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EuGH Urteil v. - C-181/23

Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Art. 20 AEUV – Unionsbürgerschaft – Art. 4 Abs. 3 EUV – Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit – Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten – Verleihung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats – Besonderes Verbundenheits- und Loyalitätsverhältnis – Umsetzung eines Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren – Einbürgerung gegen im Voraus festgelegte Zahlungen oder Investitionen – Transaktionaler Charakter der Einbürgerungsregelung, die einer ‚Vermarktung‘ der Unionsbürgerschaft gleichkommt

Leitsatz

  1. Die Republik Malta hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 20 AEUV und Art. 4 Abs. 3 EUV verstoßen, dass sie ein auf Art. 10(9) des Maltese Citizenship Act (Chapter 188 of the Laws of Malta) (Gesetz über die maltesische Staatsbürgerschaft [Kapitel 188 des maltesischen Rechts]) in der durch den Maltese Citizenship (Amendment No. 2) Act (Act XXXVIII of 2020) (Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die maltesische Staatsbürgerschaft [Gesetz XXXVIII von 2020]) geänderten Fassung und den Granting of citizenship for Exceptional Services Regulations, 2020 (Subsidiary Legislation 188.06 of the Laws of Malta) (Verordnung von 2020 über die Verleihung der Staatsbürgerschaft wegen außergewöhnlicher Dienste [Subsidiärer Rechtsakt 188.06 des maltesischen Rechts]) beruhendes institutionalisiertes Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren namens Maltese Citizenship by Naturalisation for Exceptional Services by Direct Investment (Erwerb der maltesischen Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung wegen außergewöhnlicher Dienste in Form von Direktinvestitionen) geschaffen und umgesetzt hat, mit dem ein Einbürgerungsverfahren mit transaktionalem Charakter gegen im Voraus festgelegte Zahlungen oder Investitionen eingeführt wird und das mithin einer Vermarktung der Verleihung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats und damit auch des Unionsbürgerstatus gleichkommt.

  2. Die Republik Malta trägt die Kosten.

Gesetze: AEUV Art. 20, AEUV Art. 21, AEUV Art. 22, AEUV Art. 23, AEUV Art. 24, AEUV Art. 45, AEUV Art. 56, EUV Art. 1, EUV Art. 2, EUV Art. 3, EUV Art. 4 Abs. 3, EUV Art. 9, EUV Art. 10, EUV Art. 11, RL 2004/38/EG

Gründe

1 Mit ihrer Klage begehrt die Europäische Kommission die Feststellung, dass die Republik Malta dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 20 AEUV und Art. 4 Abs. 3 EUV verstoßen hat, dass sie ein institutionalisiertes Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren namens Maltese Citizenship by Naturalisation for Exceptional Services by Direct Investment (Erwerb der maltesischen Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung wegen außergewöhnlicher Dienste in Form von Direktinvestitionen, im Folgenden: Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren von 2020) geschaffen und umgesetzt hat, das auf Art. 10(9) des Maltese Citizenship Act (Chapter 188 of the Laws of Malta) (Gesetz über die maltesische Staatsbürgerschaft [Kapitel 188 des maltesischen Rechts]) in der durch den Maltese Citizenship (Amendment No. 2) Act (Act XXXVIII of 2020) (Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die maltesische Staatsbürgerschaft [Gesetz XXXVIII von 2020]) (The Malta Government Gazette Nr. 20,452 vom , im Folgenden: Gesetz von 2020) geänderten Fassung und den Granting of citizenship for Exceptional Services Regulations, 2020 (Subsidiary Legislation 188.06 of the Laws of Malta) (Verordnung von 2020 über die Verleihung der Staatsbürgerschaft wegen außergewöhnlicher Dienste [Subsidiärer Rechtsakt 188.06 des maltesischen Rechts]) (The Malta Government Gazette Nr. 20,524 vom , im Folgenden: Regulations von 2020) beruht (im Folgenden: maltesisches Staatsbürgerschaftsgesetz), wonach die Einbürgerung trotz des Fehlens einer echten Bindung der Antragsteller an das Land gegen im Voraus festgelegte Zahlungen oder Investitionen erfolgen kann.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

EU-Vertrag und AEU-Vertrag

2 Art. 1 Abs. 2 EUV lautet:

„Dieser Vertrag stellt eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas dar, in der die Entscheidungen möglichst offen und möglichst bürgernah getroffen werden.“

3 Art. 2 EUV bestimmt:

„Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“

4 Art. 3 Abs. 2 EUV lautet:

„Die Union bietet ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen, in dem – in Verbindung mit geeigneten Maßnahmen in Bezug auf die Kontrollen an den Außengrenzen, das Asyl, die Einwanderung sowie die Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität – der freie Personenverkehr gewährleistet ist.“

5 In Art. 4 EUV heißt es:

„…

(2)  Die Union achtet die Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen und ihre jeweilige nationale Identität, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der regionalen und lokalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt. Sie achtet die grundlegenden Funktionen des Staates, insbesondere die Wahrung der territorialen Unversehrtheit, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der nationalen Sicherheit. Insbesondere die nationale Sicherheit fällt weiterhin in die alleinige Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten.

(3)  Nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit achten und unterstützen sich die Union und die Mitgliedstaaten gegenseitig bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben.

Die Mitgliedstaaten ergreifen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben.

Die Mitgliedstaaten unterstützen die Union bei der Erfüllung ihrer Aufgabe und unterlassen alle Maßnahmen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten.“

6 Art. 9 EUV sieht vor:

„Die Union achtet in ihrem gesamten Handeln den Grundsatz der Gleichheit ihrer Bürgerinnen und Bürger, denen ein gleiches Maß an Aufmerksamkeit seitens der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union zuteil wird. Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft tritt zur nationalen Staatsbürgerschaft hinzu, ersetzt sie aber nicht.“

7 Art. 10 EUV lautet:

„(1)  Die Arbeitsweise der Union beruht auf der repräsentativen Demokratie.

(2)  Die Bürgerinnen und Bürger sind auf Unionsebene unmittelbar im Europäischen Parlament vertreten.

Die Mitgliedstaaten werden im Europäischen Rat von ihrem jeweiligen Staats- oder Regierungschef und im Rat von ihrer jeweiligen Regierung vertreten, die ihrerseits in demokratischer Weise gegenüber ihrem nationalen Parlament oder gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern Rechenschaft ablegen müssen.

(3)  Alle Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, am demokratischen Leben der Union teilzunehmen. Die Entscheidungen werden so offen und bürgernah wie möglich getroffen. (4) Politische Parteien auf europäischer Ebene tragen zur Herausbildung eines europäischen politischen Bewusstseins und zum Ausdruck des Willens der Bürgerinnen und Bürger der Union bei.“

8 In Art. 11 EUV heißt es:

„(1)  Die Organe geben den Bürgerinnen und Bürgern und den repräsentativen Verbänden in geeigneter Weise die Möglichkeit, ihre Ansichten in allen Bereichen des Handelns der Union öffentlich bekannt zu geben und auszutauschen.

(4)  Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, deren Anzahl mindestens eine Million betragen und bei denen es sich um Staatsangehörige einer erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten handeln muss, können die Initiative ergreifen und die Europäische Kommission auffordern, im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht jener Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verträge umzusetzen.

Die Verfahren und Bedingungen, die für eine solche Bürgerinitiative gelten, werden nach Artikel 24 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union festgelegt.“

9 Art. 20 AEUV lautet:

„(1)  Es wird eine Unionsbürgerschaft eingeführt. Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft tritt zur nationalen Staatsbürgerschaft hinzu, ersetzt diese aber nicht.

(2)  Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben die in den Verträgen vorgesehenen Rechte und Pflichten. Sie haben unter anderem

a)

das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten;

b)

in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Wohnsitz haben, das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament und bei den Kommunalwahlen, wobei für sie dieselben Bedingungen gelten wie für die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats;

c)

im Hoheitsgebiet eines Drittlands, in dem der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, nicht vertreten ist, Recht auf Schutz durch die diplomatischen und konsularischen Behörden eines jeden Mitgliedstaats unter denselben Bedingungen wie Staatsangehörige dieses Staates;

d)

das Recht, Petitionen an das Europäische Parlament zu richten und sich an den Europäischen Bürgerbeauftragten zu wenden, sowie das Recht, sich in einer der Sprachen der Verträge an die Organe und die beratenden Einrichtungen der Union zu wenden und eine Antwort in derselben Sprache zu erhalten.

Diese Rechte werden unter den Bedingungen und innerhalb der Grenzen ausgeübt, die in den Verträgen und durch die in Anwendung der Verträge erlassenen Maßnahmen festgelegt sind.“

10 Art. 21 Abs. 1 AEUV lautet:

„Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.“

11 Art. 22 AEUV sieht vor:

„(1)  Jeder Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, hat in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen, wobei für ihn dieselben Bedingungen gelten wie für die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats. Dieses Recht wird vorbehaltlich der Einzelheiten ausgeübt, die vom Rat einstimmig gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Europäischen Parlaments festgelegt werden; in diesen können Ausnahmeregelungen vorgesehen werden, wenn dies aufgrund besonderer Probleme eines Mitgliedstaats gerechtfertigt ist.

(2)  Unbeschadet des Artikels 223 Absatz 1 und der Bestimmungen zu dessen Durchführung besitzt jeder Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament, wobei für ihn dieselben Bedingungen gelten wie für die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats. Dieses Recht wird vorbehaltlich der Einzelheiten ausgeübt, die vom Rat einstimmig gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Europäischen Parlaments festgelegt werden; in diesen können Ausnahmeregelungen vorgesehen werden, wenn dies aufgrund besonderer Probleme eines Mitgliedstaats gerechtfertigt ist.“

12 Art. 23 AEUV bestimmt:

„Jeder Unionsbürger genießt im Hoheitsgebiet eines dritten Landes, in dem der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, nicht vertreten ist, den diplomatischen und konsularischen Schutz eines jeden Mitgliedstaats unter denselben Bedingungen wie Staatsangehörige dieses Staates. Die Mitgliedstaaten treffen die notwendigen Vorkehrungen und leiten die für diesen Schutz erforderlichen internationalen Verhandlungen ein.

…“

13 Art. 24 AEUV lautet:

„Die Bestimmungen über die Verfahren und Bedingungen, die für eine Bürgerinitiative im Sinne des Artikels 11 [EUV] gelten, einschließlich der Mindestzahl der Mitgliedstaaten, aus denen die Bürgerinnen und Bürger, die diese Initiative ergreifen, kommen müssen, werden vom Europäischen Parlament und vom Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch Verordnungen festgelegt.

Jeder Unionsbürger besitzt das Petitionsrecht beim Europäischen Parlament nach Artikel 227.

Jeder Unionsbürger kann sich an den nach Artikel 228 eingesetzten Bürgerbeauftragten wenden.

Jeder Unionsbürger kann sich schriftlich in einer der in Artikel 55 Absatz 1 [EUV] genannten Sprachen an jedes Organ oder an jede Einrichtung wenden, die in dem vorliegenden Artikel oder in Artikel 13 des genannten Vertrags genannt sind, und eine Antwort in derselben Sprache erhalten.“

Erklärung Nr. 2

14 In der von den Mitgliedstaaten der Schlussakte des Vertrags über die Europäische Union beigefügten Erklärung Nr. 2 zur Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats (ABl. 1992, C 191, S. 98, im Folgenden: Erklärung Nr. 2) heißt es:

„Die Konferenz erklärt, dass bei Bezugnahmen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft auf die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten die Frage, welchem Mitgliedstaat eine Person angehört, allein durch Bezug auf das innerstaatliche Recht des betreffenden Mitgliedstaats geregelt wird. …“

Beschluss von Edinburgh

15 Abschnitt A des Beschlusses der im Europäischen Rat von Edinburgh vom 11. und vereinigten Staats- und Regierungschefs zu bestimmten von Dänemark aufgeworfenen Problemen betreffend den Vertrag über die Europäische Union (ABl. 1992, C 348, S. 1, im Folgenden: Beschluss von Edinburgh) lautet:

„Mit den im Zweiten Teil des Vertrages über die Europäische Union enthaltenen Bestimmungen über die Unionsbürgerschaft werden den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten die in diesem Teil aufgeführten zusätzlichen Rechte und der dort spezifizierte zusätzliche Schutz gewährt. Die betreffenden Bestimmungen treten in keiner Weise an die Stelle der nationalen Staatsbürgerschaft. Die Frage, ob eine Person die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, wird einzig und allein auf der Grundlage des innerstaatlichen Rechts des betreffenden Mitgliedstaats geregelt.“

Maltesisches Recht

16 Art. 10 des maltesischen Staatsbürgerschaftsgesetzes, der die Voraussetzungen für die gewöhnliche Einbürgerung festlegt, sieht in Abs. 1 Unterabs. 1 vor, dass einem Antragsteller eine Urkunde über die Einbürgerung als maltesischer Staatsangehöriger ausgestellt werden kann, wenn er dem Minister nachweist,

„a)

dass er im Zeitraum von zwölf Monaten unmittelbar vor der Antragstellung durchgehend in Malta ansässig war und

b)

in den sechs Jahren unmittelbar vor diesem Zwölfmonatszeitraum mindestens vier Jahre in Malta ansässig war und

c)

dass er über ausreichende Kenntnisse der maltesischen oder der englischen Sprache verfügt und

d)

dass er gut beleumundet ist und

e)

dass er ein würdiger Staatsbürger Maltas wäre.“

17 Nach Art. 10(1)(2) dieses Gesetzes kann der Minister, wenn er dies unter den besonderen Umständen eines Einzelfalls für tunlich hält, zulassen, dass Aufenthaltszeiten, die mehr als sieben Jahre vor dem Zeitpunkt der Antragstellung liegen, bei der Berechnung der Gesamtzahl der Jahre nach Art. 10(1)(b) berücksichtigt werden.

18 Am erließ die Republik Malta den Act No. XV of 2013: An Act to amend the Maltese Citizenship Act (Chapter 188 of the Laws of Malta) (Gesetz Nr. XV von 2013 zur Änderung des Gesetzes über die maltesische Staatsbürgerschaft [Kapitel 188 des maltesischen Rechts]) (The Malta Government Gazette Nr. 19,166 vom , im Folgenden: Änderung von 2013). Parallel zu dem in Art. 10(1) des maltesischen Staatsbürgerschaftsgesetzes vorgesehenen Verfahren eröffnete die Änderung von 2013 einem Antragsteller die Möglichkeit, eine Einbürgerungsurkunde durch die Teilnahme an einem „Individual Investor Programme“ (Programm für individuelle Investoren) zu erhalten, für das eine Reihe gesonderter Voraussetzungen und Verfahren galten.

19 Die Regelung für individuelle Investoren war ursprünglich in den Individual Investor Programme of the Republic of Malta Regulations, 2014 (Subsidiary Legislation 188.03 of the Laws of Malta) (Verordnung der Republik Malta von 2014 über das Programm für individuelle Investoren [Subsidiärer Rechtsakt 188.03 des maltesischen Rechts]) (The Malta Government Gazette Nr. 19,205 vom , im Folgenden: Regulations von 2014) vorgesehen. Nach der Änderung von 2013 und den Regulations von 2014 (im Folgenden: Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren von 2014) galt für die gesamte Laufzeit des Programms eine Obergrenze von 1 800 erfolgreichen Hauptantragstellern (ohne Unterhaltsberechtigte).

20 Am erließ die Republik Malta das Gesetz von 2020.

21 Nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes bestimmt Art. 10(9) des maltesischen Staatsbürgerschaftsgesetzes:

„Ungeachtet der Bestimmungen dieses oder jeglichen sonstigen Gesetzes kann der Minister einer ausländischen oder staatenlosen Person, die außergewöhnliche Dienste für die Republik Malta oder für die Menschheit erbracht hat oder deren Einbürgerung für die Republik Malta von außergewöhnlichem Interesse ist und die den in diesem Gesetz vorgeschriebenen Anforderungen genügt, eine Urkunde über die Einbürgerung als Staatsbürger Maltas ausstellen. Für die Zwecke dieses Absatzes bedeutet ‚außergewöhnlich‘ offenkundig hervorragend und bezeichnet in erster Linie Beiträge von Wissenschaftlern, Forschern, Athleten, Sportlern, Künstlern, Kulturschaffenden, Investoren und Unternehmern,

sofern der Minister eine Einbürgerungsurkunde auch für einen in Frage kommenden Unterhaltsberechtigten einer ausländischen oder staatenlosen Person, die durch Investitionen außergewöhnliche Dienste für die Republik Malta erbracht hat, ausstellt

und sofern diese Person einen Antrag in der vorgeschriebenen Art und Weise stellt und in Malta den Treueeid ablegt.“

22 Art. 9 des Gesetzes von 2020, aus dem Art. 27 des maltesischen Staatsbürgerschaftsgesetzes hervorgegangen ist, sieht als Übergangsbestimmung vor, dass das Gesetz von 2020 nicht für Anträge auf Verleihung der maltesischen Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung gilt, die vor seinem Inkrafttreten gestellt wurden.

23 Am erließ die Republik Malta die Regulations von 2020 sowie Verordnungen zur Errichtung der für die Handhabung des Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren von 2020 zuständigen Agenturen.

24 Nach Regulation 15(3), Regulation 16(1)(a), (b) und (d) und (7) sowie dem Ersten Anhang der Regulations von 2020 können ausländische Investoren die Einbürgerung wegen außergewöhnlicher Dienste in Form von Direktinvestitionen beantragen, wenn sie folgende Voraussetzungen erfüllen oder sich zu ihrer Erfüllung verpflichten:

  • Sie zahlen an die maltesische Regierung einen Betrag in Höhe von 600.000 Euro oder 750.000 Euro, wobei 10.000 Euro als nicht rückzahlbare Anzahlung zusammen mit den Aufenthaltsanträgen oder dem die Eignung betreffenden Formular und der Restbetrag nach der grundsätzlichen Zustimmung zum Einbürgerungsantrag fällig werden.

  • Sie erwerben und halten in Malta Wohnimmobilien im Wert von mindestens 700.000 Euro oder mieten in Malta Wohnimmobilien mit einer jährlichen Miete von mindestens 16.000 Euro (für mindestens fünf Jahre).

  • Sie spenden mindestens 10.000 Euro an eine eingetragene oder in anderer Weise von den Behörden zugelassene Nichtregierungsorganisation oder ‑gesellschaft, die philanthropische, kulturelle, sportliche, wissenschaftliche, künstlerische oder Tierschutzzwecke verfolgt.

  • Sie haben sich während eines Zeitraums von 36 Monaten in Malta aufgehalten (dann beträgt die Zahlung 600.000 Euro); dieser Zeitraum kann im Fall einer außergewöhnlichen Direktinvestition (in Höhe von 750.000 Euro) auf ein Mindestmaß von zwölf Monaten reduziert werden.

  • Ihre Eignung wurde von den Behörden bestätigt, und ihnen wurde gemäß Regulation 10 der Regulations von 2020 gestattet, einen Antrag auf Einbürgerung zu stellen.

25 Nach Regulation 16(3) und Anhang I Nr. 1(b) der Regulations von 2020 können sich die Anträge auch auf Familienangehörige eines Antragstellers erstrecken. Dann sind zusätzliche Zahlungen in Höhe von je 50.000 Euro für den Ehegatten und für jedes Kind zu leisten.

26 Regulation 19 der Regulations von 2020 lautet:

„Die Zahl der ausgestellten Urkunden über den Erwerb der maltesischen Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung wegen außergewöhnlicher Dienste in Form von Direktinvestitionen darf – Unterhaltsberechtigte nicht mitgerechnet -vierhundert (400) pro Jahr nicht übersteigen, und die kumulierte Gesamtzahl erfolgreicher Antragsteller darf – Unterhaltsberechtigte nicht mitgerechnet – keinesfalls eintausendfünfhundert (1.500) übersteigen.“

27 Durch Regulation 31(1) der Regulations von 2020 wurden die Regulations von 2014 aufgehoben; sie blieben jedoch in Kraft, bis die in Regulation 12 der Regulations von 2014 festgelegte Obergrenze von 1.800 Anträgen – Unterhaltsberechtigte nicht mitgerechnet – erreicht war.

Vorverfahren

28 Das Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren von 2014 ermöglichte es Ausländern, durch bestimmte in den Regulations von 2014 vorab festgelegte Zahlungen und Investitionen die maltesische Staatsangehörigkeit zu erwerben. Im Einklang mit diesen Regulations wurde ein Konzessionsnehmer damit beauftragt, dieses Programm zu entwickeln, umzusetzen, zu verwalten, zu betreiben und zu bewerben.

29 Nachdem die Kommission Kenntnis von diesem Programm erlangt hatte, trat sie in einen Dialog mit der Republik Malta über seine Auswirkungen auf die Union und die übrigen Mitgliedstaaten ein.

30 Mit Schreiben vom teilte die Kommission der Republik Malta mit, dass Staatsbürgerschaftsprogramme für Investoren wie das Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren von 2014, die zum „Verkauf“ der Unionsbürgerschaft führten, als Ausnutzung des gemeinsamen Vorhabens der Unionsbürgerschaft unter Verstoß gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zwischen der Union und den Mitgliedstaaten angesehen werden könnten.

31 Zwischen April und Oktober 2020 machte die Republik Malta weitere Angaben zur Funktionsweise des Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren von 2014 und teilte der Kommission mit, dass sie beabsichtige, den bestehenden Rechtsrahmen zu überarbeiten.

32 Am übersandte die Kommission der Republik Malta ein Aufforderungsschreiben. Darin wiederholte sie ihre Besorgnis über die Unvereinbarkeit eines Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren wie des Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren von 2014 mit Art. 20 AEUV und Art. 4 Abs. 3 EUV.

33 In ihrer Antwort vom auf dieses Aufforderungsschreiben teilte die Republik Malta der Kommission mit, dass sie den für die Verleihung der maltesischen Staatsangehörigkeit geltenden nationalen Rechtsrahmen überarbeitet habe. Im Anschluss an den Erlass des Gesetzes von 2020 seien die Bestimmungen, die auf der Grundlage der Regulations von 2014 die Verleihung der maltesischen Staatsangehörigkeit erlaubten, nicht mehr in Kraft. In Anbetracht der berechtigten Erwartungen und der bereits eingegangenen Verpflichtungen blieben diese Bestimmungen jedoch auf die bis zum eingegangenen Anträge anwendbar.

34 Am richtete die Kommission ein ergänzendes Aufforderungsschreiben an die Republik Malta, in dem sie darauf hinwies, dass die durch das Gesetz von 2020 und die Regulations von 2020 vorgenommenen Änderungen den transaktionalen Charakter des Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren von 2014 unberührt ließen und dass auch das Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren von 2020 gegen Art. 20 AEUV und Art. 4 Abs. 3 EUV verstoße.

35 Mit Schreiben vom antwortete die Republik Malta auf das ergänzende Aufforderungsschreiben, dass sie die Auffassung der Kommission nicht teile. Sie machte u.a. geltend, der Standpunkt der Kommission sei mit dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung unvereinbar, da er zu einem Eingriff in einen der Souveränität der Mitgliedstaaten unterliegenden Bereich führe.

36 Am setzte die Republik Malta ihr Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren von 2020 für Staatsangehörige von Russland und Weißrussland bis auf Weiteres aus, behielt es aber für Staatsangehörige anderer Drittländer mit Ausnahme der Staatsangehörigen von Afghanistan, von Nordkorea, des Iran, der Demokratischen Republik Kongo, von Somalia, des Sudan, des Südsudan, von Syrien, von Venezuela und des Jemen bei.

37 Am erließ die Kommission die Empfehlung über unmittelbare Schritte im Kontext der russischen Invasion der Ukraine in Bezug auf Staatsbürgerschaftsregelungen und Aufenthaltsregelungen für Investoren (C[2022] 2028 final). Darin wiederholte sie ihren Standpunkt, dass Staatsbürgerschaftsregelungen für Investoren, die auf der Einbürgerung gegen im Voraus festgelegte Zahlungen oder Investitionen beruhten, gegen das Unionsrecht verstießen, und forderte alle Mitgliedstaaten, die solche Regelungen anwendeten, zu deren Aufhebung auf.

38 Am richtete die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Republik Malta, in der sie ihren Standpunkt bekräftigte, dass das Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren von 2014 und das Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren von 2020 gegen Art. 20 AEUV und Art. 4 Abs. 3 EUV verstießen, und diesen Mitgliedstaat aufforderte, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um der Stellungnahme binnen zwei Monaten nach ihrem Erhalt nachzukommen.

39 In ihrer Antwort vom auf die mit Gründen versehene Stellungnahme wiederholte die Republik Malta, dass sie den Standpunkt der Kommission nicht teile.

40 Da die Kommission das Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren von 2014 und das Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren von 2020 der Republik Malta als mit dem Unionsrecht unvereinbar ansah, hat sie das vorliegende Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, wobei sie klarstellte, dass dieses Verfahren nur das letztgenannte Programm betreffe. Sie hat jedoch hinzugefügt, dass die gegen das Unionsrecht verstoßenden Bestimmungen des Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren von 2014 im Wesentlichen in den rechtlichen Rahmen des Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren von 2020 übernommen worden seien, so dass sie bei ihrer Prüfung des letztgenannten Programms auf tatsächliche Umstände Bezug nehme, die bereits im Rahmen der Anwendung des Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren von 2014 vorgelegen hätten.

Zur Klage

41 Die Klage beruht auf einem einzigen Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen Art. 20 AEUV und Art. 4 Abs. 3 EUV gerügt wird.

Vorbringen der Parteien

42 Die Kommission macht erstens geltend, die Festlegung der Voraussetzungen für die Verleihung und den Verlust der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats falle zwar in die Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten, doch müsse diese Zuständigkeit unter Beachtung des Unionsrechts ausgeübt werden. Da die Verleihung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats automatisch die Verleihung des Unionsbürgerstatus nach sich ziehe, sei jeder Mitgliedstaat bei der Ausübung dieser ausschließlichen Zuständigkeit verpflichtet, den Wesensgehalt, den Wert und die Integrität der Unionsbürgerschaft weder zu beeinträchtigen noch zu gefährden, damit das diesem Status zugrunde liegende gegenseitige Vertrauen gewahrt werde. Diese Anforderungen ergäben sich aus dem in Art. 4 Abs. 3 EUV aufgestellten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit und aus dem Unionsbürgerstatus nach Art. 20 AEUV.

43 Insoweit sei die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats die einzige Voraussetzung für die Unionsbürgerschaft im Sinne von Art. 20 AEUV. Die Unionsbürgerschaft gehe mit Rechten einher, die unmittelbar durch das Rechtssystem der Union verliehen würden, insbesondere mit dem Recht, sich im Unionsgebiet frei zu bewegen und aufzuhalten, und dem Recht, nicht aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminiert zu werden. Außerdem enthalte die Unionsbürgerschaft eine starke zivile Komponente und schließe politische Rechte, die für die Teilnahme am demokratischen Leben der Union im Sinne von Art. 10 Abs. 3 EUV von grundlegender Bedeutung seien, ein sowie das Recht der Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, in einem Drittstaat, in dem dieser Mitgliedstaat nicht vertreten sei, den konsularischen Schutz anderer Mitgliedstaaten in Anspruch zu nehmen. Wie der Gerichtshof wiederholt entschieden habe, sei der Unionsbürgerstatus dazu bestimmt, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein.

44 Entgegen dem Vorbringen der Republik Malta in ihrer Klagebeantwortung werde mit der vorliegenden Klage nicht der gesamte nationale Rechtsrahmen für die Einbürgerung von Personen in Frage gestellt, sondern sie beschränke sich auf eine Sonderregelung für die Verleihung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats an Investoren, mit der durch eine Kommerzialisierung der Unionsbürgerschaft die Integrität dieses Status in einer Weise beeinträchtigt werde, die einen besonders schweren Verstoß gegen das Unionsrecht darstelle.

45 Außerdem finde das Vorbringen der Republik Malta, wonach der Gerichtshof die Ausübung der nationalen Zuständigkeiten im Bereich der Verleihung ihrer Staatsangehörigkeit nur nachprüfen könne, soweit sie allgemein und systematisch Werte oder Ziele der Union in schwerwiegender Weise verletzten, in den Verträgen und in der Rechtsprechung des Gerichtshofs keine Stütze.

46 Zweitens macht die Kommission geltend, ein Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren, das in der systematischen Verleihung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats gegen im Voraus festgelegte Zahlungen oder Investitionen und ohne das Erfordernis einer echten Bindung zwischen dem Staat und den Antragstellern bestehe, beeinträchtige und gefährde das Wesen und die Integrität der in Art. 20 AEUV geschaffenen Unionsbürgerschaft und verstoße gegen den in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit.

47 Die Union beruhe nicht nur auf der Integration einer Gruppe europäischer Staaten, die eine Reihe gemeinsamer Werte teilten, sondern auch auf der Annäherung der Völker jedes dieser Staaten, wie im Vertrag von Lissabon hervorgehoben worden sei.

48 So bestätigten zum einen die durch den Vertrag von Lissabon in Titel II des EU-Vertrags eingefügten Bestimmungen über die demokratischen Grundsätze die zentrale Rolle der Bürger der Union, die nicht nur eine Wirtschaftsunion, sondern auch eine politische Union sei. Zum anderen werde in den Bestimmungen über die Organe der Union in Titel III des EU-Vertrags darauf hingewiesen, dass die von ihnen geförderten Werte, verfolgten Ziele und geschützten Interessen sowohl die der Unionsbürger als auch die der Mitgliedstaaten seien.

49 Ferner ergebe sich aus dem Gutachten 2/13 (Beitritt der Union zur EMRK) vom (EU:C:2014:2454, Rn. 172), dass die Unionsbürgerschaft und die mit diesem Status verbundenen Rechte zu den grundlegendsten Bestimmungen der Verträge gehörten, die sich in den Rahmen eines unionseigenen Systems einfügten und so strukturiert seien, dass sie zur Verwirklichung des Integrationsprozesses beitrügen, der die Daseinsberechtigung der Union selbst darstelle. Daher seien die Unionsbürgerschaft und die sich aus diesem Status ergebenden Rechte Ausdruck der Solidarität und des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten.

50 Speziell zum gegenseitigen Vertrauen trägt die Kommission vor, dass sich die Mitgliedstaaten, wenn sie damit einverstanden seien, anderen die mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Rechte zu gewähren und die Solidarität auf sie auszudehnen, auf ein gemeinsames Grundkonzept der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats stützten, wonach sie Ausdruck einer echten Bindung zwischen einem Mitgliedstaat und seinen Staatsangehörigen sei. Wie der Gerichtshof bereits 1980 anerkannt habe, bildeten das besondere Verbundenheits- und Loyalitätsverhältnis zwischen einem Mitgliedstaat und seinen Staatsangehörigen sowie die Gegenseitigkeit der Rechte und Pflichten die Grundlage des Staatsangehörigkeitsbands.

51 Die Zustimmung der einzelnen Mitgliedstaaten zur automatischen und bedingungslosen Ausdehnung bestimmter Rechte auf die Staatsangehörigen aller anderen Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens beruhe auf dem Postulat, dass die anderen Mitgliedstaaten die Staatsangehörigkeit nur aufgrund einer echten Bindung zwischen ihnen und dem betreffenden Antragsteller gewährten. Eine solche unbedingte Zustimmung wäre aber gefährdet, wenn sich die Mitgliedstaaten nicht darauf verlassen könnten, dass Entscheidungen über die Verleihung der Staatsangehörigkeit auf diesem gemeinsamen Begriff der „Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats“ beruhten. Insoweit ergebe sich aus dem Urteil vom , Micheletti u.a. (C‑369/90, EU:C:1992:295), dass zwischen den Mitgliedstaaten eine Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen im Bereich der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats bestehe.

52 Unter diesen Umständen stehe die Einführung eines Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren mit transaktionalem Charakter, das es ermögliche, die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats systematisch gegen im Voraus festgelegte Zahlungen oder Investitionen Antragstellern zu verleihen, die keine echte Bindung an einen Mitgliedstaat hätten und daher offensichtlich nicht zu der Personengruppe gehörten, der die Verfasser der Verträge die Unionsbürgerschaft hätten verleihen wollen, im Widerspruch zum Wesen des Unionsbürgerstatus.

53 Schließlich enthalte Art. 4 Abs. 3 EUV, in dem der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verankert sei, sowohl eine „positive“ Pflicht zur Erleichterung der Aufgabe der Union als auch eine „negative“ Pflicht, keine Maßnahmen zu ergreifen, die die Ziele der Union gefährden könnten. Die Aufstellung und Umsetzung eines Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren, das die systematische Verleihung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats auf der Grundlage im Voraus festgelegter Zahlungen oder Investitionen ermögliche, ohne dass eine echte Bindung an den die Staatsangehörigkeit verleihenden Mitgliedstaat dargetan werden müsse, gefährdeten die Integrität des Unionsbürgerstatus sowie das diesem Status und den damit verbundenen Rechten zugrunde liegende gegenseitige Vertrauen.

54 Bei der Festlegung eines handhabbaren und zweckmäßigen Schwellenwerts für die Entscheidung darüber, was eine „echte Bindung“ für die Zwecke der Verleihung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats darstelle, komme der tatsächliche Wohnsitz als mögliches Kriterium in Betracht. Es sei jedoch nicht Sache der Kommission, den Mitgliedstaaten vorzuschreiben, welchen Anknüpfungspunkten sie bei der Verleihung ihrer Staatsangehörigkeit den Vorzug geben sollten.

55 Drittens macht die Kommission geltend, das Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren von 2020, das die systematische Verleihung der maltesischen Staatsangehörigkeit gegen im Voraus festgelegte erhebliche Zahlungen oder Investitionen erlaube und somit transaktionalen Charakter habe, stelle ein rechtswidriges Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren dar.

56 Das im Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren von 2020 aufgestellte Erfordernis eines rechtmäßigen Aufenthalts reiche nicht aus, um das Bestehen einer echten Bindung an die Republik Malta zu gewährleisten.

57 Insoweit belegten die von der Stiftung Daphne Caruana Galizia erlangten und den Medien im Rahmen des Projekts „Passport Papers“ (im Folgenden: Passport Papers) übermittelten Dokumente und E‑Mails, dass es im Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren von 2014 kein Erfordernis eines tatsächlichen Wohnsitzes gegeben habe. Diese Dokumente stellten keinen Beweis für die gerügte Vertragsverletzung dar, sondern sollten lediglich das Vorbringen der Kommission untermauern, wonach die erheblichen Mängel im maltesischen Rechtsrahmen dazu führten, dass Drittstaatsangehörigen, die nicht nachgewiesen hätten, dass sie das Erfordernis eines vorherigen tatsächlichen Wohnsitzes in Malta erfüllten, systematisch die Unionsbürgerschaft verliehen werde.

58 Außerdem sei zunächst im Vorverfahren nicht bestritten worden, dass keine signifikante echte Präsenz im maltesischen Hoheitsgebiet nachgewiesen zu werden brauche. Sodann werde die fehlende Notwendigkeit, im Rahmen des Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren von 2020 eine physische Anwesenheit während eines erheblichen Zeitraums nachzuweisen, durch einen Vergleich der Anforderungen nach diesem Programm mit den in Art. 10 Abs. 1 des maltesischen Staatsbürgerschaftsgesetzes vorgesehenen Anforderungen an „gewöhnliche“ Einbürgerungen untermauert; dieser schreibe eine „durchgehende“ Ansässigkeit in Malta während eines bestimmten Zeitraums vor, ohne dass es Vorschriften darüber gebe, welche Abwesenheiten die Ansässigkeitszeiträume unterbrechen könnten. Überdies habe die Republik Malta im Vorverfahren keine Angaben zu Anträgen auf Verleihung der Staatsangehörigkeit machen können, die wegen Nichteinhaltung des Aufenthaltserfordernisses abgelehnt oder zurückgenommen worden seien. Schließlich spiegele sich der theoretische Charakter des Aufenthaltserfordernisses auch in den Vorschriften wider, wonach die erforderliche Aufenthaltsdauer von drei Jahren gegen Zahlung eines zusätzlichen Betrags von 150.000 Euro auf mindestens zwölf Monate verringert werden könne.

59 Hinzu komme, dass das Erfordernis einer „echten Bindung“ zum Zeitpunkt der Verleihung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats vorliegen müsse. Insoweit stehe zum einen eine Regelung, wonach die Einbürgerung auch bei nachträglicher Herstellung einer solchen Bindung vorgenommen werden könne, nicht im Einklang mit dem Ziel, die Solidarität zwischen den Völkern der Union durch das Bestehen einer echten Bindung an einen Mitgliedstaat der Union zu stärken. Ein Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren wie das im Rahmen der vorliegenden Klage in Rede stehende unterscheide sich in dieser Hinsicht deutlich von einer Regelung, die Drittstaatsangehörige dazu anhalten solle, in einem Mitgliedstaat zu arbeiten und sich dort aufzuhalten.

60 Zum anderen gebe es, da die durch die Unionsbürgerschaft gewährten Vorteile zum Zeitpunkt der Verleihung dieses Status Wirkung entfalteten, keine Garantie dafür, dass ein kürzlich eingebürgerter maltesischer Staatsbürger beschließe, in Malta zu bleiben, um eine „echte künftige Bindung“ aufzubauen, statt sich in einen anderen Mitgliedstaat der Union zu begeben oder sich in einem Drittstaat aufzuhalten und zugleich von den durch die Unionsbürgerschaft verliehenen Rechten Gebrauch zu machen. Insoweit sei hervorzuheben, dass in dem Werbematerial, das die für das Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren von 2020 zuständigen Agenturen veröffentlicht hätten, die Möglichkeit einer eingebürgerten Person, sich u.a. in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem assoziierten Schengen-Land niederzulassen, als einer der „Vorteile“ der maltesischen Staatsangehörigkeit präsentiert werde.

61 Es sei richtig, dass der Einbürgerungsprozess die Durchführung eines Verfahrens zur Überprüfung der Antragsteller umfasse. Aus dem Rechtsrahmen des Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren von 2020 gehe jedoch hervor, dass in diesem Verfahren geprüft werde, ob die Antragsteller ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten, welchen Leumund sie hätten und wie reich sie seien, und nicht, ob eine echte Bindung zwischen ihnen und der Republik Malta bestehe. Die Existenz dieses Überprüfungsverfahrens und das Ermessen des Ministers, die Ausstellung einer Einbürgerungsbescheinigung abzulehnen, änderten nichts am transaktionalen Charakter dieses Programms.

62 Zudem bestreite die Republik Malta nicht, dass die tatsächliche physische Anwesenheit des Antragstellers in Malta im Rahmen des Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren von 2020 nur zweimal verlangt werde, und zwar zur Bereitstellung biometrischer Daten für die Zwecke der Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis und zur Ableistung des Treueeids. Der nach diesem Programm erforderliche rechtmäßige Aufenthalt könne daher keine echte Bindung zwischen der Republik Malta und dem Antragsteller schaffen.

63 Die Republik Malta trägt zu ihrer Verteidigung erstens vor, die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten im Bereich der Verleihung ihrer Staatsangehörigkeit müsse zwar in den Zuständigkeitsbereichen der Union unter Beachtung des Unionsrechts ausgeübt werden, doch dürfe die Pflicht zur Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt werden.

64 Die Kommission wolle mit ihrer Klage den gesamten Rechtsrahmen für die Anforderungen, Verfahren und Auswirkungen des Einbürgerungsprogramms eines Mitgliedstaats kontrollieren, was darauf hinauslaufe, die politischen Entscheidungen dieses Mitgliedstaats im Bereich der Staatsangehörigkeit in Frage zu stellen. Je größer die in einem Bereich nationaler Zuständigkeit ausgeübte Kontrolle sei, desto größer sei insoweit die Gefahr, dass die Union ihre Zuständigkeiten überschreite.

65 Die Kontrolle des Handelns der Mitgliedstaaten sollte in Fällen, die de iure oder de facto einem Entzug der mit dem Unionsbürgerstatus verbundenen Rechte und Pflichten gleichkämen, anhand eines anderen als des in Fällen der Verleihung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats geltenden Kriteriums erfolgen. Die Befugnis zur Verleihung der Staatsangehörigkeit sei nämlich das Herzstück der nationalen Souveränität und stehe in engem Zusammenhang mit dem Konzept und der Entwicklung der nationalen Identität eines Mitgliedstaats, zu deren Schutz Art. 4 Abs. 2 EUV die Union verpflichte.

66 Somit verstoße die Einbürgerungspolitik eines Mitgliedstaats nur dann gegen das Unionsrecht, wenn sie allgemein und systematisch zu einer schwerwiegenden Verletzung der im Unionsrecht festgelegten Werte und Ziele der Union führe, denn sonst würde die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Verleihung der Staatsangehörigkeit gefährdet. Diese Auslegung stehe im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach der Unionsbürgerstatus „dazu bestimmt“ sei, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein; dabei handele es sich nicht um eine vorhandene Realität, sondern um einen laufenden Prozess, der beim gegenwärtigen Stand der Integration eng mit der Staatsangehörigkeit der Mitgliedstaaten koexistiere.

67 Darüber hinaus bringe die von der Kommission vertretene Auslegung ernsthafte Gefahren mit sich. Zunächst wirke sie sich unmittelbar auf die rechtlichen Rahmenbedingungen der Staatsangehörigkeit in allen Mitgliedstaaten aus, insbesondere in den Staaten, in denen die Einbürgerung Gegenstand einer Ermessensentscheidung sei. Sodann liefe sie darauf hinaus, es der Kommission als Hüterin der Verträge zu gestatten, im Licht des Unionsrechts die Politik, die Gesetze und die Praxis der Mitgliedstaaten im Bereich der Einbürgerung zu kontrollieren. Schließlich würde eine solche Auslegung es den Mitgliedstaaten ermöglichen, das Recht und die Praxis der anderen Mitgliedstaaten in diesem Bereich in Frage zu stellen.

68 Insoweit wäre die Republik Malta, wenn der Klage der Kommission stattgegeben würde, verpflichtet, eine Reihe von Rechts- und Verwaltungsvorschriften aufzuheben. Indem sich die Kommission gegen den gesamten Rechtsrahmen eines Mitgliedstaats für den Zugang zur Staatsangehörigkeit wende, fordere sie den Gerichtshof auf, als „indirekter Gesetzgeber“ tätig zu werden, wobei sie ein Veto gegen nationale Rechtsvorschriften in einem Bereich einlege, der in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten falle.

69 Zweitens macht die Republik Malta geltend, das Unionsrecht erlege den Mitgliedstaaten keine rechtliche Verpflichtung auf, eine „echte vorherige Bindung“ an den Einbürgerungsmitgliedstaat zu verlangen, unabhängig davon, ob es Zahlungen oder andere Verpflichtungen des Antragstellers gebe. Die Existenz einer solchen Bindung könnte zwar ein legitimer Anhaltspunkt für die Staaten sein, um eine hinreichende Verknüpfung einer Person mit ihrer politischen Gemeinschaft zu bejahen. Dieses Ergebnis beruhe jedoch nicht auf einer völker- oder unionsrechtlichen Verpflichtung, sondern auf einer souveränen politischen Entscheidung der demokratischen Institutionen der Mitgliedstaaten.

70 Insoweit ergebe sich die Verpflichtung, vor der Verleihung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats eine „echte vorherige Bindung“ zu verlangen, nicht aus den Verträgen oder dem Verfahren, das zu ihrem Erlass geführt habe. Im Übrigen gehe aus der Erklärung Nr. 2 und dem Beschluss von Edinburgh hervor, dass sich die Frage, ob eine Person die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitze, allein nach dem nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats richte. Außerdem sei die Union nach den Verträgen kein „einheitliches Gemeinwesen“.

71 Das Erfordernis einer „echten vorherigen Bindung“ ergebe sich auch nicht aus dem Völkerrecht. Insbesondere könne es nicht dem Urteil vom , Nottebohm (Lichtenstein/Guatemala) (ICJ Reports 1955, S. 4), entnommen werden, aus dem die Kommission eine unionsrechtliche Pflicht abgeleitet habe, die das Bestehen einer solchen Bindung als Voraussetzung für die Verleihung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats vorschreibe; dass es ein solches Erfordernis gebe, habe der Gerichtshof überdies im Urteil vom , Micheletti u.a. (C‑369/90, EU:C:1992:295), verneint.

72 Ferner liefere die Kommission keinen handhabbaren und zweckmäßigen Schwellenwert dafür, was eine „echte vorherige Bindung“ darstelle, und es sei nicht Sache der Republik Malta, einen solchen Schwellenwert festzulegen.

73 Drittens macht die Republik Malta geltend, das Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren von 2020 stelle ein rechtmäßiges, solides, effizientes und professionell gehandhabtes Einbürgerungsprogramm dar, das die Ziele der Union nicht beeinträchtige. Insoweit handele es sich bei der Charakterisierung dieses Programms durch die Kommission als automatischen und bedingungslosen Zugangsweg zur maltesischen Staatsangehörigkeit, der die systematische Verleihung der Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats als Gegenleistung für im Voraus festgelegte Zahlungen oder Investitionen aus rein haushaltspolitischen Interessen der Republik Malta vorsehe, um eine übermäßige Vereinfachung, die jeder rechtlichen oder tatsächlichen Grundlage entbehre.

74 Die Republik Malta habe stets nach Treu und Glauben und im Einklang mit dem in Art. 4 Abs. 3 EUV aufgestellten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zwischen der Union und den Mitgliedstaaten gehandelt. Sie habe im Anschluss an den Dialog mit der Kommission Gesetzesänderungen vorgenommen.

75 Die Kommission stütze ihre Analyse auf eine falsche und verzerrte Darstellung des maltesischen Rechtsrahmens. Zunächst werde mit ihm keine „transaktionale“ Regelung eingeführt, sondern ein umfassendes, komplexes und mehrstufiges Verfahren, das unter Beteiligung verschiedener öffentlicher Stellen ablaufe, um strenge Garantien zu gewährleisten, und zur Einbürgerung führen könne.

76 Sodann erlaube dieser Rechtsrahmen keine systematische Verleihung der maltesischen Staatsangehörigkeit gegen bestimmte Zahlungen, da es sich um einen Ermessensrahmen mit strengen Kontrollmechanismen handele. Insbesondere bestehe das Verfahren aus elf Schritten, die ein Gesamtbild des Antragstellers liefern sollten, um dem Minister die abschließende Ermessensentscheidung zu erleichtern. Insoweit verleihe die Erfüllung der bestehenden Anforderungen einem Antragsteller kein automatisches Recht auf Einbürgerung.

77 Schließlich beruhe der Rechtsrahmen auf verschiedenen retrospektiven, gegenwärtigen und prospektiven Verknüpfungen, die sich im Laufe der Zeit entwickelten. So werde je nach Umfang der Investition ein vorheriger Zeitraum des rechtmäßigen Aufenthalts von drei Jahren oder einem Jahr verlangt, was mit der internationalen Praxis im Bereich des Aufenthalts und der Staatsbürgerschaft durch Investitionen im Einklang stehe. Außerdem bestehe die Verwaltungspraxis bei „gewöhnlichen“ Einbürgerungen nach Art. 10(1) des maltesischen Staatsbürgerschaftsgesetzes darin, dass die physische Anwesenheit nur für bestimmte zeitliche Intervalle erforderlich sei. Überdies biete das Einwanderungsrecht zahlreiche Beispiele, bei denen Integrationsmaßnahmen sowohl in Aufenthalts- als auch in Einbürgerungsverfahren mangels vorheriger Bindungen an den Aufnahmestaat in einem späteren Stadium entwickelt werden müssten.

78 Die Republik Malta rügt auch die Einführung der Passport Papers durch die Kommission als vom Gerichtshof zu berücksichtigende Beweise, da diese Dokumente die Umsetzung des Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren von 2014 beträfen und nicht die des Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren von 2020, das Gegenstand der vorliegenden Klage sei.

Würdigung durch den Gerichtshof

79 Nach Art. 9 EUV und Art. 20 Abs. 1 AEUV ist Unionsbürger, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Nach diesen Bestimmungen tritt die Unionsbürgerschaft zur nationalen Staatsbürgerschaft hinzu, ersetzt sie aber nicht.

80 Ferner richtet sich die Frage, ob eine Person die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, gemäß der Erklärung Nr. 2 und dem Beschluss von Edinburgh ausschließlich nach dem nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats.

81 Nach ständiger Rechtsprechung fällt deshalb die Festlegung der Voraussetzungen für die Verleihung und den Verlust der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats zwar nach dem Völkerrecht in die Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten, doch muss diese Zuständigkeit unter Beachtung des Unionsrechts ausgeübt werden (Urteile vom , Micheletti u.a., C‑369/90, EU:C:1992:295, Rn. 10, vom , Rottmann, C‑135/08, EU:C:2010:104, Rn. 45, und vom , Udlændinge- og Integrationsministeriet [Verlust der dänischen Staatsangehörigkeit], C‑689/21, EU:C:2023:626, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

82 Insoweit ist zunächst das an den Anfang gestellte Vorbringen der Republik Malta zurückzuweisen, wonach die Prüfung der Verfahren zur Verleihung der Staatsangehörigkeit der Mitgliedstaaten im Unterschied zur Prüfung der Fälle ihres Verlusts oder Entzugs, die zum Wegfall der einer Person aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte führten, auf die Feststellung erheblicher Verstöße gegen Werte oder Ziele der Union mit allgemeinem und systematischem Charakter beschränkt werden müsse.

83 Weder aus dem Wortlaut der Verträge noch aus ihrer Systematik lässt sich nämlich ein Wille ihrer Verfasser ableiten, in Bezug auf die Verleihung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats eine Ausnahme von der Verpflichtung zur Beachtung des Unionsrechts vorzusehen, wonach nur erhebliche Verstöße gegen Werte und Ziele der Union zu einer Verletzung des Unionsrechts führen können, wenn die Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeit in diesem Bereich ausüben. Unter diesen Umständen ist eine solche Ausnahme nicht zulässig, da sie einer Beschränkung der Wirkungen des Vorrangs des Unionsrechts gleichkäme, der zu dessen wesentlichen Merkmalen und damit zum verfassungsrechtlichen Rahmen der Union gehört (vgl. in diesem Sinne Gutachten 2/13 [Beitritt der Union zur EMRK] vom , EU:C:2014:2454, Rn. 166).

84 Zum gerügten Verstoß gegen Art. 20 AEUV und Art. 4 Abs. 3 EUV ist zunächst festzustellen, dass die Union, wie schon dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 2 EUV zu entnehmen ist, ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen bietet, in dem der freie Personenverkehr gewährleistet ist, was durch geeignete Maßnahmen in Bezug auf die Kontrollen an den Außengrenzen, das Asyl, die Einwanderung sowie die Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität ermöglicht wird.

85 Hierzu hat der Gerichtshof ausgeführt, dass sowohl der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten als auch der auf ihm beruhende Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung im Unionsrecht fundamentale Bedeutung haben, da sie die Schaffung und Aufrechterhaltung des Raums ohne Binnengrenzen ermöglichen (Gutachten 2/13 [Beitritt der Union zur EMRK] vom , EU:C:2014:2454, Rn. 191, und Urteil vom , Alchaster, C‑202/24, EU:C:2024:649, Rn. 63).

86 Zur Verwirklichung des Raums ohne Binnengrenzen gehört das jedem Unionsbürger unmittelbar durch Art. 20 Abs. 2 Buchst. a und Art. 21 Abs. 1 AEUV verliehene Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, dessen Ausübung die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77, berichtigt in ABl. 2004, L 229, S. 35) nach ständiger Rechtsprechung erleichtern soll (Urteile vom , O. und B., C‑456/12, EU:C:2014:135, Rn. 35, vom , McCarthy u.a., C‑202/13, EU:C:2014:2450, Rn. 31, und vom , Direcţia pentru Evidenţa Persoanelor şi Administrarea Bazelor de Date, C‑491/21, EU:C:2024:143, Rn. 37).

87 Dieses Recht findet zudem eine besondere Ausprägung in Art. 45 AEUV, der die Freizügigkeit der Arbeitnehmer betrifft, in Art. 49 AEUV, der die Niederlassungsfreiheit betrifft, und in Art. 56 AEUV, der den freien Dienstleistungsverkehr betrifft (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , MH und ILA [Rentenansprüche im Fall der Insolvenz], C‑168/20, EU:C:2021:907, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

88 Ferner sind die Unionsbürger mit den in den Art. 10 und 11 EUV genannten und in den Art. 20, 22 und 24 AEUV konkretisierten politischen Rechten ausgestattet, die ihre Beteiligung am demokratischen Leben der Union gewährleisten. Dazu gehören u.a. das Initiativrecht der Bürger, das Recht, Petitionen an das Parlament zu richten, das Recht, sich an den Bürgerbeauftragten zu wenden, das Recht, sich in einer der Amtssprachen der Union an ihre Organe und beratenden Einrichtungen zu wenden, sowie das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Parlament und bei den Kommunalwahlen in dem Mitgliedstaat, in dem die Bürger ihren Wohnsitz haben, unter denselben Bedingungen wie die Angehörigen dieses Staates.

89 Insoweit nehmen die Unionsbürger im Wege der Ausübung der ihnen durch die Art. 10 und 11 EUV verliehenen politischen Rechte unmittelbar am demokratischen Leben der Union teil. Deren Arbeitsweise beruht nämlich auf der repräsentativen Demokratie, die den Wert der Demokratie konkretisiert, der nach Art. 2 EUV einen der Werte darstellt, auf die sich die Union gründet (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Puppinck u.a./Kommission, C‑418/18 P, EU:C:2019:1113, Rn. 65, vom , Kommission/Tschechische Republik [Passives Wahlrecht und Mitgliedschaft in einer politischen Partei], C‑808/21, EU:C:2024:962, Rn. 114 und 115, sowie vom , Kommission/Polen [Passives Wahlrecht und Mitgliedschaft in einer politischen Partei], C‑814/21, EU:C:2024:963, Rn. 112 und 113). Daraus folgt, dass die Ausübung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Festlegung der Voraussetzungen für die Verleihung ihrer Staatsangehörigkeit die Arbeitsweise der Union als Rechtsgemeinschaft beeinflusst.

90 Schließlich verleiht die Unionsbürgerschaft jedem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats in einem Drittland, in dem dieser Mitgliedstaat nicht vertreten ist, auch das in Art. 20 Abs. 2 Buchst. c AEUV verankerte und in Art. 23 AEUV konkretisierte Recht auf Schutz durch die diplomatischen und konsularischen Behörden der anderen Mitgliedstaaten unter denselben Bedingungen wie deren Staatsangehörige.

91 Im Hinblick auf diese verschiedenen Rechte hat der Gerichtshof entschieden, dass die Bestimmungen über die Unionsbürgerschaft zu den grundlegenden Bestimmungen der Verträge gehören, die sich in den Rahmen eines unionseigenen Systems einfügen und so strukturiert sind, dass sie zur Verwirklichung des Integrationsprozesses beitragen, der die Daseinsberechtigung der Union selbst darstellt, und somit Bestandteil ihres verfassungsrechtlichen Rahmens sind (vgl. in diesem Sinne Gutachten 2/13 [Beitritt der Union zur EMRK] vom , EU:C:2014:2454, Rn. 172).

92 Desgleichen hat der Gerichtshof im Hinblick sowohl auf die Tragweite der mit dem Unionsbürgerstatus verbundenen Rechte (siehe oben, Rn. 86 bis 90) als auch auf den Umstand, dass sich dieser Status automatisch aus der Eigenschaft als Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ergibt, wiederholt entschieden, dass der Unionsbürgerstatus der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Grzelczyk, C‑184/99, EU:C:2001:458, Rn. 31, vom , Wiener Landesregierung [Widerruf einer Einbürgerungszusicherung], C‑118/20, EU:C:2022:34, Rn. 38 und 58, sowie vom , Udlændinge- og Integrationsministeriet [Verlust der dänischen Staatsangehörigkeit], C‑689/21, EU:C:2023:626, Rn. 29 und 38 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

93 Die Unionsbürgerschaft gehört somit zu den wichtigsten Konkretisierungen der Solidarität, die dem oben in Rn. 91 angesprochenen Integrationsprozess zugrunde liegt und daher zur Identität der Union als eigene Rechtsordnung gehört, die von den Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Gegenseitigkeit angenommen wurde (Urteile vom , Costa, 6/64, EU:C:1964:66, S. 1269 bis 1271, und vom , Euro Box Promotion u.a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 246).

94 Überdies obliegt es nach dem in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit jedem Mitgliedstaat, u.a. alle Maßnahmen zu unterlassen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten (Urteil vom , Meta Platforms u.a. [Allgemeine Nutzungsbedingungen eines sozialen Netzwerks], C‑252/21, EU:C:2023:537, Rn. 53).

95 Die Ausübung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten im Bereich der Festlegung der Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats ist daher ebenso wie ihre Zuständigkeit im Bereich der Festlegung der Voraussetzungen für den Verlust der Staatsangehörigkeit nicht unbegrenzt. Die Unionsbürgerschaft beruht nämlich auf den in Art. 2 EUV aufgeführten gemeinsamen Werten und auf dem gegenseitigen Vertrauen der Mitgliedstaaten darauf, dass keiner von ihnen diese Zuständigkeit in einer Weise ausübt, die offensichtlich mit dem Wesen der Unionsbürgerschaft unvereinbar wäre.

96 Insoweit ergibt sich aus einer gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass dem Staatsangehörigkeitsband eines Mitgliedstaats das zwischen ihm und seinen Staatsbürgern bestehende besondere Verbundenheits- und Loyalitätsverhältnis sowie die Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten zugrunde liegen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Kommission/Belgien, 149/79, EU:C:1980:297, Rn. 10, vom , Lawrie-Blum, 66/85, EU:C:1986:284, Rn. 27, vom , Alevizos, C‑392/05, EU:C:2007:251, Rn. 70, vom , Rottmann, C‑135/08, EU:C:2010:104, Rn. 51, und vom , Stadt Duisburg [Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit], C‑684/22 bis C‑686/22, EU:C:2024:345, Rn. 37).

97 Im gleichen Sinne ergibt sich schon aus dem Wortlaut von Art. 20 Abs. 2 Satz 1 AEUV, dass die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger die in den Verträgen vorgesehenen Rechte und Pflichten haben. Nach Art. 20 Abs. 1 bildet das zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten und ihren Staatsangehörigen bestehende besondere Verbundenheits- und Loyalitätsverhältnis auch die Grundlage für die nach den Verträgen den Unionsbürgern vorbehaltenen Rechte und Pflichten.

98 Zur Entstehung eines solchen besonderen Verbundenheits- und Loyalitätsverhältnisses ergibt sich aus der oben in Rn. 81 angeführten Rechtsprechung, dass die Festlegung der Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats nicht in die Zuständigkeit der Union fällt, sondern in die der einzelnen Mitgliedstaaten, die bei der Wahl der anzuwendenden Kriterien über ein weites Ermessen verfügen, sofern diese Kriterien unter Beachtung des Unionsrechts angewandt werden.

99 Ein Mitgliedstaat missachtet aber in offenkundiger Weise das Erfordernis eines solchen, durch die Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten zwischen dem Mitgliedstaat und seinen Staatsangehörigen gekennzeichneten besonderen Verbundenheits- und Loyalitätsverhältnisses und bricht damit unter Verstoß gegen Art. 20 AEUV und den in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit das gegenseitige Vertrauen, auf dem die Unionsbürgerschaft beruht, wenn er ein Einbürgerungsprogramm einführt und umsetzt, das auf einem Verfahren mit transaktionalem Charakter zwischen ihm und Personen, die einen Antrag im Rahmen dieses Programms stellen, beruht, an dessen Ende die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats und damit die Unionsbürgerschaft im Wesentlichen als Gegenleistung für im Voraus festgelegte Zahlungen oder Investitionen verliehen wird.

100 Ein solches Programm kommt nämlich einer Vermarktung der Verleihung des Staatsangehörigenstatus eines Mitgliedstaats und damit auch des Unionsbürgerstatus gleich, die mit der Leitidee dieses grundlegenden Status, wie sie sich aus den Verträgen ergibt, unvereinbar ist.

101 Außerdem sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Wirkungen der Verleihung der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats an eine Person im Hinblick auf die Ausübung der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Rechte und Freiheiten anzuerkennen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Micheletti u.a., C‑369/90, EU:C:1992:295, Rn. 10, vom , Garcia Avello, C‑148/02, EU:C:2003:539, Rn. 28, und vom , Zhu und Chen, C‑200/02, EU:C:2004:639, Rn. 39). Eine Einbürgerung mit transaktionalem Charakter als Gegenleistung für im Voraus festgelegte Zahlungen oder Investitionen verstößt nicht nur gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, sondern ist auch geeignet, das diesem Anerkennungserfordernis zugrunde liegende gegenseitige Vertrauen in Frage zu stellen, denn die Prämisse dieses Vertrauens besteht darin, dass die Verleihung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats auf einem besonderen Verbundenheits- und Loyalitätsverhältnis beruht, das die Einräumung der Rechte rechtfertigt, die sich insbesondere aus dem Unionsbürgerstatus ergeben.

102 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den oben in Rn. 24 angeführten Bestimmungen über das Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren von 2020, dass folgende Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ein Investor die maltesische Staatsangehörigkeit beantragen kann: Er muss erstens einen Betrag von 600.000 Euro oder 750.000 Euro an die maltesische Regierung zahlen, zweitens eine Wohnimmobilie im Wert von mindestens 700.000 Euro erwerben oder, alternativ, eine solche Immobilie für mindestens 16.000 Euro pro Jahr mindestens fünf Jahre lang mieten, drittens mindestens 10.000 Euro an eine eingetragene oder in anderer Weise von den Behörden zugelassene Nichtregierungsorganisation oder ‑gesellschaft, die philanthropische, kulturelle, sportliche, wissenschaftliche, künstlerische oder Tierschutzzwecke verfolgt, spenden, viertens sich 36 Monate rechtmäßig in Malta aufgehalten haben, wobei dieser Zeitraum auf zwölf Monate verkürzt werden kann, wenn der Antragsteller einen zusätzlichen Betrag in Höhe von 150.000 Euro zahlt, und fünftens eine Bestätigung seiner Teilnahmebefugnis und die Genehmigung für die Stellung eines Antrags auf Einbürgerung erhalten haben.

103 Somit sind erstens die ersten drei in den Bestimmungen über das Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren von 2020 aufgestellten Voraussetzungen Anhaltspunkte dafür, dass Zahlungen oder Investitionen in einer im Voraus festgelegten Mindesthöhe im Rahmen dieses Programms von entscheidender Bedeutung sind, was darauf hindeutet, dass es einer Vermarktung der Verleihung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats am Ende eines Verfahrens mit transaktionalem Charakter gleichkommt.

104 Gleichwohl ist zu prüfen, ob diese Einstufung durch die übrigen Voraussetzungen in Frage gestellt werden kann, von denen die Verleihung der maltesischen Staatsangehörigkeit nach dem Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren von 2020 abhängt.

105 Insoweit ist zweitens zur Voraussetzung eines der Verleihung vorausgehenden rechtmäßigen Aufenthalts von bestimmter Mindestdauer in Malta zunächst festzustellen, dass sich die Kommission zur Stützung ihres Vorbringens, wonach sich diese Voraussetzung ausschließlich darauf beziehe, dass der Antragsteller einen Wohnsitz in Malta gehabt habe, und nicht auf dessen physische Anwesenheit im maltesischen Hoheitsgebiet, nicht mit Erfolg auf die Passport Papers berufen kann. Sie betreffen nämlich das Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren von 2014, das nicht Gegenstand der vorliegenden Klage ist.

106 Aus den Erläuterungen der Republik Malta geht jedoch hervor, dass sich die im Rahmen des Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren von 2020 vorgesehene Voraussetzung eines vorherigen Aufenthalts im maltesischen Hoheitsgebiet auf den rechtmäßigen Aufenthalt des Antragstellers bezieht. Nach den Angaben in den dem Gerichtshof vorgelegten Akten kommt eine solche Voraussetzung jedoch nicht dem Erfordernis eines tatsächlichen Aufenthalts im maltesischen Hoheitsgebiet gleich, da der Antragsteller dort nur bei der Erhebung biometrischer Daten für die Erlangung der Aufenthaltserlaubnis und zur Leistung des Treueeids physisch anwesend sein muss.

107 Diese Analyse kann nicht durch das Vorbringen der Republik Malta in Frage gestellt werden, wonach die erfolgreichen Antragsteller während der gesamten Dauer ihres rechtmäßigen Aufenthalts physisch anwesend gewesen seien, da dieses Vorbringen nicht dem von ihr beschriebenen rechtlichen Rahmen entspricht und zudem nur auf wenige Beispiele gestützt wird.

108 Unter diesen Umständen kann angesichts dessen, dass im Rahmen des Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren von 2020 nur eine sehr begrenzte Anwesenheit im maltesischen Hoheitsgebiet verlangt wird, nicht davon ausgegangen werden, dass die Republik Malta den tatsächlichen Aufenthalt in ihrem Hoheitsgebiet als wesentliches Kriterium für die Verleihung ihrer Staatsangehörigkeit im Rahmen dieses Programms – neben dem oben in Rn. 103 angesprochenen Kriterium der im Voraus festgelegten Zahlungen oder Investitionen – betrachtete.

109 Diese Schlussfolgerung wird zum einen dadurch bestätigt, dass die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts vor der Verleihung der maltesischen Staatsangehörigkeit im Rahmen des Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren von 2020 durch eine zusätzliche Zahlung von 150.000 Euro von drei Jahren auf ein Jahr verkürzt werden kann, so dass die den Aufenthalt betreffende Voraussetzung ihrerseits eng mit dem transaktionalen Charakter der Verleihung der maltesischen Staatsangehörigkeit im Rahmen dieses Programms als Gegenleistung für im Voraus festgelegte Zahlungen oder Investitionen verbunden ist.

110 Zum anderen wird sie durch den von der Kommission angestellten Vergleich des Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren von 2020 mit dem „gewöhnlichen“ Einbürgerungsverfahren gemäß Art. 10(1) des maltesischen Staatsbürgerschaftsgesetzes bestätigt; dieser verlangt, dass die Antragsteller im Zeitraum von zwölf Monaten vor der Stellung des Einbürgerungsantrags, aber auch für mindestens vier der sechs Jahre unmittelbar vor diesem Zwölfmonatszeitraum in Malta ansässig gewesen sein müssen.

111 Der Vergleich zeigt nämlich, dass die Republik Malta, wenn der Antrag auf Verleihung der Staatsangehörigkeit nicht mit im Voraus festgelegten Zahlungen oder Investitionen einhergeht, nur einen deutlich längeren tatsächlichen Aufenthalt in Malta als geeignet ansieht, um die Verleihung der maltesischen Staatsangehörigkeit in Betracht ziehen zu können.

112 Drittens macht die Republik Malta in Bezug auf die letzte oben in Rn. 102 genannte Voraussetzung geltend, dass das Verfahren zur Kontrolle der Eignung eines Antragstellers darauf abziele, Überprüfungen hinsichtlich dieses Antragstellers, seiner geschäftlichen und unternehmerischen Beziehungen, seiner etwaigen Eigenschaft als politisch exponierte Person, der Herkunft seines Vermögens, seines Leumunds, ihn betreffender rechtlicher und regulatorischer Fragen und der relativen Auswirkung auf sein unmittelbares Netzwerk vorzunehmen.

113 Nach den Erläuterungen der Republik Malta soll mit solchen Überprüfungen im Wesentlichen sichergestellt werden, dass die Umsetzung des Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren von 2020 bestimmte im öffentlichen Interesse liegende Ziele der Republik Malta, insbesondere die öffentliche Sicherheit und die nationale Sicherheit dieses Mitgliedstaats sowie sein internes und externes Image, nicht beeinträchtigt. Sie sind hingegen nicht geeignet, die Feststellung in Frage zu stellen, dass dieses Programm einer Vermarktung der Verleihung der maltesischen Staatsangehörigkeit am Ende eines Verfahrens mit transaktionalem Charakter gleichkommt.

114 Mittels dieser Überprüfungen soll nämlich nicht beurteilt werden, ob die Situation des Antragstellers es rechtfertigt, ihm die maltesische Staatsangehörigkeit zu verleihen, sondern es soll nur geklärt werden, ob bestimmte gebührend ermittelte Risiken der Verleihung dieser Staatsangehörigkeit entgegenstehen, obwohl der Antragsteller bereit ist, Zahlungen oder Investitionen zu tätigen, mit denen die ersten drei oben in Rn. 102 genannten Voraussetzungen erfüllt werden können. Die den Überprüfungen damit zugedachte Funktion impliziert, dass sie eine Beschränkung des Anwendungsbereichs des Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren von 2020 bewirken, ohne aber dessen transaktionalen Charakter in Frage zu stellen.

115 Die Republik Malta macht ferner geltend, das Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren von 2020 trage bestimmten, eine Bindung der Antragsteller zum Ausdruck bringenden Faktoren Rechnung, etwa Investitionen in die lokale Wirtschaft, ihrer Integration in das soziale Gefüge durch ihre Investitionen oder auch künftige Verbindungen zwischen ihnen und der Republik Malta, die sich nach der Verleihung der Staatsangehörigkeit entwickeln könnten.

116 Insoweit enthalten zum einen die dem Gerichtshof vorgelegten Akten keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren von 2020 eine spezifische und konkrete Prüfung der Relevanz bestimmter Investitionen vorsieht, mit der festgestellt werden soll, ob es Verbindungen zwischen einem Antragsteller und der Republik Malta gibt und welche Intensität sie haben, oder mit der die Entwicklung solcher Verbindungen zu diesem Mitgliedstaat ermöglicht werden soll, und die sich von der Prüfung unterscheidet, ob die in den Bestimmungen über dieses Programm vorgesehenen, oben in Rn. 102 genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

117 Zum anderen geht hinsichtlich des Vorbringens der Republik Malta, sie trage Bindungen Rechnung, die ein Antragsteller im Rahmen des Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren von 2020 nach der Entscheidung über die Einbürgerung entwickeln könnte, aus ihren näheren Angaben hervor, dass ihre Behörden die im Rahmen dieses Programms verliehene maltesische Staatsangehörigkeit aus drei Gründen entziehen können, und zwar wegen Nichterfüllung einer in der einschlägigen Regelung vorgesehenen materiellen Verpflichtung, wegen einer Bedrohung der nationalen Sicherheit oder wegen einer Verwicklung der betreffenden Person in ein Verhalten, das die Interessen der Republik Malta schwerwiegend beeinträchtigt.

118 Somit wachen die maltesischen Behörden zwar während eines Zeitraums von fünf Jahren nach der Einbürgerung im Wesentlichen darüber, dass die Antragsteller die für ihre Einbürgerung geltenden Voraussetzungen weiterhin erfüllen; gleichwohl kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren von 2020 eine nach der Einbürgerungsentscheidung zu erfüllende Voraussetzung enthält, die zu den oben in Rn. 102 genannten Voraussetzungen hinzukäme.

119 Viertens schließlich ergibt sich aus den von der Kommission als Anlage zur Klageschrift vorgelegten Auszügen von Websites zugelassener Agenturen mit Werbung für das Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren von 2020, dass dieses Programm potenziellen Antragstellern das „Recht, in jedem der 27 Länder der Europäischen Union zu wohnen, zu studieren und zu arbeiten“, sowie die „Staatsbürgerschaft eines Landes der [Union] für die gesamte Familie des Antragstellers, einschließlich unterhaltsberechtigter unverheirateter Kinder unter 29 Jahren sowie Eltern über 55 Jahren“, biete. Die Republik Malta macht zwar geltend, dass die Aktivitäten privater Dritter den maltesischen Behörden nicht zugerechnet werden könnten, doch bestreitet sie nicht, dass die Auszüge von Websites der im Rahmen der Umsetzung des Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren von 2020 zugelassenen Agenturen stammen, die dabei eine wesentliche Rolle spielen, da Anträge auf Einbürgerung nach diesem Programm nur über sie gestellt werden können.

120 Somit hat die Republik Malta das Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren von 2020 öffentlich als Einbürgerungsprogramm präsentiert, das hauptsächlich die aus der Unionsbürgerschaft resultierenden Vorteile bietet, u.a. das Recht, sich in den übrigen Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Eine solche Präsentation trägt zum Nachweis dafür bei, dass die Republik Malta mit diesem Programm ein Verfahren mit transaktionalem Charakter eingeführt hat, das einer Vermarktung der Verleihung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats gleichkommt, indem die mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Rechte genutzt werden, um für dieses Verfahren zu werben.

121 Folglich ist festzustellen, dass die Republik Malta dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 20 AEUV und Art. 4 Abs. 3 EUV verstoßen hat, dass sie das auf Art. 10(9) des Gesetzes über die maltesische Staatsbürgerschaft beruhende institutionalisierte Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren von 2020 geschaffen und umgesetzt hat, mit dem ein Einbürgerungsverfahren mit transaktionalem Charakter gegen im Voraus festgelegte Zahlungen oder Investitionen eingeführt wird und das mithin einer Vermarktung der Verleihung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats und damit auch des Unionsbürgerstatus gleichkommt.

Kosten

122 Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Republik Malta mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.

Die Republik Malta hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 20 AEUV und Art. 4 Abs. 3 EUV verstoßen, dass sie ein auf Art. 10(9) des Maltese Citizenship Act (Chapter 188 of the Laws of Malta) (Gesetz über die maltesische Staatsbürgerschaft [Kapitel 188 des maltesischen Rechts]) in der durch den Maltese Citizenship (Amendment No. 2) Act (Act XXXVIII of 2020) (Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die maltesische Staatsbürgerschaft [Gesetz XXXVIII von 2020]) geänderten Fassung und den Granting of citizenship for Exceptional Services Regulations, 2020 (Subsidiary Legislation 188.06 of the Laws of Malta) (Verordnung von 2020 über die Verleihung der Staatsbürgerschaft wegen außergewöhnlicher Dienste [Subsidiärer Rechtsakt 188.06 des maltesischen Rechts]) beruhendes institutionalisiertes Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren namens Maltese Citizenship by Naturalisation for Exceptional Services by Direct Investment (Erwerb der maltesischen Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung wegen außergewöhnlicher Dienste in Form von Direktinvestitionen) geschaffen und umgesetzt hat, mit dem ein Einbürgerungsverfahren mit transaktionalem Charakter gegen im Voraus festgelegte Zahlungen oder Investitionen eingeführt wird und das mithin einer Vermarktung der Verleihung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats und damit auch des Unionsbürgerstatus gleichkommt.

2.

Die Republik Malta trägt die Kosten.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2025:283

Fundstelle(n):
BAAAK-00185