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BAG Urteil v. - 9 AZR 104/24

Kein Urlaubsverzicht durch Prozessvergleich

Leitsatz

Im bestehenden Arbeitsverhältnis kann ein Arbeitnehmer nicht - auch nicht durch gerichtlichen Vergleich - auf seinen gesetzlichen Mindesturlaub verzichten. Dies gilt auch dann, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses feststeht und absehbar ist, dass der Arbeitnehmer bis dahin seinen Urlaub wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht wird in Anspruch nehmen können.

Instanzenzug: ArbG Siegburg Az: 3 Ca 924/23 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Köln Az: 7 Sa 516/23 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Abgeltung gesetzlichen Mindesturlaubs aus dem Jahr 2023.

2Der Kläger war bei der Beklagten vom bis zum als Betriebsleiter zu einem Bruttomonatsgehalt iHv. zuletzt 5.000,00 Euro beschäftigt. Sein arbeitsvertraglicher Anspruch auf Jahresurlaub betrug 30 Tage. Die Parteien verständigten sich in einem gerichtlichen Vergleich vom auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum . Bis zum vereinbarten Beendigungstermin war der Kläger im Kalenderjahr 2023 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.

3Im Rahmen der dem Vergleichsschluss vorausgehenden Korrespondenz hatte sich die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom an den Prozessbevollmächtigten der Beklagten gerichtet. Darin heißt es ua.:

4Hierauf erwiderte dieser mit Schreiben vom selben Tag auszugsweise wie folgt:

5Der dem Schreiben beigefügte Vergleichsvorschlag enthielt ua. folgende Regelungen:

6Mit Schreiben vom teilte die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit, dieser sei mit dem Vergleichsvorschlag einverstanden, wies aber zugleich „an dieser Stelle auf die erheblichen Bedenken meines Mandanten im Hinblick auf den Vergleichsschluss und die diesseitig, zuletzt mit Schreiben vom , geäußerte Rechtsauffassung hin…“. Nachdem sie den Vergleichstext bei Gericht eingereicht und die Beklagte diesem zugestimmt hatte, stellte das Arbeitsgericht gemäß § 278 Abs. 6 ZPO das Zustandekommen des Vergleichs mit Beschluss vom fest.

7Mit Schreiben vom forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis zum erfolglos auf, die noch offenen sieben Tage gesetzlichen Mindesturlaubs aus dem Jahr 2023 mit einem Betrag iHv. 1.615,11 Euro (7 x 230,73 Euro) abzugelten.

8Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der in dem gerichtlichen Vergleich geregelte Verzicht auf den unabdingbaren Mindesturlaub sei unwirksam. Deshalb könne er Urlaubsabgeltung beanspruchen. Die Geltendmachung sei ihm nicht unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens verwehrt. Schließlich habe er vor Vergleichsschluss explizit auf die Unabdingbarkeit des gesetzlichen Mindesturlaubs hingewiesen.

9Der Kläger hat beantragt,

10Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und den Standpunkt eingenommen, mit dem Vergleich vom seien gesetzliche und übergesetzliche Urlaubs(abgeltungs)ansprüche erledigt. Mit der Regelung in Ziffer 7 des Vergleichs, ohne die sie auf den Vergleich nicht eingegangen wäre, hätten die Parteien Unklarheiten über die dem Kläger insgesamt zustehenden Urlaubstage ausräumen wollen. Aufgrund der langen Fehlzeiten des Klägers bis ins Jahr 2023 hinein sei sein Urlaubsanspruch nicht eindeutig zu bestimmen gewesen. Ungeachtet dessen sei ein Anspruchsverzicht auch über Urlaubsabgeltungsansprüche zulässig, wenn - wie vorliegend - das Ende des Arbeitsverhältnisses verbindlich feststehe. Sofern der Kläger entgegen der im Vergleich getroffenen Vereinbarung die Abgeltung von Urlaub verlange, sei ihm jedenfalls der Einwand treuwidrigen Verhaltens nach § 242 BGB entgegenzuhalten.

11Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Gründe

12Die Revision ist ganz überwiegend unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zu Recht zurückgewiesen, soweit das Arbeitsgericht sie verurteilt hat, an den Kläger Urlaubsabgeltung iHv. 1.615,11 Euro brutto zu zahlen. Abweichend vom Berufungsurteil ist die Hauptforderung jedoch nicht bereits ab dem , sondern erst ab dem zu verzinsen.

13I. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Forderung des Klägers auf Abgeltung seines nicht erfüllten Teilurlaubsanspruchs aus dem Jahr 2023 gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG begründet ist.

141. Gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG ist Urlaub abzugelten, der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Darunter ist dessen rechtliche Beendigung zu verstehen ( - Rn. 9).

152. Zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am hatte der Kläger gemäß § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG Anspruch auf Teilurlaub iHv. sieben Arbeitstagen als gesetzlichen Mindesturlaub für das Jahr 2023 (20 Arbeitstage/Jahr geteilt durch zwölf Monate multipliziert mit vier Kalendermonaten, aufgerundet gemäß § 5 Abs. 2 BUrlG).

16a) Der Entstehung des (Teil-)Urlaubsanspruchs stand die bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durchgehend anhaltende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht entgegen. Arbeitnehmer, die wegen einer Krankschreibung während des Bezugszeitraums der Arbeit ferngeblieben sind, und solche, die während dieses Zeitraums tatsächlich gearbeitet haben, sind hinsichtlich Entstehung und Berechnung des Urlaubsanspruchs gleichgestellt ( - [Dicu] Rn. 29;  - Rn. 19, BAGE 182, 219). Daran ändert auch die durch Ziffer 4 bis 6 des Vergleichs vom begründete Verpflichtung des Klägers nichts, unverzüglich bei ihm befindliches Arbeitsmaterial zurückzugeben, Firmendaten von seinen privaten Endgeräten zu löschen und seine Privatgegenstände aus den Betriebsräumen der Beklagten zu entfernen. Diese Regelungen lassen für sich gesehen keinen Rückschluss darauf zu, dass die Parteien eine von der fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers unabhängige, separate Befreiung von der Arbeitspflicht vereinbart werden sollte, die eine Verminderung des Urlaubsanspruchs zur Folge haben könnte (vgl.  - Rn. 9 ff., BAGE 176, 251). Begleitumstände, die auf einen dahingehenden Parteiwillen schließen lassen, sind weder festgestellt noch dargelegt.

17b) Der Anspruch des Klägers auf den (gesetzlichen) Teilurlaub aus dem Jahr 2023 ist - wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat - nicht durch Ziffer 7 des Vergleichs vom erloschen. Die darin getroffene Vereinbarung, dass Urlaubsansprüche in natura gewährt seien, regelt einen nach § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG unzulässigen Ausschluss des gesetzlichen Mindesturlaubs für das Jahr 2023 und ist insoweit gemäß § 134 BGB unwirksam. Im bestehenden Arbeitsverhältnis kann ein Arbeitnehmer auch durch gerichtlichen Vergleich nicht über seinen gesetzlichen Mindesturlaub verfügen (vgl. dagegen zur grundsätzlich zulässigen rechtsgeschäftlichen Einschränkung des bereits entstandenen Anspruchs auf Urlaubsabgeltung  - Rn. 12 ff., BAGE 145, 107).

18aa) Nach § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG kann, abgesehen von § 7 Abs. 2 Satz 2 BUrlG, von den Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden. Die Vorschrift dient dem Schutz des Arbeitnehmers. Sie stellt sicher, dass der Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsverhältnis Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub hat. Ferner sichert die Bestimmung den Anspruch des Arbeitnehmers auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs, den der Arbeitgeber wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewähren kann. Der gesetzliche Schutzzweck würde verfehlt, wenn der Anspruch auf Urlaub oder Urlaubsabgeltung während des Arbeitsverhältnisses durch eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien ausgeschlossen oder beschränkt werden könnte ( - Rn. 17; - 9 AZR 844/11 - Rn. 13, BAGE 145, 107).

19bb) Der gesetzliche Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub darf auch dann nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden, wenn das noch bestehende Arbeitsverhältnis durch gerichtlichen (Abfindungs-)Vergleich vollständig „bereinigt“ werden soll (vgl. Bayreuther/Kiel/Zimmermann/Bayreuther 3. Aufl. BUrlG § 1 Rn. 16; NK-ArbR/Düwell 2. Aufl. BUrlG § 13 Rn. 6; zu einer Ausgleichsklausel  - Rn. 17; - 9 AZR 844/11 - Rn. 13, BAGE 145, 107).

20(1) Zu den abweichenden Vereinbarungen der Vertragsparteien iSv. § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG zählen Erlassverträge nach § 397 Abs. 1 BGB und konstitutive negative Schuldanerkenntnisse nach § 397 Abs. 2 BGB, durch die bereits entstandene Ansprüche auf den gesetzlichen Mindesturlaub im bestehenden Arbeitsverhältnis ausgeschlossen oder eingeschränkt werden sollen. Ein Erlassvertrag ist anzunehmen, wenn die Parteien vom Bestehen einer bestimmten Schuld ausgehen, diese aber übereinstimmend nicht mehr erfüllt werden soll. Ein konstitutives negatives Schuldanerkenntnis liegt vor, wenn der Wille der Parteien darauf gerichtet ist, alle oder eine bestimmte Gruppe von bekannten oder unbekannten Ansprüchen zum Erlöschen zu bringen. Demgegenüber ist lediglich ein deklaratorisches negatives Schuldanerkenntnis anzunehmen, wenn die Parteien nur die von ihnen angenommene Rechtslage eindeutig dokumentieren und damit fixieren wollen. Ein solches Anerkenntnis hindert den Gläubiger nicht, Ansprüche gegenüber dem Schuldner geltend zu machen, wenn er darlegt und gegebenenfalls beweist, dass ihm ungeachtet der abgegebenen Erklärung Ansprüche zustehen (st. Rspr., vgl.  - Rn. 53 mwN; BAGE 180, 130).

21(2) Im bestehenden Arbeitsverhältnis können die Parteien über einen Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub nicht wirksam durch Erlassvertrag oder konstitutives negatives Schuldanerkenntnis verfügen. § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG ist nach Maßgabe von Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeitrichtline; ABl. EU L 299 vom S. 9) unionsrechtskonform auszulegen. Nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG darf der bezahlte Mindestjahresurlaub außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden. Im bestehenden Arbeitsverhältnis kann der Arbeitnehmer somit nicht gegen und erst recht nicht ohne finanziellen Ausgleich auf den gesetzlichen Mindesturlaub „verzichten“ (vgl.  - [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 33; vgl. ferner  - [Comune di Copertino] Rn. 30 mwN).

22(3) Entgegen der Auffassung der Beklagten stellt Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG - ebenso wie § 7 Abs. 4 BUrlG - auf die rechtliche und nicht lediglich auf die tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab. Erst mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses entfällt das Verbot, den gesetzlichen Mindesturlaub abzugelten (vgl.  - Rn. 37). Mit dem Begriff „Arbeitsverhältnis“ werden zusammenfassend die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bezeichnet, die regelmäßig durch einen Arbeitsvertrag begründet werden. Das Arbeitsverhältnis endet iSv. § 7 Abs. 4 BUrlG daher erst mit der Beendigung des Arbeitsvertrags ( - Rn. 19).

23(4) Im laufenden Arbeitsverhältnis kann der Arbeitnehmer selbst dann nicht über einen erst künftig - mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses - entstehenden Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs disponieren, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits feststeht (vgl. ohne nähere Begründung  - Rn. 17; aA  - zu II 1 der Gründe;  - zu II 5 b cc der Gründe).

24(a) Ein Verzicht über den (noch nicht entstandenen) Abgeltungsanspruch setzt eine Verständigung der Arbeitsvertragsparteien voraus, dass noch nicht erfüllte Mindesturlaubsansprüche bis zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr in Anspruch genommen werden. Mit diesem Inhalt widerspräche die Abrede dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub, der ua. darin besteht, zu gewährleisten, dass der Arbeitnehmer zum wirksamen Schutz seiner Sicherheit und seiner Gesundheit über eine tatsächliche Ruhezeit verfügt (vgl.  - [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 42; - C-124/05 - [Federatie Nederlandse Vakbeweging] Rn. 32).

25(b) Eine Disposition der Parteien vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses erlaubt das Gesetz auch nicht ausnahmsweise, wenn sich im Zeitpunkt des Vergleichs konkret abzeichnet oder bereits feststeht, dass der Arbeitnehmer seinen gesetzlichen Mindesturlaub wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht in Anspruch nehmen kann. Im bestehenden Arbeitsverhältnis können Urlaubsansprüche vor Ablauf eines Zeitraums von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres nicht erlöschen, wenn der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen an seiner Arbeitsleistung gehindert war (vgl. ausf.  - Rn. 16 ff., BAGE 179, 361). Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie steht einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegen, nach denen dem Arbeitnehmer am Ende des Arbeitsverhältnisses keine finanzielle Vergütung für den nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub gezahlt wird, wenn es ihm nicht möglich war, den gesamten bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, der ihm vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses zustand, weil er zB während des gesamten Bezugs- und/oder Übertragungszeitraums oder eines Teils arbeitsunfähig erkrankt war ( und C-37/19 - [Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria] Rn. 85; - C-619/16 - [Kreuziger] Rn. 32 mwN). Damit ist kein Raum für einen Verzicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub vor der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

26cc) Anders als Erlassverträgen und negativen Schuldanerkenntnissen (§ 397 BGB) steht § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG Vergleichen über die tatsächlichen Voraussetzungen des Urlaubs(abgeltungs)anspruchs nicht entgegen ( - zu II 1 der Gründe). In einem zulässigen Tatsachenvergleich einigen sich die Parteien nicht über den rechtlichen Wegfall einer Forderung, sondern über das Bestehen der anspruchsrelevanten Voraussetzungen, indem sie darüber tatsächlich bestehende Unsicherheit durch gegenseitiges Nachgeben ausräumen (vgl.  - Rn. 35, BAGE 179, 319; - 4 AZR 317/12 - Rn. 19, BAGE 147, 199; - 10 AZR 850/08 - Rn. 41; - 4 AZR 682/95 - zu I 2.2.1 der Gründe mwN). Bestand jedoch zwischen den Arbeitsvertragsparteien bei Vertragsschluss kein Streit im Tatsächlichen über Urlaubsansprüche, die von der Vereinbarung erfasst werden, besteht kein Raum für einen Tatsachenvergleich (vgl.  - aaO).

27dd) Nach diesen Rechtsgrundsätzen hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt, dass die Vereinbarung der Parteien unter Ziffer 7 des Vergleichs, Urlaubsansprüche des Klägers seien in natura gewährt worden, gegen § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG verstößt und deshalb gemäß § 134 BGB unwirksam ist. Der Kläger hat durch konstitutives negatives Schuldanerkenntnis iSv. § 397 Abs. 2 BGB im noch laufenden Arbeitsverhältnis auf seinen gesetzlichen Mindesturlaub verzichtet. Die Regelung enthält keinen Tatsachenvergleich, auf den § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG nicht anzuwenden wäre. Ziffer 7 des Vergleichs zielt darauf ab, sämtliche Urlaubsansprüche zum Erlöschen zu bringen. Davon erfasst ist der streitgegenständliche Anspruch des Klägers auf Teilurlaub aus dem Jahr 2023. Bei den - während der Vergleichsverhandlungen anwaltlich vertretenen - Parteien konnten keine ernsten Zweifel über das Bestehen des Urlaubsanspruchs des Klägers für das Jahr 2023 aufkommen. Der Kläger war zumindest seit Anfang des Jahres durchgehend krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Nach den getroffenen Feststellungen stand fest, dass er den Urlaub im laufenden Arbeitsverhältnis nicht mehr in Anspruch nehmen konnte. Deshalb bestand bei Abschluss des Vergleichs von vornherein kein Raum für eine Unsicherheit über die tatsächlichen Voraussetzungen des streitgegenständlichen Urlaubsanspruchs, der durch einen Tatsachenvergleich hätte ausgeräumt werden können.

28c) Der Anspruch des Klägers auf Teilurlaub aus dem Jahr 2023 ist auch nicht aufgrund der in Ziffer 9 des Vergleichs geregelten Ausgleichsklausel erloschen. Soweit diese die speziell in Ziffer 7 des Vergleichs geregelten Urlaubsansprüche überhaupt erfasst, steht deren Erlöschen aus den vorgenannten Gründen ebenfalls § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG entgegen.

293. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler erkannt, dass es dem Kläger nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt ist, von der Beklagten unter Hinweis auf Unwirksamkeit des Anspruchsausschlusses die Abgeltung seines Teilurlaubs aus dem Jahr 2023 zu verlangen. Die Beklagte durfte nicht auf den Bestand der - auch für sie - offensichtlich rechtswidrigen Regelung vertrauen.

30a) Aus § 242 BGB folgt ua. der Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“). Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung ( - Rn. 19). Die Rechtsordnung verbietet allerdings nicht jedes widersprüchliche Verhalten. Widersprüchliches Verhalten ist nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen ( - Rn. 46).

31b) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, es sei nicht treuwidrig, dass sich der Kläger auf die Unwirksamkeit des Anspruchsausschlusses berufe, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht hat das Vorliegen eines besonderen Vertrauenstatbestands zu Recht verneint.

32aa) Zwar hat sich der Kläger widersprüchlich verhalten, indem er einerseits dem Vergleich einschließlich seiner Ziffer 7 zugestimmt und andererseits die Abgeltung seines Mindesturlaubs aus dem Jahr 2023 verlangt hat. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch zutreffend erkannt, dass allein aus der gegen § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG verstoßenden „Verzichtserklärung“ für die Beklagte noch kein Vertrauenstatbestand entstehen konnte, der Kläger werde später die Unwirksamkeit seiner Erklärung nicht mehr geltend machen (vgl.  - Rn. 28, BAGE 147, 199).

33bb) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Annahme, es lägen keine weiteren Umstände vor, die geeignet sein könnten, ein schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten zu begründen. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat im Rahmen der Vergleichsverhandlungen in ihrem Schreiben vom ausdrücklich und in der Sache zutreffend darauf hingewiesen, dass auf den gesetzlichen Mindesturlaub nicht wirksam verzichtet werden könne, und eine dies berücksichtigende Regelung in ihren Vergleichsvorschlag aufgenommen. Selbst als sie dem später vom Arbeitsgericht nach § 278 Abs. 6 ZPO festgestellten Vergleichstext gegenüber dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit Schreiben vom zugestimmt hat, geschah dies ausdrücklich unter Hinweis auf ihre zuvor geäußerte Rechtsauffassung. Vor diesem Hintergrund konnte bei der Beklagten weder besonderes Vertrauen hinsichtlich der Wirksamkeit der Vergleichsregelung in Ziffer 7 noch dahingehend aufkommen, der Kläger werde nicht mehr die Abgeltung seines ihm für das Jahr 2023 zustehenden - erklärtermaßen unabdingbaren - gesetzlichen Mindesturlaubs verlangen.

34II. Das angefochtene Urteil hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand, soweit das Landesarbeitsgericht dem Kläger Zinsen bereits ab dem zugesprochen hat.

351. Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Abgeltung des nicht erfüllten Urlaubs entsteht mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und wird zu diesem Zeitpunkt fällig. § 7 Abs. 4 BUrlG enthält jedoch keine Bestimmung einer Leistungszeit iSd. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB ( - Rn. 28 mwN).

362. Der Kläger kann danach erst ab dem Verzugszinsen nach § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB iVm. § 187 Abs. 1 BGB beanspruchen. Er hat die Beklagte erstmals mit Schreiben vom unter Fristsetzung bis zum zur Zahlung der streitgegenständlichen Urlaubsabgeltung aufgefordert. Erst nach Ablauf dieser Frist trat Verzug ein.

37III. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO. Obwohl die Klage hinsichtlich der Verzugszinsen teilweise abgewiesen worden ist, waren der Beklagten gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die gesamten Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, da es sich insoweit lediglich um eine verhältnismäßig geringfügige Zuvielforderung handelt.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2025:030625.U.9AZR104.24.0

Fundstelle(n):
DStR-Aktuell 2025 S. 10 Nr. 24
DStR-Aktuell 2025 S. 12 Nr. 24
ZIP 2025 S. 5 Nr. 24
RAAAJ-99015