt und sich zu möglichen Ursachen des Rückgangs der Bewerberzahl für das Anwaltsnotariat aus berufswissenschaftlicher Perspektive geäußert.
718. Das Deutsche Zentrum für Altersfragen und die Deutsche Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie haben auf Anfrage des Senats zur Entwicklung der Berufsfähigkeit im höheren Alter und zur Begründbarkeit von starren Altersgrenzen aus alternswissenschaftlicher Sicht Stellung genommen.
V.
72Das Bundesverfassungsgericht hat die Sache am mündlich verhandelt. Der Beschwerdeführer hat sein bisheriges Vorbringen ergänzt und vertieft. Geäußert haben sich ferner die Bundesregierung, die niedersächsische Landesregierung und der Beklagte des Ausgangsverfahrens. Als sachkundige Dritte haben die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die Bundesnotarkammer, die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Notarverein, der Deutsche Anwaltverein, das Institut für Anwaltsrecht der Universität zu Köln, das Deutsche Zentrum für Altersfragen sowie die Deutsche Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie Stellung genommen.
B.
73Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit sie sich mit der Rüge einer Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG unmittelbar gegen das und mittelbar gegen § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO richtet; hinsichtlich der übrigen Grundrechtsrügen fehlt es an einer hinreichenden Substantiierung der Beschwerdebefugnis. Die Verfassungsbeschwerde ist insgesamt unzulässig, soweit sie sich gegen das sowie gegen die Beschlüsse des und vom wendet.
I.
74Neben den unmittelbar angegriffenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und des Oberlandesgerichts Köln ist mittelbarer Beschwerdegegenstand die Regelung der Altersgrenze nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO, jedoch nur insoweit, als sie auf Anwaltsnotare anwendbar ist (1). Die Regelung ist entsprechend teilbar (2).
751. Die Beschränkung des mittelbaren Beschwerdegegenstands ergibt sich daraus, dass der Beschwerdeführer die Verfassungswidrigkeit der Regelung ausdrücklich nur für das Anwaltsnotariat rügt, indem er ihre partielle Unwirksamkeit bezogen auf die Gruppe der Anwaltsnotare geltend macht.
762. Diese Beschränkung ist auch möglich, denn die Regelung ist hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit auf das hauptberufliche Notariat einerseits und das Anwaltsnotariat andererseits teilbar.
77a) In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass Rechtsnormen auch hinsichtlich nur bestimmter Anwendungsfälle für nichtig oder mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt werden können (vgl. schon BVerfGE 12, 296; vgl. zu Art. 12 Abs. 1 GG etwa BVerfGE 117, 163). Ausgeschlossen ist eine solche qualitative Teilnichtigkeit beziehungsweise Teilunvereinbarkeit nur, wenn sie zu einem Gesetz führt, das nicht aus sich heraus verständlich ist und damit den Grundsätzen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit nicht genügt (vgl. BVerfGE 113, 273 <315f.>) oder die Fortgeltung einzelner Vorschriften angesichts des einheitlichen gesetzgeberischen Regelungskonzepts nicht in Betracht kommt (vgl. BVerfGE 111, 226 <273>).
78b) Die Regelung nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO ist in der Weise teilbar, dass sie nur für nichtig oder mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt werden kann, soweit sie das Anwaltsnotariat betrifft. Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sind dadurch nicht berührt, da eindeutig zu bestimmen ist, welche Notare als Anwaltsnotare von einer Teilnichtigkeit oder Teilunvereinbarkeit betroffen sind. Ebenso steht einer Teilbarkeit kein einheitliches Regelungskonzept des Gesetzgebers entgegen. In der geschichtlichen Entwicklung des Notarrechts war der Gesetzgeber zwar bestrebt, die Vielzahl regional unterschiedlicher Notariatsverfassungen zu vereinheitlichen (vgl. nur Eschwey, in: ders., BeckOK BNotO, Überblick Rn. 1 ff. (Aug. 2025)). Dementsprechend geht auch die Bundesnotarordnung von einem einheitlichen Beruf des Notars aus. Vollständig vereinheitlicht hat der Gesetzgeber jedoch nur die notarielle Amtsausübung als solche. Die Altersgrenze ist hingegen der äußeren Organisation des Notariats zuzurechnen, die für die beiden Berufsausübungsformen in erheblichem Maße unterschiedlich ausgestaltet ist (vgl. Rn. 6 ff.).
II.
79Das Bundesverfassungsgericht ist für die Prüfung der mittelbar angegriffenen Vorschriften am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes zuständig. Die Altersgrenze fällt zwar in den Anwendungsbereich eines Rechtsakts der Europäischen Union, nämlich der Richtlinie 2000/78/EG, deren Zweck nach Art. 1 in der Bekämpfung berufsbezogener Diskriminierungen unter anderem wegen des Alters liegt. Diese Richtlinie ist auch auf den Notarberuf anwendbar (vgl. EuGH, Ministero della Giustizia, , C-914/19, EU:C:2021:430). Doch handelt es sich bei der Altersgrenze nicht um die Umsetzung zwingenden Unionsrechts (vgl. zum Maßstab BVerfGE 155, 119 <162 ff. Rn. 83 ff.> - Bestandsdatenauskunft II; 156, 11 <35 ff. Rn. 63 ff.> - Antiterrordateigesetz II; 158, 170 <183 Rn. 23> - IT-Sicherheitslücken; 169, 332 <356 Rn. 53> - Bundeskriminalamtgesetz II). Die Regelung nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO setzt weder vollständig vereinheitlichendes Unionsrecht aufgrund eines Umsetzungsauftrags um, noch dient sie der Anpassung an insoweit verbindliches Unionsrecht. Die Richtlinie 2000/78/EG untersagt zwar Diskriminierungen wegen des Alters. Sie verbietet aber weder berufsbezogene gesetzliche Altersgrenzen generell, noch macht sie Vorgaben, Altersgrenzen einzuführen oder auf eine bestimmte Weise auszugestalten. Vielmehr gewährt insbesondere Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie den Mitgliedstaaten nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union einen weiten Spielraum, Altersgrenzen für den Berufszugang und die Berufsausübung zu bestimmen (vgl. EuGH, Fuchs und Köhler, , C-159/10, C-160/10, EU:C:2011:508, Rn. 61; Anwaltsnotarin, , C-408/23, EU:C:2024:901, Rn. 36).
III.
80Der Beschwerdeführer ist beschwerdebefugt, soweit er eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG unmittelbar durch das und mittelbar durch § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO rügt. Im Übrigen genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den Darlegungsanforderungen.
811. Die Beschwerdebefugnis setzt nach Art. 94 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG die hinreichend begründete Behauptung voraus, durch einen Akt der öffentlichen Gewalt in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt zu sein (vgl. BVerfGE 140, 42 <54 Rn. 47>). Dazu müssen sowohl die Möglichkeit der Verletzung von Grundrechten nach dem Grundgesetz als auch die eigene, unmittelbare und gegenwärtige Betroffenheit den Anforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechend dargelegt sein (vgl. BVerfGE 125, 39 <73>; 159, 355 <375 Rn. 25> - Bundesnotbremse II; 165, 1 <30 Rn. 38> - Polizeiliche Befugnisse nach SOG MV).
82Steht innerstaatliches Recht zur Überprüfung, das der Durchführung gestaltungsoffenen Unionsrechts (Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh) dient, kommt auch die Rüge der Verletzung von Grundrechten der Grundrechtecharta in Betracht, wenn konkrete und hinreichende Anhaltspunkte vorliegen, dass anhand der Maßstäbe des Grundgesetzes das grundrechtliche Schutzniveau des Unionsrechts ausnahmsweise nicht gewährleistet ist (vgl. dazu BVerfGE 152, 152 <169 f. Rn. 44, 179 ff. Rn. 63 ff.> - Recht auf Vergessen I; 155, 238 <306, Rn. 169> - WindSeeG).
832. Ausgehend von diesen Maßstäben legt der Beschwerdeführer nachvollziehbar dar, durch das sowie durch den mittelbar angegriffenen § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO in Art. 12 Abs. 1 GG verletzt zu sein. Insbesondere zeigt er auf, weshalb der Eingriff nicht gerechtfertigt sei. Dabei weist er auf die Möglichkeit hin, die Altersgrenze - abweichend von früherer Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - mittlerweile als unverhältnismäßig einzustufen.
843. Im Übrigen sind die Rügen des Beschwerdeführers nicht hinreichend substantiiert und damit unzulässig.
85a) Hinsichtlich des Urteils des Oberlandesgerichts Köln hat sich der Beschwerdeführer nicht mit der Frage einer prozessualen Überholung (vgl. dazu BVerfGE 149, 293 <317>; BVerfGK 10, 134 <138>) auseinandergesetzt. Es fehlt auch an einer näheren argumentativen Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen und damit insgesamt an substantiierten Ausführungen zur Möglichkeit einer Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG.
86b) Ebenfalls nicht hinreichend substantiiert und damit unzulässig ist die gerügte Verletzung von Art. 15 Abs. 1 und Art. 16 GRCh durch die beiden Urteile und die gesetzliche Regelung. Der Beschwerdeführer legt weder dar, dass das Unionsrecht den Mitgliedstaaten für die in Rede stehende Regelung bereits einen verbindlichen Rahmen vorgibt, der erkennbar unter Beachtung der Unionsgrundrechte konkretisiert werden sollte, noch führt er Anhaltspunkte an, aus denen sich ergibt, dass das grundrechtliche Schutzniveau des Unionsrechts allein durch eine Prüfung am Maßstab des Grundgesetzes nicht gewährleistet wäre.
87c) Auch eine mögliche Verletzung von Gleichheitsgrundrechten nach Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 33 Abs. 2 GG sowie Art. 21 Abs. 1 GRCh durch die beiden Urteile und die gesetzliche Regelung ist nicht hinreichend substantiiert dargelegt.
88aa) Die Verletzung des Rechts auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Art. 33 Abs. 2 GG beanstandet der Beschwerdeführer nicht ausdrücklich. Seine Ausführungen zu Art. 21 Abs. 1 GRCh vermögen auch der Sache nach die Rüge einer Verletzung dieses Rechts nicht zu tragen. Zum Schutzbereich des Art. 33 Abs. 2 GG fehlt es an der gebotenen argumentativen Auseinandersetzung mit der nicht abschließend geklärten Frage, ob der verfassungsrechtliche Begriff des öffentlichen Amtes auch das Notaramt einschließt (vgl. BVerfGE 73, 280 <295 f.>; 80, 257 <268>; 110, 304 <320 f.>; vgl. zu den unterschiedlichen Auffassungen in der Literatur z.B. - verneinend - Kaiser, in: Huber/Voßkuhle, Grundgesetz, 8. Aufl. 2024, Art. 33 Rn. 15 und - bejahend - Badura, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 33 Rn. 23 (Oktober 2024)). Hierzu wie zur ebenfalls erörterungsbedürftigen Frage, ob Art. 33 Abs. 2 GG auch für das Ausscheiden aus dem Amt gilt (vgl. im Einzelnen Höfling, in: Bonner Kommentar, Art. 33 Rn. 124 ff. (Okt. 2024)), ist aus der Beschwerdeschrift nichts abzuleiten.
89bb) Die Ausführungen zum Diskriminierungsverbot des Art. 21 Abs. 1 GRCh genügen gleichermaßen nicht den Darlegungsanforderungen, da sie sich auch insoweit nicht zu den Voraussetzungen einer unmittelbaren Anwendung der Grundrechtecharta (vgl. Rn. 86) verhalten. Die Ausführungen tragen auch nicht die Rüge einer Verletzung des vom Beschwerdeführer nicht ausdrücklich genannten allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG. Eine Ungleichbehandlung durch die Altersgrenze zeigt der Beschwerdeführer zwar auf. Doch setzt sich die Verfassungsbeschwerde nicht substantiiert mit den einschlägigen Maßstäben einer möglichen Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen auseinander (vgl. BVerfGE 168, 1 <48 ff. Rn. 138 ff.> - Beteiligungsidentische Schwesterpersonengesellschaften m.w.N.).
90d) Unzulässig sind weiter die Rügen der Verletzung der Verfahrensgrundrechte aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 103 Abs. 1 GG durch das Urteil des Bundesgerichtshofs.
91aa) Der Beschwerdeführer hat eine Verletzung seines Rechts auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch Nichteinholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht substantiiert gerügt.
92Der Gerichtshof der Europäischen Union ist gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs 1 Satz 2 GG. Unter den Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 3 AEUV sind die Fachgerichte daher von Amts wegen gehalten, den Gerichtshof anzurufen (vgl. BVerfGE 135, 155 <230 f. Rn. 177>; 147, 364 <378 f. Rn. 37>; 149, 222 <284 Rn. 138>). Allerdings stellt nicht jede Verletzung der unionsrechtlichen Vorlagepflicht zugleich einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Das Bundesverfassungsgericht überprüft insoweit nur, ob die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 126, 286 <315>; 135, 155 <232 Rn. 180>). Ein zur Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG führender Verfahrensfehler ist nur gegeben, wenn die fachgerichtliche Entscheidung auf dem Verfahrensfehler beruht (vgl. BVerfGE 96, 68 <86>).
93Der Beschwerdeführer zeigt eine willkürliche Handhabung des Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht auf. Der Bundesgerichtshof hat in dem angegriffenen Urteil angenommen, dass sich die von ihm zugrunde gelegten Zwecke der Altersgrenze im Rahmen der Auslegung des Begriffs des legitimen Ziels nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG durch den Gerichtshof der Europäischen Union bewegen. Dass diese Annahme offensichtlich unhaltbar sei, legt der Beschwerdeführer nicht hinreichend substantiiert dar. Soweit der Beschwerdeführer meint, der Bundesgerichtshof hätte auch die Frage zur Vorabentscheidung vorlegen müssen, ob die Beweislastregelung des Art. 10 der Richtlinie 2000/78/EG der Einholung eines Gutachtens der Bundesnotarkammer entgegenstehe, hat er jedenfalls nicht substantiiert dargetan, dass das Urteil zu seinem Nachteil auf der unterlassenen Vorlage beruht.
94bb) Eine mögliche Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG ist ebenfalls nicht hinreichend substantiiert gerügt (vgl. zum Maßstab BVerfGE 72, 119 <121>; 86, 133 <144 f.>; 115, 166 <180>; 163, 363 <444 f.>). Dass der Bundesgerichtshof die Ausführungen des Beschwerdeführers zu den demographischen Ursachen des Nachwuchsmangels im Anwaltsnotariat nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen habe, wird nicht anhand der Urteilsgründe belegt. Der Beschwerdeführer trägt im Gegenteil selbst vor, der Bundesgerichtshof habe sich mit der Frage befasst, ob der Bewerbermangel im Anwaltsnotariat demographisch bedingt sei. Mit seiner Rüge der mangelnden inhaltlichen Auseinandersetzung mit den vorgelegten "Daten und Quellen" macht der Beschwerdeführer der Sache nach keine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG geltend, sondern setzt lediglich seine Bewertung des Sachverhalts an die Stelle derjenigen des Bundesgerichtshofs.
95Der Beschwerdeführer zeigt auch nicht das Vorliegen einer Überraschungsentscheidung auf (vgl. zum Maßstab BVerfGE 84, 188 <190>; 107, 395 <410>; 163, 363 <444 f.>). Den Gründen des Beschlusses des Bundesgerichtshofs über die Anhörungsrüge zufolge war die Frage, welche Investitionen für den Aufbau eines Notariats erforderlich sind, in der mündlichen Verhandlung intensiv erörtert worden. Dies stellt der Beschwerdeführer nicht in Abrede. Unabhängig davon hat er nicht hinreichend substantiiert vorgetragen, die Annahme des Bundesgerichtshofs zur Wirkung der Altersgrenze durch das Freiwerden von Marktanteilen habe derart ferngelegen, dass ein gewissenhafter Verfahrensbeteiligter nicht mit ihr habe zu rechnen brauchen.
96e) Hinsichtlich der beiden angegriffenen Beschlüsse des Bundesgerichtshofs schließlich fehlt es jeweils an einer näheren argumentativen Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen und damit insgesamt an substantiierten Ausführungen zur Möglichkeit einer Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Ebenso fehlen Ausführungen zur Verletzung von Verfahrensgrundrechten durch das Urteil des Oberlandesgerichts Köln.
IV.
971. Der Rechtsweg ist im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG erschöpft. Der Beschwerdeführer hat den fachgerichtlichen Instanzenzug ordnungsgemäß durchlaufen.
982. Die Verfassungsbeschwerde wird darüber hinaus dem Grundsatz der materiellen Subsidiarität gerecht.
99Beschwerdeführende einer Verfassungsbeschwerde müssen, über die bloße formelle Erschöpfung des Rechtswegs hinaus, vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. BVerfGE 112, 50 <60>; 129, 78 <92>; stRspr). Die Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens sind allerdings grundsätzlich nicht gehalten, verfassungsrechtliche Ausführungen zu machen, sofern nicht das fachgerichtliche Verfahrensrecht rechtliche Darlegungen verlangt. Dementsprechend obliegt es Beschwerdeführenden im Ausgangsverfahren einer Verfassungsbeschwerde lediglich, den Sachverhalt so darzulegen, dass eine verfassungsrechtliche Prüfung möglich ist; diese ist dann von den Gerichten vorzunehmen. Beschwerdeführende müssen das fachgerichtliche Verfahren nicht im Sinne eines vorgezogenen Verfassungsrechtsstreits führen (vgl. BVerfGE 112, 50 <60 ff.>; 129, 78 <92 f.>). Etwas anderes kann in Fällen gelten, in denen - wie vorliegend - bei verständiger Einschätzung der Rechtslage und der jeweiligen verfahrensrechtlichen Situation ein Begehren nur Aussicht auf Erfolg haben kann, wenn verfassungsrechtliche Erwägungen in das fachgerichtliche Verfahren eingeführt werden (vgl. BVerfGE 112, 50 <62>; 129, 78 <93>).
100Weder die Beschwerdeschrift noch der Tatbestand des angegriffenen Urteils des Bundesgerichtshofs lassen erkennen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Beschwerdeführer im Ausgangsverfahren verfassungsrechtliche Erwägungen vorgetragen hat. Dies ist hier allerdings unschädlich. Denn das Urteil beruhte nicht auf einem etwaigen Unterlassen des Beschwerdeführers. Der Bundesgerichtshof hat sich ausweislich der Entscheidungsgründe mit der Vereinbarkeit der Regelungen nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO mit dem Grundgesetz auseinandergesetzt. Er ist auf Grundlage seiner ständigen Rechtsprechung zu dem Schluss gekommen, die Altersgrenze sei mit dem Grundgesetz vereinbar.
V.
101Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, das noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bestehen muss (vgl. BVerfGE 81, 138 <140>; 159, 223 <272 Rn. 97 f.> - Bundesnotbremse I), ist gegeben. Insbesondere ist die unmittelbare Beschwer des Beschwerdeführers nicht deshalb entfallen, weil sein Notaramt mittlerweile infolge Erreichens der Altersgrenze erloschen ist. Die Verfassungsbeschwerde hat sich dadurch nicht in der Sache erledigt. Der Grundrechtseingriff wirkt fort, da die Regelung nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO nicht nur das Amt erlöschen lässt, sondern zugleich die Wiederbestellung des jeweiligen Notars sperrt (vgl. Baumann, in: Frenz/Miermeister, BNotO, 6. Aufl. 2024, § 5 Rn. 23).
C.
102Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, soweit sie sich mittelbar gegen die Regelung der Altersgrenze des vollendeten siebzigsten Lebensjahres nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO wendet. Diese ist mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbar, soweit sie das Anwaltsnotariat betrifft. Sie greift unverhältnismäßig in die Berufsfreiheit der Anwaltsnotare ein. Zurückzuweisen ist die Verfassungsbeschwerde, soweit sie sich unmittelbar gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs wendet, das auf der Regelung beruht. Es hat auf Grundlage der getroffenen Fortgeltungsanordnung Bestand.
I.
1031. Art. 12 Abs. 1 GG ist ein einheitliches Grundrecht, das Wahl und Ausübung des Berufs schützt (vgl. BVerfGE 7, 377 <400 f.>; 161, 63 <89> - Windenergie-Beteiligungsgesellschaften). Die Berufsfreiheit umfasst eine wirtschaftliche und eine auf die Entfaltung der Persönlichkeit bezogene Dimension (vgl. BVerfGE 7, 377 <397>; vgl. auch BVerfGE 50, 290 <362>; 110, 226 <251>). Sie konkretisiert das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich der individuellen Leistung sowie der Existenzgestaltung und -erhaltung. Die Gewährleistung zielt auf eine möglichst unreglementierte berufliche Betätigung ab (vgl. BVerfGE 163, 107 <134 Rn. 73> - Tierarztvorbehalt). Die Berufsfreiheit schützt zudem die Ausübung von Nebenberufen (vgl. BVerfGE 110, 304 <321>) und umfasst auch staatlich gebundene Berufe (BVerfGE 131, 130 <139>). Die Tätigkeit als Anwaltsnotar, die gemäß § 3 Abs. 2 BNotO neben dem Beruf des Rechtsanwalts ausgeübt wird und staatlich gebunden ist, fällt danach in den sachlichen Schutzbereich der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 131, 130 <139>).
1042. Die Altersgrenze nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO greift in den Schutzbereich ein. Sie beschränkt die Berufswahlfreiheit unmittelbar, indem die betroffenen Berufsträger von der weiteren Tätigkeit als Anwaltsnotar ausgeschlossen sind. Ihr Beruf ist kraft Gesetzes mit Erreichen der Altersgrenze beendet. Über eine Fortsetzung ihrer Notartätigkeit können sie nicht selbst entscheiden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1581/91 -, juris, Rn. 5).
1053. Dieser Eingriff ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG steht unter einem einfachen Gesetzesvorbehalt (vgl. BVerfGE 141, 82 <98 Rn. 47 m.w.N.>; 145, 20 <67 Rn. 121>; stRspr). Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung setzt daher voraus, dass die mittelbar angegriffene Regelung nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO formell und materiell verfassungsgemäß ist (vgl. BVerfGE 6, 32 <41>; 163, 107 <136 Rn. 77>).
106Zwar ist die angegriffene Regelung formell verfassungsgemäß, insbesondere nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG kompetenzgemäß erlassen. Der Eingriff in die Berufsfreiheit ist jedoch unverhältnismäßig und steht daher in materieller Hinsicht nicht mit Art. 12 Abs. 1 GG im Einklang, soweit die Regelung auf Anwaltsnotare anwendbar ist.
107Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass der Gesetzgeber mit der angegriffenen Regelung einen legitimen Zweck verfolgt, der Eingriff geeignet ist, den legitimen Zweck zu erreichen, und nicht weiter geht, als es die Gemeinwohlbelange erfordern, also auch sonst kein gleich wirksames, aber milderes Mittel besteht. Die Regelung darf die Grundrechtsträger schließlich nicht unzumutbar belasten (vgl. BVerfGE 141, 121 <133 Rn. 40>; 148, 40 <52 Rn. 30>; 155, 238 <278 Rn. 99>; 163, 107 <138 Rn. 83>).Auch eine zunächst verfassungskonforme Regelung kann verfassungswidrig werden, wenn sich die Verhältnisse dergestalt ändern, dass die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit nicht mehr erfüllt werden (vgl. BVerfGE 132, 334 <358 Rn. 67>; 150, 1 <90 Rn. 176>; 158, 282 <346 Rn. 155, 366 Rn. 200).
108Die mittelbar angegriffene Regelung in § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO ist danach unter den heutigen Gegebenheiten nicht verfassungsgemäß. Die Altersgrenze des vollendeten siebzigsten Lebensjahres dient zwar legitimen Zwecken (a) und ist grundsätzlich noch geeignet (b) und erforderlich (c), um diese Zwecke zu erreichen. Jedoch fehlt es an der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, weil sie unter den heutigen Rahmenbedingungen die Grundrechtsträger unzumutbar belastet (d).
109a) Die Altersgrenze nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO verfolgt verfassungsrechtlich legitime Zwecke.
110aa) Gesetzliche Eingriffe in Grundrechte können lediglich dann gerechtfertigt sein, wenn der Gesetzgeber mit dem Gesetz verfassungsrechtlich legitime Zwecke verfolgt. Ob dies der Fall ist, unterliegt der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht. Es ist dabei nicht auf die Berücksichtigung solcher Zwecke beschränkt, die der Gesetzgeber selbst ausdrücklich benannt hat (vgl. BVerfGE 159, 223 <298 Rn. 169> m.w.N.; 161, 163 <269 Rn. 291> - Erziehungsaufwand; 163, 107 <138 Rn. 86>; 167, 163 <212 Rn. 115>). Der Normzweck ergibt sich regelmäßig aus dem objektivierten Willen des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 150, 244 <276 Rn. 74>; 161, 63 <93 Rn. 57> - Windenergie-Beteiligungsgesellschaften; 167, 163 <212 Rn. 115> - Contergan II) und ist mit Hilfe der anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung zu ermitteln, das heißt anhand des Wortlauts der Norm, der Gesetzesmaterialien und ihrer Entstehungsgeschichte, der systematischen Stellung der Norm sowie nach ihrem Sinn und Zweck, wobei sich diese Methoden nicht gegenseitig ausschließen, sondern ergänzen (vgl. BVerfGE 144, 20 <212 f. Rn. 555>; 161, 63 <93 Rn. 57>). Insoweit sind insbesondere, aber nicht ausschließlich, solche Zwecke bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung zu berücksichtigen, die nach dem gesetzgeberischen Willen naheliegen oder aber im verfassungsgerichtlichen Verfahren von den am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organen vorgebracht werden (vgl. BVerfGE 112, 226 <244>; 120, 82 <115>; 140, 65 <79 f. Rn. 33>; 163, 107 <139 Rn. 87>). Die Berücksichtigung unbenannter oder erst nach Verabschiedung des Gesetzes objektiv hinzugetretener Zwecke findet allerdings dort ihre Grenze, wo das eindeutige gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht würde (BVerfGE 167, 163 <212 Rn. 115>).
111bb) Gemessen daran dient die Altersgrenze nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO legitimen Zwecken. Sie soll im Interesse funktionstüchtiger Rechtspflege eine geordnete Altersstruktur innerhalb des Notarberufs erreichen (1), die Berufschancen zwischen den Generationen gerecht verteilen (2) und die Rechtspflege vor Gefahren durch eine altersbedingt nachlassende Leistungsfähigkeit von Notaren schützen (3). Kein Zweck der Altersgrenze ist es hingegen, die Personalplanung der Landesjustizverwaltungen für das Anwaltsnotariat zu erleichtern (4).
112(1) Die Festlegung eines Höchstalters für die Berufsausübung soll eine funktionstüchtige Rechtspflege gewährleisten. Die Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses stellt insoweit die Gewährleistung einer geordneten Altersstruktur des Notariats in den Vordergrund (vgl. BTDrucks 11/8307, S. 18). Diese bildet jedoch nicht schon für sich genommen den Gesetzeszweck. Sie dient vielmehr als Mittel, um die Funktionstüchtigkeit der vorsorgenden Rechtspflege zu gewährleisten. Rechtsuchenden sollen Notare unterschiedlichen Lebensalters zur Verfügung stehen, die aufgrund der Anzahl und Art ihrer Amtsgeschäfte auf allen Gebieten des Notariats über ein Mindestmaß an Berufserfahrung verfügen. Demgegenüber führte ein überaltertes Notariat dazu, dass den Rechtsuchenden in zunehmendem Maße nur noch lebensältere Notare zur Verfügung stünden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1581/91 -, juris, Rn. 7). Die Funktionstüchtigkeit der vorsorgenden Rechtspflege wäre dadurch in zweifacher Hinsicht gefährdet. Einerseits wäre die Berufserfahrung der nachrückenden Amtsträger wegen ihrer späteren Zulassung geringer. Andererseits könnten Auftraggeber jedenfalls nur unter erschwerten Bedingungen einen Notar einer von ihnen bevorzugten Altersgruppe mandatieren, selbst wenn das persönliche Vertrauen für das Mandat gerade auch auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Altersgruppe beruht.
113Die Altersgrenze steht insoweit in einem funktionellen Zusammenhang mit den weiteren im Zuge der Novelle 1991 ins Gesetz gelangten altersbezogenen Vorschriften, nämlich der Altersstrukturklausel nach § 4 Satz 2 BNotO und der Altersgrenze für die erstmalige Bestellung zum Notar (heute § 5 Abs. 4 BNotO). Auch diese Vorschriften zielen auf eine geordnete Altersstruktur des Notariats, wie § 4 Satz 2 BNotO im Wortlaut ausweist, und sollen der Gefahr der Überalterung des Notarberufs begegnen (vgl. BTDrucks 11/6007, S. 10). Eine funktionstüchtige Rechtspflege in dem Sinne zu gewährleisten, dass sowohl die größtmögliche Vielfalt als auch ein Mindestmaß an Berufserfahrung der Träger des Notarberufs gesichert sind, ist ein legitimes Ziel des Gesetzgebers.
114(2) Die Altersgrenze des vollendeten siebzigsten Lebensjahres ist ein Mittel, mit dem auch eine gerechte Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen bezweckt wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2870/10 -, juris, Rn. 13). Nach den Gesetzesmaterialien wollte der Gesetzgeber mit der Novelle des Jahres 1991 zwar die Berufszugangsbestimmungen verschärfen, aber dennoch den Notarberuf für jüngere Berufsträger offenhalten (BTDrucks 11/8307, S. 17). Hierin liegt ein legitimer arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Zweck.
115(3) Die Altersgrenze nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO verfolgt schließlich den legitimen Zweck, die Rechtspflege vor Gefahren durch die altersbedingt nachlassende Leistungsfähigkeit von Notaren zu schützen.
116Zwar lassen die Gesetzesmaterialien ein entsprechendes Anliegen nicht erkennen. Im Ausgangspunkt handelt es sich jedoch um einen sachlichen Zweck. Dem zugrunde liegt die Annahme, dass die Leistungsfähigkeit des Menschen mit zunehmendem Alter nachlässt. Berufsträger höheren Alters können dadurch in ihrer ordnungsgemäßen Berufsausübung beeinträchtigt sein und Rechtsgüter gefährden, die von der Berufstätigkeit betroffen sind. Solchen Gefahren vorzubeugen, hat das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach als legitimen Zweck gesetzlicher oder tariflicher Altersgrenzen für die Berufsausübung angesehen (vgl. BVerfGE 9, 338 <345> - Hebammen; 64, 72 <83> - Prüfingenieure; BVerfGK 4, 219 <221 f.> - Verkehrspiloten; 10, 227 <233> - Verkehrspiloten; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2167/93 u. a. -, juris, Rn. 30 - Vertragsärzte).
117Zu dieser Zweckbestimmung steht in rechtssystematischer Hinsicht nicht im Widerspruch, dass die Altersgrenze nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO für Notarvertreter im Sinne des § 39 BNotO und für Notariatsverwalter im Sinne des § 56 BNotO nicht gilt (vgl. -, MDR 2000, 1462 <1463>; Bosch, in: Eschwey, BeckOK BNotO, § 56 Rn. 38 (Aug. 2025)). Denn diese Ämter stellen von Gesetzes wegen weniger hohe Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der jeweiligen Berufsträger als das Notaramt selbst. Der Notarvertreter wird lediglich in Vertretungsfällen tätig (vgl. § 39 BNotO). Der Notariatsverwalter nimmt das Amt nur vorübergehend wahr und wickelt regelmäßig nur laufende Geschäfte ab (vgl. § 56 Abs. 1 und 2 BNotO). Dementsprechend sind die Voraussetzungen einer Bestellung als Notarvertreter und Notariatsverwalter gegenüber denjenigen einer Bestellung zum Notar insgesamt abgesenkt (vgl. § 39 Abs. 3 BNotO, § 56 Abs. 6 BNotO).
118Ebenso wenig spricht gegen diese Zweckbestimmung, dass die Bundesnotarordnung auch über einen rechtlichen Mechanismus verfügt, um die Rechtspflege vor im konkreten Einzelfall nicht mehr leistungsfähigen Notaren zu schützen. Ein Notar kann zwar gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 7 BNotO wegen Amtsunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen seines Amtes enthoben werden. Dazu zählt auch die Amtsunfähigkeit aufgrund einer altersbedingten allgemeinen Schwäche der Körper- oder Geisteskräfte (vgl. Bremkamp, in Frenz/Miermeister, BNotO, 6. Aufl. 2024, § 50 Rn. 73); auch ist eine vorläufige Amtsenthebung möglich (vgl. § 54 BNotO). Eine solche anlassbezogene Regelung schließt aber den Zweck einer weitergehenden typisierenden Regelung durch eine Altersgrenze rechtssystematisch nicht aus.
119Dem Zweck ist nicht deshalb die Legitimität abzusprechen, weil er die Gefahr einer stereotypen Sicht auf das Alter birgt, wonach ältere Menschen generell als körperlich und kognitiv weniger leistungsfähig eingestuft werden (vgl. dazu die Stellungnahme der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, S. 10 ff.). Der Umstand, dass das Altern ein individueller Prozess ist (vgl. Rn. 129 ff.), stellt nicht die Legitimität des Zwecks an sich, sondern allenfalls Eignung, Erforderlichkeit oder Zumutbarkeit der Altersgrenze als Instrument in Frage.
120(4) Kein Zweck der Altersgrenze ist es demgegenüber, die Personalplanung der Landesjustizverwaltungen für das Anwaltsnotariat zu erleichtern. Dies wird zwar in einigen Stellungnahmen angenommen. Aufgrund der Altersgrenze hätten die Justizverwaltungen Kenntnis vom (spätesten) Zeitpunkt des Ausscheidens eines jeden Notars. Dies erleichtere es, Notarstellen zeitnah nachzubesetzen. Doch ergibt sich zu einem solchen Zweck weder etwas aus dem Wortlaut der Bundesnotarordnung noch aus den Gesetzesmaterialien. Auch ist objektiv ein Bedürfnis für eine erleichterte Personalplanung nicht ersichtlich. Die Tätigkeit der Justizverwaltung beschränkt sich im Anwaltsnotariat im Wesentlichen darauf, in regelmäßigen Abständen gemäß § 4 BNotO den Bedarf für die Bestellung von Notaren zu ermitteln und gegebenenfalls Notarstellen auszuschreiben. Beides ist unabhängig vom Bestehen einer Altersgrenze erforderlich. Damit unterscheidet sich die Situation im Anwaltsnotariat von derjenigen des hauptberuflichen Notariats, wo bereits die Zahl der Anwärterstellen (vgl. § 5a, § 7 BNotO) mit Blick auf die Zahl später frei werdender Notarstellen bemessen werden muss, sowie des öffentlichen Dienstes.
121b) Die Altersgrenze nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO ist trotz veränderter tatsächlicher Rahmenbedingungen zur Erreichung der Gesetzeszwecke im verfassungsrechtlichen Sinne noch geeignet. Insoweit genügt bereits die Möglichkeit, durch die Regelung den Gesetzeszweck zu erreichen. Eine Regelung ist erst dann nicht mehr geeignet, wenn sie die Erreichung des Gesetzeszwecks in keiner Weise fördern kann oder sich sogar gegenläufig auswirkt (BVerfGE 158, 282 <336 Rn. 131>; 163, 107 <149 Rn. 111>; stRspr).
122aa) Die Altersgrenze trägt zu einer geordneten Altersstruktur des Notariats im Interesse funktionstüchtiger Rechtspflege und zur gerechten Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen (vgl. Rn. 114) bei.
123(1) Der gesetzlichen Altersgrenze des vollendeten siebzigsten Lebensjahres liegt zugrunde, dass Berufsanwärtern der Berufseintritt grundsätzlich nur möglich ist, wenn und soweit bestehende Notarstellen in ausreichender Zahl frei werden. Denn die Stellenzahl ist gesetzlich kontingentiert, um das Entstehen wirtschaftlich nicht tragfähiger Zwergnotariate zu verhindern (vgl. § 4 BNotO). Die Altersgrenze forciert das Freiwerden von Stellen, indem sie kontinuierlich das Ausscheiden lebensälterer Notare erzwingt und ihr Verweilen im Beruf zeitlich begrenzt. Auf diese Weise kann sie lebensjüngeren Berufsanwärtern den Zugang zum Notarberuf eröffnen und den Beruf verjüngen.
124(2) Gewandelte tatsächliche Gegebenheiten, namentlich der mittlerweile eingetretene Bewerbermangel im Anwaltsnotariat, schränken die Eignung der Altersgrenze im verfassungsrechtlichen Sinne ein, heben sie aber nicht vollständig auf.
125Der Gesetzgeber hatte mit der Einführung der Altersgrenze im Jahr 1991 auf eine Situation reagiert, in der die Zahl der zugelassenen Rechtsanwälte stark angestiegen war. Von 1980 bis 1990 hatte die Zahl der Rechtsanwälte von 36.077 auf 56.638 deutlich zugenommen. In der Folge stieg sie bis zum Jahr 2000 noch weiter auf 104.067 an. Angesichts des flächendeckenden Überangebots an Bewerbern für das Anwaltsnotariat konnte die Altersgrenze die Berufszugangsmöglichkeiten der jüngeren Berufsanwärter erheblich fördern. Für jeden Notar, der aufgrund der Altersgrenze aus dem Beruf ausschied, rückte ein jüngerer Berufsträger nach. Damit korrespondierend waren potentielle Berufsanwärter darauf angewiesen, dass lebensältere Notare mit dem vollendeten siebzigsten Lebensjahr den Beruf verließen, um selbst die Chance zu erhalten, in den Beruf einzutreten.
126Diese Situation hat sich grundlegend gewandelt. Die Gesamtzahl der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte stagniert, die Zahl der niedergelassenen Rechtsanwälte ohne Zulassung als Syndikusanwalt oder Doppelzulassung, die für das Anwaltsnotaramt allein in Betracht kommen, ist deutlich rückläufig. In weiten Teilen des Anwaltsnotariats besteht ein dauerhaftes Bewerberdefizit (vgl. Rn. 34 ff.).
127Gleichwohl ist die vom Gesetzgeber ursprünglich angestrebte Wirkung der Altersgrenze im Anwaltsnotariat nicht vollständig entfallen. Vielmehr zeigen sich deutliche regionale Unterschiede. In den vom Bewerbermangel betroffenen Amtsgerichtsbezirken scheiden Anwaltsnotare mit Erreichen der Altersgrenze aus dem Amt, ohne dass jüngere Berufsanwärter in ausreichender Zahl nachrücken. Die ausgeschriebenen Stellen bleiben zu einem erheblichen Anteil unbesetzt. Dementsprechend sind Anwärter für den Berufseintritt auch nicht etwa mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit eines Anwaltsnotariats darauf angewiesen, dass Stellen aufgrund der Altersgrenze freiwerden (näher dazu Rn. 170 ff.). In diesen Regionen verfehlt die Altersgrenze damit ihren Zweck, durch freiwerdende Stellen im Interesse funktionstüchtiger Rechtspflege eine geordnete Altersstruktur zu erreichen und die Berufschancen zwischen den Generationen gerecht zu verteilen. Demgegenüber stehen wenige, meist großstädtisch geprägte Amtsgerichtsbezirke mit einem Überangebot an Bewerbern. Hier trägt die Altersgrenze weiterhin zur Erreichung der gesetzgeberischen Zwecke bei, eine funktionstüchtige Rechtspflege aufrechtzuerhalten und Berufschancen für jüngere Berufsanwärter zu eröffnen. Die verbleibende Funktionsfähigkeit genügt, um ihre verfassungsrechtliche Eignung zu bejahen.
128bb) Die Altersgrenze des vollendeten siebzigsten Lebensjahres ist auch noch geeignet, die Rechtspflege vor Gefahren durch die altersbedingt nachlassende Leistungsfähigkeit von Notarinnen und Notaren zu schützen. Die heutigen Erkenntnisse zur Bedeutung des Alters für die Berufstüchtigkeit schließen die Eignung nicht gänzlich aus. Nach den im Verfahren eingeholten Stellungnahmen und den Ausführungen in der mündlichen Verhandlung stellt sich der Sachverhalt wie folgt dar:
129(1) Nach übereinstimmender Einschätzung der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie und des Deutschen Zentrums für Altersfragen in ihren Stellungnahmen ist der kognitive Alterungsprozess ausweislich empirischer Studien stark individuell geprägt. Zwischen dem Lebensalter und der beruflichen Leistungsfähigkeit bestehen demnach keine verallgemeinerungsfähigen Zusammenhänge. Ausgenommen sind Tätigkeiten, die in besonderem Maße auf eine hohe Verarbeitungsgeschwindigkeit angewiesen sind, so der Beruf des Verkehrspiloten.
130Denn mit zunehmendem Alter nehmen insbesondere kognitive Fähigkeiten ab, die auf schnellerer Informationsverarbeitung beruhen, etwa das rasche Erkennen gefährlicher Situationen im Straßenverkehr und die darauf abgestimmte Entscheidungsfindung und Handlungsumsetzung (sogenannte fluide Intelligenz, vgl. die Stellungnahme des Deutschen Zentrums für Altersfragen, Rn. 71), wobei die Abnahme bereits in der dritten Lebensdekade beginnen kann. Andere kognitive Kompetenzen hingegen sind weniger anfällig für altersbedingte Einbußen und können Einschränkungen bei der Verarbeitungsgeschwindigkeit kompensieren. Die sogenannte kristalline Intelligenz bezieht sich auf erworbenes Wissen und umfasst Fähigkeiten und Kenntnisse, die stark auf Erfahrungen beruhen und im Langzeitgedächtnis gespeichert sind. Nach der Studienlage nehmen Fähigkeiten der kristallinen Intelligenz tendenziell bis ins fortgeschrittene Alter zu oder bleiben zumindest stabil, wie das Deutsche Zentrum für Altersfragen ausgeführt hat. Dennoch besteht nach Einschätzung der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie unter Berücksichtigung des Demenzrisikos bei etwa jeder sechsten bis achten Person über siebzig Jahren Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der kognitiven Eignung zur Ausübung des Notarberufs. Wenngleich dies dadurch relativiert wird, dass in die Gesamtbetrachtung auch Personen mit nur leichten kognitiven Störungen eingehen, ist danach der Wert jedenfalls nicht völlig zu vernachlässigen.
131(2) Vor dem Hintergrund dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse ist die verfassungsrechtliche Eignung der Altersgrenze noch zu bejahen. Zwar handelt es sich bei ihr um ein grobes Instrument, das in erheblichem Umfang Personen betrifft, bei denen keine Anhaltspunkte für eine eingeschränkte berufliche Leistungsfähigkeit vorliegen. Aus alternswissenschaftlicher Sicht wird eine starre Altersgrenze daher auch nicht empfohlen. Gleichwohl kann die Regelung den gesetzgeberischen Zweck fördern, indem sie auch die Berufsausübenden erfasst, die ab Vollendung ihres siebzigsten Lebensjahres altersbedingt nicht mehr in vollem Umfang leistungsfähig sind.
132c) Die Altersgrenze des vollendeten siebzigsten Lebensjahres ist im verfassungsrechtlichen Sinne auch noch erforderlich, die mit ihr verfolgten Zwecke zu erreichen.
133Grundrechtseingriffe dürfen nicht weiter gehen, als es der Schutz des Gemeinwohls erfordert. Daran fehlt es, wenn ein gleich wirksames Mittel zur Erreichung des Gemeinwohlziels zur Verfügung steht, das den Grundrechtsträger weniger und Dritte und die Allgemeinheit nicht stärker belastet. Die sachliche Gleichwertigkeit der alternativen Maßnahmen zur Zweckerreichung muss dafür in jeder Hinsicht eindeutig feststehen. Ein in diesem Sinne milderes Mittel ist vorliegend nicht verfügbar.
134aa) Eine allgemein angehobene Altersgrenze - etwa auf das vollendete fünfundsiebzigste oder achtzigste Lebensjahr - stellt kein milderes Mittel zur Erreichung der verfolgten Zwecke dar. Zwar griffe eine solche Regelung weniger stark in die Berufsfreiheit ein, doch wäre sie hinsichtlich aller drei Zwecke nicht gleich wirksam. Ältere Anwaltsnotare schieden erst zu einem späteren Zeitpunkt aus dem Amt aus, wodurch sich die Zahl der für den Berufsnachwuchs freiwerdenden Stellen jedenfalls in den Gebieten mit noch bestehendem Bewerberüberhang merklich verringerte. Ebenso verringerte sich die Zahl der altersbedingt nicht mehr ausreichend leistungsfähigen Notare, die von der Regelung erfasst werden.
135bb) Im Ausgangspunkt Entsprechendes gilt, wenn die Altersgrenze nicht generell angehoben, sondern das Fortbestehen der Bestellung über das siebzigste Lebensjahr hinaus an die fortdauernde berufliche Leistungsfähigkeit des Anwaltsnotars geknüpft würde. Auch eine solche Regelung führte zu einem weniger intensiven Grundrechtseingriff. Denn das Erlöschen des Notaramts allein im Falle mangelnder Leistungsfähigkeit wiegt weniger schwer als ein genereller Amtsverlust aufgrund einer starren Altersgrenze. Diese Einschätzung der Eingriffsintensität wird nicht deshalb entkräftet, weil die Leistungsfähigkeit regelmäßig überprüft werden müsste.
136Eine Leistungsfähigkeitsprüfung im Einzelfall wäre jedoch in ihrer Wirksamkeit nicht gleichwertig, was die Zwecke der geordneten Altersstruktur im Interesse funktionstüchtiger Rechtspflege und der gerechten Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen betrifft. Denn legt man die Stellungnahmen des Deutschen Zentrums für Altersfragen und der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie zugrunde, wäre der Anteil der altersbedingt nicht mehr ausreichend leistungsfähigen Notare in der Altersgruppe ab dem vollendeten siebzigsten Lebensjahr eher gering. Dementsprechend führte die Regelung - ähnlich wie Maßnahmen nach § 50 Abs. 1 Nr. 7 BNotO - voraussichtlich nur zum Ausscheiden einer relativ kleinen Zahl von Notaren. Dies verringerte die Zahl der freiwerdenden Stellen im Vergleich zur jetzigen starren Altersgrenze.
137Vor Gefahren durch die altersbedingt nachlassende Leistungsfähigkeit von Notaren könnte die Regelung zwar zielgenauer schützen. Demgegenüber käme es jedoch zu einer finanziellen Mehrbelastung der Allgemeinheit. Denn die regelmäßige Überprüfung der beruflichen Leistungsfähigkeit älterer Anwaltsnotare wäre voraussichtlich mit einem nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand verbunden.
138cc) Eine örtliche Beschränkung der Altersgrenze auf solche Amtsgerichtsbezirke des Anwaltsnotariats, in denen ein Bewerberüberhang besteht, könnte an eine - inzwischen aufgehobene - sozialrechtliche Vorschrift anknüpfen, die regionale, bedarfsabhängige Ausnahmen von der Altersgrenze für Vertragsärzte vorsah (vgl. § 95 Abs. 7 SGB V in der Fassung vom , BGBl I S. 3439). Sie stellt jedoch ebenfalls kein gleich wirksames Mittel dar, das die Grundrechtsträger weniger und Dritte und die Allgemeinheit nicht stärker belastet.
139Die Eingriffsintensität wäre angesichts der kleineren Zahl Betroffener zwar geringer, da die Altersgrenze nur noch in wenigen Regionen gölte. Dementsprechend wäre der Gesetzeszweck des Schutzes vor Gefahren durch die altersbedingt nachlassende Leistungsfähigkeit von Notaren allerdings nur eingeschränkt zu verwirklichen, es sei denn, sie wäre mit einer verpflichtenden Überprüfung der Leistungsfähigkeit verbunden. Hinsichtlich der Zwecke der geordneten Altersstruktur im Interesse funktionstüchtiger Rechtspflege und der gerechten Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen wäre die Regelung zwar gleich wirksam. Es liegt aber im Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers, eine solche Regelung als mit erhöhten Belastungen für Berufsträger, Rechtsuchende und Justizverwaltung verbunden zu bewerten. Denn das Verhältnis von Bewerberzahl und Stellenangebot kann regional stark schwanken, selbst in Zeiten eines fast flächendeckenden Bewerbermangels. Eine dauerhafte und verlässliche Festlegung regional differenzierter Altersgrenzen würde dadurch erschwert. Dies brächte für ältere Anwaltsnotare erhebliche Unsicherheiten für ihre berufliche Perspektive mit sich und erschwerte ihre Planung - etwa in Bezug auf die Zugehörigkeit zu Sozietäten - erheblich. Auch für Rechtsuchende ergäben sich Unsicherheiten, wenn sie ältere Notare mandatierten, deren Berufsausübung von einer unklaren örtlichen Regelung abhängt. Schließlich wäre auch die regelmäßige, rechtssichere Neubewertung des Bedarfs in jedem einzelnen Amtsgerichtsbezirk mit erheblichem Verwaltungsaufwand verbunden.
140dd) Eine Erleichterung des Zugangs zum Anwaltsnotariat durch Herabsetzen der Zugangsvoraussetzungen, um die Bewerberzahl zu erhöhen, wie dies teils in den Stellungnahmen und in der mündlichen Verhandlung vorgebracht worden ist, stellt ebenfalls kein milderes Mittel im verfassungsrechtlichen Sinn dar.
141In Betracht kämen hierzu Änderungen der Bundesnotarordnung mit dem Ziel, die Attraktivität und Wirtschaftlichkeit der Anwaltsnotariate zu erhöhen. So ließen sich etwa die in § 5b Abs. 1 Nr. 1 und 2 BNotO geregelten Fristen für die vorherige anwaltliche Tätigkeit beziehungsweise die örtliche Gebundenheit abschaffen oder verkürzen. Auch die notarielle Fachprüfung gemäß § 5b Abs. 1 Nr. 3 BNotO, die Pflicht zur Fortbildung nach bestandener Fachprüfung und die Praxisausbildung gemäß § 5b Abs. 4 BNotO könnten entfallen oder vereinfacht beziehungsweise weiter verkürzt werden. Denkbar wäre schließlich auch eine Kombination mehrerer dieser Maßnahmen.
142Bei derartigen Reformen würden die Grundrechtsträger zwar weniger belastet als durch die Altersgrenze. Den Zweck, die Rechtspflege vor Gefahren durch die altersbedingt nachlassende Leistungsfähigkeit von Notaren zu schützen, könnten sie allerdings von vornherein nicht erreichen. Ob sie die weiteren Zwecke - geordnete Altersstruktur im Interesse funktionstüchtiger Rechtspflege und gerechte Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen - in gleicher Weise wie die Altersgrenze förderten, kann dahinstehen. Denn ein erleichterter Berufszugang ginge voraussichtlich mit Belastungen für die Rechtsuchenden in Form von Qualitätseinbußen bei notariellen Leistungen einher. Es liegt jedoch auch insoweit im Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers, ein qualitativ hochwertiges Notariat sicherzustellen. Diesen Spielraum hat der Gesetzgeber bereits in der Vergangenheit genutzt, indem er die Altersgrenze in ein Gesamtkonzept eingebettet hat, das auf die Sicherung einer hohen Qualität notarieller Dienstleistungen abzielt. Schon mit dem Gesetz zur Änderung des Berufsrechts der Notare aus dem Jahr 1991, in dem die Altersgrenze eingeführt wurde, hat der Gesetzgeber den Zugang zum Anwaltsnotariat mit dem Ziel der Qualitätssicherung beschränkt (vgl. BTDrucks 11/6007, S. 1, 9). Mit dem Gesetz zur Änderung der Bundesnotarordnung im Jahr 2009 (BGBl I S. 696) wurde die notarielle Fachprüfung zur Zugangsvoraussetzung zum Anwaltsnotariat erhoben, um fachliche Mindeststandards zu gewährleisten (vgl. BTDrucks 16/4972, S. 1). Beim Gesetz zur Modernisierung des notariellen Berufsrechts vom (BGBl I S. 2154) war dem Gesetzgeber der Bewerbermangel in bestimmten Regionen bereits bekannt (vgl. BTDrucks 19/26828, S. 113 f.). Gleichwohl hat er im Wesentlichen davon abgesehen, den Zugang zum Notariat zu erleichtern. Lediglich das Erfordernis einer örtlichen Wartezeit wurde durch den neu eingeführten § 5b Abs. 3 BNotO modifiziert. Stattdessen hat der Gesetzgeber Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Notaramts auf anderem Wege ergriffen, etwa durch die Einführung der Möglichkeit, das Amt vorübergehend aus familiären Gründen - insbesondere zur Betreuung oder Pflege - ruhen zu lassen (§ 48b BNotO). Der Gesetzgeber ist unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit nicht gehalten, von diesen Qualitätsanforderungen Abstand zu nehmen.
143ee) Eine Erhöhung der Gebühren für notarielle Dienstleistungen kommt schließlich ebenfalls nicht als milderes Mittel im verfassungsrechtlichen Sinne in Betracht. Zwar könnte eine Gebührenanpassung das Notariat wirtschaftlich noch attraktiver machen und dadurch das Interesse jüngerer Berufsträger fördern. Eine solche Maßnahme hätte jedoch zur Folge, dass die Rechtsuchenden finanziell stärker belastet würden. Dies könnte den Zugang zur vorsorgenden Rechtspflege erschweren und stünde damit auch dem öffentlichen Interesse entgegen. Der Schutz vor Gefahren durch die altersbedingt nachlassende Leistungsfähigkeit von Notaren wäre überdies nicht gleichermaßen gewährleistet.
144d) Die Altersgrenze des vollendeten siebzigsten Lebensjahres nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO ist jedoch nicht mehr verhältnismäßig im engeren Sinne, soweit sie das Anwaltsnotariat betrifft. Sie belastet die Grundrechtsträger unzumutbar.
145Die Angemessenheit und damit die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erfordern, dass der mit der Maßnahme verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen (vgl. BVerfGE 155, 119 <178 Rn. 128> - Bestandsdatenauskunft II; 161, 299 <384 Rn. 203> - Impfnachweis <Covid-19>; 166, 1 <71>; stRspr). Bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere der Belastung, dem Gewicht und der Dringlichkeit der sie rechtfertigenden Gründe muss die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleiben (vgl. BVerfGE 152, 68 <137 Rn. 183> - Sanktionen im Sozialrecht). Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, in einer Abwägung Reichweite und Gewicht des Eingriffs in Grundrechte einerseits der Bedeutung der Regelung für die Erreichung legitimer Zwecke andererseits gegenüberzustellen (vgl. BVerfGE 159, 355 <413>; 166, 1 <71 f. Rn. 155>). Um dem Übermaßverbot zu genügen, müssen hierbei die Interessen des Gemeinwohls umso gewichtiger sein, je empfindlicher die Einzelnen in ihrer Freiheit beeinträchtigt werden. Die Intensität des Eingriffs wird in qualitativer Hinsicht bestimmt durch das Maß der Verkürzung der grundrechtlich geschützten Handlungen und Rechtspositionen einschließlich der damit einhergehenden wirtschaftlichen Folgen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom - 1 BvL 10/20 - Namensrecht Volljährigenadoption, Rn. 64; BVerfGE 166, 1 <65 Rn. 144> - Kinderehe - insoweit in Bezug auf die Erforderlichkeit).
146Um das Gewicht des Eingriffs zutreffend einzuordnen, sind insbesondere die Schutzdimensionen des Art. 12 Abs. 1 GG zu beachten. Die Berufsfreiheit hat eine wirtschaftliche und eine auf die Entfaltung der Persönlichkeit bezogene Dimension (vgl. Rn. 103). Art. 12 Abs. 1 GG konkretisiert damit das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich der individuellen Leistung sowie der Existenzgestaltung und -erhaltung und zielt auf eine möglichst unreglementierte berufliche Betätigung ab (vgl. BVerfGE 82, 209 <223>; 163, 107 <134 Rn. 73>).
147Nach diesen Maßstäben erweist sich die Regelung nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO als nicht mehr verhältnismäßig im engeren Sinne, soweit sie auf Anwaltsnotare anwendbar ist. Die Altersgrenze des vollendeten siebzigsten Lebensjahres greift schwerwiegend in das Grundrecht der Berufsfreiheit von Anwaltsnotaren ein (aa). Demgegenüber stehen zwar Gemeinwohlbelange, die ebenfalls erhebliches Gewicht haben (bb). Mit Blick darauf, dass der Grad der Zweckerreichung durch die Altersgrenze im Anwaltsnotariat mittlerweile gering ist (cc), besteht aber kein verfassungsrechtlich angemessener Interessenausgleich mehr (dd).
148aa) Der Eingriff in die Berufsfreiheit der Anwaltsnotare wiegt schwer, auch unter Berücksichtigung mildernder Faktoren.
149(1) Die qualitative Intensität des Eingriffs ist erheblich. Die Altersgrenze ist eine Berufswahlregelung (vgl. BVerfGE 7, 377 <406>). Das Amt des Anwaltsnotars erlischt mit ihrem Erreichen zwingend. Da das maßgebliche Kriterium des Lebensalters unverfügbar ist, haben die Berufsträger keine Möglichkeit, den Endpunkt ihrer Berufstätigkeit zu beeinflussen und an ihre Lebensumstände anzupassen. Ausnahmen von der Altersgrenze oder ein gleitender Übergang in den Ruhestand sind gesetzlich nicht vorgesehen. Der Eingriff betrifft beide Schutzrichtungen der Berufsfreiheit - die Sicherung einer wirtschaftlichen Lebensgrundlage und die Persönlichkeitsentfaltung (vgl. Rn. 103) - gleichermaßen.
150(2) Gemildert wird der Eingriff durch die Möglichkeit der ausgeschiedenen Anwaltsnotare, als Notarvertreter oder Notariatsverwalter im gleichen Berufsfeld tätig zu bleiben oder als Rechtsanwalt ihren Hauptberuf fortzuführen. Der Grad der Milderung ist allerdings jeweils als gering einzuschätzen.
151Notarvertretung und Notariatsverwaltung kommen der regulären Tätigkeit des Notars nicht annähernd gleich. Der Notarvertreter wird nur in Vertretungsfällen tätig (§ 39 Abs. 1 BNotO); die Notariatsverwaltung ist von vornherein vorübergehend und bezieht sich im Wesentlichen auf Abwicklungstätigkeiten (§ 56 BNotO, vgl. dazu auch Rn. 117). Damit fehlt es jeweils am spezifischen Charakter eines freien Berufs mit entsprechenden Gestaltungsmöglichkeiten. Außerdem ist die Übernahme einer Vertretung oder Verwaltung davon abhängig, dass hierfür Bedarf besteht und der ausgeschiedene Notar entsprechend bestellt wird. Dies hat er nicht selbst in der Hand, erst recht besteht kein Anspruch auf Bestellung.
152Durch die Möglichkeit, den Rechtsanwaltsberuf weiter auszuüben, wird der Eingriff in das Recht, sich zur Persönlichkeitsentfaltung gerade als Notar zu betätigen, nicht abgemildert. Das Eingriffsgewicht ist allenfalls mit Blick auf die Sicherung der wirtschaftlichen Lebensgrundlage verringert. Dies gilt auch nur insoweit, als ein ausgeschiedener Anwaltsnotar faktische Erwerbschancen als Rechtsanwalt besitzt.
153Der Wegfall der wirtschaftlichen Lebensgrundlage durch das Erlöschen des Notaramtes wird ferner zum Teil durch das Bestehen von Versorgungsansprüchen ausgeglichen. Anwaltsnotare sind gesetzliche Pflichtmitglieder der Rechtsanwaltsversorgungswerke (vgl. beispielhaft § 2 des Gesetzes über die Rechtsanwaltsversorgung Nordrhein-Westfalen). Überdies können sie sich auf die Altersgrenze einstellen und private Vorsorge treffen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1581/91 -, juris, Rn. 10). Auch insoweit ist die Milderung der Eingriffsintensität aber begrenzt, da die Schutzrichtung der freien Entfaltung der Persönlichkeit nicht erfasst wird und im Übrigen Versorgungsleistungen typischerweise nicht das Niveau der früheren beruflichen Einkünfte erreichen.
154(3) Eine Milderung des Eingriffsgewichts lässt sich hingegen nicht allein daraus ableiten, dass die Altersgrenze erst mit dem vollendeten siebzigsten Lebensjahr - und damit deutlich später als die Regelaltersgrenzen für den Renteneintritt beziehungsweise den Eintritt der Beamten in den Ruhestand - einsetzt. Die Bundesnotarkammer hat in ihrer Stellungnahme zwar geltend gemacht, dadurch verbleibe für die Berufsausübung und den mit ihr verbundenen "ökonomischen und inhaltlichen Gewinn" eine hinreichend lange Zeitspanne. Diese Erwägung ist jedoch nicht durch Tatsachen belegt.
155Anwaltsnotare treten verglichen mit anderen akademischen Berufen und mit den höheren Laufbahnen des öffentlichen Dienstes regelmäßig erst in einem deutlich höheren Alter in den Notarberuf ein. Grund ist insbesondere die mindestens fünfjährige Wartezeit nach § 5b Abs. 1 Nr. 1 BNotO. Dementsprechend sind derzeit auch nur rund 5 % der bestellten Anwaltsnotare jünger als vierzig Jahre (vgl. Rn. 31).
156Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene kommt hinzu, dass Berufs- und Erwerbsbiographien flexibler geworden sind und die schematische Abfolge von Ausbildung, Berufstätigkeit und Ruhestand zunehmend durchbrochen wird. Dies zeigt sich beispielsweise an der Zunahme von Teilzeittätigkeiten und an häufigeren Unterbrechungen der Berufstätigkeit durch Kindererziehungszeiten (vgl. Statistisches Bundesamt, Teilzeitquote nach Geschlecht in der Altersgruppe 15 bis unter 65 Jahren; Personen in Elternzeit). Auch hat die Erwerbstätigkeit im Alter in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Waren 2013 noch 50 % der 60- bis 64-jährigen erwerbstätig, lag der Anteil 2023 bereits bei 65 %. In der Gruppe der 65- bis 69-jährigen stieg er von 13 % auf 20 % an. Dabei gewinnt mit zunehmendem Alter die Erwerbsform der Selbständigkeit an Bedeutung. Im Jahr 2023 waren 31 % der Erwerbstätigen ab 65 Jahren selbständig. Damit lag der Anteil um ein Vielfaches höher als im Durchschnitt aller Erwerbstätigen (9 %) (vgl. Statistisches Bundesamt, Erwerbstätigkeit älterer Menschen). Hintergrund dieser Entwicklungen sind unter anderem demographische Veränderungen, die auch auf die gestiegene Lebenserwartung und die - im vorliegenden Verfahren von der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie herausgestellte - höhere Leistungsfähigkeit älterer Menschen zurückgehen.
157Darüber hinaus haben sich die Altersbilder in der Gesellschaft in Hinsicht auf eine größere Differenzierung gewandelt, worauf auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes in ihrer Stellungnahme hingewiesen hat. Frühere Altersbilder, die das Alter pauschal mit mangelnder Leistungsfähigkeit, geringer Bereitschaft zur Veränderung oder Krankheit assoziieren, werden zunehmend abgelöst durch Altersbilder, die die Verschiedenartigkeit und Individualität des Lebens im Alter betonen (vgl. bereits den Sechsten Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland - Altersbilder in der Gesellschaft <2010>, BTDrucks 17/3815).
158Der regelmäßig späte Eintritt in den Anwaltsnotarberuf, der zunehmend individuelle Verlauf von Berufs- und Erwerbsbiographien und sich wandelnde Altersbilder sprechen dagegen, eine Lebenszeitspanne normativ festzulegen, nach deren Ablauf ein Eingriff in die Berufsfreiheit ohne Weiteres weniger schwer wiegt.
159(4) Die Einkünfte des Notars sind - anders als das von der Bundesnotarkammer vorgelegte Rechtsgutachten meint - im Vergleich zu denjenigen aus privatwirtschaftlichen Tätigkeiten nicht weniger schutzwürdig, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt der Eingriff nicht an Intensität verliert. Zwar stellen die vom Notar auf Grundlage des Gesetzes über Kosten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für Gerichte und Notare (GNotKG) erhobenen Gebühren kein Leistungsentgelt dar, sondern unterliegen dem Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip. Aus Gründen des Gemeinwohls werden Geschäfte mit niedrigen Geschäftswerten durch solche mit hohen Geschäftswerten querfinanziert (vgl. Sander, in: Eschwey, BeckOK BNotO, § 17 Rn. 4 ff. (Aug. 2025)). Aus dieser Gemeinwohlorientierung notarieller Tätigkeit ist jedoch nicht auf eine geringere verfassungsrechtliche Schutzwürdigkeit der damit erzielten Einkünfte zu schließen. Notare, die von Gesetzes wegen darauf verwiesen sind, ihre Einnahmen ausschließlich aus Gebühren zu erzielen, sind in dieser Hinsicht nicht weniger schutzwürdig als die Angehörigen anderer Berufe.
160bb) Dem Eingriff in die Berufsfreiheit stehen schützenswerte Gemeinwohlbelange von erheblichem Gewicht gegenüber, die mit der Altersgrenze nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO verfolgt werden.
161(1) Die Funktionstüchtigkeit der vorsorgenden Rechtspflege, namentlich die Versorgung mit qualitativ hochwertigen notariellen Dienstleistungen (§§ 20 bis 24 BNotO), erbracht durch leistungsfähige, hinreichend erfahrene und verschiedenen Altersgruppen zugehörige Notare, ist für die Allgemeinheit und für Einzelne von großer Bedeutung. Dies folgt aus den Grundentscheidungen, die der Gesetzgeber zum materiellen Recht und zur vorsorgenden Rechtspflege getroffen hat. Denn der Gesetzgeber verweist die Rechtsuchenden einerseits darauf, bestimmte Rechtsgeschäfte und -handlungen zu ihrer Wirksamkeit notariell zu beurkunden. Aufgrund der Formvorschriften des materiellen Rechts ist vor allem der Grundstücksverkehr auf die Urkundstätigkeit der Notare angewiesen (vgl. §§ 311b, 873 BGB). Ebenso sind zahlreiche weitere Rechtsgeschäfte des Vertrags-, des Erb- und Familienrechts sowie des Gesellschaftsrechts entsprechend formbedürftig (vgl. beispielhaft §§ 518, 1410, 2276 BGB, § 2 GmbHG; §§ 23, 30, 33, 37, 130, 181, 235, 248 AktG). Die Positionen, die für die Rechtsuchenden auf dem Spiel stehen, sind in der Regel ihrerseits grundrechtlich geschützt, namentlich durch Art. 6 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG. Hinsichtlich der Anwendung des Rechts hat der Gesetzgeber andererseits die vorsorgende Rechtspflege in weitem Umfang aus der unmittelbaren Staatsorganisation ausgegliedert und ausschließlich den Notaren als unabhängigen Trägern eines öffentlichen Amtes überantwortet (§ 1 BNotO). Da die Rechtsuchenden in der Regel weder über gleich geeignete Alternativen zu formbedürftigen Rechtsgeschäften noch zu deren Beurkundung durch einen Notar verfügen, sind sie in vielen Bereichen persönlich und wirtschaftlich bedeutsamer Grundrechtsausübung auf ein funktionstüchtiges Notariat angewiesen. Dabei ist nicht allein entscheidend, dass überhaupt notarielle Dienstleistungen angeboten werden. Vielmehr müssen diese mit Blick auf ihre Relevanz für die Grundrechte der Mandanten auch qualitativ hochwertig durch leistungsfähige Notare erbracht werden.
162(2) Ebenfalls gewichtig ist das arbeitsmarkt- und sozialpolitische Ziel des Gesetzgebers, die Berufschancen zwischen den Generationen gerecht zu verteilen. Dieser angestrebte Zweck verwirklicht dabei auch das von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Recht potentieller Berufsträger, den Notarberuf zu ergreifen.
163cc) Die Regelung der Altersgrenze kann im Anwaltsnotariat aber nur noch zu einem geringen Grad zur Verwirklichung dieser Ziele beitragen.
164(1) Dies gilt zunächst für die geordnete Altersstruktur im Interesse funktionstüchtiger Rechtspflege und für die gerechte Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen. Insoweit ist die ursprünglich bei Einführung der Altersgrenze effektive Zweckverfolgung heute nur noch in einem erheblich geringeren Maße vorhanden.
165(a) Die gesetzgeberisch intendierte Wirkungsweise der Altersgrenze, durch das Freiwerden von Stellen das Notariat zu verjüngen und Berufschancen zu eröffnen, läuft in denjenigen Regionen des Anwaltsnotariats leer, in denen ein Mangel an Bewerbern besteht. Hier kann jeder Bewerber, der die gesetzlichen Voraussetzungen für das Anwaltsnotariat erfüllt, zum Zuge kommen. Betroffen ist mittlerweile die Mehrzahl der Oberlandesgerichtsbezirke des Anwaltsnotariats (vgl. Rn. 34 ff.).
166(b) Diese geschwundene Wirkung der Altersgrenze wird auch nicht durch einen möglichen alternativen Wirkmechanismus ersetzt.
167Der Bundesgerichtshof hat im Ausgangsverfahren angenommen, die Funktion der Altersgrenze werde bei nicht ausreichender Bewerberzahl dadurch erfüllt, dass beim Ausscheiden eines lebensälteren Anwaltsnotars sein Urkunden- und Gebührenaufkommen auf die jüngeren Anwaltsnotare übergehe. Nur wenn lebensältere Notare aus dem Notarberuf ausschieden, hätten jüngere Berufsträger eine hinreichende Aussicht auf ein angemessenes Urkunden- und Gebührenaufkommen und nähmen die erheblichen Belastungen auf sich, die mit dem Berufseintritt verbunden seien (vgl. Rn. 42). Die Bundesregierung sowie verschiedene sachkundige Dritte haben sich in ihren Stellungnahmen dieser Auffassung angeschlossen. Dem liegt die Einschätzung zugrunde, potentielle Berufsanwärter sähen sich in erheblichem Maße durch den mittlerweile hohen finanziellen und zeitlichen Aufwand für das Ablegen der notariellen Fachprüfung und durch die hohen Kosten für die Einrichtung einer Geschäftsstelle gehindert, den Beruf des Anwaltsnotars anzustreben. Dieses Hindernis könne durch erhebliche wirtschaftliche Anreize herabgesetzt werden.
168Die Notwendigkeit solcher Anreize erscheint zumindest hinsichtlich derjenigen Regionen des Anwaltsnotariats fraglich, in denen aufgrund des Bewerbermangels bereits eine Vielzahl von Notarstellen unbesetzt geblieben ist. Empirische Erkenntnisse dafür, dass das "Freiwerden" zusätzlichen Urkunden- und Gebührenaufkommens überhaupt entscheidungsrelevante Anreize setzt, gibt es nicht. Die bereits jetzt großräumig bestehenden Vakanzen deuten darauf hin, dass die Anreizwirkung allenfalls gering wäre. Im Übrigen basiert die Vorstellung, die beschriebenen Anreize seien erforderlich, auf der Annahme, der Bewerbermangel im Anwaltsnotariat habe keine demographischen Ursachen, sondern sei allein strukturell bedingt. Diese Annahme ist jedoch nicht hinreichend plausibel. Nach Einschätzung des Instituts für Anwaltsrecht der Universität zu Köln ist der Rückgang der Zahl der Bewerber auf die Anwaltsnotariate vielmehr auf mehrere zusammenwirkende Ursachen zurückzuführen.
169(aa) Ein Faktor ist dabei die demographische Entwicklung des Rechtsanwaltsberufs als Quellberuf des Anwaltsnotariats, weil sich das Kontingent potentieller Anwaltsnotare verringert.
170Die Zahl der zugelassenen Rechtsanwälte insgesamt ist zwar seit 2015 mit jährlichen Zuwächsen beziehungsweise Rückgängen von jeweils unter einem Prozent weitgehend stabil. Als Anwaltsnotare kommen aber im Wesentlichen nur niedergelassene Rechtsanwälte in Betracht, die nicht über eine Zulassung als Syndikusanwalt oder über eine Doppelzulassung als niedergelassener Rechtsanwalt und Syndikusanwalt verfügen. Denn Syndikusanwälte erfüllen regelmäßig nicht die Voraussetzung des § 5b Abs. 1 Nr. 1 BNotO, wonach zum Anwaltsnotar nur bestellt werden soll, wer in nicht unerheblichem Umfang für verschiedene Auftraggeber rechtsanwaltlich tätig war (vgl. NotZ (Brfg) 2/15 -, BGHZ 208, 39 <45 Rn. 15>). Rechtsanwälte mit Doppelzulassung entfalten nach Auskunft des Instituts für Anwaltsrecht neben der Syndikustätigkeit für ihren Arbeitgeber regelmäßig keine nennenswerte Tätigkeit als niedergelassener Rechtsanwalt und erfüllen damit ebenfalls nicht die genannte Voraussetzung. Der Anteil der ausschließlich niedergelassenen Rechtsanwälte aber geht erheblich zurück, einerseits aufgrund einer deutlich gesunkenen Zahl an Neuzulassungen, andererseits durch die gestiegene Zahl jüngerer Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die nach wenigen Berufsjahren auf ihre Zulassung ganz verzichten oder in die Syndikusanwaltschaft wechseln.So waren im Gebiet des Anwaltsnotariats zum noch 60.456 niedergelassene Rechtsanwälte ohne Zulassung als Syndikusanwalt oder Doppelzulassung tätig, zum war die Zahl auf 54.270 Rechtsanwälte gesunken. Der Rückgang in diesem Zeitraum ist in den großstädtisch geprägten Bezirken des Oberlandesgericht Frankfurt am Main und des Kammergerichts Berlin unterdurchschnittlich (unter 5 %) und in den Oberlandesgerichtsbezirken Celle, Hamm, Schleswig, Bremen und Braunschweig überdurchschnittlich (13 % bis 14,7 %).
171Nach den nachvollziehbaren und unwidersprochenen Berechnungen des Instituts für Anwaltsrecht treten jährlich nur etwa 700 bis 900 potentielle Anwaltsnotare neu in den Rechtsanwaltsberuf ein. Mit Blick darauf, dass nach Auskunft des Instituts für Anwaltsrecht auf Grundlage empirischer Untersuchungen nur ein Bruchteil der Rechtsanwälte überhaupt eine Notartätigkeit in Betracht zieht, reicht diese Zahl nicht aus, um die ausscheidenden Berufsträger zu ersetzen.
172(bb) Daneben spielen geänderte berufliche Präferenzen jüngerer Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte eine Rolle. Nach Studien zur Berufstätigkeit junger Rechtsanwälte waren im Jahr 2012 Rechtsanwälte mit sechs Jahren Berufserfahrung zu 30 % Kanzleiinhaber oder Mitinhaber und im Jahr 2024 nur noch zu 11 %. Auch sehen heute deutlich weniger angestellte Rechtsanwälte ihre berufliche Perspektive in unternehmerischer Tätigkeit als noch in den 1990er Jahren, wie empirische Erhebungen zeigen. Insbesondere das Interesse am Anwaltsnotariat ist gering. Nach einer Befragung jüngerer Rechtsanwälte in den Jahren 2023/24 strebten nur 18 % perspektivisch eine Tätigkeit als Anwaltsnotar an. Als Gründe wurden mangelndes fachliches Interesse an der Tätigkeit (66 % der Befragten), der hohe zeitliche Aufwand für die Qualifikation (39 %) und erst nachrangig die geringe Chance, ein Notariat zu erhalten (34 %), die hohen Kosten der Qualifikation (16 %) und die fehlende wirtschaftliche Attraktivität (4 %) genannt. Dem entsprechen die in den vergangenen Jahren deutlich gesunkenen Absolventenzahlen für die notarielle Fachprüfung, die ebenfalls das Institut für Anwaltsrecht mitgeteilt hat.
173Der Bewerbermangel im Anwaltsnotariat ist auf Grundlage dieser Daten zur Demographie und zu den beruflichen Präferenzen multikausal zu erklären. Damit mag zwar der Altersgrenze eine gewisse Wirkung zukommen, wenn örtlich die Attraktivität von Anwaltsnotarstellen durch das "Freiwerden" von Urkunden- und Gebührenaufkommen noch gesteigert wird. Diese Wirkung ist allerdings begrenzt, weil eine solche Attraktivitätssteigerung weder den demographischen Faktor noch sämtliche persönlichen Präferenzen beeinflussen kann und gerade eine etwaige fehlende wirtschaftliche Attraktivität ausweislich der genannten Erhebungen nur ein nachrangiger Grund ist, keine Tätigkeit als Anwaltsnotar anzustreben. Im Übrigen bestehen in weiten Bereichen des Anwaltsnotariats schon jetzt in einem solchen Ausmaß Vakanzen, dass Urkunden- und Gebührenaufkommen wohl vorhanden sind, so dass die Altersgrenze allein durch das Freiwerden von Stellen keine zusätzlichen Berufschancen eröffnet.
174(c) Die damit evident nur noch geringe Zweckerreichung der Altersgrenze hat sich verfestigt und wird prognostisch fortbestehen.
175Die Situation des erheblichen Bewerbermangels lässt sich anhand der vorliegenden Daten bis in das Jahr 2012 zurückverfolgen (vgl. Rn. 34 ff.). Tatsächliche Anhaltspunkte für eine zukünftige Verbesserung bestehen nicht, da die maßgeblichen Faktoren der Demographie und der beruflichen Präferenzen unverändert bleiben oder sich sogar negativ entwickeln. Nach der Prognose des Instituts für Anwaltsrecht der Universität zu Köln ist eine Zunahme der Zahl neu zugelassener Rechtsanwälte mittel- und langfristig nicht zu erwarten. Die Absolventenzahlen des rechtswissenschaftlichen Studiums sollen zwar in den kommenden Jahren noch einmal kurzfristig zunehmen. Noch vor Ende dieses Jahrzehnts bis zum Jahr 2040 soll jedoch ein Prozess stark rückläufiger Absolventenzahlen einsetzen, der auf einen stark gestiegenen Ersatzbedarf durch Ausscheiden einer großen Zahl von Rechtsanwälten der Geburtsjahrgänge 1968 bis 1975 treffen wird. Insoweit ist eher mit einer Verschärfung der demographischen Situation zu rechnen. Der Trend zur Abkehr junger Juristinnen und Juristen von der unternehmerischen Tätigkeit wird sich nach Einschätzung des Instituts für Anwaltsrecht in Zukunft voraussichtlich noch stärker ausprägen. Das Institut verweist insoweit insbesondere auf den zunehmenden Anteil der Frauen, die statistisch häufiger als Männer eine abhängige Beschäftigung vorziehen.
176Eine abweichende Bewertung ist nicht im Hinblick auf die Entwicklung des Urkundenaufkommens im Anwaltsnotariat gerechtfertigt. Im Verfahren ist insoweit geltend gemacht worden, das Urkundenaufkommen sei prognostisch rückläufig. Dies führte nach den Mechanismen der Bedürfnisprüfung gemäß § 4 BNotO dazu, dass weniger Notarstellen ausgeschrieben werden (vgl. Rn. 14). Unter dieser Voraussetzung könnte die Altershöchstgrenze ihre Zwecke wieder zu einem höheren Grade erreichen. Allerdings gibt es für einen dauerhaften Rückgang keine greifbaren tatsächlichen Anhaltspunkte. Das jährliche Urkundenaufkommen ist nach den vorliegenden Daten regelmäßig Schwankungen unterworfen. Die Gesamtzahl der notariellen Urkunden des Anwaltsnotariats lag von 2015 bis 2022 jeweils zwischen rund 2,8 und 2,9 Millionen. Im Jahr 2023 ist sie zwar auf 2,5 Millionen gesunken, doch ist dies nach Einschätzung der Bundesnotarkammer auf die allgemeine konjunkturelle Schwäche, nicht auf nachhaltige Ursachen zurückzuführen.
177Eine Anhebung der Bedürfniszahlen und die damit einhergehende Verringerung der Zahl der ausgeschriebenen Stellen, wie sie von der Bundesnotarkammer vorgeschlagen und von einigen Landesjustizverwaltungen erwogen wird beziehungsweise bereits vorgenommen worden ist, erhöhte die Zweckerreichung der Altersgrenze nicht. Denn den demographisch mitbedingten Rückgang der Bewerberzahlen für das Anwaltsnotariat vermag eine solche Maßnahme nicht zu stoppen. Weiterhin rücken nicht in ausreichender Zahl jüngere Anwaltsnotare nach. Dementsprechend führt die Anhebung der Bedürfniszahlen weder zur Bestellung einer größeren Anzahl an Notarinnen und Notaren noch zu einer Verjüngung des Notariats, jedenfalls nicht in nennenswertem Umfang. Im Übrigen ist der gesetzliche Spielraum für eine Anhebung von vornherein begrenzt, da nach § 4 Satz 2 BNotO die angemessene Versorgung der Rechtsuchenden mit notariellen Leistungen gewährleistet bleiben muss. Dies schließt die ortsnahe Betreuung der Bevölkerung ein (vgl. NotZ (Brfg) 5/19 -, Rn. 13 m.w.N.), was insbesondere in eher dünner besiedelten ländlichen Regionen eine gewisse Dichte an Notariaten voraussetzt. Im Übrigen muss auch der Charakter des Anwaltsnotariats als Nebenberuf (vgl. § 3 Abs. 2 BNotO) gewahrt bleiben. Eine faktische Annäherung an das hauptberufliche Notariat durch Maßnahmen der Justizverwaltung wäre fachrechtlich unzulässig.
178(2) Der Gesetzeszweck, die Rechtspflege vor Gefahren durch die altersbedingt nachlassende Leistungsfähigkeit von Notarinnen und Notaren zu schützen, wird durch die Altersgrenze nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO ebenfalls nur zu einem geringen Grad erreicht.
179Das Deutsche Zentrum für Altersfragen und die Deutsche Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie haben in ihren Stellungnahmen übereinstimmend hervorgehoben, dass der kognitive Alterungsprozess stark individuell geprägt ist und im Notarberuf keine verallgemeinerungsfähigen Zusammenhänge zwischen dem Lebensalter und der beruflichen Leistungsfähigkeit bestehen (vgl. Rn. 129 ff.). Insofern unterscheidet sich der Notarberuf von anderen Berufen, die auf schnelle kognitive Informationsverarbeitung angewiesen sind, etwa dem Beruf des Piloten.
180Diesen Gegebenheiten wird die Altersgrenze nicht gerecht, indem sie typisierend sämtliche Amtsträger mit dem siebzigsten Lebensjahr ausschließt, ohne dass deren persönliche Disposition berücksichtigt wird. Zwar ist auf Grundlage der empirischen Erkenntnisse davon auszugehen, dass die Altersgrenze einzelne altersbedingt leistungsunfähige Anwaltsnotare erfasst und damit ihren Zweck im Einzelfall erfüllt (vgl. dazu Rn. 131). Das ist aber nicht der Regelfall. Vielmehr wird die große Mehrzahl von Amtsträgern gezwungen, mit Vollendung des siebzigsten Lebensjahres ihr Amt aufzugeben, obwohl sie weiterhin in der Lage wären, den Notarberuf ordnungsgemäß auszuüben. Umgekehrt erfasst die Altersgrenze solche Amtsträger nicht, die bereits vor Erreichen des siebzigsten Lebensjahres altersbedingt nicht mehr ausreichend leistungsfähig sind.
181dd) Die Altersgrenze des vollendeten siebzigsten Lebensjahres gemäß § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO ist für das Anwaltsnotariat nach alledem unter den gegebenen tatsächlichen Umständen nicht mehr angemessen und verletzt die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG).
182Die Altersgrenze greift gravierend in das Grundrecht der Berufsfreiheit ein. Sie führt dazu, dass Anwaltsnotarinnen und Anwaltsnotaren die weitere Ausübung ihres Berufs vollständig versagt ist, von der Möglichkeit punktueller Tätigkeiten der Notarvertretung und Notariatsverwaltung abgesehen.
183Konnte die Altersgrenze zum Zeitpunkt ihrer Einführung infolge einer zunehmenden Zahl von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, die ins Anwaltsnotariat strebten, jedenfalls die mit ihr verfolgten Zwecke, im Interesse funktionstüchtiger Rechtspflege eine geordnete Altersstruktur innerhalb des Notarberufs und eine gerechte Verteilung der Berufschancen zu erreichen, erheblich fördern, so ist dies heute nicht mehr der Fall. Die tatsächlichen Umstände haben sich gewandelt. Zwar gilt weiterhin, dass mit der Altersgrenze schützenswerte Gemeinwohlbelange von erheblichem Gewicht verfolgt werden, die zu erreichen sie auch im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet ist. Ein im Verhältnis zur Altersgrenze milderes Mittel ist nicht ersichtlich. Jedoch ist ihre Bedeutung für die Erreichung der Zwecke der funktionstüchtigen Rechtspflege und der gerechten Verteilung der Berufschancen aufgrund des fast flächendeckenden Bewerbermangels im Anwaltsnotariat evident geschwunden. Der Bewerbermangel ist zeitlich nachhaltig; er hat sich - wie oben dargestellt - über Jahre verstetigt und ist auch dem Gesetzgeber schon länger bekannt (vgl. BTDrucks 19/26828, S. 113 f.). Eine Anpassung der für die Bedarfsermittlung festgesetzten Urkundszahlen ist nur begrenzt möglich und kann die Situation auch nicht maßgeblich ändern. Aufgrund dieser Entwicklung, die im Entstehungszeitpunkt des Gesetzes nicht absehbar war, treffen die der Einführung der Altersgrenze zugrundeliegenden Annahmen nicht mehr zu. Dadurch ist die damalige Einschätzung des Gesetzgebers entscheidend in Frage gestellt und nicht länger tragfähig (vgl. BVerfGE 158, 282 <346 Rn. 155>). Das Maß der Belastung der Grundrechtsträger steht nicht mehr in einem vernünftigen Verhältnis zu den deutlich verminderten Vorteilen, die dem Gemeinwohl aus der angegriffenen Regelung erwachsen.
184Eine andere Bewertung ist auch nicht deshalb veranlasst, weil die Altersgrenze weiterhin vor Gefahren durch altersbedingt weniger leistungsfähige Berufsangehörige schützt. Auch die zusätzliche Berücksichtigung dieses weiteren Zwecks führt nicht dazu, die Regelung als angemessen einzustufen. Denn insofern ist - wie dargelegt - der Grad der Zweckerreichung ebenfalls nur gering. Der Gesetzgeber ist zwar grundsätzlich berechtigt, mit Blick auf den Schutz Dritter berufliche Altersgrenzen als typisierende Regelungen zu schaffen. Eine bei siebzig Jahren angesetzte Grenze trifft jedoch nicht den Regelfall eines nicht mehr ausreichend leistungsfähigen Notars, unbeschadet des Umstands, dass für andere Berufe abweichende Maßstäbe gelten mögen.
185Insgesamt erweist sich die Altersgrenze des vollendeten siebzigsten Lebensjahres im Anwaltsnotariat nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO als nicht mehr angemessen und belastet die Grundrechtsträger unzumutbar. Sie ist wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG verfassungswidrig.
II.
1861. Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit gesetzlicher Vorschriften führt grundsätzlich zu deren Nichtigkeit. Allerdings kann sich das Bundesverfassungsgericht, wie sich aus § 31 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BVerfGG ergibt, auch darauf beschränken, eine verfassungswidrige Norm nur für mit der Verfassung unvereinbar zu erklären. Es verbleibt dann bei einer bloßen Beanstandung der Verfassungswidrigkeit ohne den Ausspruch der Nichtigkeit. Die Unvereinbarkeitserklärung kann das Bundesverfassungsgericht dabei zugleich mit der Anordnung einer befristeten Fortgeltung der verfassungswidrigen Regelung verbinden. Dies kommt in Betracht, wenn die sofortige Ungültigkeit der zu beanstandenden Norm dem Schutz überragender Güter des Gemeinwohls die Grundlage entzöge und eine Abwägung mit den betroffenen Grundrechten ergibt, dass der Eingriff für eine Übergangszeit hinzunehmen ist (vgl. BVerfGE 141, 220 <351 Rn. 355>; 165, 363 <440 Rn. 174> - Automatisierte Datenanalyse; stRspr).
1872. Die Regelung nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO ist, soweit sie auf Anwaltsnotare anwendbar ist, nur für mit der Verfassung unvereinbar zu erklären. Zugleich ist die vorübergehende Fortgeltung der Altersgrenze bis zum anzuordnen. Anschließend ist die Regelung nicht mehr anwendbar.
188Durch die Unvereinbarerklärung werden mit einer Nichtigerklärung verbundene gravierende Nachteile für die Funktionsfähigkeit der vorsorgenden Rechtspflege sowie für die Rechte betroffener Berufsträger vermieden. Sie vermeidet insbesondere eine Rechtsunsicherheit hinsichtlich des Status derjenigen Anwaltsnotare, deren Amt aufgrund der Altersgrenze bereits erloschen ist, und die mit ihr verbundene vorübergehende Fortgeltung der Regelung bis zum schützt die Rechte derjenigen Anwaltsnotare und der mit ihnen verbundenen Berufsträger (vgl. § 9 Abs. 2 BNotO), die im Vertrauen auf den Bestand der Altersgrenze bereits rechtliche und wirtschaftliche Dispositionen getroffen haben. Auch wird den Landesjustizverwaltungen eine Anpassung an die neue Rechtslage ermöglicht.
1893. Unberührt bleibt das Recht des Beschwerdeführers und anderer Anwaltsnotare, deren Notaramt nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO erloschen ist, sich nach Ablauf der Fortgeltungsfrist erneut auf ausgeschriebene Notarstellen zu bewerben. Soweit diese Personen die gesetzlichen Voraussetzungen des § 5b BNotO nicht erfüllen, weil diese erst nach ihrem erstmaligen Berufseintritt eingeführt worden sind, werden die Landesjustizverwaltungen im Blick behalten müssen, dass diese Norm Soll- beziehungsweise Regelvoraussetzungen statuiert (vgl. § 5b Abs. 1 und Abs. 4 Satz 2 BNotO), von denen im begründeten Einzelfall abzuweichen ist.
1904. Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, ein obligatorisches Erlöschen des Notaramtes älterer Anwaltsnotarinnen und -notare neu zu regeln. Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass erhebliche Spielräume für eine verfassungskonforme Ausgestaltung bestehen, etwa die Einführung einer bloß regional geltenden Altersgrenze, einer erst in höherem Lebensalter eingreifenden Grenze oder einer Regelung, die das Fortbestehen des Notaramtes an die Leistungsfähigkeit des Amtsträgers knüpft.
III.
191Das mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Urteil des Bundesgerichtshofs hat trotz der hier festgestellten Unvereinbarkeit der Regelung der Altersgrenze mit Art. 12 Abs. 1 GG Bestand, weil die Regelung mit den genannten Maßgaben weiter anzuwenden ist (vgl. BVerfGE 158, 282 <388 Rn. 261>; 166, 196 <289 Rn. 247> - Gefangenenvergütung II). Die Verfassungsbeschwerde bleibt deshalb ohne Erfolg, soweit sie sich gegen diese Entscheidung richtet (vgl. BVerfGE 115, 276 <319>).
IV.
192Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rs20250923.1bvr179623
Fundstelle(n):
QAAAK-00394