Instanzenzug: LG Hildesheim Az: 26 KLs 5/23
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge sowie Handeltreibens mit Cannabis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und eine Kompensationsentscheidung getroffen. Zugleich hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von fünf Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Seine hiergegen eingelegte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
2Die Verurteilung wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und Abs. 5 StGB im Fall II. 2. der Urteilsgründe hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
31. Nach den hierzu getroffenen Feststellungen befuhr der Angeklagte am mit seinem Pkw Porsche Cayenne Turbo eine Landstraße. Auf dem Beifahrersitz saß der spätere Geschädigte A. . Nachdem der Angeklagte den in seinem Pkw vor ihm fahrenden Zeugen Au. mehrfach durch dichtes Auffahren bedrängt hatte, weil er dessen Geschwindigkeit von 80-90 km/h als zu gering empfand, überholte er das Fahrzeug des Zeugen Au. mit deutlicher Differenzgeschwindigkeit und gab in der Folge „Vollgas“. Obgleich der Angeklagte die örtlichen Gegebenheiten kannte und er deshalb darum wusste, dass ihm in einiger Entfernung eine Rechtskurve bevorstand, beschloss er die vor ihm liegende Straße einschließlich der Rechtskurve unter bewusster Missachtung der geltenden Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h bis zur nächsten Ortschaft mit der maximal zu erreichenden Geschwindigkeit zu befahren. Auf diese Weise wollte der Angeklagte sein zuvor frustriertes Geschwindigkeitsbedürfnis befriedigen sowie seine Fähigkeit demonstrieren, mit dem Fahrzeug auch gefährliche Situationen trotz hoher Geschwindigkeit zu meistern. Andere Verkehrsteilnehmer und auch sein Mitfahrer waren ihm dabei völlig gleichgültig. In der Folge beschleunigte der Angeklagte sein Fahrzeug auf mindestens 165 km/h. Die maximale Grenzgeschwindigkeit, mit der die Rechtskurve hätte befahren werden können, betrug 130 km/h. Dabei erkannte der Angeklagte, dass er die Kurve aufgrund der Eigengeschwindigkeit nicht auf der rechten Spur durchfahren konnte, und zog deshalb noch vor dem Kurveneingang mit seinem Fahrzeug „leicht nach links“ auf die Gegenfahrbahn. Ihm war zu diesem Zeitpunkt klar, dass die von ihm gefahrene deutlich überhöhte Geschwindigkeit „mit letztlich unkalkulierbarer Wahrscheinlichkeit zu der Gefahr führte“, mit einem Fahrzeug oder einem Straßenbaum zu kollidieren. Hierbei hielt er es für möglich, dass ein solcher Zusammenstoß zum Tode eines Unfallbeteiligten führen könnte. Der Angeklagte war jedoch davon überzeugt, sein Fahrzeug auch bei der gefahrenen hohen Geschwindigkeit sicher beherrschen zu können, und vertraute nicht ausschließbar darauf, dass ein tödlicher Erfolg ausbleiben werde. In der langgezogenen Rechtskurve verloren die Reifen des Fahrzeugs des Angeklagten aufgrund der viel zu hohen Geschwindigkeit die Bodenhaftung. Der Pkw geriet ins Schleudern und prallte gegen einen Straßenbaum. Der Beifahrer des Angeklagten erlitt durch die Kollision schwerste Verletzungen und verstarb noch am Unfallort.
4Dass der Angeklagte die objektiv vorhersehbare Gefährdung des Mitfahrers A. und anderer Verkehrsteilnehmer für Leib und Leben erkannte und billigte, hat die Strafkammer aus der Massivität der Geschwindigkeitsüberschreitung in Bezug auf die zulässige Höchstgeschwindigkeit sowie dem „gleichzeitigen Ausnutzen der Gegenfahrbahn im Kurvenbereich einer baumgesäumten zweispurigen Landstraße“ geschlossen. Dem stehe nicht entgegen, dass er gleichwohl davon ausging, einen Unfall vermeiden zu können.
52. Die Urteilsgründe belegen nicht, dass der Angeklagte in Bezug auf die Herbeiführung der dem tatsächlichen Unfallgeschehen vorgelagerten konkreten Gefahr im Sinne des § 315d Abs. 2 StGB mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat. Dessen Feststellung ist eine Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach § 315d Abs. 5 StGB.
6a) Ein Kraftfahrzeugführer, der – wie hier – ein Rennen gegen sich selbst im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB fährt, verwirklicht den Qualifikationstatbestand des § 315d Abs. 2 StGB in objektiver Hinsicht, wenn er durch sein Fahrverhalten während des Alleinrennens eine konkrete Gefahr für eines der genannten Individualrechtsgüter verursacht und zwischen seinem Verursachungsbeitrag und dem Gefährdungserfolg ein innerer Zusammenhang besteht (vgl. , BGHSt 66, 294 Rn. 26). Dazu muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine Verkehrssituation geführt haben, in der die Sicherheit eines der benannten Individualrechtsgüter so stark beeinträchtigt worden ist, dass der Eintritt einer Rechtsgutsverletzung nur noch vom Zufall abhing (vgl. dazu − 4 StR 248/22, NStZ 2023, 499 Rn. 8 mwN). Dass es sich bei der gefährdeten Person um einen Mitinsassen des Tatfahrzeugs handelt, steht dabei der Anwendung der Qualifikationstatbestände nicht entgegen (vgl. − 4 StR 248/22, NStZ 2023, 499 Rn. 11 mwN). Dies bedeutet aber in der – hier problematischen – subjektiven Hinsicht, dass der Täter nur dann mit dem erforderlichen, zumindest bedingten Gefährdungsvorsatz handelt, wenn er über die allgemeine Gefährlichkeit des Alleinrennens hinaus auch die konkreten Umstände kennt, die den in Rede stehenden Gefahrerfolg im Sinne eines Beinaheunfalls als naheliegende Möglichkeit erscheinen lassen, und er sich mit dem Eintritt dieser Gefahrenlage zumindest abfindet (vgl. , NZV 2022, 569 Rn. 9 f. mwN). Die Vorstellung des Täters muss sich nicht auf alle Einzelheiten des weiteren Ablaufs beziehen. Vielmehr reicht es in den Fällen des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB in der Regel aus, dass sich der Täter auf Grund seiner Fahrweise und der gegebenen Verhältnisse eine kritische Verkehrssituation vorstellt, die in ihren wesentlichen gefahrbegründenden Umständen dem tatsächlich eingetretenen Beinaheunfall entspricht (vgl. ‒ 4 StR 246/24, Blutalkohol 2025, 251, 252 f.; Urteil vom ‒ 4 StR 350/23, NStZ-RR 2024, 186, 187; Urteil vom ‒ 4 StR 377/21, NZV 2022, 569 Rn. 9 f. mwN).
7b) Die hierzu getroffenen Feststellungen des Landgerichts bilden keinen zumindest bedingten Gefährdungsvorsatz in dem dargestellten Sinn ab. Konkret eingetretener Gefahrerfolg und damit Bezugspunkt für die Vorsatzfeststellung ist der dem tödlichen Geschehen vorgelagerte Verlust der Bodenhaftung des Fahrzeugs des Angeklagten infolge der überhöhten Geschwindigkeit bei der Kurvendurchfahrt. Dass der Angeklagte mit einem solchen Geschehen rechnete, kann den Urteilsgründen auch in ihrem Gesamtzusammenhang nicht entnommen werden. Die Wendung, der Angeklagte sei – wenn auch in völliger Überschätzung seiner Möglichkeiten und Fähigkeiten – davon überzeugt gewesen, sein Fahrzeug auch bei der gefahrenen hohen Geschwindigkeit (noch) sicher beherrschen zu können (UA 15), besagt gerade nicht, dass er einen derartigen Kontrollverlust in Kauf genommen und insoweit nur noch auf das Ausbleiben eines Unfalls mit schweren Folgen aufgrund hinzutretender glücklicher Umstände vertraut haben könnte. Auch hätte an dieser Stelle Erwähnung finden müssen, dass eine konkrete Gefährdung von Leib und Leben des Mitfahrers – um die es hier geht – naheliegend mit einer äquivalenten Eigengefährdung einhergehen musste.
83. Damit kann der Schuldspruch im Fall II. 2. der Urteilsgründe nicht bestehen bleiben. Dies hat die Aufhebung der für diesen Fall verhängten Einzelstrafe und der Gesamtstrafe zur Folge. Auch die angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis nebst Anordnung einer Sperrfrist und Einziehung des Führerscheins knüpfen an diese Verurteilung an und verlieren dadurch ihre Grundlage. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Geschehen können bestehen bleiben. Ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch tretende Feststellungen sind weiterhin möglich. Mit der Aufhebung der Feststellungen zur inneren Tatseite entfällt auch die Feststellung einer Rennabsicht im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB.
II.
9Im Übrigen hat die revisionsrechtliche Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StGB).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:180625B4STR8.25.0
Fundstelle(n):
LAAAJ-99030