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BGH Beschluss v. - XII ZB 103/25

Gründe

I.

1Die Beteiligten streiten über Kindesunterhalt für die Antragstellerin.

2Das Amtsgericht hat die Antragsgegnerin verpflichtet, für die Antragstellerin laufenden Unterhalt in Höhe von monatlich 482 € sowie rückständigen Unterhalt in Höhe von insgesamt 9.016 € zu zahlen. Der Beschluss, der der Antragsgegnerin am zugestellt worden ist, enthält folgende Rechtsbehelfsbelehrung: „Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde angefochten werden. Sie ist innerhalb eines Monats bei dem Amtsgericht (…) einzulegen. (…) Die Beschwerde wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des genannten Gerichts eingelegt. (…) Die Beschwerde soll begründet werden.“

3Gegen den Beschluss hat die Antragsgegnerin durch ihren zweitinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten am beim Amtsgericht „sofortige Beschwerde“ eingelegt. Am (Montag) hat sie durch ihren erstinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten beim Oberlandesgericht Beschwerde eingelegt. Am hat der zweitinstanzliche Verfahrensbevollmächtigte dem Oberlandesgericht mitgeteilt, dass eine Beschwerdebegründung erst bis zum erfolgen werde. In dem wie angekündigt eingegangenen Schriftsatz ist die Beschwerde teilweise beschränkt und begründet worden. Nach einem Hinweis des Oberlandesgerichts, dass die Beschwerdebegründungsfrist versäumt sei, hat die Antragsgegnerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Diesen Antrag hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen und die Beschwerde verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin.

II.

4Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist aber nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die maßgeblichen Rechtsfragen sind durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt. Die Antragsgegnerin vermag auch nicht aufzuzeigen, dass eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich wäre. Indem das Oberlandesgericht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt und die Beschwerde wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist verworfen hat, hält es sich im Rahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

51. Das Oberlandesgericht hat richtig gesehen, dass es sich bei dem auf Zahlung von Kindesunterhalt gerichteten Verfahren gemäß §§ 112 Nr. 1, 231 Abs. 1 Nr. 1 FamFG um eine Familienstreitsache handelt, für die § 117 Abs. 1 FamFG gilt. Danach war hier binnen zwei Monaten nach der schriftlichen Bekanntgabe des erstinstanzlichen Beschlusses eine Beschwerdebegründung beim Oberlandesgericht einzureichen. Diese Frist lief am ab, so dass der erst am beim Oberlandesgericht eingegangene Begründungsschriftsatz die Frist nicht gewahrt hat.

62. Auch die Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gibt zu Rechtsbedenken keinen Anlass. Denn die Fristversäumung ist nicht unverschuldet im Sinne von § 117 Abs. 5 FamFG, § 233 Satz 1 ZPO. Ohne Erfolg rügt die Antragsgegnerin, dass das Oberlandesgericht sie trotz der fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung in der Entscheidung des Amtsgerichts und des offensichtlichen Irrtums ihres Verfahrensbevollmächtigten nicht auf die drohende Fristversäumung hingewiesen habe. Vielmehr hat das Oberlandesgericht zu Recht angenommen, dass die Fristversäumung trotz der unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung und der Ankündigung der Beschwerdebegründung auf dem Verschulden des anwaltlichen Vertreters der Antragsgegnerin beruht, das sich diese gemäß § 113 Abs. 1 FamFG, § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

7a) Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist eine Fristversäumung auch in den Fällen einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung nicht unverschuldet, wenn diese offenkundig falsch gewesen ist und deshalb - ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand - nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte. Insoweit gehört die Unterteilung in Familienstreit- und Ehesachen einerseits und Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit andererseits ebenso zu den verfahrensrechtlichen Grundkenntnissen eines im Familienrecht tätigen Rechtsanwalts wie das Wissen darum, dass in Familienstreitsachen die fristgebundene Rechtsmittelbegründung Zulässigkeitsvoraussetzung der Beschwerde und eine (Kindes-)Unterhaltssache als Familienstreitsache einzuordnen ist. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um einen Fachanwalt für Familienrecht handelt. Vielmehr nimmt der Rechtsanwalt mit der Übernahme eines entsprechenden Mandats diese verfahrensrechtliche Sachkunde für sich in Anspruch. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass diese einfachen Anforderungen genügende Kenntnis des Verfahrensrechts selbstverständlich auch vom Familiengericht zu verlangen und der Fehler in der Rechtsbehelfsbelehrung daher nicht nachvollziehbar ist (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 534/17 - FamRZ 2018, 699 Rn. 7 ff. mwN).

8Gemessen daran ist das Oberlandesgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Fristversäumung vorliegend nicht unverschuldet war.

9b) Dass der zweitinstanzliche Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin die Vorlage der Rechtsmittelbegründung mit Schriftsatz vom für den angekündigt hat, rechtfertigt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde keine abweichende Beurteilung.

10Ein Gericht ist nur unter besonderen Umständen gehalten, einer drohenden Fristversäumnis seitens der Beteiligten entgegenzuwirken. Denn einer gerichtlichen Fürsorgepflicht sind im Interesse der Funktionsfähigkeit der Justiz Grenzen gesetzt. Es darf allerdings nicht sehenden Auges zuwarten, bis der Beteiligte Rechtsnachteile erleidet. Dabei ist es jedoch grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn der Richter die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Rechtsmittels nicht zeitnah nach dessen Eingang, sondern erst bei der Bearbeitung des Falls und gegebenenfalls nach Ablauf der Fristen überprüft (vgl.  - NJW-RR 2022, 346 Rn. 14 mwN).

11Gemessen daran war das Oberlandesgericht hier nicht verpflichtet, unmittelbar bei Eingang des Schriftsatzes vom den Lauf der Rechtsmittelbegründungsfrist zu überprüfen. Dass die drohende Fristversäumung allein aus diesem Schriftsatz ohne Weiteres leicht und einwandfrei zu erkennen war und deren nicht rechtzeitige Aufdeckung auf einem offenkundig nachlässigen Fehlverhalten des Oberlandesgerichts beruhte (zu dieser Fallgestaltung vgl.  - NJW 2011, 2053 Rn. 13 mwN), kann danach nicht angenommen werden. Das Oberlandesgericht durfte daher mit der Überprüfung der Rechtsmittelfrist bis zur Bearbeitung der Beschwerde zuwarten.

12Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:060825BXIIZB103.25.0

Fundstelle(n):
PAAAK-00205