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BGH Urteil v. - 2 StR 154/25

Instanzenzug: Az: 66 KLs 8/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Übergriff, unter Einbeziehung „des Urteils“ des zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe hat es zur Bewährung ausgesetzt.

2Mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen den Strafausspruch. Das Rechtsmittel erzielt den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg.

I.

31. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

4a) Der Angeklagte war im Rahmen seiner Ausbildung zum Physiotherapeuten im Zentrum für ambulante Rehabilitation tätig. Am gegen 10.00 Uhr suchte die unter Rückenschmerzen leidende Geschädigte S. den Angeklagten absprachegemäß zur manuellen Therapie in einem dafür vorgesehenen Behandlungszimmer auf. Ihr war nicht bekannt, dass der Angeklagte kein ausgebildeter Physiotherapeut war.

5Der Angeklagte forderte die Geschädigte auf, ihre Hose auszuziehen, ohne dass dies für eine Behandlung notwendig gewesen wäre. Die Geschädigte kam dem nach und legte sich mit dem Rücken auf die Behandlungsliege. Der Angeklagte massierte nunmehr ihren „Po-Muskel […] sowie ihre Leistengegend, wobei er seine Hände wiederholt in Richtung der Vulva der Geschädigten bewegte. Hierdurch verrutschte der Slip der Geschädigten […] derart, dass ihre Vulvalippen sichtbar wurde[n], was der Angeklagte auch bezweckte“. Obwohl die Geschädigte immer wieder die Hand des Angeklagten wegdrückte, setzte er unter Verwendung von Massageöl die Massage unverändert fort, so dass sich die Beine der Geschädigten, die mit der Situation überfordert war und eine Pressatmung entwickelte, immer weiter auseinander bewegten. Dabei wurde ihre Vulva vollständig freigelegt. Während der Massage sprach der Angeklagte die Geschädigte auf ihre Tattoos am Oberkörper an und schob ihr T-Shirt nach oben, um sich diese ansehen zu können. Der Angeklagte forderte sodann die Geschädigte auf, sich auf den Bauch zu legen. „Er hob ihr rechtes Bein an und strich mit der rechten Hand um die rechte Hüfte und über die Vulva der Geschädigten“, die das nicht wollte. Der Angeklagte, der allein zur Befriedigung seines Sexualtriebes handelte, beendete die medizinisch nicht indizierte Massage erst, als ein Kollege an die Tür des Behandlungszimmers klopfte und darauf hinwies, dass die Behandlungszeit schon überschritten sei (Fall B. I. der Urteilsgründe).

6b) Um 12.00 Uhr desselben Tages suchte die wegen vorangegangener Bandscheibenvorfälle in Behandlung befindliche Nebenklägerin den Angeklagten absprachegemäß zur manuellen Therapie im Behandlungszimmer auf. Auch ihr war nicht bekannt, dass der Angeklagte kein ausgebildeter Physiotherapeut war. Der Angeklagte schloss die Tür des Behandlungszimmers von innen ab, „um bei der Ausführung der Tat nicht entdeckt zu werden“. Die Nebenklägerin kam der Aufforderung des Angeklagten nach, zog ihr T-Shirt aus und legte sich mit dem Bauch auf die Behandlungsliege. Der Angeklagte massierte zunächst ihren Rücken, öffnete – mit Einverständnis der Nebenklägerin, die von einem therapeutischen Hintergrund ausging – ihren BH und forderte sie auf, sich auf den Rücken zu legen und „ruhig die Augen (zu)zumachen“.

7Der Angeklagten massierte „ihren Brustkorb und strich hierbei immer wieder über die Brustwarzen der Geschädigten. Anschließend nahm er Massagegel hinzu, ergriff die Brüste der Geschädigten und machte unter Verwendung des Gels kreisende Bewegungen“. Der Angeklagte bemerkte, dass die Nebenklägerin das nicht wollte. Er setzte sich sodann auf ihren Körper, forderte sie auf, ihre Arme nach oben zu nehmen, und begann von neuem ihre Brüste zu massieren. Gegen ihren für ihn erkennbaren Willen setzte er die medizinisch nicht indizierte Brustmassage bis zum Ende der Behandlungszeit fort. Als die Nebenklägerin aufstand, sah sie, dass der Angeklagte, der allein zur Befriedigung seines Sexualtriebes handelte, eine Erektion hatte (Fall B. II. der Urteilsgründe).

82. Die Strafkammer hat jeweils auf eine Einzelfreiheitsstrafe von sechs Monaten erkannt und mit der Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten aus der Vorverurteilung durch das der ein am begangener sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses zugrunde lag, eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren gebildet.

II.

9Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat überwiegend Erfolg.

101. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist zulässig und wirksam auf den Strafausspruch beschränkt.

11Zwar hat die Beschwerdeführerin unbeschränkt Revision eingelegt und mit deren Begründung einen umfassenden Aufhebungsantrag gestellt. Hinsichtlich des Angriffsziels ist aber der Sinn der Revisionsbegründung maßgeblich, ausweislich derer die Staatsanwaltschaft ausschließlich den Strafausspruch beanstandet. Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV (vgl. nur , Rn. 15 mwN) versteht der Senat das Revisionsvorbringen deshalb dahin, dass die Staatsanwaltschaft den Schuldspruch nicht angreifen will, sondern lediglich die Aufhebung des Strafausspruchs mit den getroffenen Feststellungen beantragt ist.

122. Das Rechtsmittel ist überwiegend begründet. Die Einzelstrafen haben in mehrfacher Hinsicht keinen Bestand, womit auch der Gesamtstrafe die Grundlage entzogen ist.

13a) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle durch das Revisionsgericht ist ausgeschlossen. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn ein Rechtsfehler vorliegt, namentlich das Tatgericht von einem falschen Strafrahmen ausgegangen ist, seine Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind oder es rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Acht gelassen hat, oder wenn sich die Strafe von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, soweit nach oben oder unten löst, dass ein grobes Missverhältnis von Schuld und Strafe offenkundig ist ( ‒ 3 StR 441/10, NStZ 2011, 270). Nur in diesem Rahmen kann eine „Verletzung des Gesetzes“ (§ 337 Abs. 1 StPO) vorliegen (vgl.  ‒ 2 StR 355/80, BGHSt 29, 319, 320; vom  ‒ 3 StR 625/94, NJW 1995, 2234, und vom  – 2 StR 158/21, NStZ-RR 2022, 105; Beschluss vom  ‒ GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349). In Zweifelsfällen hat das Revisionsgericht die Wertung des Tatgerichts hinzunehmen (st. Rspr.; vgl. , NStZ 2019, 138, 139 Rn. 12).

14b) Daran gemessen erweist sich die Strafzumessung des Landgerichts als durchgreifend rechtsfehlerhaft.

15aa) Im Fall B. I. der Urteilsgründe hat die Strafkammer die Voraussetzungen für die Annahme eines minder schweren Falles gemäß § 177 Abs. 9 Halbsatz 1 StGB nicht nachvollziehbar belegt.

16Das Landgericht hat die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens „insbesondere“ damit begründet, „dass der strafrechtlich relevante Übergriff nur kurz andauerte und von vergleichsweiser geringer Intensität war“. Weder den getroffenen Feststellungen noch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich allerdings eine Eingrenzung des Tatzeitraums entnehmen. Angesichts des festgestellten Geschehensablaufs versteht sich eine solche kurze Dauer auch nicht von selbst. Die weitere Wertung des Landgerichts, der strafrechtlich relevante Übergriff sei nur von „geringer Intensität“ gewesen, ist angesichts der vielfältig vorgenommenen sexualbezogenen Handlungen des Angeklagten nicht nachvollziehbar.

17bb) Die Strafkammer ist sodann im Fall B. I. der Urteilsgründe von einem falschen Strafrahmen ausgegangen. Sie hat die Strafe dem Strafrahmen des § 177 Abs. 9 Halbsatz 1 StGB entnommen, der eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren vorsieht. Hierbei hat sie übersehen, dass die Strafobergrenze auf Grund des tateinheitlich verwirklichten Delikts nach § 174c Abs. 1 StGB (weiterhin) fünf Jahre Freiheitsstrafe beträgt. Gegen dieses in § 52 Abs. 2 StGB normierte „Kombinationsprinzip“ (vgl. dazu , Rn. 6; TK-StGB/Sternberg-Lieben/Bosch, 31. Aufl., § 52 Rn. 36 f. mwN) hat das Landgericht verstoßen.

18cc) Im Fall B. II. der Urteilsgründe hat die Strafkammer zum Vorteil des Angeklagten einen für die Strafzumessung bedeutsamen Umstand nicht ausdrücklich angeführt. Der Angeklagte hat die Tür des Behandlungszimmers von innen abgeschlossen, „um bei der Ausführung der Tat nicht entdeckt zu werden“. Da der bei der Tat aufgewendete Wille grundsätzlich ein anerkannter Strafzumessungsumstand ist (vgl. Sander in: Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 7. Aufl., Rn. 617 ff. mwN), wäre das Landgericht insbesondere vor dem Hintergrund der unmittelbar zuvor im Fall B. I. der Urteilsgründe erfolgten Tatbeendigung veranlasst gewesen, die nunmehr umsichtige Planung des Angeklagten zu seinen Lasten zu würdigen.

19c) Die – ohnehin milden – Einzelstrafaussprüche beruhen auf den aufgezeigten Rechtsfehlern, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Landgericht ohne sie auf höhere Einzelstrafen erkannt hätte.

20d) Der Wegfall der Einzelstrafen entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage.

21e) Die zugrundeliegenden Feststellungen werden von den aufgezeigten Wertungsfehlern nicht berührt. Sie können daher – anders als von der Revisionsführerin beantragt – bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.

223. Die im Anfechtungsumfang nach § 301 StPO gebotene Überprüfung des Urteils führt zu keinem Erfolg zugunsten des Angeklagten.

234. Für die neu durchzuführende Hauptverhandlung weist der Senat im Hinblick auf die Gesamtstrafenbildung auf Folgendes hin:

24Die Zumessung der Strafhöhe darf nicht mit Erwägungen zur Strafaussetzung zur Bewährung vermengt werden. Das Tatgericht hat zunächst die schuldangemessene Strafe zu finden; erst, wenn sich ergibt, dass die der Schuld entsprechende Strafe innerhalb der Grenzen des § 56 Abs. 1 oder 2 StGB liegt, ist Raum für die Prüfung, ob auch die sonstigen Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung gegeben sind. Die Frage der Aussetzbarkeit der Strafvollstreckung darf zwar bei der Findung schuldangemessener Sanktionen unter dem Blick der Wirkungen, die von einer Strafe ausgehen (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB), mitberücksichtigt werden. Rechtsfehlerhaft sind solche Erwägungen bei der Strafzumessung aber dann, wenn eine zur Bewährung aussetzungsfähige Strafe nicht mehr innerhalb des Spielraums für eine schuldangemessene Strafe liegt. Denn von ihrer Bestimmung als gerechter Schuldausgleich darf sich die Strafe weder nach oben noch nach unten lösen (st. Rspr.; vgl. zum Ganzen , BGHSt 57, 123, 133 f. Rn. 41 ff., und vom  – 1 StR 371/24, Rn. 40, jeweils mwN).

                          Zeng                          Grube

                   Schmidt                Zimmermann

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:300725U2STR154.25.0

Fundstelle(n):
SAAAJ-99781