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BGH Beschluss v. - XIII ZB 44/22

Leitsatz

1.    Ein Richter auf Probe ist auch dann nicht zur Entscheidung über eine Beschwerde in Freiheitsentziehungssachen berufen, wenn die Beschwerde zunächst auf einen Planrichter als Einzelrichter übertragen und dessen Dezernat nachfolgend durch einen Proberichter übernommen wird.

2.    Zum Grundsatz des fairen Verfahrens (hier: keine Vereitelung der Teilnahme eines Bevollmächtigten bei der Anhörung durch das Gericht, wenn der Betroffene durch Anordnung einer nur einstweiligen Haft zuvor ausreichend Gelegenheit hatte, einen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt zu suchen).

Gesetze: § 68 Abs 4 S 1 FamFG, § 72 Abs 3 FamFG, § 547 Nr 1 ZPO, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG

Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 2-21 T 148/21vorgehend AG Frankfurt Az: 934 XIV 2184/21 B

Gründe

1I.    Der Betroffene, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste im Januar 2021 über Rumänien in das Bundesgebiet ein. Am stellte er einen Asylantrag, der mit Bescheid vom bestandskräftig und unter Anordnung der Abschiebung abgelehnt wurde.

2Das Amtsgericht hat zunächst mit einstweiliger Anordnung vom die vorläufige Freiheitsentziehung bis zum und sodann mit Beschluss vom die Freiheitsentziehung bis zum angeordnet. Nach Eingang der Beschwerde des Betroffenen hat das Beschwerdegericht durch Beschluss vom die Sache dem Berichterstatter als Einzelrichter übertragen. Nachdem der Betroffene am nach Rumänien überstellt worden war, ist die Beschwerde mit Beschluss vom durch einen Richter auf Probe als Einzelrichter zurückgewiesen worden. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Betroffene die Aufhebung dieses Beschlusses und die Feststellung, dass der ihn in seinen Rechten verletzt hat.

3II.    Der Einzelrichter hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens liege nicht etwa deshalb vor, weil der Betroffene im Anhörungstermin am erklärt habe, einen Rechtsanwalt mit der Vertretung beauftragen zu wollen und ihm am nicht erneut Gelegenheit zur Mandatierung eines Rechtsanwalts gegeben wurde. Der Betroffene habe zwischen den beiden Anhörungsterminen genug Zeit gehabt, sich um eine ordnungsgemäße anwaltliche Vertretung zu kümmern. Anhaltspunkte dafür, dass die vorgesehene Rechtsanwältin am überraschend und entgegen eigener, unmittelbarer, früherer Mitteilung an den Betroffenen von einer Vertretung abgesehen habe, bestünden nicht. Es gebe auch keine Zweifel an der Volljährigkeit des Betroffenen. Das Jugendamt habe sein Geburtsdatum nicht willkürlich fiktiv auf den festgesetzt, sondern aufgrund der Angaben des Betroffenen bei Aufgriffen durch die Polizei. Zudem sei der Bescheid des Jugendamtes zum Geburtsdatum des Betroffenen bestandskräftig.

4III.    Die zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

51.    Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde gemäß § 71 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FamFG, dass das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war (§ 72 Abs. 3 FamFG, § 547 Nr. 1 ZPO), weil über die Beschwerde ausweislich des angegriffenen Beschlusses ein Richter auf Probe als Einzelrichter entschieden hat.

6    §§ 58 ff. FamFG in einer Freiheitsentziehungssache hat die mit drei Richtern besetzte Zivilkammer des Landgerichts zu entscheiden (§ 72 Abs. 1 Satz 2, § 75 GVG

7b)    Anders als die beteiligte Behörde meint, ist ein Proberichter als Einzelrichter auch dann nicht zur Entscheidung über die Beschwerde berufen, wenn die Beschwerde zunächst auf einen Planrichter als Einzelrichter übertragen und dessen Dezernat nachfolgend durch einen Proberichter übernommen wird (Sternal in Sternal, FamFG, 21. Aufl., § 68 Rn. 133; Fritzsche in BeckOGK FamFG, Stand , § 68 Rn. 61.1; Obermann in BeckOK FamFG, Stand , § 68 Rn. 59). Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte die Übertragungsmöglichkeit auf Richter beschränkt sein, die auf Lebenszeit ernannt sind, weil eine Entscheidung durch einen Richter auf Probe als Einzelrichter im Hinblick auf die Tragweite einer Beschwerdeentscheidung verfehlt erscheint (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit [FGG-Reformgesetz - FGG-RG] vom , BT-Drucks. 16/6308, S. 208). Danach schließt § 68 Abs. 4 Satz 1 FamFG die Entscheidung über eine Beschwerde durch einen Proberichter als Einzelrichter generell aus.

8c)    Dahinstehen kann vorliegend, ob die Sache anlässlich eines solchen Dezernatswechsels der Kammer ohne weiteres wieder anfällt oder gemäß § 68 Abs. 4 Satz 1 FamFG, § 526 Abs. 2 Nr. 1 ZPO vom Proberichter der Kammer zur Übernahme vorzulegen ist. Da der absolute Rechtsbeschwerdegrund des § 72 Abs. 3 FamFG, § 547 Nr. 1 ZPO der Sache nach gerügt ist und vorliegt (vgl. Göbel in Sternal, aaO, § 72 Rn. 32), kommt es entgegen der Rechtsbeschwerdeerwiderung auch nicht darauf an, ob eine von Amts wegen zu beachtende willkürliche Zuständigkeitsüberschreitung des Proberichters vorgelegen hat (vgl. , juris Rn. 4 bis 10).

92.    Das Vorliegen des absoluten Rechtsbeschwerdegrunds gemäß § 72 Abs. 3 FamFG, § 547 Nr. 1 ZPO zwingt zur Aufhebung und Zurückverweisung; § 74 Abs. 2 FamFG findet keine Anwendung (Göbel in Sternal, aaO, § 74 Rn. 60; Fritzsche, aaO, § 72 Rn. 17; A. Fischer in MünchKomm.FamFG, 4. Aufl., § 72 Rn. 15; vgl. , DtZ 1993, 248 [juris Rn. 10]; Ball in Musielak/Voit, ZPO, 22. Aufl., § 547 Rn. 2; Brückner in BeckOGK ZPO, Stand , § 547 Rn. 15).

103.    

11a)    Entgegen der Rüge des Betroffenen dürfte das Amtsgericht den Grundsatz des fairen Verfahrens nicht verletzt haben. Wie der unzuständige Einzelrichter zutreffend angenommen hat, hat das Amtsgericht nach den dafür maßgeblichen Grundsätzen (st. Rspr.; vgl. nur , InfAuslR 2022, 331 Rn. 11 mwN) die Teilnahme eines Bevollmächtigten an der Anhörung nicht vereitelt. Es hat vielmehr, nachdem der Betroffene im ersten Anhörungstermin am einen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung beauftragen wollte, dem Betroffenen durch einstweilige Anordnung einer kurzen Haft und Bestimmung eines neuen Anhörungstermins auf den ausreichend Gelegenheit gegeben, einen vertretungsbereiten Rechtsanwalt zu finden. Gelingt dies dem Betroffenen oder - wie im vorliegenden Fall - einem Angehörigen, dem der Betroffene die Anwaltssuche überlassen hat, nicht, ist das Gericht nicht gehalten, wiederum eine kurze Haft im Wege der einstweiligen Anordnung anzuordnen und einen dritten Anhörungstermin zu bestimmen. Bis zur Einführung , der gemäß § 2 Abs. 14 Satz 5 AufenthG auch für das Verfahren auf Anordnung von Überstellungshaft gilt, war es Sache des Betroffenen, sich einen vertretungsbereiten Rechtsanwalt zu suchen. Es stellt keine Vereitelung der Teilnahme eines Bevollmächtigten am Anhörungstermin durch das Gericht dar, wenn der Betroffene, der dafür ausreichend Gelegenheit hat, keinen vertretungsbereiten Rechtsanwalt findet.

12b)    Entgegen der Rechtsbeschwerde dürfte es auch keinen Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 26 FamFG) darstellen, dass das Beschwerdegericht keine weiteren Ermittlungen zur Volljährigkeit des Betroffenen für erforderlich gehalten hat. Das Amtsgericht durfte ohne weitere Ermittlungen aufgrund des bestandskräftigen Bescheids des Jugendamts zur Altersfestsetzung nach § 42f SGB VIII vom von der Volljährigkeit des Betroffenen ausgehen. Der Betroffene hatte, nachdem er zuvor bei Aufgriffen durch die Polizei als Geburtsdatum mehrfach den genannt hatte, gegenüber dem Jugendamt am Vortag des Tages, an dem er nach seinen früheren Angaben volljährig geworden wäre, angegeben, am geboren zu sein. Das Jugendamt hat sodann aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes, des Verhaltens des Betroffenen und der weiteren Umstände festgestellt, dass das Geburtsdatum nicht den tatsächlichen Verhältnissen entspricht und dieses aufgrund der Gesamtumstände entsprechend den früheren Angaben des Betroffenen auf den festgesetzt. Dagegen hat der Betroffene sich nicht gewendet.

Roloff                         Tolkmitt                        Picker

            Vogt-Beheim                   Holzinger

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:290725BXIIIZB44.22.0

Fundstelle(n):
LAAAJ-99672