Urlaubsabgeltung nach Langzeiterkrankung - Auslegung von AGB
Instanzenzug: ArbG Wuppertal Az: 1 Ca 1572/23 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 8 SLa 49/24 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Abgeltung von 144 Arbeitstagen gesetzlichen Mindesturlaubs aus den Jahren 2016 bis 2021.
2Die Klägerin war bei dem Beklagten vom bis zum als Pflegekraft zu einem Bruttomonatsgehalt iHv. zuletzt 3.053,00 Euro angestellt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR-DW-EKD) in der jeweils gültigen Fassung Anwendung. Am wurde deren Umbenennung in Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie Deutschland (AVR-DD) beschlossen. Der Arbeitsvertrag der Parteien vom regelt den Urlaubsanspruch der Klägerin wie folgt:
3Die AVR-DW-EKD (nunmehr AVR-DD) enthalten in § 28 folgende Bestimmungen zum Verfall von Urlausansprüchen:
4Die Klägerin war vom bis zur rechtlichen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses am durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom forderte sie den Beklagten erfolglos zur Abgeltung ihres Resturlaubs auf. Den Anspruch verfolgt sie - soweit für die Revision von Bedeutung - im Umfang des gesetzlichen Mindesturlaubs aus den Jahren 2016 bis 2021 iHv. 16.908,92 Euro auf der Grundlage einer Vergütung iHv. 117,42 Euro brutto pro Urlaubstag weiter (sechs Jahre x 24 Arbeitstage Urlaub x 3.053,00 Euro brutto x 3 ./. 78 Arbeitstage/Quartal).
5Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der gesetzliche Mindesturlaub, den sie wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit bis Ablauf des Übertragungszeitraums am 30. April des auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres nicht habe in Anspruch nehmen können, unterliege aufgrund der besonderen Vereinbarung in § 7 Abs. 3 des Arbeitsvertrags keinem Verfall und bestehe auf unbestimmte Zeit fort. Der Arbeitsvertrag enthalte eine gegenüber § 28 Abs. 7 AVR-DD eigenständige Regelung zum Verfall von Urlaub, die diese und die gesetzlichen Bestimmungen zum Urlaubsverfall verdränge.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
6Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gegen die Klageforderung eingewandt, die im Streit stehenden Urlaubsansprüche seien spätestens 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres erloschen. Die Parteien hätten unmissverständlich die „Geltung der AVR“ vereinbart, bei deren Anwendung der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub im Falle einer langanhaltenden Erkrankung des Arbeitnehmers mit Ablauf der von der Rechtsprechung entwickelten 15-Monatsfrist verfalle. Die Regelung in § 7 Abs. 3 des Arbeitsvertrags schließe es nicht aus, die AVR-DD zumindest ergänzend anzuwenden.
7Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, soweit es den Streitgegenstand der Revision betrifft. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil auf die Berufung der Klägerin insoweit abgeändert und den Beklagten verurteilt, an die Klägerin weitere 16.908,92 Euro brutto als Urlaubsabgeltung für die Jahre 2016 bis 2021 nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem zu zahlen. Mit der Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Gründe
8Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht teilweise abgeändert und den Beklagten verurteilt, den gesetzlichen Mindesturlaub der Klägerin aus den Jahren 2016 bis 2021 mit einem Betrag iHv. 16.908,92 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem abzugelten.
9I. Gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG iVm. § 7 Abs. 4 des Arbeitsvertrags der Parteien ist der gesetzliche Mindesturlaub abzugelten, der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Der Anspruch setzt voraus, dass zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses offene Urlaubsansprüche bestehen, die nicht mehr erfüllt werden können, weil das Arbeitsverhältnis beendet ist (vgl. - Rn. 9).
10II. Zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses am standen der Klägerin noch 144 Arbeitstage gesetzlicher Mindesturlaub aus den Jahren 2016 bis 2021 zu (24 Arbeitstage x sechs Jahre).
111. Der Entstehung des Anspruchs auf den gesetzlichen Mindesturlaub stand die vom bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durchgehend anhaltende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit der Klägerin nicht entgegen. Arbeitnehmer, die wegen einer Krankschreibung während des Bezugszeitraums der Arbeit ferngeblieben sind, und solche, die während dieses Zeitraums tatsächlich gearbeitet haben, sind hinsichtlich Entstehung und Berechnung des Urlaubsanspruchs gleichgestellt ( - [Dicu] Rn. 29; - Rn. 19, BAGE 182, 219).
122. Die streitgegenständlichen Urlaubsansprüche sind entgegen der Auffassung der Revision nicht aufgrund der langandauernden Erkrankung der Klägerin mit Ablauf von 15 Monaten nach Beendigung des jeweiligen Urlaubsjahres erloschen. Eine Regelung, die diese Rechtsfolge anordnet, findet auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung. Die Parteien haben - wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat - den Verfall des gesetzlichen Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG bei Vorliegen einer Langzeiterkrankung wirksam vertraglich ausgeschlossen.
13a) War der Arbeitnehmer - wie vorliegend die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum - seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres - dh. bis 15 Monate nach Beendigung des Urlaubsjahres - arbeitsunfähig, verfällt der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 7 Abs. 3 BUrlG unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten (vgl. im Einzelnen - Rn. 21 ff., BAGE 165, 376, zu den inhaltlichen Anforderungen an die Mitwirkungsobliegenheiten vgl. Rn. 39 ff.) nachgekommen ist ( - Rn. 14, BAGE 180, 97; - 9 AZR 401/19 - Rn. 21; - 9 AZR 401/19 (A) - Rn. 26 mwN, BAGE 171, 231; grundlegend zur 15-Monatsfrist - Rn. 23 ff., BAGE 142, 371).
14b) Der 15-monatige Übertragungszeitraum gilt auch dann für den gesetzlichen Mindesturlaub, wenn eine kollektiv-rechtliche Vereinbarung dem Arbeitnehmer einen den Mindesturlaub übersteigenden Urlaubsanspruch einräumt, jedoch - wie § 28 Abs. 7 AVR-DD - für den Gesamturlaubsanspruch einheitlich einen kürzeren Übertragungszeitraum für den Fall einer Langzeiterkrankung vorsieht. Eine solche Regelung ist bezüglich des gesetzlichen Urlaubs gemäß § 134 BGB iVm. § 13 Abs. 1 Satz 1 bzw. Satz 3 BUrlG teilweise nichtig (vgl. - Rn. 25, BAGE 154, 1). An ihre Stelle tritt § 7 Abs. 3 BUrlG in seiner unionsrechtskonformen Auslegung.
15c) Vorliegend haben die Parteien durch die Regelung in § 7 Abs. 3 Satz 3 ihres Arbeitsvertrags § 7 Abs. 3 BUrlG in seiner unionsrechtskonformen Auslegung jedoch verdrängt und einen Verfall des gesetzlichen Mindesturlaubs bei einer Langzeiterkrankung zugunsten der Klägerin ausgeschlossen. Dies ergibt - wie das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat - die Auslegung der Vertragsklausel.
16aa) Bei den Bestimmungen des Arbeitsvertrags handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen iSv. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Hierauf lassen bereits Inhalt und äußeres Erscheinungsbild der formularmäßigen Vertragsgestaltung schließen. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Dabei sind die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen. Ansatzpunkt für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Von Bedeutung für das Auslegungsergebnis sind ferner der von den Vertragsparteien verfolgte Regelungszweck sowie die der jeweils anderen Seite erkennbare Interessenlage der Beteiligten ( - Rn. 24; - 4 AZR 202/23 - Rn. 21; - 5 AZR 9/23 - Rn. 20 ff.).
17bb) Danach haben die Parteien eine von § 7 Abs. 3 BUrlG und § 28 Abs. 7 Satz 3 und 4 AVR-DW-EKD (nunmehr AVR-DD) abweichende Regelung zum (Nicht-)Verfall des gesetzlichen Mindesturlaubs bei einer langandauernden Erkrankung des Arbeitnehmers getroffen. § 7 Abs. 3 Satz 3 des Arbeitsvertrags nimmt den Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub zugunsten der Klägerin ausdrücklich von einem Verfall am Ende des Übertragungszeitraums aus, wenn diese infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit daran gehindert war, ihn innerhalb des Übertragungszeitraums zu nehmen. Hierbei handelt es sich um eine gegenüber den vertraglich in Bezug genommenen Arbeitsvertragsrichtlinien eigenständige Regelung.
18(1) Nach dem Wortlaut der Klausel bestehen daran keine Zweifel. Sie bestimmt, dass der aus dem Vorjahr übertragene Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub, den der Arbeitnehmer infolge einer ärztlich nachgewiesenen, krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht bis zum 30. April des Folgejahres nehmen konnte, fortbesteht. Der gesetzliche Mindesturlaub bleibt damit im Falle einer Langzeiterkrankung über den Übertragungszeitraum hinaus aufrechterhalten. Ein späterer Verfallzeitpunkt ist nicht vorgesehen. Stattdessen ordnet § 7 Abs. 4 Satz 2 des Arbeitsvertrags an, dass der nach § 7 Abs. 3 Satz 3 des Arbeitsvertrags aufrecht erhaltene Urlaub abzugelten ist, wenn er bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses - unabhängig davon, wann diese eintritt - nicht genommen werden kann.
19(2) Die Vereinbarung in § 7 Abs. 3 Satz 3 des Arbeitsvertrags kann auch nicht als deklaratorische Regelungen interpretiert werden, die lediglich die bei Vertragsschluss noch einschlägige, im Anschluss an die Schultz-Hoff-Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. und C-520/06 - [Schultz-Hoff] Rn. 43, 49) ergangene Rechtsprechung (vgl. - Rn. 57 ff., BAGE 130, 119) beschreiben und unter dem Vorbehalt einer Änderung der Judikatur stehen sollte. Der Wortlaut bietet hierfür keinen Anhaltspunkt. Der verständige Arbeitnehmer darf die vom Beklagten gestellte Klausel beim Wort nehmen und damit so verstehen, dass der wegen Krankheit über den 30. April des Folgejahres fortbestehende Urlaub nicht verfallen soll. Das Auslegungsergebnis folgt unabhängig von der durch die Revision gerügten Annahme des Landesarbeitsgerichts, § 7 Abs. 3 Satz 3 des Arbeitsvertrags könne als soziales Zugeständnis eines christlichen Arbeitgebers an seine Mitarbeiter aufgefasst werden, allein aus einer Würdigung der Vertragsklausel anhand objektiver Kriterien.
20(3) Entgegen der Auffassung der Revision besteht nach der zweifelsfreien, inhaltlich eigenständigen Bestimmung in § 7 Abs. 3 Satz 3 des Arbeitsvertrags kein Raum dafür, „ergänzend“ auf die arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Bestimmungen des § 28 Abs. 7 AVR-DW-EKD (nunmehr AVR-DD) zum Verfall von Urlaub zurückzugreifen.
21(a) Bezieht ein Arbeitgeber in einem Formulararbeitsvertag die bei ihm geltenden kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien mit einer uneingeschränkten Bezugnahmeklausel in das Arbeitsverhältnis ein, wird damit für die beteiligten Verkehrskreise erkennbar, dass das Arbeitsverhältnis umfassend nach diesen Regelungen gestaltet werden soll. Nur bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte ist die Annahme gestattet, mit weiteren Regelungen des Arbeitsvertrags solle eine - konstitutive - Besser- oder Schlechterstellung gegenüber diesen Arbeitsvertragsrichtlinien vereinbart werden (vgl. - Rn. 28; vgl. für einzelvertraglich in Bezug genommene Tarifverträge - Rn. 19; - 5 AZR 9/23 - Rn. 26 ff. mwN).
22(b) Derartige besondere Anhaltspunkte für eine Abweichung von den Arbeitsvertragsrichtlinien sind vorliegend gegeben. Die Parteien haben in § 7 Abs. 3 Satz 3 des Arbeitsvertrags eine von § 28 Abs. 7 AVR-DW-EKD (nunmehr AVR-DD) abweichende Systematik für den Verfall von Urlaub gewählt, die - mit Ausnahme von Langzeiterkrankungen - zu einem früheren Erlöschen von Urlaubsansprüchen führt. Während der Urlaub nach dem Arbeitsvertrag grundsätzlich bereits verfällt, wenn er nicht im laufenden Kalenderjahr (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 1 Arbeitsvertrag) bzw. innerhalb der ersten vier Monate des Folgejahres (vgl. § 7 Abs. 3 Satz 2 Arbeitsvertrag) genommen wird, kann der Urlaub nach § 28 Abs. 7 AVR-DW-EKD (nunmehr AVR-DD) erst erlöschen, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht bis Ende des Urlaubsjahres bzw. des Übertragungszeitraums antritt. Somit verfällt der Urlaub nach der arbeitsvertraglichen Regelung bereits tageweise bis zum Erreichen des jeweiligen Stichtags, nach den Arbeitsvertragsrichtlinien dagegen geschieht dies erst mit Ablauf des Urlaubsjahres bzw. Übertragungszeitraums. Die Arbeitsvertragsrichtlinien verzichten zudem auf eine mit § 7 Abs. 3 Satz 3 des Arbeitsvertrags vergleichbare Regelung, die gesetzliche Urlaubsansprüche im Fall einer langandauernden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vom Verfall ausnimmt. Dies lässt nur den Schluss zu, dass die dazu im Arbeitsvertrag ausdrücklich getroffene Bestimmung diesen Sachverhalt abschließend regelt.
23d) Diese Auslegung der Bestimmung des § 7 Abs. 3 Satz 3 des Arbeitsvertrags steht im Einklang mit den Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG. Die Festlegung einer Übertragungsfrist, die den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG begrenzt, obliegt den Mitgliedstaaten. Gemäß Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG treffen diese die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind. Zu diesen Maßnahmen zählt auch die Bestimmung einer Übertragungsfrist, wie sie der deutsche Gesetzgeber in § 7 Abs. 3 BUrlG geregelt hat. Der Gerichthof der Europäischen Union überprüft lediglich, ob die vom betreffenden Mitgliedstaat festgelegte Übertragungsfrist den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub beeinträchtigen kann, legt sie jedoch nicht selbst fest ( bis C-275/22 - [Keolis Agen] Rn. 32). Dabei hat er die Regel aufgestellt, dass Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub grundsätzlich nicht erlöschen können. Hiervon dürfen die Mitgliedstaaten ausnahmsweise abweichen, wenn dies durch „besondere Umstände“, zu denen eine Kumulation von Urlaubsansprüchen aus mehreren Jahren aufgrund einer Langzeiterkrankung gehört, gerechtfertigt ist. Sie erlaubt die Interpretation des § 7 Abs. 3 BUrlG, dass der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub, den der Arbeitnehmer infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht bis zum Ende des Urlaubsjahres nehmen konnte, bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit zwar unter besonderen Umständen mit Ablauf des 31. März des zweiten Folgejahres untergeht (vgl. und C-727/20 - [Fraport] Rn. 35; - C-214/16 - [King] Rn. 53 f. mwN), verbietet aber keine für den Arbeitnehmer günstigeren individual- oder kollektivrechtlichen Regelungen. Entgegen der Auffassung der Revision folgt der Verfall gesetzlicher Urlaubansprüche bei einer langandauernden Erkrankung nicht bereits unmittelbar und zwingend aus dem Unionsrecht.
24e) Eine Unwirksamkeit des in § 7 Abs. 3 Satz 3 des Arbeitsvertrags geregelten Ausschlusses des Verfalls gesetzlichen Urlaubs bei Langzeiterkrankungen ergibt sich auch nicht aus dem kirchlichen Arbeitsrecht. Der Beklagte hat und konnte als kirchlicher Arbeitgeber in den durch das säkulare Recht gesetzten Grenzen Arbeitsverträge abschließen, die keine oder nur eine eingeschränkte Bezugnahme auf kirchliches Arbeitsrecht wie die AVR-DW-EKD (nunmehr AVR-DD) vorsahen (vgl. im Einzelnen - Rn. 37 ff. mwN, BAGE 163, 56). Sollte die Vertragspraxis des Beklagten gegen die Satzung des Diakonischen Werks verstoßen, hätte dies bezogen auf die streitgegenständlichen Urlaubsansprüche der Klägerin keine Auswirkungen. Die einschlägige Satzung verpflichtet nur die Mitglieder, die kirchenrechtliche Ordnung zu wahren und den kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen im Sinne einer einheitlichen Handhabung Geltung zu verschaffen, wirkt selbst jedoch nicht unmittelbar auf den Inhalt der Arbeitsverträge ein.
25f) Die Auslegung des Arbeitsvertrags der Parteien nach staatlichem Recht verletzt schließlich auch nicht verfassungsrechtliche Rechte des Beklagten. Das Selbstverwaltungs- und Selbstbestimmungsrecht der Kirche (Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV) steht zwar nicht nur dieser selbst entsprechend ihrer rechtlichen Verfasstheit, sondern allen ihr in bestimmter Weise zugeordneten Institutionen, Gesellschaften, Organisationen und Einrichtungen, wenn und soweit sie nach dem glaubensdefinierten Selbstverständnis der Kirche ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, Auftrag und Sendung der Kirche wahrzunehmen und zu erfüllen ( - Rn. 91, 102, BVerfGE 137, 273; - zu II 2 a der Gründe, BAGE 66, 314), und damit auch dem Beklagten zu. Es beinhaltet das Recht der Kirchen, sich selbstbestimmt dafür zu entscheiden, die Dienstverhältnisse ihrer Beschäftigten inhaltlich durch Arbeitsvertragsrichtlinien auszugestalten. Damit korrespondiert die Verpflichtung der Gerichte, unter Achtung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts den Arbeitsvertragsrichtlinien zur praktischen Wirksamkeit zu verhelfen. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht geht aber nicht so weit, dass eine Ausklammerung aus der staatlichen Rechtsordnung im Sinne rechtsfreier Räume anzunehmen wäre. Die Verfassungsgarantie begründet im Gegenteil eine das kirchliche Selbstbestimmungsrecht respektierende Sonderstellung innerhalb der staatlichen Rechtsordnung (vgl. - Rn. 4). Bedienen sich die Kirchen - wie vorliegend der Beklagte durch eine von den AVR-DW-EKD (nunmehr AVR-DD) abweichende Vertragsgestaltung - jedermann offenstehender privatautonomer Gestaltungsformen, unterliegen sie daher unter Berücksichtigung ihres Selbstverwaltungs- und Selbstbestimmungsrechts den zwingenden Vorgaben staatlichen Arbeitsrechts (vgl. - Rn. 29, BAGE 182, 46).
26III. Die an die Klägerin zu zahlende Urlaubsabgeltung für 144 Arbeitstage beläuft sich bei einem - zwischen den Parteien außer Streit stehenden - Tagessatz von 117,42 Euro brutto pro Urlaubstag auf einen Betrag iHv. 16.908,92 Euro brutto.
27IV. Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin nach § 291 iVm. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB zu Recht Prozesszinsen seit dem zugesprochen. Das auf die Abgeltung des streitgegenständlichen Urlaubs bezogene Prozessrechtsverhältnis ist zwischen den Parteien am begründet worden, als dem Beklagten die Klageschrift vom zugestellt worden ist. Der Zinsanspruch besteht gemäß § 187 Abs. 1 BGB ab dem Tag nach der Zustellung ( - Rn. 29, BAGE 167, 319).
28V. Der Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2025:150725.U.9AZR198.24.0
Fundstelle(n):
LAAAJ-98622