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BGH Beschluss v. - 1 StR 254/25

Instanzenzug: LG Würzburg Az: JK KLs 801 Js 16708/20 jug

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt, von der drei Monate wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat bereits mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfahrensbeanstandungen nicht ankommt.

I.

21. Nach den Feststellungen tötete der damals 17-jährige Angeklagte am Abend des die ihm seit längerer Zeit bekannte 13-jährige B., indem er sie auf dem Tennenboden eines Reiterhofes in Bauchlage mindestens zehn Minuten würgte. Zuvor hatte er die Geschädigte unter dem Vorwand, ihm bei der Versorgung seines Pferdes zu helfen, auf den nur über eine Holzleiter zugänglichen Heuboden gelockt. Für den konkreten Tathergang hat das Landgericht alternativ insgesamt elf mögliche Geschehensabläufe festgestellt. Dabei hat es jeweils als feststehend erachtet, dass der Angeklagte die Getötete im Zusammenhang mit dem Würgevorgang oder im unmittelbaren Anschluss daran entkleidete, ihren Unterkörper entblößte und nicht näher feststellbare sexuelle Handlungen an ihr vornahm, die dazu führten, dass sein Sperma auf ihre Monatsbinde und seine DNA auf ihre Unterwäsche gelangte.

3a) Entweder habe der Angeklagte die Getötete auf dem Tennenboden unmittelbar angegriffen, wobei im Zusammenhang damit folgende Alternativen denkbar seien:

4aa) Der Angeklagte habe die Absicht verfolgt, sich an B. sexuell zu vergehen, wobei er von Anfang an vorhatte, sie im Anschluss zu töten, um zu verhindern, dass er wegen seiner vorherigen sexuellen Annäherungen einer Strafverfolgung ausgesetzt werden könnte. Dabei versah sich die Getötete beim Erklimmen der Leiter keiner Gefahr für Leib und Leben, was der Angeklagte bewusst und gewollt ausnutzte; wie von diesem beabsichtigt konnte sie seinem späteren Angriff auf ihr Leben nichts mehr entgegensetzen (Ziff. C. II. 2 a] a., „Untervariante 1.1“, der Urteilsgründe).

5bb) Möglich sei – unter ansonsten gleichbleibenden Umständen – auch, dass der Angeklagte die Getötete bei gleicher Motivlage erst auf dem Tennenboden unerkannt angriff und sich die Getötete dagegen nicht mehr wehren konnte (Ziff. C. II. 2 a] b., „Untervariante 1.2“, der Urteilsgründe).

6cc) Oder der Angeklagte habe – unter ansonsten gleichbleibenden Umständen – zunächst nur die Absicht verfolgt, sich an der Getöteten sexuell zu vergehen, und den Entschluss zur Tötung erst gefasst, nachdem er sie auf dem Heuboden unerkannt angegriffen und zu Boden gebracht hatte, ohne sich Gedanken über eine mögliche Strafverfolgung zu machen (Ziff. C. II. 2 a] c., „Untervariante 1.3“, der Urteilsgründe).

7b) Denkbar sei aber auch, dass der Angeklagte die Getötete gewaltlos zu sexuellen Handlungen habe motivieren wollen und von ihr abgewiesen worden sei. Als sich die eines bevorstehenden Angriffs nicht bewusste Getötete abgewandt habe, sei Folgendes passiert:

8aa) Entweder der Angeklagte habe sie aus Verärgerung über die Zurückweisung unvermittelt von hinten angegriffen und dabei gezielt ausgenutzt, dass sich die Getötete keines Angriffes versehen habe (Ziff. C. II. 2 b] a., „Untervariante 2.1“, der Urteilsgründe).

9bb) Oder der Angeklagte habe die Getötete unvermittelt gewaltsam zu Boden gebracht, um sich sexuell an ihr zu vergehen. Als sich die Getötete gegen die Vornahme sexueller Handlungen wehrte, habe sie der Angeklagte gewürgt und sich dabei die fortwirkende Einschränkung ihrer Verteidigungsmöglichkeiten gezielt zunutze gemacht (Ziff. C. II. 2 b] b., „Untervariante 2.2“, der Urteilsgründe).

10cc) Oder der Angeklagte habe die Getötete gewaltsam zu Boden gebracht und erwürgt, nachdem diese sich zur Wehr gesetzt oder zu entkommen versucht hatte. In dieser Variante seien drei Untervarianten denkbar. Entweder habe der Angeklagte in der Absicht gehandelt, den Widerstand gegen seine sexuellen Handlungen zu überwinden (Ziff. C. II. 2 b] c. i., „Unteruntervariante 2.3.1“, der Urteilsgründe), oder er habe die Absicht gehabt, sich einer potentiellen Strafverfolgung zu entziehen (Ziff. C. II. 2 b] c. ii., „Unteruntervariante 2.3.2“, der Urteilsgründe), oder sei über die Zurückweisung durch die Geschädigte verärgert gewesen (Ziff. C. II. 2 b] c. iii., „Unteruntervariante 2.3.3“, der Urteilsgründe).

11c) Schließlich komme auch in Frage, dass sich der Angeklagte der Getöteten sofort sexuell genähert habe, ohne zuvor versucht zu haben, sie zu einvernehmlichen sexuellen Handlungen zu motivieren. Es sei möglich, dass sich die Getötete dagegen vehement und lautstark gewehrt und der Angeklagte sie daraufhin gewaltsam zu Boden gebracht und erwürgt habe. Bezüglich seiner Handlungsmotivation seien auch im Rahmen dieser Variante verschiedene Untervarianten denkbar. So könne der Angeklagte die Getötete entweder in der Absicht erwürgt haben, ihren Widerstand gegen seine sexuellen Handlungen zu überwinden (Ziff. C. II. 2 c] a., „Untervariante 3.1“, der Urteilsgründe) oder, um zu verhindern, einer potentiellen Strafverfolgung ausgesetzt zu sein (Ziff. C. II. 2 c] b., „Untervariante 3.2“, der Urteilsgründe) oder aus Verärgerung über die vorangegangene Zurückweisung (Ziff. C. II. 2 c] c., „Untervariante 3.3“, der Urteilsgründe).

12Weitere denkbare Tatabläufe hat das Landgericht ausgeschlossen. Soweit der Obduktionsbericht, vier dazu eingeholte Sachverständigengutachten, eine Blutspurenauswertung sowie die Analyse von Vergleichsschamhaaren ergeben hatten, dass der Getöteten im Zusammenhang mit dem Würgevorgang ein spitz zulaufender Holzpfahl mit einem Durchmesser von fünf Zentimetern gewaltsam bis zum Muttermund eingeführt worden war, hat sich das Landgericht keine Überzeugung zu bilden vermocht, dass diese Handlung ebenfalls dem Angeklagten zuzurechnen sei, obwohl es dies für „äußerst naheliegend“ (UA S. 6) gehalten hat und Spuren einer weiteren Person nicht festgestellt werden konnten.

132. Seiner Strafzumessung hat das Landgericht die zuletzt genannte Variante (Ziff. C. II. 2 c] c., „Untervariante 3.3“, der Urteilsgründe) zugrundegelegt. Es hat diese Tatsachengrundlage als die für den Angeklagten günstigste erachtet, weil dieser danach allein das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe verwirklicht habe und nicht auszuschließen sei, dass der Tatentschluss „durch eine kränkende und möglicherweise gar körperliche Zurückweisung bedingt war“ (UA S. 175).

II.

14Die Revision des Angeklagten ist begründet; die Verurteilung wegen Mordes auf wahldeutiger Tatsachengrundlage entbehrt einer tragfähigen Beweiswürdigung. Auf den mit der Verfahrenrüge zudem zu Recht geltend gemachten Verstoß gegen § 38 JGG kommt es daher nicht mehr an.

151. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist rechtsfehlerhaft.

16a) Im Ausgangspunkt zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass eine Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage auch im Hinblick auf die alternative Verwirklichung verschiedener Mordmerkmale rechtlich möglich ist. Eine Verurteilung auf alternativer Tatsachengrundlage (sogenannte unechte Wahlfeststellung) setzt voraus, dass innerhalb des durch § 264 StPO gezogenen Rahmens nicht eindeutig aufzuklären ist, ob der Angeklagte denselben Straftatbestand durch das eine oder andere Verhalten erfüllt hat, aber sicher ist, dass er die Tat verwirklicht hat und andere, straflose Handlungen ausgeschlossen sind (st. Rspr.; vgl. Rn. 9 mwN und vom – 3 StR 1199/51, BGHSt 2, 351; Beschlüsse vom  – 5 StR 464/21 Rn. 12 und vom  – 2 StR 391/20 Rn. 13 f.). Eine wahldeutige Verurteilung ist damit nur zulässig, wenn das Tatgericht zwar die Überzeugung von einem bestimmten Geschehensablauf trotz Ausschöpfung aller Beweismittel nicht zu gewinnen vermag, jedoch die Gewissheit erlangt hat, dass von zwei oder mehreren tatbestandsmäßigen Sachverhaltsvarianten (die jede für sich den Erfolg herbeigeführt haben können) eine mit Sicherheit vorliegt. Es müssen sich die in Betracht kommenden Geschehensabläufe derart zueinander verhalten, dass das Tatgericht bei gedanklicher Ausschaltung der einen Möglichkeit von der anderen überzeugt ist. Diesbezüglich müssen die Urteilsfeststellungen die mehreren Tatmodalitäten im Einzelnen darlegen, andere Möglichkeiten sicher ausschließen und sämtliche für erwiesen erachtete Tatsachen, in denen die objektiven und subjektiven Merkmale der zur Überzeugung des Gerichts allein in Betracht kommenden strafbaren Verhaltensweisen gesehen werden, ausweisen. Dabei bestehen umso strengere Anforderungen, je mehr Geschehensabläufe in Betracht kommen (vgl. Rn. 4; Beschluss vom  – 5 StR 464/21 Rn. 12). Diese Voraussetzungen müssen durch eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung in den Urteilsgründen belegt sein.

17b) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, widersprüchlich oder unklar ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Rn. 5; vom – 1 StR 421/22 Rn. 9 und vom – 3 StR 288/19 Rn. 19; jeweils mwN). Rechtsfehlerhaft ist auch, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.; vgl. etwa Rn. 9; vom – 3 StR 288/19 Rn. 19 und vom – 1 StR 261/17 Rn. 20; jeweils mwN).

18c) An den vorstehenden Maßstäben gemessen erweist sich die der wahldeutigen Tatsachengrundlage zugrundeliegende Beweiswürdigung des Landgerichts als rechtsfehlerhaft.

19aa) Sie ist lückenhaft und widersprüchlich.

20(1) Die Urteilsgründe belegen die Gewissheit des Landgerichts, dass eine der insgesamt elf tatbestandsmäßigen Sachverhaltsvarianten mit Sicherheit vorliegt, indessen zugleich nicht feststellbar ist, welche davon, weder lückenlos noch widerspruchsfrei. Die Beweiswürdigung lässt vielmehr besorgen, das Landgericht habe zwar eine Vielzahl theoretisch in Betracht kommender Geschehensabläufe durchdacht, sich aber am Ende keine sichere Überzeugung davon bilden können, dass sie bei gedanklicher gleichermaßen möglicher Ausschaltung von jeweils acht Möglichkeiten vom Vorliegen der noch verbleibenden neunten überzeugt ist. Dieser Mangel an richterlicher Überzeugungsbildung entzieht der Verurteilung wegen Mordes auf wahldeutiger Tatsachenbasis die Grundlage. So bewertet das Landgericht etwa bei der Würdigung der ersten beiden Tatvarianten (Ziff. C. II. 2 a] und Ziff. C. II. 2 b] der Urteilsgründe), die von einem unterschiedlichen Zeitpunkt des Tötungsentschlusses ausgehen, dessen Fassung erst nach Betreten des Heubodens aber vor Beginn des Angriffs als „auch nicht gänzlich ausgeschlossen“ (UA S. 144). Bezüglich der Tatmotivation des Angeklagten im Falle der Variante unter Ziff. C. II. 2 a) c. der Urteilsgründe, welche davon ausgeht, der Angeklagte habe den Tötungsentschluss erst im Zuge der körperlichen Auseinandersetzung mit der Getöteten gefasst, soll nach den Urteilsgründen „lediglich spekuliert werden“ (UA S. 145) können. Der für eine – auch wahldeutige – Verurteilung erforderliche Überzeugungsgrad ist damit nicht dargetan. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung auch bei der Würdigung der Tatmotivation des Angeklagten in der unter Ziff. C. II. 2 b) c. i. des Urteils dargestellten Tatvariante, derzufolge sich die Getötete gegen sexuelle Handlungen des Angeklagten gewehrt haben könne. Hier hält das Landgericht die Motivation des Angeklagten, die Getötete in der Absicht der Ermöglichung sexueller Handlungen erwürgt zu haben, für „am wahrscheinlichsten“ (UA S. 151), was sie auch mit objektivierbaren Beweisanzeichen belegt (DNA-Spuren des Angeklagten an der Unterwäsche und Monatsbinde der Getöteten). Ausgehend hiervon war für die weiteren für möglich befundenen Tatvarianten, die das Landgericht selbst für „weniger wahrscheinlich“ gehalten hat (UA S. 152), kein Raum.

21(2) Die Beweiswürdigung ist ferner insofern lückenhaft, als das Landgericht bezüglich sämtlicher Grundvariationen im objektiven Ablauf verschiedene Beweggründe des Angeklagten für denkbar hält, diese aber jeweils nur isoliert betrachtet. Weshalb nicht etwa auch ein Motivbündel vorgelegen haben kann, erörtert das Landgericht nicht. Dies löst sich auch durch den – komplexen – Gesamtkontext des Urteils nicht auf.

22(3) Schließlich sind auch die Ausführungen des Landgerichts zur Motivation des Angeklagten in der unter Ziffer C. II. 2 c] c., „Untervariante 3.3“, der Urteilsgründe nicht völlig widerspruchsfrei. Während das Landgericht einerseits davon ausgeht, der Angeklagte habe in dieser Tatvariante aus Wut und Verärgerung über eine vorangegangene Zurückweisung gehandelt, und dies als niedrigen Beweggrund im Sinne des § 211 StGB wertet (UA S. 163 ff.), schließt es an späterer Stelle des Urteils nicht aus, dass der Tatentschluss „durch eine kränkende und möglicherweise gar körperliche Zurückweisung bedingt war“ (UA S. 175). Die in diesem Fall erforderliche Gesamtbewertung der Handlungsmotivation des Angeklagten nimmt das Landgericht allerdings nicht vor; sie wäre auch nicht beweiswürdigend unterlegt.

23bb) Es beschwert den Angeklagten nicht, dass das Landgericht zudem rechtsfehlerhaft Umstände zu seinen Gunsten unterstellt, für die das Beweisergebnis keinen Anhaltspunkt erbracht hat (vgl. dazu etwa Rn. 11 und vom – 2 StR 258/16 Rn. 17; Beschluss vom – 1 StR 111/03 Rn. 14 f.). Auch diese Fehler in der Beweiswürdigung lassen jedoch besorgen, dass sich das Tatgericht letztlich von keinem bestimmten Tatgeschehen eine Überzeugung bilden konnte und stattdessen alle theoretisch denkbaren Tatvarianten nebeneinandergestellt hat.

24(1) Dies gilt vor allem für die Ansicht des Landgerichts, dass ein Dritter den Holzpfahl in den Körper der Getöteten eingeführt haben könne. Das Landgericht selbst hat dies als „nicht sehr wahrscheinlich“ (UA S. 155) erachtet und als Motiv dafür allein die Verwischung der „Spurenlage durch 'Beschädigung' des Intimbereichs“ (UA S. 155) erkannt, welches nur der Angeklagte haben konnte. Zugleich ist es davon ausgegangen, dass im Bereich des Tatorts allein Spuren des Angeklagten und der Getöteten gesichert werden konnten und Anhaltspunkte, die auf eine weitere Person hätten hindeuten können, nicht bestanden. Über das sich aus diesen Umständen ergebende schwerwiegende Verdachtsmoment ist es indessen rechtsfehlerhaft hinweggegangen, weil es die erörterte Alternativtäterschaft lediglich pauschal in den Raum gestellt, jedoch nicht mit konkreten Feststellungen unterlegt hat. Das Landgericht hat insoweit aus dem Blick verloren, dass jedwede Spuren, die auf eine weitere Person hindeuten, gerade nicht festgestellt worden sind. Einen anderen oder weiteren Täter hat es unter umfangreicher Würdigung der Spuren- und Erkenntnislage ausgeschlossen (UA S. 101 bis 126). Eine an objektivierbaren Anhaltspunkten orientierte Würdigung enthält das Urteil auch sonst nicht; für die Annahme des Dazwischentretens eines Dritten fehlt jeder Beleg (so auch UA S. 136). Soweit das Landgericht hier die Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannt hat (vgl. etwa Rn. 7; vom – 5 StR 127/21 Rn. 11 und vom – 3 StR 105/21 Rn. 6; jeweils mwN), steht das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO dem Angeklagten ungünstigen neuen Feststellungen im zweiten Rechtsgang nicht entgegen. Seine Wirkung beschränkt sich auf Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat (st. Rspr.; vgl. etwa , BGHSt 45, 308, 310; Beschluss vom – 3 StR 193/21 Rn. 12 mwN).

25(2) Die Reichweite des Zweifelssatzes hat das Landgericht auch insoweit verkannt, als es in einer der für möglich gehaltenen Tatabläufe von einer Kränkung des Angeklagten durch die Getötete ausgegangen ist, die ihn zur Tat hingerissen haben könnte. Anhaltspunkte, die hierauf hindeuten, bestehen nicht. Insbesondere hat das Landgericht die Getötete nach eingehender Beweiserhebung und unter Würdigung verschiedener festgestellter Begebenheiten (UA S. 31 ff.) als „zuverlässiges, offenes, freundliches und hilfsbereites Mädchen“ (UA S. 14) charakterisiert. Für eine Anwendung des Zweifelssatzes, der keine Beweisregel, sondern eine Entscheidungsregel ist ( Rn. 15), fehlt es insoweit an einer Grundlage.

262. Der Angeklagte, der zur Tatzeit 17 Jahre und einen Monat alt war, beanstandet ferner mit der Verfahrensrüge zu Recht, dass die Jugendgerichtshilfe nicht entsprechend § 38 Abs. 2 und 4, § 50 Abs. 3 JGG vom Hauptverhandlungstermin unterrichtet worden ist. Der Beitrag der Jugendgerichtshilfe soll es ermöglichen, ein möglichst vollständiges Bild der persönlichen Verhältnisse und des sozialen Umfelds des Täters zu erlangen (§ 38 Abs. 2 JGG). Dies hat nicht nur für die – hier gemäß § 1 Abs. 1 und 2 JGG obligatorische – Anwendbarkeit des Jugendstrafrechts Bedeutung, sondern auch für die Aufklärung von für den Schuldumfang bedeutsamen Tatsachen, die sich auf die Strafzumessung auswirken können (vgl. dazu Rn. 14 f.; Beschluss vom – 1 StR 123/00 Rn. 4). Die Pflicht zur Heranziehung der Jugendgerichtshilfe entfiel deshalb auch nicht dadurch, dass der Angeklagte zur Zeit der Hauptverhandlung bereits Erwachsener war (vgl. mN). Um einen Fall des § 338 Nr. 5 StPO handelt es sich insoweit allerdings nicht (vgl. § 50 Abs. 3 Satz 1; so auch MüKoStPO-Höffler, 2. Aufl., JGG § 38 Rn. 21; Ostendorf/Sommerfeld, 11. Aufl., JGG, § 38 Rn. 29; BeckOK StPO-Goers, 56. Ed. , JGG § 38 Rn. 10; aA Eisenberg/Kölbel-Kölbel, 26. Aufl., JGG § 38 Rn. 85). Ob vorliegend ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil gegen den zwischenzeitlich 48-jährigen Angeklagten auf dem Verfahrensfehler beruht (§ 337 Abs. 1 StPO), kann der Senat offenlassen.

273. Die Sache bedarf nach alldem umfassender neuer Verhandlung und Entscheidung.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:100725B1STR254.25.0

Fundstelle(n):
RAAAJ-99576