Instanzenzug: LG Rostock Az: 13 KLs 1/22 (1)
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagte wegen „gewerbsmäßigen Betruges“ in 76 Fällen unter Auflösung einer Gesamtstrafe aus einer früheren Verurteilung und Einbeziehung der dort verhängten Strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und als Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer einen Vollstreckungsabschlag von fünf Monaten gewährt; das in dem früheren Urteil angeordnete Berufsverbot und die damalige Verurteilung zur Zahlung von Schmerzensgeld hat es aufrechterhalten. Zudem hat es – unter Berücksichtigung der Einziehung aus dem rechtskräftigen Urteil – die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.282.814,17 Euro angeordnet. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
2Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3Die Angeklagte gründete im Jahr 2011 die E. Pflege- und Betreuungsdienst UG, die sie später in die E. GmbH umwandelte. Mit dieser Gesellschaft, deren alleinige Geschäftsführerin sie war, betrieb sie zunächst einen ambulanten Pflegedienst und ab 2013 zusätzlich drei stationäre Pflegeeinrichtungen. Für die stationäre und ambulante Pflege schloss die Angeklagte für die E. GmbH mit drei Kranken- und Pflegekassen (BKK L. , AOK Pflegekasse und AOK Krankenkasse) Verträge nach dem SGB XI, SGB V und eine Zusatzvereinbarung für die Versorgung von Intensivpflegepatienten nach dem SGB V. In den Verträgen verpflichtete sie sich, zur Sicherung der Qualität der Pflegeleistungen eine „verantwortliche Pflegefachkraft“, von den Vertragsparteien auch als Pflegedienstleitung (PDL) bezeichnet, sozialversicherungspflichtig zu beschäftigen. Die Pflegeleistungen waren ausweislich der getroffenen Vereinbarungen unter ständiger Verantwortung der Pflegedienstleitung zu erbringen.
4Im März 2012 stellte die Angeklagte, die selbst nicht über eine entsprechende berufliche Qualifikation verfügte, die Zeugin D. als Pflegedienstleitung ein, die jedoch, wie die Angeklagte wusste, diese Aufgaben nicht wahrnahm, sondern im regulären Schichtbetrieb eingesetzt wurde. Bald darauf vereinbarten die Angeklagte und die Zeugin auch ausdrücklich, dass diese „nicht mehr PDL sein sollte“. Nachdem die Zeugin ihre Tätigkeit für die E. GmbH beendet hatte, gab die Angeklagte im Mai 2013 gegenüber den Kranken- und Pflegekassen bewusst wahrheitswidrig an, die Zeugin M. nehme nunmehr die Aufgaben der Pflegedienstleitung wahr. Weder die Zeugin noch andere Personen übten die Funktion einer Pflegedienstleitung aus.
5Von Mai 2013 bis Ende August 2015 übersandte die Angeklagte in 76 Fällen Rechnungen an die drei Kranken- und Pflegekassen, obwohl sie wusste, dass sie keinen Anspruch auf Vergütung der geltend gemachten Leistungen hatte, weil sie ‒ entgegen ihrer wahrheitswidrigen Angaben gegenüber den Kranken- und Pflegekassen ‒ keine verantwortliche Pflegefachkraft beschäftigte. Mit Geltendmachung der Ansprüche erklärte sie zugleich, dass die Pflegeleistungen vertragsgerecht erbracht worden seien. Im Vertrauen auf die Richtigkeit ihrer Angaben beglichen die Sachbearbeiter der Kranken- und Pflegekassen die von der Angeklagten monatlich eingereichten Rechnungen in Höhe von insgesamt 1.283.413,39 Euro. Davon zahlte die E. GmbH 1.627,78 Euro auf Aufforderung der AOK Krankenkasse zurück.
6Bereits im Jahr 2013 gingen erste Beschwerden über die Arbeit der E. GmbH bei den Kranken- und Pflegekassen ein. Im Zuge dessen stellten deren medizinische Dienste fest, dass Leistungen, die besonders qualifizierten Pflegefachkräften vorbehalten waren, von Pflegehelfern ausgeführt worden waren. Deswegen kündigten die Kranken- und Pflegekassen die Verträge erstmals zum . Hiergegen erlangte die Angeklagte einstweiligen Rechtsschutz in einem Verfahren des Sozialgerichts Rostock mit der Folge, dass die Verträge zunächst weiterliefen. Zum kündigten die Kranken- und Pflegekassen die Verträge erneut und stützten diese Kündigungen nunmehr auf das Fehlen einer Pflegedienstleitung. Auch hiergegen ersuchte die Angeklagte einstweiligen Rechtsschutz vor dem Sozialgericht Rostock. In dem Verfahren schlossen die Parteien am einen Vergleich, wonach die Verträge bis zum weiterliefen. Eine Regelung zu etwaigen Rückforderungsansprüchen enthielt der Vergleich nicht.
II.
71. Die Verfahrensrügen dringen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch.
82. Der Schuldspruch wegen Betruges in 76 Fällen (§ 263 Abs. 1, § 53 StGB) hält sachlich-rechtlicher Überprüfung stand.
9a) Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Angeklagte die Sachbearbeiter der Kranken- und Pflegekassen durch die Einreichung der Rechnungen jeweils über das Vorliegen einer den Zahlungsanspruch begründenden Tatsache täuschte, indem sie konkludent wahrheitswidrig vorgab, Pflegeleistungen durch Pflegepersonal erbracht zu haben, das unter der ständigen Verantwortung einer ausgebildeten Pflegefachkraft stand.
10aa) Eine Täuschung im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB kann auch konkludent erfolgen. Der einer ausdrücklichen oder konkludenten Erklärung beizumessende Inhalt ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Dabei ist der Empfängerhorizont maßgeblich und auf die Erwartungen der Beteiligten abzustellen, die ihrerseits durch die normativen Bezüge geprägt werden, in denen die Erklärung steht (vgl. ‒ 5 StR 498/23, Rn. 35).
11In der Geltendmachung einer Forderung kann eine konkludente Täuschung über Tatsachen liegen, wenn mit dem Einfordern der Leistung ein Bezug zu einer unzutreffenden Tatsachenbasis hergestellt oder das Vorliegen eines den Anspruch begründenden Sachverhalts behauptet wird (vgl. − 1 StR 138/21, NStZ 2023, 37, 38; Urteil vom – 4 StR 426/18, NJW 2019, 1759). Im Zusammenhang mit der Geltendmachung einer Forderung erwartet der Rechtsverkehr in erster Linie eine wahrheitsgemäße Darstellung, soweit die Tatsache wesentlich für die Beurteilung des Anspruchs ist und der Adressat sie aus seiner Situation nicht ohne Weiteres überprüfen kann (vgl. ‒ 5 StR 498/23, Rn. 35). Liegen keine Besonderheiten vor, kann das Tatgericht regelmäßig von allgemein verbreiteten, durch die Verkehrsanschauung und den rechtlichen Rahmen bestimmten Erwartungen auf den tatsächlichen Inhalt konkludenter Kommunikation schließen (, Rn. 19 ff. mwN). In diesem Sinne konkludent täuscht ein Täter, der gegenüber einem Leistungsträger tatsächlich erbrachte Leistungen abrechnet, ohne hierzu berechtigt zu sein (vgl. , Rn. 4; Beschluss vom – 4 StR 21/14, NStZ 2014, 640, 641).
12bb) Das Landgericht hat tragfähig begründet, dass die Angeklagte mit Einreichung der Rechnungen über die erbrachten Pflegeleistungen konkludent wahrheitswidrig auch erklärte, dass die geltend gemachten Pflegeleistungen unter der ständigen Verantwortung einer ausgebildeten Pflegefachkraft erbracht wurden. Es ist im Wege der Auslegung, die allein dem Tatgericht obliegt (vgl. ‒ 4 StR 21/14, Rn. 20), nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, dass die Erbringung der Pflegeleistungen unter der ständigen Verantwortung einer ausgebildeten Pflegefachkraft nach den insoweit maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen und vertraglichen Vereinbarungen von besonderer Bedeutung für die Frage der Erstattungsfähigkeit der erbrachten Pflegeleistungen war. Hiergegen ist von Rechts wegen nichts zu erinnern.
13Die für die Leistungserbringung in stationären Pflegeinrichtungen und für ambulante Pflegedienste gleichermaßen (vgl. BSGE 103, 78 Rn. 15, 17 zu § 71 Abs. 2 Nr. 1 SGB XI und Rn. 22 zu § 71 Abs. 1 SGB XI) zentrale Voraussetzung ist nicht nur für die „Zulassung“ eines Leistungserbringers, also für den Abschluss eines Versorgungsvertrags mit den Kranken- und Pflegekassen, sondern auch für die Abrechnungsfähigkeit der Pflegeleistungen von besonderer Bedeutung. Die Leistungserbringung unter der ständigen Verantwortung einer ausgebildeten Pflegefachkraft setzt voraus, dass sie die Pflegeleistungen zumindest in ihren Grundzügen selbst festlegt, ihre Durchführung organisiert und angemessen überwacht (vgl. BSGE 103, 78 Rn. 15, 17 zu § 71 Abs. 2 Nr. 1 SGB XI).
14Damit soll sichergestellt werden, dass die „pflegerische Gesamtverantwortung“ durch hinreichend qualifiziertes Fachpersonal wahrgenommen wird (vgl. BSG, aaO, Rn. 18 unter Hinweis auf BT-Drucks. 12/5952 S. 45 zu § 80 SGB XI). Die Einbindung einer verantwortlichen Pflegekraft in die Leistungserbringung soll die Qualität der Pflege garantieren; zugleich kommt ihr die Aufgabe zu, für eine den gesetzlichen und vertraglichen Anforderungen genügende Umsetzung der Pflegeansprüche Sorge zu tragen und die widerstreitenden Interessen im „Dreiecksverhältnis“ zwischen Pflegekasse, Leistungserbringer und Versicherten in einen angemessenen Ausgleich zu bringen (vgl. BSG, aaO, Rn. 20). Die gesetzlichen Regelungen zum Erfordernis einer verantwortlichen Pflegefachkraft zielen auf die selbstständige Sicherung der Pflegequalität. Die geforderte berufliche Qualifikation befähigt die Pflegefachkraft, insbesondere die Anwendung der Qualitätsmaßstäbe im Pflegebereich, die fachliche Planung der Pflegeprozesse, die fachgerechte Führung der Pflegedokumentation, die am Pflegebedarf orientierte Dienstplanung der Pflegekräfte sowie die regelmäßige Durchführung der Dienstbesprechungen innerhalb des Pflegebereichs zu verantworten (vgl. BSG, aaO). Die gesetzlichen Regelungen einschließlich der Verpflichtungen zur regelmäßigen Fortbildung belegen, dass die Qualität der Pflege nach der Vorstellung des Gesetzgebers nicht nur von der Qualifikation im unmittelbaren Betreuungsverhältnis zwischen Pflegekräften und Versicherten abhängig ist, sondern auch von der Steuerung der Pflegeprozesse durch eine ausgebildete Pflegefachkraft (vgl. BSG, aaO, Rn. 28). Neben der selbstständigen Sicherung der Pflegequalität kommt der Pflegefachkraft auch die Verantwortung zu, im Interesse der Kranken- und Pflegekassen für eine an den gesetzlichen und vertraglichen Anforderungen orientierte Umsetzung der Pflegeprozesse Sorge zu tragen.
15b) Ausweislich der beweiswürdigend tragfähig belegten Feststellungen gingen die zuständigen Sachbearbeiter der Kranken- und Pflegekassen in der Folge irrtümlich davon aus, dass die Pflegeleistungen wie vertraglich vereinbart erbracht worden waren und bezahlten die Rechnungen.
16In rechtlich nicht zu beanstandender Weise ist das Landgericht von einem Irrtum auch für den Tatzeitraum ab Juni 2015 ausgegangen, nachdem die Pflegeverträge bereits gekündigt waren. Die Strafkammer hat berücksichtigt, dass bei arbeitsteilig tätigen Unternehmen, Körperschaften und Personenmehrheiten in der Regel auch festzustellen ist, wer im konkreten Fall auf welcher Grundlage und mit welchen Vorstellungen die Entscheidung über die Erbringung der vom Täter erstrebten Leistung getroffen und damit die Verfügung vorgenommen hat (vgl. , NJW 2003, 1198, 1199). Denn bei – wie hier – juristischen Personen oder Behörden, die als solche nicht Subjekt eines Irrtums sein können (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 286/18; vom – 3 StR 500/09, NStZ-RR 2010, 146; vom – 3 StR 472/11, NStZ 2012, 699), kommt es auf das Vorstellungsbild derjenigen natürlichen Person an, die die Vermögensverfügung getroffen hat (vgl. , NJW 2003, 1198, 1199; MüKo-StGB/Hefendehl, 4. Aufl., § 263 Rn. 334; Tübinger Kommentar/Perron, StGB, 31. Aufl., § 263 Rn. 41a; Fischer, StGB, 72. Aufl., § 263 Rn. 67; Weißer, GA 2011, 333, 346; Eisele, ZStW 2004, 15, 28).
17Nach den Feststellungen des Landgerichts gingen die Rechnungen über die Pflegeleistungen bei den jeweiligen Sachbearbeitern der Kranken- und Pflegekassen ein und wurden ausschließlich von diesen überprüft. Die dazu zeugenschaftlich vernommenen Sachbearbeiter der AOK und BKK L. haben zur Überzeugung der Strafkammer glaubhaft bekundet, ihnen sei bei der Prüfung und Begleichung der Rechnungen nicht bekannt gewesen, dass die Pflegeverträge bereits zum Juni 2015 gekündigt waren.
18c) Den Kranken- und Pflegekassen ist durch die Bezahlung der Rechnungen ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB entstanden.
19aa) Ein solcher tritt ein, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des Gesamtwerts des Vermögens des Verfügenden führt (vgl. , Rn. 24, NStZ 2014, 640, 642; Urteil vom – 2 StR 79/12, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 77; Beschlüsse vom – 1 StR 45/11, BGHSt 57, 95, Rn. 75; vom – 3 StR 444/10, NStZ-RR 2011, 312).
20bb) Bei der Bemessung des Schadensumfangs ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der den Pflege- und Krankenkassen entstandene Schaden dem Gesamtbetrag der an den Pflegedienst geleisteten Zahlungen entspricht. Dem steht nicht entgegen, dass Pflegeleistungen in gewissem Umfang erbracht worden sind. Denn maßgeblich ist insoweit die für den Bereich des Sozialversicherungsrechts geltende streng formale Betrachtungsweise (BSGE 39, 288, 290; BSGE 133, 17, Rn. 20), nach der eine Leistung insgesamt nicht erstattungsfähig ist, wenn sie in Teilbereichen nicht den gesetzlichen oder vereinbarten Anforderungen genügt (vgl. , NStZ 1995, 85, 86; Urteil vom – 3 StR 161/02, NStZ 2003, 313, Rn. 11; Beschlüsse vom – 1 StR 45/11, NJW 2012, 1377, Rn. 81 f.; vom – 4 StR 21/14, NStZ 2014, 640, Rn. 28 f.; Urteil vom – 5 StR 558/19, NJW 2021, 90, Rn. 49; Beschluss vom – 1 StR 375/21, NStZ-RR 2022, 115).
21Der Vergütungsanspruch entfällt, wenn – wie hier – Pflegeleistungen nach dem SGB XI und V geltend gemacht werden, die entgegen §§ 71, 72 SGB XI (Pflegekassen) und § 132a SGB V (Krankenkassen) in Verbindung mit den jeweiligen Rahmenverträgen und den in Bezug genommenen Richtlinien sowie den getroffenen vertraglichen Vereinbarungen ohne eine verantwortliche Pflegefachkraft erbracht wurden (vgl. ; , Rn. 23 ff.; , Rn. 49 ff. unter Hinweis auf § 71 Abs. 2 Nr. 1 SGB XI). Entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin handelt es sich insoweit nicht nur um einen formalen Verstoß in der Organisation eines Pflegedienstes, sondern um einen bedeutsamen qualitativen Mangel der zu erbringenden Pflegeleistungen (s.o. II.2.a.bb.).
22Bei dieser Sachlage hatte die Angeklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch gegen die Kranken- und Pflegekassen auf Erstattung der geltend gemachten Pflegeleistungen, so dass ihnen bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise ein Schaden in voller Höhe entstanden ist (vgl. , aaO; Beschluss vom – 4 StR 21/14, aaO; zu Corona-Tests vgl. , Rn. 43).
23d) Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts handelte die Angeklagte auch vorsätzlich und in der Absicht, der E. GmbH einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen.
243. Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand. Jedoch kann die Einziehungsanordnung nicht bestehen bleiben.
25a) Das Landgericht ist in rechtlicher Hinsicht zutreffend davon ausgegangen, dass die Vermögensmehrung bei einer drittbegünstigten juristischen Person den Anwendungsbereich der § 73 Abs. 1, § 73c StGB zum Nachteil des handelnden Täters grundsätzlich nicht eröffnet (vgl. ‒ 3 StR 294/19, BGHSt 64, 234, 238). Vielmehr bedarf es zur Begründung einer Einziehungsanordnung gegen den für eine Gesellschaft handelnden Täter einer über die faktische Verfügungsgewalt hinausgehenden Feststellung, ob dieser selbst etwas erlangte, das zu einer Änderung seiner Vermögensbilanz führte ( vgl. , Rn. 28; Beschlüsse vom – 6 StR 426/21, Rn. 9; vom – 3 StR 447/18, BGHR StGB § 73 Erlangtes 27, Rn. 11). Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn der Täter die Gesellschaft nur als formalen Mantel nutzt und eine Trennung zwischen Täter- und Gesellschaftsvermögen tatsächlich nicht existiert, oder wenn jeder aus der Tat folgende Vermögenszufluss bei der Gesellschaft sogleich an den Täter weitergeleitet wird (vgl. , NZWiSt 2025, 164, 167; vom ‒ 3 StR 294/19, BGHSt 64, 234, 239; Beschluss vom – 4 StR 26/21, Rn. 7).
26b) Den Urteilsgründen kann auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs nicht entnommen werden, dass die Angeklagte die E. GmbH lediglich als einen formalen Mantel nutzte. Die Urteilsgründe sind auf die Feststellung beschränkt, dass die Angeklagte als alleinige Geschäftsführerin der E. GmbH und als alleinige Verfügungsberechtigte über das Konto der Gesellschaft Verfügungsgewalt über die betrügerisch erlangten Erlöse hatte. Hingegen fehlt es ‒ weitergehend ‒ an Feststellungen, die den vom Landgericht gezogenen Schluss rechtfertigen, dass die Angeklagte die GmbH tatsächlich als bloßen formalen Mantel nutzte. Die Urteilsgründe ergeben nicht, dass die GmbH über die aus den abgeurteilten Taten erzielten Taterträge hinaus keine weiteren Einkünfte erwirtschaftete. Dies hätte eingehender Erörterung bedurft, zumal das Tatgericht festgestellt hat, dass die GmbH auch auf anderen Geschäftsfeldern tätig war.
27c) Die Einziehungsentscheidung konnte auch nicht teilweise in Bezug auf konkrete Einzelbeträge aufrechterhalten werden. Denn die Feststellungen zu den von der Angeklagten im Tatzeitraum vereinnahmten Vermögenswerten sind lückenhaft. Sie werden in den Urteilsgründen nur pauschal und überschlagsartig („über 700.000 Euro“) mitgeteilt, so dass dem Revisionsgericht die Prüfung, ob hinsichtlich eines konkreten Teils der an die Angeklagte im Tatzeitraum erfolgten Zahlungen die Voraussetzungen einer Einziehungsanordnung nach § 73 Abs. 1, § 73c StGB vorlagen, nicht möglich ist. Dies gilt auch, soweit sich den Urteilsgründen vereinzelt konkrete Zahlungsflüsse mit einem Zahlungsgrund („2.105,27 Euro Lohn, 400 Euro Tankgeld und 2.500 Euro Miete für das Objekt in G. “) entnehmen lassen. Denn eine Überprüfung, ob die besonderen, den Zugriff auf das Vermögen der Angeklagten rechtfertigenden Umstände jeweils vorlagen, kann der Senat auch in diesen Fällen ohne nähere Angaben zu dem Geschäftsbetrieb der E. GmbH, den (vermeintlichen) Rechtsgrund und der buchhalterischen Erfassung der jeweils konkreten Transaktion nicht vornehmen.
III.
28Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
291. Sollte nicht festgestellt werden können, dass die Angeklagte die E. GmbH als bloßen Firmenmantel genutzt hat, wird zu klären sein, ob und inwieweit einzelne Taterträge jeweils unmittelbar nach Eingang auf dem Geschäftskonto der E. GmbH an die Angeklagte weitergeleitet wurden. Hierfür müssen die entsprechenden konkreten Zahlungswege, -beträge und -zeitpunkte festgestellt und belegt werden (vgl. ‒ 6 StR 426/21, Rn. 10).
302. Ungeachtet dessen wird zu prüfen sein, ob die an die Angeklagte ausgezahlten Beträge unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer nachgelagerten rechtsgrundlosen Vermögensweiterleitung als Tatlohn gemäß § 73 StGB („für die Tat“) einzuziehen sind (vgl. , Rn. 8; vom – 5 StR 443/19, Rn. 100; vom – 3 StR 294/19, NJW 2020, 1309, Rn. 38; Beschlüsse vom – 1 StR 422/23; vom – 2 StR 67/22, Rn. 11 f.; vom ‒ 1 StR 506/20, Rn. 26).
31Diesbezüglich wird zu erörtern sein, ob für die Weiterleitung des jeweiligen Vermögenswerts ein Rechtsgrund bestand. Lag dem Vermögenstransfer ein nicht „bemakelter“ Vertrag zugrunde, der mit der Straftat in keinem Zusammenhang stand, so ist die Einziehung regelmäßig ausgeschlossen (vgl. , Rn. 89). Ob ein solcher Rechtsgrund tatsächlich besteht oder ob der Tatlohn lediglich unter dem Deckmantel eines vorgetäuschten Anspruchs weitergeleitet wird, ist Tatfrage und im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (vgl. , Rn. 9; , Rn. 6, NZWiSt 2024, 461; Urteil vom – 6 StR 227/21, Rn. 45).
32Hierbei kann es – etwa bei der Abschöpfung eines Geschäftsführergehalts – gegebenenfalls auch geboten sein, im Wege einer – vorsichtigen, dem Zweifelsgrundsatz genügenden – Schätzung, Mindestbeträge zu ermitteln (vgl. , Rn. 29 f., NZWiSt 2024, 222, 225). Der Einziehung des Geschäftsführergehalts steht auch nicht entgegen, dass die Angeklagte Alleingesellschafterin und Geschäftsführerin der E. GmbH war, da die Angeklagte mit sich selbst und zugleich als Vertreterin der Gesellschaft eine entsprechende Unrechtsvereinbarung getroffen haben könnte (vgl. , Rn. 10, NZWiSt 2025, 164, 166; Urteil vom – 1 StR 57/23, Rn. 29 f., NZWiSt 2024, 222, 225).
Bartel Tiemann Fritsche
von Schmettau Arnoldi
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:070825B6STR239.24.0
Fundstelle(n):
SAAAJ-99888