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BSG Urteil v. - B 10/12 R 1/24 R

(Erstreckung einer Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs 5 S 2 SGB 6 auf eine befristete berufsfremde Beschäftigung - parallele Ausübung einer bereits nach § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 6 befreiten Beschäftigung und der nach § 6 Abs 5 S 2 SGB 6 zu befreienden Beschäftigung)

Gesetze: § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 6, § 6 Abs 5 S 2 SGB 6

Instanzenzug: Az: S 7 R 1490/18 Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 14 R 719/21 Urteil

Tatbestand

1Die Klägerin begehrt die Erstreckung einer ihr von der Beklagten erteilten Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht auf eine befristete Nebentätigkeit.

2Die Klägerin ist Mitglied der Rechtsanwaltskammer H und seit 2013 als angestellte Rechtsanwältin in einer Anwaltskanzlei in B tätig. Für diese Beschäftigung wurde sie von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit (zuletzt mit Befreiungsbescheid der Beklagten vom ). Als Mitglied der Beigeladenen zu 1. ist die Klägerin auf landesgesetzlicher Grundlage zur Zahlung einkommensbezogener Beiträge verpflichtet und hat im Gegenzug Anspruch auf berufsständische Versorgung.

3Nachdem die Beklagte die Befreiung in der Vergangenheit bereits auf mehrere befristete Nebentätigkeiten der Klägerin als wissenschaftliche Mitarbeiterin an verschiedenen Hochschulen erstreckt hatte, beantragte diese im März 2018 eine neuerliche Erstreckung auf eine Beschäftigung als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei dem Beigeladenen zu 2. Dieser war in der 19. Wahlperiode Mitglied des Bundestags und schloss mit der Klägerin einen befristeten Arbeitsvertrag für die Zeit vom bis zum Ablauf des Monats, in dem die 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestags endet.

4Die Beklagte lehnte diesen Antrag ab (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom ). Die Befreiung sei grundsätzlich auf die jeweilige Beschäftigung beschränkt und erstrecke sich nur ausnahmsweise auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit. Dies setze nach dem Willen des Gesetzgebers voraus, dass dadurch ein Wechsel des Systems der Alterssicherung vermieden werde. Das sei aber nur bei einer Unterbrechung der befreiten Tätigkeit der Fall und nicht, wenn - wie hier - zwei Beschäftigungen parallel nebeneinander ausgeübt würden.

5Das SG hat der hiergegen von der Klägerin fristgerecht erhobenen Klage stattgegeben (Urteil vom ). Es hat den Bescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom aufgehoben und die Beklagte "verpflichtet, für die Tätigkeit der Klägerin als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Bundestagsabgeordneten Thies die beantragte Erstreckung der Befreiung von der Pflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung zu erteilen". Es handele sich um eine von vornherein befristete Beschäftigung, für deren Vergütung die Klägerin bei der Beigeladenen zu 1. Versorgungsanwartschaften erwerben könne.

6Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG diese Entscheidung "geändert" und die Klage abgewiesen (Urteil vom ). Zur Begründung hat es auf die Gesetzesmaterialien verwiesen, aus denen sich der Zweck der Erstreckungsregelung ergebe. Diese solle sicherstellen, dass eine vorübergehende berufsfremde Tätigkeit nicht zu einem Wechsel des Alterssicherungssystems führt. Diese Gefahr bestehe aber nur, wenn die befristete Tätigkeit die frühere Beschäftigung unterbricht oder ihr zeitlich nachfolgt. Zudem handele es sich um eine Ausnahmevorschrift, die eng auszulegen sei. Richtig verstanden regele sie allein eine zeitliche Erstreckung auf eine Tätigkeit, die der befreiten chronologisch nachfolgt und keine sachliche Erstreckung der Befreiung auf eine parallel ausgeübte Nebentätigkeit.

7Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Das LSG habe eine Tatbestandsvoraussetzung für die Erstreckung aufgestellt, die dem Gesetz fremd sei. Der Anwendungsbereich der Erstreckung einer Befreiung auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit sei vom Gesetzgeber bewusst ausgedehnt worden. Im Referentenentwurf zum Rentenreformgesetz 1992 sei diese Rechtsfolge noch ausdrücklich Wehr- und Zivildienstleistenden vorbehalten gewesen. Stattdessen sei aber die noch heute geltende Fassung verabschiedet worden. Der Gesetzeszweck sei weiter zu verstehen, als das LSG meine: Die Regelung solle die Zugehörigkeit einer Person zu zwei verschiedenen Alterssicherungssystemen vermeiden. Dies ermögliche es den Mitgliedern einer berufsständischen Versorgungseinrichtung, dort eine geschlossene Versicherungsbiographie aufzubauen. So diene die Erstreckungsvorschrift der Förderung beruflicher Mobilität der Beschäftigten.

8Die Klägerin beantragt,das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom zurückzuweisen.

9Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.

10Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Erstreckungsregelung sei als Ausnahmevorschrift eng auszulegen und erfasse nur den Fall, dass die betreffenden Tätigkeiten (jedenfalls auch) nacheinander ausgeübt werden.

11Die Beigeladenen stellen jeweils keinen Antrag.

Gründe

12Die zulässige Revision der Klägerin ist auch begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG).

13Das LSG hat der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zu Unrecht stattgegeben. Die Klage ist zulässig und begründet.

14A) Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des LSG, mit dem es auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG geändert und die Klage auf Erstreckung der erteilten Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht auf die Tätigkeit der Klägerin als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei dem Beigeladenen zu 2. in der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestags abgewiesen hat. Statthafte Klageart für dieses Begehren der Klägerin ist die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 und 3 iVm § 56 SGG). Denn die Beklagte hatte über die Erstreckung ebenso wie zuvor über die Befreiung durch Verwaltungsakt zu entscheiden (vgl - SozR 4-2600 § 6 Nr 21 RdNr 14 mwN).

15B) Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom (§ 95 SGG) ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf die begehrte Erstreckung der Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung auf ihre Beschäftigung bei dem Beigeladenen zu 2. in der Zeit vom bis zum Monatsende nach Ablauf der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestags am .

16Gemäß § 6 Abs 5 Satz 2 SGB VI beschränkt sich die Befreiung von der Versicherungspflicht in den Fällen des § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und 2 SGB VI abweichend vom Regelfall des § 6 Abs 5 Satz 1 SGB VI nicht auf die jeweilige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit, sondern erstreckt sich auch auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit, wenn diese infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist und der Versorgungsträger für die Zeit der Tätigkeit den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften gewährleistet. Diese Voraussetzungen sind für die Beschäftigung der Klägerin bei dem Beigeladenen zu 2. in der Zeit vom bis zum erfüllt.

171. Mit dem Bescheid der Beklagten vom ist die Klägerin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit worden. Diese Verwaltungsentscheidung bezieht sich gemäß § 6 Abs 5 Satz 1 SGB VI ausschließlich auf ihre Beschäftigung als angestellte Rechtsanwältin in einer Anwaltskanzlei in B. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI. Nach den Feststellungen des LSG, an die der Senat mangels zulässiger Verfahrensrügen gebunden ist (§ 163 SGG), hat die Klägerin am zusätzlich eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit aufgenommen. Diese Beschäftigung bei dem Beigeladenen zu 2. war vertraglich von vornherein bis zum Ende der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestags befristet. Das LSG hat weiter bindend festgestellt, dass die Beigeladene zu 1. als zuständige berufsständische Versorgungseinrichtung der Klägerin auch für diese Nebentätigkeit den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften gewährleistet, weil bei ihr die Einkünfte aus der Beschäftigung bei dem Beigeladenen zu 2. bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung der Beitragspflicht unterlagen. Daher kann der Senat dahinstehen lassen, ob einkommensbezogene Versorgungsanwartschaften zwingend in einer bestimmten Höhe zu gewährleisten sind (vgl einerseits Segebrecht in Kreikebohm/Roßbach, SGB VI, 6. Aufl 2021, § 6 RdNr 113: "müssen daher zur berufsständischen Versorgungseinrichtung satzungsgemäß genau so hohe Beiträge gezahlt werden, wie sie zur gRV zu zahlen wären"; andererseits Geckeler in BeckOK SozR, 76. Ed , SGB VI § 6 RdNr 34b: "muss es konsequenterweise ausreichen, wenn zB ein Rechtsanwalt Mindestbeiträge <weiter> bezahlt"; siehe ferner - BSGE 131, 32 zum Begriff der einkommensbezogenen Pflichtbeiträge iS des § 231 Abs 4b Satz 4 SGB VI).

182. Eine Erstreckung der für eine bestimmte Beschäftigung erteilten Befreiung von der Rentenversicherungspflicht auf eine andere, nur vorübergehend ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung setzt nach gefestigter Rechtsprechung des BSG außerdem voraus, "dass die ursprünglichen Befreiungsvoraussetzungen (Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung und Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer) weiterhin vorliegen" ( - SozR 4-2600 § 6 Nr 8 RdNr 25 ff; - SozR 4-2600 § 6 Nr 21 RdNr 22 ff). Die Klägerin war im streitgegenständlichen Zeitraum nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht nur weiterhin Pflichtmitglied der Rechtsanwaltskammer H und der Beigeladenen zu 1., ihres berufsständischen Versorgungsträgers, sondern stand auch durchgehend in dem Beschäftigungsverhältnis, für das ihr die Beklagte die Befreiung erteilt hatte (siehe zur Frage, inwieweit auch dies Voraussetzung für eine Erstreckung ist, - SozR 4-2600 § 6 Nr 21 RdNr 22 ff und 25 ff; 3/23 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

193. Entgegen der Ansicht der Beklagten und des LSG steht der begehrten Erstreckung schließlich nicht entgegen, dass die Klägerin ihre Tätigkeit bei dem Beigeladenen zu 2. in der Zeit vom bis zum durchweg neben ihrer befreiten Tätigkeit ausgeübt hat.

20Die Rechtsfrage, ob § 6 Abs 5 Satz 2 SGB VI nur eingreift, wenn es andernfalls zu einem Wechsel im System der Alterssicherung käme, weil die bisherige Tätigkeit (für die die Befreiung von der Versicherungspflicht gilt) unterbrochen wird, ist allerdings in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten (siehe zum Meinungsstand schon - SozR 4-2600 § 6 Nr 8 RdNr 27; Bayerisches - juris RdNr 79; die Rechtsfrage jeweils offenlassend).

21a) In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung überwiegt die auch vom LSG vertretene Auffassung, der aus den Gesetzesmaterialien ersichtliche Regelungszweck gebiete ein einschränkendes Verständnis des § 6 Abs 5 Satz 2 SGB VI ( - juris RdNr 26 f; - juris RdNr 24, jeweils mwN). Die gesetzliche Regelung solle sicherstellen, dass die kurzfristige und vorübergehende Ausübung einer anderen, berufsfremden Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit den Betroffenen nicht zu einem Wechsel seines Alterssicherungssystems zwingt. Ein solcher Wechsel liege aber nur dann vor, wenn ein Alterssicherungssystem verlassen und in ein anderes eingetreten werde (so auch - juris RdNr 26). Dass die ursprüngliche Tätigkeit, für die die Befreiung gelte, unterbrochen werden müsse, zeige auch das in der Begründung des Gesetzentwurfs genannte Beispiel des Wehrdienstes, der ein Arbeitsverhältnis zum Ruhen gebracht habe.

22b) Dagegen geht die herrschende Meinung im rentenversicherungsrechtlichen Schrifttum davon aus, dass der Tatbestand des § 6 Abs 5 Satz 2 SGB VI auch "eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit" erfasst, die nicht nach, sondern neben der jeweiligen Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit iS des § 6 Abs 5 Satz 1 SGB VI ausgeübt wird, auf die sich die Befreiung bezieht (zB Berchtold in Knickrehm/Roßbach/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 8. Aufl 2023, SGB VI § 6 RdNr 8b; Hedermann, NZS 2014, 321, 322; Voelzke in Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd 3, 1999, § 17 RdNr 75). Dafür spreche neben dem offenen Wortlaut auch der Sinn und Zweck der Vorschrift (Gürtner in BeckOGK, SGB VI § 6 RdNr 39, Stand: ). Zur Begründung wird weiter angeführt, das Interesse an einem einheitlichen Sicherungsstatus bestehe in diesen Fällen ebenso wie bei einer vorübergehenden Unterbrechung der befreiten Hauptbeschäftigung (Segebrecht in Kreikebohm/Roßbach, SGB VI, 6. Aufl 2021, § 6 RdNr 115). Es gelte auch insoweit, einen unnötigen Wechsel der - durch Mobilitätsregelungen nur unzureichend koordinierten - Sicherungssysteme zu vermeiden (Fichte in Hauck/Noftz SGB VI, 1. Ergänzungslieferung 2025, § 6 SGB VI RdNr 133).

23c) Der erkennende Senat schließt sich der vom SG vertretenen Ansicht an, dass § 6 Abs 5 Satz 2 SGB VI keine Unterbrechung der befreiten Beschäftigung voraussetzt.

24aa) Dafür spricht bereits der (neutral gehaltene) Wortlaut der Norm, der keine diesbezügliche Beschränkung erkennen lässt.

25Parallel neben der befreiten Tätigkeit ausgeübte andere versicherungspflichtige Tätigkeiten aus dem Anwendungsbereich der Erstreckungsregelung auszuschließen, würde daher methodisch eine teleologische Reduktion des § 6 Abs 5 Satz 2 SGB VI erfordern. Eine solche Einschränkung des Wortlauts ist nur zulässig, wenn eine gesetzliche Regelung nach ihrem Wortsinn Sachverhalte erfasst, die sie nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht erfassen soll (zum Wortlaut als Auslegungsgrenze - SozR 4-4300 § 131a Nr 1 RdNr 18 mwN). Die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung sind daher bei einer teleologischen Reduktion dieselben wie bei einer Analogiebildung ( - BAGE 112, 100 - juris RdNr 33 f). Es bedarf des sicheren Nachweises, dass sich die Regelungsabsicht des Gesetzgebers im Normtext nicht niedergeschlagen hat ( - SozR 4-2600 § 105 Nr 1 RdNr 11 ff = SGb 2013, 307 ff mit krit Anm Lüdtke; - BFHE 284, 134 RdNr 33, jeweils mwN). Daran fehlt es hier.

26bb) Auch die Systematik des Gesetzes stützt dieses Ergebnis. Die Regelung des § 6 Abs 5 Satz 2 SGB VI stellt nach allgemeiner Ansicht keinen eigenen Befreiungstatbestand dar, sondern knüpft (sogar ausdrücklich) an die Befreiung nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und 2 SGB VI an. Eine Erstreckung kann nur bei einer Konnexität mit der ursprünglich befreiten Beschäftigung erfolgen (vgl - SozR 4-2600 § 6 Nr 21 RdNr 28 mwN). Die Erstreckung ist daher grundsätzlich akzessorisch zur Befreiung. Nach deren Erledigung wegen Wegfalls der befreiten Tätigkeit fehlt es - wenn die "andere" Beschäftigung nicht in engem zeitlichen Zusammenhang dazu aufgenommen wird - an einer Grundlage für eine Erstreckung (so schon - SozR 4-2600 § 6 Nr 21 RdNr 25 ff). Dieser Zusammenhang ist indes am engsten, wenn beide Tätigkeiten parallel nebeneinander ausgeübt werden.

27cc) Wie die Entstehungsgeschichte der Regelung jedenfalls eindeutig erkennen lässt, wollte der Gesetzgeber mit ihr nicht nur ausschließlich die Fälle des Wehr- und Zivildienstes erfassen, sondern den Anwendungsbereich bewusst darüber hinaus auf weitere befristete, zeitlich begrenzte Tätigkeiten erstrecken. Im Referentenentwurf des Rentenreformgesetzes 1992 war noch vorgesehen, dass sich die Befreiung lediglich "in Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 auch auf eine Versicherung als Wehrpflichtiger oder Zivildienstleistender" erstrecken sollte (Diskussions- und Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung <Rentenreformgesetz 1992 - RRG 1992>, 1988, S 36). Daran ist im weiteren Gesetzgebungsverfahren aber nicht festgehalten worden. Zu dem stattdessen später verabschiedeten offenen Normtext wird in den Gesetzesmaterialien der Wehrdienst folgerichtig lediglich als Beispielsfall genannt ("insbesondere"; BT-Drucks 11/4124 S 152).

28Für welche versicherungspflichtigen Beschäftigungen eine Erstreckung der Befreiung von der Versicherungspflicht möglich sein sollte, wird in den Gesetzesmaterialien dagegen nicht eingegrenzt (vgl bereits - SozR 4-2600 § 6 Nr 21 RdNr 27). Zwar zeigt die Begründung des Gesetzentwurfs auf, dass eine vorübergehende berufsfremde Tätigkeit nicht zu einem Wechsel des Alterssicherungssystems führen soll (BT-Drucks 11/4124 S 152). Dieses Regelungsziel gebietet aber die vom LSG befürwortete enge Auslegung des Tatbestands (oder dessen teleologische Reduktion) nicht und liefert dafür auch kein Argument. Denn zu seiner Erreichung ist es nicht erforderlich, Fälle aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift auszuschließen, in denen kein Wechsel des Alterssicherungssystems verhindert werden soll, sondern eine Doppelversicherung. Deren tatbestandliche Erfassung tut der erwünschten Rechtsfolge in den Fällen eines drohenden Wechsels keinen Abbruch.

29Die parallele Erfassung einer Person durch zwei verschiedene Alterssicherungssysteme zu vermeiden, stellt auch ein gleichberechtigtes Ziel der Vorschriften zur Befreiung von der Versicherungspflicht dar (vgl Hedermann, NZS 2014, 321, 324). Insoweit weist die Revision zu Recht darauf hin, dass der Gesetzgeber die Regelung des § 6 Abs 5 Satz 2 SGB VI seit ihrem Inkrafttreten am unverändert gelassen hat und damit insbesondere auch der zunächst über viele Jahre hinweg großzügigen Praxis der Rentenversicherungsträger zur Erstreckung von Befreiungen nicht entgegengetreten ist. Das gilt sogar für das Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom (BGBl I 1824), mit dem die so genannte Friedensgrenze zwischen gesetzlicher Rentenversicherung und berufsständischer Versorgung neu justiert worden ist, um "den durch die jüngste Entwicklung in der berufsständischen Versorgung drohenden Erosionsprozeß in der Solidargemeinschaft der Rentenversicherten durch eine Beschränkung des Rechts zur Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu stoppen" (so die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks 13/2590 S 18). Selbst anlässlich dieser Novellierung des Befreiungsrechts hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, den Betroffenen solle eine geschlossene Versicherungsbiographie in ihrer berufsständischen Versorgungseinrichtung ermöglicht und die drohende Belastung mit einer doppelten Beitragszahlungspflicht verhindert werden (vgl wiederum BT-Drucks 13/2590 S 18). Vor dem Hintergrund dieser Motivlage zielt die Regelung auf die Gewährleistung von Kontinuität in einem einzigen System der Alterssicherung ab (Segebrecht in Kreikebohm/Roßbach, SGB VI, 6. Aufl 2021, § 6 RdNr 117, 112). In diesem Sinne hat der 12. Senat des BSG bereits für die Dauer einer befristeten Anschlussbeschäftigung ausgeführt, dass die Erstreckung der bisherigen Befreiung insbesondere dem "lückenlosen Aufbau einer einheitlichen Altersversorgung im bisherigen System des Versorgungswerks im Fall der anschließenden Übernahme einer wiederum zur Befreiung berechtigenden Beschäftigung" dient ( - juris RdNr 17). Auf diese Weise wird durch die Möglichkeit der Erstreckung einer für eine bestimmte Tätigkeit erteilten Befreiung auf eine andere versicherungspflichtige Beschäftigung - wie das BSG bereits entschieden hat ( - SozR 4-2600 § 6 Nr 21 RdNr 24) - auch die berufliche Mobilität gefördert.

30Nach alledem reicht die Zwecksetzung durch den historischen Gesetzgeber über die Vermeidung eines Systemwechsels bei Eintritt einer vorübergehenden anderweitigen Versicherungspflicht hinaus. Vielmehr dient das Befreiungsrecht insgesamt der Koordinierung der selbstständig nebeneinander bestehenden, sich partiell überschneidenden Systeme der berufsständischen Altersversorgung und der gesetzlichen Rentenversicherung. Es soll dem Berufsangehörigen die Verpflichtung nehmen, Beiträge zu zwei weitgehend funktionsgleichen Sicherungssystemen zahlen zu müssen. Sinn und Zweck ist also die Vermeidung einer Doppel- und Überversorgung, die dem Einzelnen schon von Verfassungs wegen nicht in Form einer Zwangsversicherung mit entsprechenden Beitragslasten auferlegt werden kann (siehe zum Ganzen Fichte in Hauck/Noftz SGB VI, 1. Ergänzungslieferung 2025, § 6 SGB VI RdNr 21).

31C) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, nachdem diese im Berufungs- und Revisionsverfahren keine eigenen Anträge gestellt haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2025:140525UB1012R124R0

Fundstelle(n):
EAAAJ-98834