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BGH Beschluss v. - VI ZB 59/24

Leitsatz

1.    Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den von der Partei vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit besteht, dass die Fristversäumnis von ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldet war.

2.    Der Rechtsmittelführer ist generell mit dem Risiko belastet, dass das Rechtsmittelgericht in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist (teilweise) versagt. Ohne Verschulden im Sinne von § 233 ZPO handelt der Rechtsanwalt daher nur dann, wenn (und soweit) er auf die Fristverlängerung vertrauen durfte, das heißt, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Das setzt neben der Zulässigkeit die Vollständigkeit des Fristverlängerungsantrags voraus. Hierzu gehört - bei Fehlen der Einwilligung des Gegners - auch die Darlegung eines erheblichen Grundes im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO für die Notwendigkeit der Fristverlängerung.

3.    Grundsätzlich können möglicherweise noch erfolgende Berichtigungen eines Urteils nach §§ 319, 320 ZPO oder Protokollberichtigungen keine erheblichen Gründe im Sinne von § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO für eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist darstellen.

Gesetze: § 233 ZPO, § 319 ZPO, § 320 ZPO, § 520 Abs 2 S 3 ZPO

Instanzenzug: OLG Bamberg Az: 10 U 42/24vorgehend LG Aschaffenburg Az: 31 O 345/21

Gründe

I.

1Der Beklagte hat gegen ein ihm zugestellt am , fristgerecht Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom hat er über seinen Prozessbevollmächtigten erstmals eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum mit der Begründung beantragt, dass beim Landgericht über dort anhängige Tatbestands- und Protokollberichtigungsanträge der Klägerin noch nicht entschieden sei und deshalb die beantragte Fristverlängerung mit dem Ziel der Einbeziehung der etwaig geänderten Fassungen von Urteil und Protokoll in die Berufungsbegründung angezeigt erscheine. Zudem befinde sich der Prozessbevollmächtigte des Beklagten als alleiniger Sachbearbeiter nunmehr bis in seinem jährlichen Erholungsurlaub, so dass aufgrund der laufenden Tatbestands- und Protokollberichtigungsanträge die Berufungsbegründung nicht rechtzeitig fertiggestellt werden könne. Das Berufungsgericht hat die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß verlängert. Mit Schriftsatz vom hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten erneut eine Fristverlängerung bis zum beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass über die Berichtigungsanträge noch immer nicht entschieden sei, die etwaigen Berichtigungen aber zur Grundlage der Berufungsbegründung gemacht werden sollten. Für den Fall, dass das Gericht die beantragte Fristverlängerung nicht als sachdienlich erachten sollte, hat er um entsprechenden Hinweis und "letztmalige angemessene Fristverlängerung" gebeten. Mit Verfügung vom hat das Berufungsgericht die zweite Fristverlängerung abgelehnt, weil es an einer Einwilligung des Gegners fehle. Mit Schriftsatz vom hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Berufung begründet. Auf den Hinweis des Berufungsgerichts, dass die Berufungsbegründung mangels zweiter Fristverlängerung nicht rechtzeitig erfolgt sei, hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt mit der Begründung, dass er auf eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist jedenfalls bis habe vertrauen dürfen.

2Mit Beschluss vom hat das Berufungsgericht den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung mangels rechtzeitiger Berufungsbegründung als unzulässig verworfen. Im zweiten Fristverlängerungsantrag habe es an der Darlegung eines erheblichen Grundes für die Verlängerung gefehlt. Es habe deshalb weder ein hinreichend begründeter Anlass noch ein schützenswertes Vertrauen der Beklagtenpartei dahingehend bestanden, dass die Frist antragsgemäß oder zumindest hilfsweise bis zur Monatsfrist (§ 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO) verlängert werden würde. Der angegebene Grund, die Entscheidung des Landgerichts über nicht näher dargelegte Anträge auf Tatbestands- und Protokollberichtigung abwarten zu wollen, stelle keinen erheblichen Grund für die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist dar. Schon der erste Fristverlängerungsantrag sei nur wegen des darin auch geltend gemachten Erholungsurlaubs und der damit einhergehenden Arbeitsüberlastung begründet gewesen. Nachdem der zweite Fristverlängerungsantrag ausschließlich damit begründet worden sei, dass die Entscheidung des Landgerichts über die Tatbestands- und Protokollberichtigung immer noch ausstehe, habe die Beklagtenseite auf eine weitere Fristverlängerung nicht vertrauen dürfen. Schließlich belege der Umstand, dass die Berufungsbegründung trotz des Ausstehens der Entscheidung über die Berichtigungsanträge habe gefertigt werden können, dass es auf das Abwarten dieser Entscheidungen nicht angekommen sei. Auch für die hilfsweise beantragte "angemessene" Fristverlängerung habe es an der erforderlichen Begründung zur Notwendigkeit gefehlt.

3Gegen den Beschluss wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.

II.

4Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Dabei kann dahinstehen, ob der angegriffene Beschluss dem vorinstanzlichen Beklagtenvertreter, wie in dessen Empfangsbekenntnis angegeben, von der Beschwerdegegnerin aber bezweifelt, tatsächlich erst am zugestellt worden ist, mithin die Rechtsbeschwerde innerhalb der Monatsfrist des § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO eingelegt worden ist. Denn jedenfalls sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt. Insbesondere ist eine Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weil entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde der angefochtene Beschluss nicht den Anspruch des Beklagten auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Der von der Rechtsbeschwerde weiter geltend gemachte Grund der Fortbildung des Rechts ist schon nicht zulässig ausgeführt.

51. Die angefochtene Entscheidung verletzt die von der Rechtsbeschwerde angeführten Verfahrensgrundrechte nicht. Das Berufungsgericht hat dem Beklagten zu Recht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 Satz 1 ZPO versagt und seine Berufung als unzulässig verworfen, weil die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung auf einem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten beruht, das ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.

6a) Hat eine Partei die Berufungsbegründungsfrist versäumt, ist ihr nach § 233 Satz 1 ZPO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten wird der Partei zugerechnet (§ 85 Abs. 2 ZPO). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den von der Partei vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit besteht, dass die Fristversäumnis von ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldet war (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 36/24, MDR 2025, 607 Rn. 5; , NJW 2023, 1812 Rn. 19; jeweils mwN).

7b) So liegt es hier. Der vorinstanzliche Prozessbevollmächtigte des Beklagten durfte nicht darauf vertrauen, dass ihm auf seinen zweiten Fristverlängerungsantrag hin eine Fristverlängerung jedenfalls bis zur Ausschöpfung der Monatsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO (hier also bis zum ) gewährt werden würde, weil es erkennbar an den mangels Einwilligung des Gegners hierfür erforderlichen erheblichen Gründen fehlte.

8aa) Gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO kann die Berufungsbegründungsfrist auf Antrag des Berufungsklägers ohne Einwilligung des Gegners - auf eine solche hat sich der Beklagte nicht berufen - um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Ist eine dieser Voraussetzungen erfüllt, kann auch einem wiederholten Fristverlängerungsantrag ohne Einwilligung des Gegners stattgegeben werden, solange dadurch die Monatsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht überschritten wird (, NJW 2023, 1812 Rn. 32 mwN).

9bb) Der Rechtsmittelführer ist generell mit dem Risiko belastet, dass das Rechtsmittelgericht in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist (teilweise) versagt. Ohne Verschulden im Sinne von § 233 ZPO handelt der Rechtsanwalt daher nur dann, wenn (und soweit) er auf die Fristverlängerung vertrauen durfte, das heißt, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte (, NJW 2023, 1812 Rn. 23 mwN). Das setzt zunächst die Zulässigkeit und weiter die Vollständigkeit des Fristverlängerungsantrags voraus. Hierzu gehört - bei Fehlen der Einwilligung des Gegners - auch die Darlegung eines erheblichen Grundes im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO für die Notwendigkeit der Fristverlängerung. Wird der Antrag auf Fristverlängerung nicht in diesem Sinne begründet, muss der Rechtsmittelführer damit rechnen, dass der Vorsitzende in einem solchen Antrag eine Verzögerung des Rechtsstreits sehen und das Gesuch deshalb ablehnen wird (, MDR 2025, 335 Rn. 5 mwN).

10cc) Nach diesen Maßstäben hätte der vorinstanzliche Beklagtenvertreter bei seinem zweiten Fristverlängerungsantrag mit einer Verlängerung bis zum Ablauf der Monatsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO, also bis zum , nur dann rechnen können, wenn er in dem Antrag erhebliche Gründe im Sinne dieser Vorschrift dargelegt hätte. Dies hat er nicht getan.

11(1) Als Grund für die Fristverlängerung hat der Beklagtenvertreter in seinem zweiten Antrag allein geltend gemacht, dass er (weiterhin) die Entscheidung des Landgerichts über - nicht näher dargelegte - Anträge auf Tatbestands- und Protokollberichtigung abwarten wolle. Indes hat nach ständiger und verfassungsrechtlich unbedenklicher (vgl. BVerfG, NJW 2001, 142) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Berichtigung eines Urteils nach §§ 319, 320 ZPO grundsätzlich keinen Einfluss auf den Beginn und Lauf der Rechtsmittelfristen (vgl. nur Senatsbeschluss vom  - VI ZB 46/06, juris Rn. 8; , juris Rn. 5, 8; jeweils mwN). Nichts anderes gilt grundsätzlich für Protokollberichtigungen. Davon ausgehend können möglicherweise noch erfolgende Berichtigungen auch keine erheblichen Gründe im Sinne von § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO für eine Fristverlängerung darstellen. Da der Beklagtenvertreter weder in den Fristverlängerungsanträgen noch im Wiedereinsetzungsantrag Angaben zum Inhalt der Berichtigungsanträge gemacht hat, waren und sind Anhaltspunkte dafür, dass abweichend von dem genannten Grundsatz etwaige Berichtigungen ausnahmsweise die rechtzeitige Erstellung der Berufungsbegründung hindern und eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ohne Einwilligung des Gegners rechtfertigen könnten, nicht ersichtlich.

12(2) Die Rechtsbeschwerde meint, es komme nicht darauf an, ob der vom Beklagtenvertreter angegebene Grund, die Entscheidung des Landgerichts über die Berichtigungsanträge abwarten zu wollen, erheblich im Sinne von § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO sei. Denn der vorinstanzliche Beklagtenvertreter habe deshalb mit einer zweiten Fristverlängerung jedenfalls bis zum Ablauf der Monatsfrist rechnen dürfen, weil er entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts schon das erste Fristverlängerungsgesuch ausschließlich auf die ausstehenden Entscheidungen über die Berichtigungsanträge gestützt habe und das Berufungsgericht durch die Gewährung der Verlängerung zu erkennen gegeben habe, dass es dies als erheblichen Grund akzeptiere. Dieser Einwand greift nicht durch.

13Angesichts der o.a. Rechtsprechung konnte der Beklagtenvertreter bereits nicht darauf vertrauen, dass das Berufungsgericht sein erstes Fristverlängerungsgesuch so verstanden hatte, dass als Grund ausschließlich die noch ausstehende Bescheidung der Berichtigungsanträge geltend gemacht werden sollte und sich nur hierauf die Bewilligung der Fristverlängerung bezog. Vielmehr musste er in Rechnung stellen, dass das Berufungsgericht das Gesuch - wie ausweislich der angefochtenen Entscheidung auch geschehen - zu Gunsten des Beklagten dahingehend ausgelegt hatte, dass als Grund für die Notwendigkeit der Fristverlängerung jedenfalls auch der Erholungsurlaub des Beklagtenvertreters angegeben wurde. Hätte im Übrigen das Berufungsgericht das Gesuch in dem vom Beklagtenvertreter geltend gemachten Sinn verstanden, hätte es die erste Fristverlängerung mangels Einwilligung des Gegners und mangels Vorliegens eines erheblichen Grundes nur dann gewähren können, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird. Darauf, dass das Berufungsgericht auch eine zweite Fristverlängerung allein aus diesem Grund gewähren würde, durfte der Beklagtenvertreter nicht vertrauen. Erst recht durfte er nicht mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass das Berufungsgericht in dem vom Beklagtenvertreter geäußerten Wunsch, die Entscheidung über die Berichtigungsanträge abwarten zu wollen, bereits bei der ersten Fristverlängerung einen erheblichen Grund gesehen hatte und dass es darüber hinaus an dieser fehlerhaften Sichtweise bei einem zweiten Fristverlängerungsantrag festhalten würde. Jedenfalls wäre ein diesbezügliches Vertrauen nicht schutzwürdig. Wie unter bb) ausgeführt, setzt das Vertrauen auf die Fristverlängerung voraus, dass im Fristverlängerungsantrag ein erheblicher Grund im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO für die Notwendigkeit der Fristverlängerung angegeben wird. Daran fehlt es bei der Angabe eines Grundes, der rechtlich nicht erheblich ist, sondern lediglich vom Berufungsgericht einmal (dem äußeren Anschein nach) als erheblich erachtet wurde. Eine ständige entsprechende Übung des Berufungsgerichts im Umgang mit Fristverlängerungsgesuchen, die unter Umständen ein Vertrauen auf Fristverlängerung rechtfertigen könnte (vgl. dazu , MDR 2008, 41 juris Rn. 9 mwN), lag hier ersichtlich nicht vor.

14(3) Sollte, was die Rechtsbeschwerde allerdings nicht geltend macht, der vorinstanzliche Beklagtenvertreter irrtümlich gemeint haben, dass die möglicherweise anstehenden Tatbestands- und Protokollberichtigungen einen erheblichen Grund im Sinne von § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO darstellen, so würde dies ein Verschulden nicht ausschließen, weil ein diesbezüglicher Irrtum vermeidbar gewesen wäre.

Seiters                          Müller                         Klein

                 Allgayer                       Böhm

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:010725BVIZB59.24.0

Fundstelle(n):
IAAAJ-98354