Tatbestand
1Im Streit steht die Erstattung von Kosten für ein Paar propriozeptive (synonym für sensomotorische) Einlagen.
2Die 2002 geborene, bei der beklagten Krankenkasse gesetzlich versicherte Klägerin leidet an einer muskulären Dysbalance und Außenrotation des linken Fußes. Den 2019 unter Vorlage fachärztlicher Verordnung gestellten Antrag auf propriozeptive Einlagen in Sonderanfertigung lehnte die Beklagte ab. Bei dem Behandlungskonzept der Sensomotorik auf neurophysiologischer Basis mit sensomotorischen Einlagen handele es sich um eine unkonventionelle Methode, für die der Gemeinsame Bundesausschuss keine positive Empfehlung ausgesprochen habe (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom ).
3Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben: Die Einlagen dienten der Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung, weil sie in engem Zusammenhang zu einem andauernden, auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlungskonzept stünden. Mit Hilfe gezielter Stimulation werde eine gestörte Bewegungskoordination verbessert, während herkömmliche Einlagen nur das Fußgewölbe unterstützten. Die streitigen Einlagen seien von der Sperrwirkung des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V erfasst. Die erforderliche positive Bewertung der neuen Behandlungsmethode durch den Gemeinsamen Bundesausschuss fehle. Im Hilfsmittelverzeichnis seien propriozeptive Einlagen mit dem Hinweis versehen, dass die erforderlichen Nachweise zum medizinischen Nutzen bislang nicht vorlägen (; ).
4Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§ 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 iVm § 33 Abs 1 Satz 1 Var 1 bzw Var 3 SGB V). Es handele sich bei den streitgegenständlichen Einlagen um ein Hilfsmittel, das dem Behinderungsausgleich diene; insofern bedürfe es keiner positiven Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses, um in die Leistungspflicht der Krankenkassen zu fallen.
Gründe
7Die Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat mangels einer positiven Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses keinen Anspruch gegen die beklagte Krankenkasse auf Kostenübernahme für ein Paar propriozeptive (sensomotorische) Einlagen.
81. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die Entscheidungen der Vorinstanzen und der Bescheid vom in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom , durch den die Beklagte die beantragte Kostenübernahme für die Einlagen der Klägerin abgelehnt hat. Hiergegen wendet sich die Klägerin zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG).
92. Rechtsgrundlage der geltend gemachten Kostenübernahme ist § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB V (in der insoweit unveränderten Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom , BGBl I 2266). Danach sind, wenn eine Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Vorschrift erstreckt ihren Anwendungsbereich über den ausdrücklich geregelten Kostenerstattungsanspruch hinaus auch auf eine Kostentragung in Form der Kostenfreistellung (stRspr; vgl - BSGE 129, 290 = SozR 4-2500 § 138 Nr 3, RdNr 8). Voraussetzung hierfür ist, dass im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung ein primärer Sachleistungsanspruch bestand (stRspr; vgl etwa - BSGE 137, 69 = SozR 4-2500 § 135 Nr 32, RdNr 11). Einen solchen Leistungsanspruch hat die Klägerin indes nicht.
103. Rechtsgrundlage des Sachleistungsanspruchs ist § 33 Abs 1 Satz 1 Var 1 SGB V (in der seither unveränderten Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom , BGBl I 378). Hiernach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (Var 1), einer drohenden Behinderung vorzubeugen (Var 2) oder eine Behinderung auszugleichen (Var 3), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind (vgl zum Hilfsmittelbegriff nur - SozR 4-2500 § 33 Nr 48 RdNr 11).
11a) Die Senatsrechtsprechung differenziert beim Einsatz von Hilfsmitteln des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V nach deren Funktionalität und schwerpunktmäßiger Zielrichtung bzw Zwecksetzung (vgl - SozR 4-2500 § 33 Nr 54 RdNr 15 mwN). Ein Hilfsmittel dient der "Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung", wenn es im Rahmen einer Krankenbehandlung (§ 27 Abs 1 Satz 1 SGB V), dh zu einer medizinisch-therapeutischen Behandlung einer Erkrankung als der Kernaufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem SGB V eingesetzt wird (vgl BSG ebenda).
12b) So liegt es hier. Nach den Feststellungen des LSG leidet die Klägerin an muskulärer Dysbalance und Außenrotation des linken Fußes. Diese Funktionsbeeinträchtigungen stellen behandlungsbedürftige Erkrankungen (§ 11 Abs 1 Nr 4 SGB V) mit eigenem Krankheitswert dar und sind der Krankenbehandlung iS des § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V zugänglich. Die Einordnung des Hilfsmittels zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung durch das LSG auf der Grundlage der beigezogenen medizinischen Unterlagen (Facharzt für Allgemeinmedizin S vom ; Bericht des Kinder- und Jugendarztes F vom ; Gutachten des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie M vom ) ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Einlagen dienen der Unterstützung der Fußsohle durch gezielt eingesetzte sensorische Impulse zur aktiven Korrektur der Fußstellung im freien Gang und Stand. Sie sollen im Rahmen der Krankenbehandlung einen therapeutischen Effekt hin zu einer funktionellen Korrektur der Fußfehlhaltungen haben und werden im Rahmen einer ärztlich verantworteten Behandlung eingesetzt, um den "Erfolg der Krankenbehandlung" zu sichern (vgl zum Zusammenhang von Krankenbehandlung und Hilfsmittel näher - juris RdNr 27). Im Vordergrund steht mithin die Versorgung im Sinne der Behandlungsziele des § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V mit dem primären Ziel der kurativ-therapeutischen Einwirkung (vgl - BSGE 125, 189 = SozR 4-2500 § 13 Nr 41, RdNr 27 ff, 32). Bereits aufgrund der gesonderten Anfertigung ist nicht von einem Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens auszugehen (vgl - SozR 4-2500 § 33 Nr 55 RdNr 13).
134. Als Hilfsmittel zur Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung fehlt sensomotorischen Einlagen eine positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses, um sie zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgeben zu können.
14a) Zwar steht der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht die fehlende Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis entgegen (stRspr; vgl - BSGE 119, 180 = SozR 4-2500 § 139 Nr 7, RdNr 16 und bereits - SozR 4-2500 § 33 Nr 33 RdNr 10). Eine Krankenkasse darf Hilfsmittel, die im Rahmen einer neuen vertragsärztlichen Behandlungs- oder Untersuchungsmethode eingesetzt werden, aber regelmäßig erst nach einer positiven Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss gewähren (vgl - SozR 4-2500 § 33 Nr 51 RdNr 25). Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen nach § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V in der vertragsärztlichen Versorgung zulasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss auf Antrag Empfehlungen abgegeben hat über ua die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Der Begriff der "Behandlungsmethode" beschreibt dabei eine medizinische Vorgehensweise, der ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (stRspr; vgl - SozR 4-2500 § 33 Nr 47 RdNr 32).
15b) Dieser Methodenvorbehalt in Bezug auf Nutzen, etwaige Risiken und die Wirtschaftlichkeit wesentlicher, bisher nicht geprüfter Neuerungen greift bei Hilfsmitteln, bei denen sich Fragen zur Erforderlichkeit einer Methodenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss ernstlich stellen. Insofern entfaltet § 135 Abs 1 SGB V seine Sperrwirkungen im Hinblick auf jedes in der gesetzlichen Krankenversicherung neu einzusetzende Hilfsmittel, solange das dazu berufene - und entsprechend interessenplural zusammengesetzte - Beschlussgremium des Gemeinsamen Bundesausschusses noch nicht entschieden hat, ob dessen Einsatz gemessen an den Schutzzwecken des § 135 Abs 1 SGB V einer Bewertung zu unterziehen ist oder ob sich die Voraussetzungen für die Versorgung und die dabei einzuhaltenden Maßgaben hinreichend sicher aus der fraglichen Methode ableiten lassen (vgl - BSGE 136, 122 = SozR 4-2500 § 33 Nr 57, RdNr 14, 20, 22, 25 und - juris RdNr 15 und 17).
16c) An einer positiven Methodenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss mangelt es für sensomotorische Einlagen derzeit. Ihr Einsatz unterfällt dem weiten Begriff der Behandlungsmethode, die bei einem bestimmten Krankheitsbild systematisch angewandt werden soll und die hier im Rahmen eines auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlungskonzepts zur gezielten Stimulation der gestörten Bewegungskoordination therapeutisch ausgerichtet ist. Dieses Behandlungskonzept unterscheidet sich von der herkömmlichen Methode, nach der "traditionelle" orthopädische Einlagen primär statisch unterstützend auf die Fußstruktur einwirken, um Fehlstellungen auszugleichen. Bei dem Einsatz des im Streit stehenden therapeutischen Hilfsmittels stellen sich hinsichtlich der Schutzzwecke des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V Fragen zur Erforderlichkeit einer Methodenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss. Dies zeigt sich für den streitgegenständlichen Zeitraum schon an der Bewertung der propriozeptiven Einlagen durch den GKV-Spitzenverband im Verfahren der Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses in der Produktgruppe 08 "Einlagen" vom , nach der die Auswertung des aktuellen Stands der medizinischen Erkenntnisse unter Berücksichtigung der Stellungnahmen der Fachgesellschaften ergeben hat, dass der medizinische Nutzen derartiger Einlagen bislang weiterhin nicht nachgewiesen ist, und steht im Einklang mit den Bewertungen der Fachgesellschaften, nach denen eine evidenz-basierte Studienlage derzeit hierzu nicht vorliegt (vgl dazu Federführende Fachgesellschaft Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie <DGOOC>, S2k-Leitlinie "Kindlicher Knick-Senk-Fuß", Januar 2017, AWMF-Registernummer 033/020, S 15).
175. Die Notwendigkeit der Empfehlung besteht bei einem - wie hier - mit einer neuen Behandlungsmethode untrennbar verbundenen Hilfsmittel auch dann, wenn mit dem Hilfsmittel neben kurativen oder präventiven Zwecken auch weitere Versorgungsziele des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V wie der Ausgleich einer Behinderung verfolgt werden. Nach der jüngeren Rechtsprechung des BSG steht dem wegen der in beiderlei Hinsicht sich stellenden Frage nach der medizinischen Eignung derzeit auch die Sperrwirkung des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V entgegen, wonach mindestens bei jedenfalls auch zu kurativen oder präventiven Zwecken bestimmten Hilfsmitteln ausschließlich vom Gemeinsamen Bundesausschuss Feststellungen zum allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu treffen sind, wenn sie in medizinischer Hinsicht wesentliche, bisher nicht geprüfte Neuerungen betreffen (vgl - juris RdNr 19 mwN).
186. Schließlich liegen keine Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall vor, in dem eine Behandlungsmethode ausnahmsweise ohne positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung zuzulassen ist (vgl dazu - SozR 4-2500 § 33 Nr 51 RdNr 52 ff). Insbesondere liegt kein sog Systemversagen des Gemeinsamen Bundesausschusses vor, das der Sperrwirkung ausnahmsweise entgegenstehen könnte (vgl - BSGE 119, 180 = SozR 4-2500 § 139 Nr 7, RdNr 18 und zu den Voraussetzungen eines Systemversagens bereits - BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 17 f; - BSGE 117, 10 = SozR 4-2500 § 13 Nr 32, RdNr 16 ff mwN). Anhaltspunkte hierfür liegen schon im Hinblick auf die Bewertung des GKV-Spitzenverbandes im Rahmen der Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses in der Produktgruppe 08 "Einlagen" vom , dass der medizinische Nutzen der sensomotorischen Einlagen weiterhin nicht nachgewiesen ist, nicht vor.
19Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2025:120625UB3KR1223R0
Fundstelle(n):
WAAAJ-99583