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BVerwG Beschluss v. - 9 B 3.25

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Az: 4 L 254/23 Urteil

Gründe

I

1Die Klägerin ist seit April 2017 Eigentümerin von zwei Grundstücken in der E.-Straße in B. Sie wendet sich gegen den Beitragsbescheid vom , mit dem der Beklagte sie zu Beiträgen i. H. v. insgesamt 484 035,55 € für die Herstellung der zentralen öffentlichen Schmutzwasserbeseitigungsanlage herangezogen hat. Der Bescheid ist gestützt auf § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA i. V. m. der rückwirkend zum in Kraft getretenen Schmutzwasserbeitragssatzung des Abwasserzweckverbandes B. vom .

2Dieser Abwasserzweckverband hatte bereits die frühere Eigentümerin der Grundstücke mit Beitragsbescheid vom sowie mit Änderungsbescheid vom für den Herstellungsbeitrag in Anspruch genommen. Gegen den ersten Bescheid hatte die frühere Eigentümerin erfolgreich geklagt; das Gericht hielt die damals zugrundegelegte Schmutzwasserbeitragssatzung für nichtig. Das zweite Verfahren haben die Beteiligten mit Blick auf den zwischenzeitlichen Eigentümerwechsel nach einem Hinweis des Gerichts für erledigt erklärt.

3Den gegen den streitgegenständlichen Beitragsbescheid gerichteten Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte unter anderem mit der Begründung zurück, die sachliche Beitragspflicht für das klägerische Grundstück sei "erst mit Eintragung der beschränkt persönlichen Dienstbarkeit auf dem Grundstück", also im Jahr 2016, entstanden. Zuvor habe zur öffentlichen Abwasseranlage lediglich der Verbindungssammler gehört, nicht aber der zu den Grundstücken der Klägerin führende Anschlusskanal, der 1996 durch eine Erschließungsunternehmerin verlegt worden sei und sich in einem Privatgrundstück befunden habe. Deshalb habe vor 2016 keine auf Dauer gesicherte Anschlussmöglichkeit an die Abwasserbeseitigungseinrichtung des Beklagten bestanden. Die Fristenregelung der §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA (zeitliche Obergrenze für den Vorteilsausgleich) stehe der Beitragsfestsetzung nicht entgegen, da für den Begriff der "Vorteilslage" ebenfalls auf die "betriebsfertige Herstellung" abzustellen sei.

4Das Verwaltungsgericht wies die Klage der Klägerin ab. Zwar sei die Vorteilslage i. S. v. §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA entgegen der Auffassung des Beklagten bereits mit dem faktischen Anschluss der klägerischen Grundstücke an die zentrale öffentliche Abwasserbeseitigungseinrichtung im Jahr 1996 entstanden. Vorliegend finde aber die nach § 13b Satz 2 KAG LSA entsprechend geltende Regelung des § 171 Abs. 3a AO (Ablaufhemmung) zugunsten des Beklagten Anwendung. Der Eigentumswechsel und der damit verbundene Umstand, dass der Beitragsbescheid der Klägerin gegenüber neu erlassen worden sei, stehe dem nicht entgegen. Zwar beziehe sich die Regelung des § 171 Abs. 3a AO, wie sich aus dessen Satz 2 ergebe, auf den "Steueranspruch", also auf den Anspruch aus dem Abgabenschuldverhältnis nach § 38 AO zwischen Abgabengläubiger und Abgabenschuldner. Angesichts des Zwecks des § 171 Abs. 3a Satz 3 AO sowie des Umstands, dass diese Regelung hier nur entsprechend anzuwenden sei, der Beitragsanspruch grundstücksbezogen entstehe und demgemäß nach § 6 Abs. 9 KAG LSA als öffentliche Last auf dem Grundstück ruhe, sei die Vorschrift hier dahin zu verstehen, dass die Festsetzungsfrist hinsichtlich des auf das Grundstück bezogenen Beitragsanspruchs gehemmt sei und die Hemmung damit auch gegenüber einem Rechtsnachfolger nach Eigentumsübertragung gelte.

5Das Verwaltungsgericht ließ die Berufung "zur Klärung der von den Verwaltungsgerichten Halle und Magdeburg unterschiedlich beantworteten Rechtsfrage zu [...], ob den Vorgaben der §§ 13b Satz 1, 18 Abs. 2 KAG LSA nur dann Rechnung getragen wird, wenn auch die sachliche Beitragspflicht vor Ablauf dieser Frist entstanden ist sowie zur Klärung der noch ungeklärten Rechtsfrage, ob § 13b KAG LSA i. V. m. § 171 Abs. 3a Satz 3 AO in der von der Kammer angenommenen Weise verfassungskonform auszulegen ist".

6Das Oberverwaltungsgericht gab der von der Klägerin eingelegten Berufung statt. Die vom Landesgesetzgeber in § 13b Satz 1, § 18 Abs. 2 KAG LSA festgelegte Ausschlussfrist sei zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides am bereits abgelaufen gewesen, weil die Vorteilslage i. S. v. § 13b Satz 1 KAG LSA spätestens im Jahr 1996 eingetreten sei und der gegenüber der seinerzeitigen Eigentümerin erlassene Beitragsbescheid vom die Hemmung der Ausschlussfrist gegenüber der Klägerin nicht erfolgreich nach § 171 Abs. 3a AO habe in Gang setzen können. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift sei nicht nur in sachlicher Hinsicht auf das konkret in Streit gezogene Steuerschuldverhältnis beschränkt, sondern auch in personeller Hinsicht begrenzt. Der Fristablauf werde nur gegenüber demjenigen gehemmt, gegen den die Steuerfestsetzung gerichtet sei und der die Steuerfestsetzung mit einem Rechtsbehelf angreife. Ein Dritter, der nicht von Anfang an Beteiligter gewesen sei, dürfe darauf vertrauen, nicht mehr in das Verfahren einbezogen zu werden. Auf die weitere vom Verwaltungsgericht für klärungsbedürftig gehaltene Frage komme es damit nicht an.

7Das Oberverwaltungsgericht ließ die Revision nicht zu. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beklagten.

II

8Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

91. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. nur 5 B 12.24 - juris Rn. 2).

10Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht.

11Die Frage,

"ob der in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte und vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom (1 BvR 2457/08) entwickelte Grundsatz der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit eine Auslegung zulässt, die den vorstehend benannten, dem verfassungsrechtlichen Grundsatz innewohnenden Ausgleichsgedanken, der im Landesrecht durch die dort veranlassten Verjährungsregelungen (§§ 13b, 18 II KAG-LSA) ordnungsgemäß umgesetzt ist, ignoriert und damit einseitig zulasten des öffentlichen Interesses am Vorteilsausgleich und der kommunalen Finanzautonomie verschiebt, indem

aa) das Gericht über den Wortlaut der landesrechtlichen Regelung hinaus unter Berufung auf den Grundsatz der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit eine Vorteilslage schon dann annimmt, wenn der öffentliche Aufgabenträger dem Grundstückseigentümer keine unmittelbare Anschlussmöglichkeit bieten kann, der Grundstückseigentümer sich also zunächst an eine Abwasserbeseitigungsanlage eines Dritten anschließt,

- die auf einem Privatgrundstück durch einen privaten Erschließungsunternehmer geplant und errichtet wurde, mithin einem privaten Erschließungsunternehmer gehört,

- die der private Erschließungsunternehmer dem kommunalen Abwasserentsorger nicht übergibt und die von diesem nicht abgenommen oder in seinen Dienst gestellt wird,

- für die auch der an diese Anlage angeschlossene Grundstückeigentümer keine (vom öffentlichen Aufgabenträger erkennbaren) gesicherten Nutzungsrechte besitzt, für die also das (Mit-)Benutzungsrecht des angeschlossenen Grundstückseigentümers in der Sphäre des Grundstückseigentümers, nicht des öffentlichen Aufgabenträgers, liegt,

- und die der Grundstückseigentümer lediglich benutzt, um sein Abwasser an anderer Stelle der öffentlichen Abwasserbeseitigungseinrichtung übergeben zu können.

bb) das Gericht unter Berufung auf den Grundsatz der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit die finanzgerichtliche Rechtsprechung zur beschränkten persönlichen - nämlich rein bilateralen - Wirkung des § 171 Abs. 3a AO auch auf das grundstücksbezogene Anschlussbeitragsrecht überträgt, mit der Folge, dass es

- einerseits den kommunalen Abwasserentsorgern selbst dann untersagt ist, den Rechtsnachfolger des vormaligen Eigentümers und Beitragspflichtigen innerhalb der Frist des §§ 13b S. 2, 13 Abs. 1 Nr. 4 lit. b) KAG-LSA i.V.m. § 171 Abs. 3a AO heranzuziehen, wenn der vormalige Eigentümer noch innerhalb der relevanten Verjährungsfristen beschieden wurde und die Rechtsnachfolge erst zwischen der gerichtlichen Aufhebung dieses Bescheides und dem Neuerlass gern. §§ 13b S. 2, 13 Abs. 1 Nr. 4 lit. b) KAG-LSA i.V.m. § 171 Abs. 3a AO i.V.m. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO erfolgt, und

- es andererseits dadurch dem ursprünglichen Beitragsschuldner komplett offensteht, die Beitragserhebung durch zwischenzeitlichen Verkauf des Grundstücks für sich und zugleich auch für den neuen Grundstückseigentümer abzuwenden, mithin sein Grundstück ausschließlich aufgrund privater Rechtsgestaltungen dauerhaft zulasten des öffentlichen Refinanzierungsinteresses zu einem 'beitragsfreien' Grundstück gemacht werden kann".

rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Schon die Formulierung der Frage, die zahlreiche konkrete Sachverhaltsdetails und subjektive Wertungen enthält ("ignoriert", "einseitig", "verschiebt", "über den Wortlaut der landesrechtlichen Regelung hinaus") erfüllt nicht die Anforderungen an die Darlegung einer abstrakten fallübergreifenden Rechtsfrage. Sie belegt vielmehr, dass es um die Anwendung des Grundsatzes der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit auf einen konkreten Einzelfall geht. Dass die vorliegende besondere Fallkonstellation in der Rechtswirklichkeit häufig auftritt, behauptet die Beschwerde - zuletzt im Schriftsatz vom (S. 8, 19 f. und 24) - zudem nur, legt dies aber nicht näher dar. Im Übrigen betreffen beide Unterfragen die Auslegung von irrevisiblem Landesrecht.

12a) Bei der ersten Unterfrage (oben unter aa)) geht es um den Begriff "Eintritt der Vorteilslage" i. S. d. §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA (zeitliche Obergrenze für den Vorteilsausgleich). Das Oberverwaltungsgericht geht - trotz der hier vorliegenden Besonderheiten der privaten Herstellung des Mischwasserkanals und der bis 2016 fehlenden Eintragung der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit - ebenso wie schon zuvor das Verwaltungsgericht davon aus, dass die Vorteilslage bereits mit dem faktischen Anschluss der klägerischen Grundstücke an die zentrale öffentliche Abwasserbeseitigungseinrichtung im Jahr 1996 und nicht erst im Jahr 2016 entstanden ist.

13Mit seiner Grundsatzrüge zielt der Beklagte auf eine Überprüfung dieser Auffassung durch das Revisionsgericht. Die Auslegung und Anwendung des Kommunalabgabengesetzes des Landes Sachsen-Anhalt und die nähere Bestimmung des in §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA geregelten Vorteilsbegriffs ist jedoch eine Frage des Landesrechts, die dem Oberverwaltungsgericht vorbehalten ist; dessen Vorteilsverständnis und Interpretation der abgabenrechtlichen Vorschriften sind grundsätzlich auch in einem Revisionsverfahren zugrunde zu legen (vgl. nur 9 B 33.22 - juris Rn. 10 m. w. N.).

14b) Auch hinsichtlich der zweiten Unterfrage (oben unter bb)) zielt der Beklagte mit seiner Grundsatzrüge auf eine Überprüfung der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts zur Auslegung von Landesrecht.

15Das Oberverwaltungsgericht hat sich der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung, die Hemmungswirkung des § 171 Abs. 3a AO erstrecke sich wegen der Grundstücksbezogenheit des Herstellungsbeitrags, der nach § 6 Abs. 9 KAG LSA als öffentliche Last auf dem Grundstück ruhe, auch auf neue Eigentümer, nicht angeschlossen. Der Anwendungsbereich des § 171 Abs. 3a AO sei vielmehr in sachlicher Hinsicht auf das konkret in Streit gezogene Steuerschuldverhältnis und in personeller Hinsicht auf den Bescheidadressaten begrenzt. Entgegen der Auffassung des Beklagten ergebe sich nichts Anderes daraus, dass der Landesgesetzgeber in § 13b Satz 2, § 13 Abs. 1 Nr. 4 KAG LSA eine "entsprechende Anwendung" des § 171 AO angeordnet habe; die - näher bezeichneten - Gesetzgebungsmaterialien seien insoweit unergiebig. Zwischen der Steuerfestsetzung und der Abgabenerhebung bestünden auch keine Unterschiede solchen Gewichts, die die Erweiterung der Hemmungswirkung zulasten nicht beteiligter Dritter gebieten würden. Schließlich führe auch § 6 Abs. 9 KAG LSA zu keinem anderen Ergebnis; in diesem Zusammenhang verweist das Gericht auf § 12 GrStG, wonach auch die Grundsteuer als öffentliche Last auf dem Steuergegenstand ruhe, ohne dass dies etwas an der Tatbestandsvoraussetzung der persönlichen Steuerschuld ändere (vgl. zum Vorstehenden UA S. 16 ff.).

16Die vorgenannten Annahmen betreffen irrevisibles Landesrecht, nämlich erneut die Auslegung des § 13b KAG LSA. Soweit das Oberverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang auch § 171 Abs. 3a AO, also eine bundesrechtliche Vorschrift, in seine Prüfung einbezieht, beruht dies auf der in § 13b Satz 2 i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG LSA angeordneten entsprechenden Geltung von § 169 Abs. 1 Satz 3 und § 171 AO mit gewissen Maßgaben. Die Vorschriften der Abgabenordnung gelangen damit nicht unmittelbar innerhalb des vom Bundesgesetzgeber bestimmten Geltungsbereichs zur Anwendung, sondern werden lediglich durch die landesrechtlichen Verweisungsregelungen für entsprechend anwendbar erklärt und damit kraft des Rechtsanwendungsbefehls des Landesgesetzgebers in das Landesrecht inkorporiert; sie teilen deshalb dessen Rechtscharakter und sind insoweit ebenfalls nicht revisibel (stRspr, vgl. nur 9 B 45.20 - juris Rn. 4 <ebenfalls zum KAG LSA>, Beschluss vom - 9 B 58.19 - juris Rn. 5 <zum KAG HE>).

17c) Soweit die Beschwerde die Revisibilität daraus herleiten will, dass im Mittelpunkt der von ihr aufgeworfenen Grundsatzfrage unmittelbar Bundesrecht, nämlich "die Frage nach dem Gehalt und der Reichweite des bundesverfassungsrechtlichen Grundsatzes der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit", stehe (Beschwerdebegründung S. 32), genügt das nicht den Darlegungsanforderungen. Die Beschwerde erkennt selbst, dass der bloße Hinweis, ein Gericht habe in seiner Auslegung und Anwendung des Landesrechts die bundes(verfassungs)rechtlichen Vorgaben nicht hinreichend beachtet, nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht ausreicht, um die Revisibilität einer Rechtsfrage zu begründen. Mit der Rüge einer fehlenden oder unzureichenden Beachtung von Bundes(verfassungs)recht lässt sich die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vielmehr nur dann begründen, wenn gerade die Auslegung der bundesrechtlichen Norm ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (stRspr, vgl. nur 9 B 4.24 - juris Rn. 9 m. w. N.). Hieran fehlt es. Die Beschwerde geht letztlich nicht über den Hinweis hinaus, das Oberverwaltungsgericht habe den Grundsatz der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit wiederholt zur Rechtfertigung seiner Rechtsauffassung herangezogen und ihn bei seiner Auslegung des Landesrechts verletzt.

18Die ergänzenden Ausführungen im Schriftsatz vom rechtfertigen keine andere Beurteilung. Soweit darin geltend gemacht wird, dass zur Vorteilslage im Sinne des Grundsatzes der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit neben der Anforderung der technischen Betriebsfertigkeit der Anlage auch gehöre, dass der tatsächliche Zugriff des Aufgabenträgers auf die Anlage möglich und vorhanden sein müsse, und einer tatsächlich beitragsrelevanten Vorteilslage hier entgegenstehe, dass die Anlage keine öffentlich-rechtliche und damit der beitragsrechtlich "abzugreifende" Vorteil selbst noch kein öffentlich-rechtlich erzeugter Vorteil sein könne, überzeugt dies nicht. Denn Gegenstand des abgerechneten beitragsrechtlich relevanten Vorteils ist nicht allein der Mischwasserkanal in der E.-Straße, sondern die zentrale öffentliche Abwasserbeseitigungseinrichtung B., die von der Klägerin tatsächlich genutzt wurde und zu deren Herstellungskosten sie anteilig herangezogen werden soll. Dabei handelt es sich unstreitig um eine öffentliche Einrichtung des Aufgabenträgers.

192. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen.

20a) Eine Verletzung der Pflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, ist nicht den Anforderungen von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt.

21Zur Begründung eines Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz muss substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände nach der materiell-rechtlichen Auffassung der Vorinstanz, die insoweit selbst dann maßgeblich ist, wenn sie verfehlt sein sollte, Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14, vom - 6 B 12.16 - Buchholz 402.10 § 3 NÄG Nr. 83 Rn. 6 und vom - 9 BN 3.16 - NVwZ-RR 2017, 1037 Rn. 4). Daran fehlt es.

22Die Beschwerde macht geltend, das Oberverwaltungsgericht habe es unterlassen, das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen für die - ihrerseits von dem Begriff der Vorteilslage i. S. d. § 13b Satz 1 KAG LSA vorausgesetzte - betriebsfertige öffentliche Abwassereinrichtung aufzuklären, obwohl die Erschließung gänzlich durch private Dritte auf privatem Grund erfolgt sei und der Beklagte als öffentlicher Abwasserentsorger bis zum Jahr 2016 die Anlage weder abgenommen noch genutzt, unterhalten oder anderweitig genaue Kenntnis von deren Beschaffenheit und Einzelheiten gehabt habe. Konkret habe das Oberverwaltungsgericht versäumt, hierzu den Erschließungsvertrag des Beklagten mit dem Erschließungsunternehmen aus dem Jahre 1996 sowie deren Korrespondenz aus dem Jahre 2016 zu würdigen, obwohl beide Gegenstand der gerichtlichen Verfahrensakte gewesen seien. Ergänzend wäre auch das Grundbuch für die E.-Straße einzubeziehen gewesen, welches aufgezeigt hätte, dass für andere Anliegergrundstücke privatrechtliche (Grund-)Dienstbarkeiten bestellt worden seien.

23Eine nähere Aufklärung der vorgenannten Umstände war nach der maßgeblichen Rechtsauffassung der Vorinstanz nicht erforderlich. Danach kommt es für den Begriff der Vorteilslage im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf rein tatsächliche, für den möglichen Beitragsschuldner erkennbare Gegebenheiten, nicht aber auf eine rechtlich dauerhaft gesicherte Anschlussmöglichkeit an (vgl. hierzu UA S. 11 f.). Hiervon ausgehend hält es das Gericht für ausreichend, dass eine betriebsfertige öffentliche Abwassereinrichtung im Jahre 1996 dadurch entstanden ist, dass das Klärwerk und die von dort bis zum Verbindungssammler im Bereich des H.-Rings verlaufenden Schmutzwasserleitungen des Abwasserzweckverbandes B. nach den geltenden technischen Anforderungen endgültig hergestellt waren und dass die klägerischen Grundstücke an diese öffentliche Einrichtung faktisch über den Mischwasserkanal in der E.-Straße angeschlossen waren (UA S. 12). Es fehlt mithin an der Entscheidungserheblichkeit.

24Hiervon abgesehen erschließt sich nicht, welche Erkenntnisse die von der Beschwerde geforderte weitere Aufklärung gebracht hätte. Denn das Oberverwaltungsgericht erkennt durchaus an, dass wegen der fehlenden Eintragung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit die rechtlich gesicherte Anschlussmöglichkeit der klägerischen Grundstücke an die öffentliche Einrichtung des Abwasserzweckverbands B. bis 2016 fehlte. Es bewertet diesen Umstand im Hinblick auf die gesetzlich vorgeschriebene Höchstgrenze für den Vorteilsausgleich lediglich anders, als es der Beklagte für richtig hält.

25b) Auch eine Verletzung des Anspruchs des Beklagten auf rechtliches Gehör nach § 108 Abs. 2 VwGO und Art. 103 Abs. 1 GG zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf. Sie trägt insoweit vor, das Oberverwaltungsgericht sei ohne vorherigen Hinweis von seiner bisherigen Rechtsprechung zur Bestimmung der Vorteilslage (hier: Erfordernis einer rechtlich dauerhaft gesicherten Anschlussmöglichkeit) abgewichen (vgl. hierzu UA S. 12 oben).

26Ein Überraschungsurteil liegt nur vor, wenn das Gericht, das auf den Inhalt der beabsichtigten Entscheidung regelmäßig nicht vorab hinweisen muss, auf eine rechtliche Sichtweise oder auf eine bestimmte Bewertung des Sachverhalts abstellt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (stRspr, vgl. nur 6 B 52.17 - juris Rn. 6). Hiervon kann keine Rede sein. Die Frage der Bestimmung der Vorteilslage war ein zentraler - schriftsätzlich diskutierter - Streitpunkt der Beteiligten. Auch das Verwaltungsgericht hat sich ausführlich mit dieser Frage befasst und im Ergebnis - wie nun auch das Oberverwaltungsgericht - angenommen, dass die Vorteilslage schon mit dem faktischen Anschluss der klägerischen Grundstücke an die zentrale öffentliche Abwasserbeseitigungslage entstand; auf die erst 2016 erfolgte Eintragung der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit sei hingegen nicht abzustellen (VG-Urteil UA S. 30 ff.). Im Übrigen wurde die Frage des Eintritts der Vorteilslage im Sinne des § 13b KAG LSA ausweislich des Sitzungsprotokolls vom auch in der mündlichen Verhandlung erörtert. Vor diesem Hintergrund konnten die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts für den Beklagten nicht überraschend sein.

27Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:220825B9B3.25.0

Fundstelle(n):
PAAAJ-99192