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BGH Beschluss v. - 6 StR 84/25

Instanzenzug: LG Frankfurt (Oder) Az: 24 KLs 8/24

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sach- und auf Verfahrensrügen gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die Verfahrensrügen versagen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts.

32. Die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge führt zur Aufhebung des Maßregelausspruchs.

4a) Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der 33 Jahre alte Angeklagte an paranoider Schizophrenie. Am Tattag nahm er wahnbedingt an, der Nebenkläger terrorisiere ihn und habe ihn mehrfach mit dem Tod bedroht. Er lief auf den Nebenkläger zu, als dieser im Begriff war, seine Haustür aufzuschließen, ergriff ihn und versetzte ihm in der Annahme, sich gegen Angriffe auf sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit wehren zu müssen, mit einem etwa 40 Zentimeter langen Beil einen Schlag auf die rechte Schulter. Hierdurch erlitt der Nebenkläger eine drei Zentimeter lange und drei Zentimeter tiefe Wunde, die genäht werden musste.

5Die Strafkammer hat die Tat als gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB gewertet. Sachverständig beraten ist sie zu dem Ergebnis gelangt, dass der Angeklagte ohne Schuld im Sinne von § 20 StGB gehandelt habe. Die Voraussetzungen des § 63 StGB hat sie als erfüllt angesehen.

6b) Die Maßregelanordnung hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

7aa) Die für eine Unterbringung nach § 63 StGB erforderliche Gefährlichkeit ist gegeben, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde. Diese Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens (Art, Häufigkeit und Rückfallfrequenz früherer Taten) und der von ihm begangenen Anlasstat zu entwickeln (vgl. , Rn. 6; Urteil vom – 6 StR 154/24, Rn. 5; Beschluss vom – 2 StR 341/23, Rn. 14). Neben der konkreten Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung sind die auf die Person des Täters und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren einzustellen, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung künftiger Straftaten belegen können. Das Tatgericht ist nicht nur zu einer sorgfältigen Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen, sondern auch dazu verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte seiner Prüfung in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom – 6 StR 244/25, Rn. 6; vom – 2 StR 436/19, Rn. 5; vom – 5 StR 336/18, Rn. 7).

8bb) Danach ist die Gefahrenprognose nicht tragfähig begründet. Die Erwägungen sind lückenhaft.

9Das Landgericht hat ‒ der Einschätzung des Sachverständigen folgend ‒ auf die bestehende unbehandelte paranoide Schizophrenie abgestellt, die auch in Zukunft erwarten lasse, dass sich der Angeklagte wahnbedingt gegen vermeintliche Angriffe verteidigen werde. Auch zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung sei der Angeklagte noch in seinem Wahn, der zur Anlasstat geführt habe, verhaftet gewesen. Eine Behandlung lehne der Angeklagte ab. Somit bestehe die in der Tat zutage getretene Gefährlichkeit fort und es seien erhebliche Taten vergleichbar mit der Anlasstat, möglicherweise auch mit tödlichem Ausgang, zu erwarten. Hierdurch können Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder gefährdet werden.

10Das Landgericht hat nicht erkennbar berücksichtigt, dass der nach den Feststellungen langjährig an psychischen Auffälligkeiten leidende Angeklagte bis zur Anlasstat nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten war. Hierzu wäre es aber gehalten gewesen, denn dieser Umstand kann – jedenfalls, wenn der Defekt bereits länger besteht – ein wichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom  – 3 StR 12/25, Rn. 13; vom  – 4 StR 408/24, Rn. 13; vom – 6 StR 106/20, Rn. 14). Die bisherige Straffreiheit bedurfte hier insbesondere deshalb näherer Erörterung, weil die psychischen Auffälligkeiten des Angeklagten zwar bereits acht Jahre vor der Anlasstat zu einem Umzug aus einer Gemeinschaftsunterkunft in eine eigene Wohnung führten, aber keine Ereignisse bedingten, die auf eine krankheitsbedingte Neigung zu Gewaltdelinquenz hindeuten könnten (vgl. , Rn. 13). Darüber hinaus ging der Angeklagte bis zu seiner Inhaftierung einer regulären Beschäftigung nach.

113. Die Sache bedarf daher hinsichtlich der Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt auch den Freispruch des Angeklagten auf (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO). Es ist nicht auszuschließen, dass die neue tatgerichtliche Verhandlung und die zur Erstellung einer aktuellen Gefährlichkeitsprognose erforderliche erneute Begutachtung des Angeklagten eine abweichende Beurteilung seiner Schuldfähigkeit bei Begehung der Anlasstat ergeben könnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 6 StR 564/24, Rn. 16; vom – 5 StR 54/18, Rn. 7). Das neue Tatgericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung der isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (vgl. BGH, Beschlüsse vom  – 6 StR 564/24, Rn. 16; vom – 6 StR 247/20, Rn. 21; vom – 5 StR 229/10, Rn. 11).

12Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben und um ihnen nicht widersprechende ergänzt werden (§ 353 Abs. 2 StPO).

134. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

14a) Auch für die Prüfung, ob ein „überdauernder Zustand“ im Sinne von § 20 StGB besteht, können die Gründe vorangegangener stationärer Aufnahmen und die gestellten Diagnosen in den Blick zu nehmen sein. Hierzu kann zumal Anlass bestehen, wenn die Diagnose ‒ wie hier ‒ nicht völlig gesichert erscheint, sondern die Ausführungen des Sachverständigen, der keine „sogenannten Erstrangsymptome einer schizophrenen Psychose“ festzustellen vermochte, dahin wiedergegeben werden, dass sich die psychiatrische Erkrankung „am ehesten als paranoide Schizophrenie diagnostizieren“ lasse.

15b) Die Frage der Steuerungsfähigkeit ist grundsätzlich erst dann zu prüfen, wenn der Täter in der konkreten Tatsituation einsichtsfähig war (vgl. BGH, Beschlüsse vom  – 3 StR 229/23, Rn. 15; vom – 5 StR 125/22, Rn. 10; vom  – 6 StR 298/20, Rn. 3).

16c) Das Landgericht wird bei der Gefährlichkeitsprognose auch das gesamte Verhalten des Angeklagten während der einstweiligen Unterbringung zu bewerten haben. Dieses ist grundsätzlich prognoserelevant und damit gleichfalls erörterungsbedürftig (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 12/25, Rn. 16; vom – 1 StR 253/19, Rn. 6).

Bartel                    Fritsche                    von Schmettau

            Arnoldi                    Dietsch

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:060825B6STR84.25.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-99518