Zwischenurteil über die verlängerte Festsetzungsfrist wegen Steuerhinterziehung
Leitsatz
Ein Zwischenurteil gemäß § 99 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung über die verlängerte Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 der Abgabenordnung (AO) wegen Steuerhinterziehung nach § 370 AO kann nicht ergehen, wenn Feststellungen über Grund und Höhe des jeweiligen Steueranspruchs und damit zum objektiven und subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung fehlen.
Gesetze: AO § 169 Abs. 2 Satz 2; AO § 370; FGO § 99 Abs. 2;
Instanzenzug:
Tatbestand
I.
1 Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und seine Ehefrau (Erblasserin) setzten sich mit gemeinschaftlichem Testament vom wechselseitig zu Alleinerben ein. Die Erblasserin war zu Lebzeiten alleinige Erstbegünstigte einer von ihr errichteten Stiftung mit der dazugehörigen Kundenverbindung bei der . (V-Bank). Sie konnte jederzeit unbeschränkt über die Vermögenswerte der Stiftung verfügen. Am brachte die Erblasserin den Großteil der Wertpapiere aus der Kundenverbindung zur V-Bank in eine gemeinsam mit ihrem Ehemann abgeschlossene Lebensversicherung ein.
2 Die Erblasserin verstarb am .
3 Mit Schreiben vom bat der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt —FA—) das Nachlassgericht Amtsgericht . (Nachlassgericht) um Amtshilfe und unter anderem um Mitteilung eines Nachlassverzeichnisses. Das Testament wurde am vor einem deutschen Gericht eröffnet.
4 Der Kläger reichte auf Veranlassung des Nachlassgerichts ein auf den datiertes Nachlassverzeichnis mit einem geschätzten Verkehrswert des Nachlasses in Höhe von . € und einem geschätzten Reinnachlass in Höhe von . € ein. Das Nachlassverzeichnis enthielt weder das nach der Übertragung des Großteils der Wertpapiere auf die Lebensversicherung verbliebene Vermögen bei der V-Bank (Stiftungsvermögen) noch Ansprüche aus der Lebensversicherung.
5 Das Nachlassgericht übersandte am dem FA die Kopie des gemeinschaftlichen Testaments sowie das vom Kläger unterschriebene Nachlassverzeichnis.
6 Das FA ging nach Abzug von Darlehensverbindlichkeiten und Erbfallkosten bei einem überschlägigen Ansatz des Grundbesitzes von einem zu erfassenden Erwerb unter dem Freibetrag in Höhe von 307.000 € aus, forderte aus diesem Grund zu diesem Zeitpunkt keine Erbschaftsteuererklärung an und setzte auch keine Erbschaftsteuer fest.
7 Mit Schreiben vom setzte der Kläger das FA erstmals von der Übertragung der Wertpapiere von der Erblasserin auf die gemeinsame Lebensversicherung in Kenntnis. Er ging insoweit von einer hälftigen Schenkung von seiner Ehefrau an ihn aus und gab den tatsächlichen Wert des Nachlasses nunmehr mit . € ohne Abzug von Nachlassverbindlichkeiten zuzüglich eines Sicherheitszuschlags in Höhe von 30 %, also insgesamt mit . € an.
8 Unter Zugrundelegung der im oben genannten Schreiben erklärten Werte erließ das FA einen mittlerweile bestandskräftigen und hier nicht streitigen Schenkungsteuerbescheid sowie einen Erbschaftsteuerbescheid vom unter dem Vorbehalt der Nachprüfung im Schätzwege, mit dem es Erbschaftsteuer in Höhe von . € festsetzte. Es berücksichtigte hierbei einen entsprechenden schenkweise erhaltenen Vorerwerb in Höhe von . €. Zudem forderte es den Kläger zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung auf.
9 Gegen den Erbschaftsteuerbescheid legte der Kläger Einspruch ein und machte den Eintritt der Festsetzungsverjährung geltend. Während des Einspruchsverfahrens setzte das FA mit Änderungsbescheid vom zuletzt Erbschaftsteuer in Höhe von . € fest. Den Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom zurück. Es hielt die verlängerte Festsetzungsfrist von 10 Jahren nach § 169 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 der Abgabenordnung (AO) wegen Steuerhinterziehung auch in Bezug auf die Erbschaftsteuer für einschlägig. Zum einen habe der Kläger eine Steuerhinterziehung in Bezug auf die verschwiegene Vorschenkung begangen, was kausal dazu geführt habe, dass keine Erbschaftsteuererklärung angefordert worden sei. Zum anderen habe der Kläger durch das fehlerhafte Nachlassverzeichnis eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO in mittelbarer Täterschaft begangen.
10 Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben, mit der er sein Begehren der Aufhebung des Erbschaftsteuerbescheids wegen eingetretener Festsetzungsverjährung weiterverfolgte. Das Finanzgericht (FG) hat mit Zwischenurteil festgestellt, dass bei Ergehen des Erbschaftsteuerbescheids vom die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen war. Der Kläger habe eine Steuerhinterziehung in Bezug auf die Erbschaftsteuer dadurch begangen, dass er die Anzeige des Vorerwerbs vom unterlassen habe. Eine Steuerhinterziehung des Klägers durch unrichtige Angaben gegenüber dem Nachlassgericht hat das FG sowohl in unmittelbarer als auch mittelbarer Täterschaft für nicht gegeben angesehen. Das Zwischenurteil war nach Auffassung des FG angesichts der noch streitigen Höhe der einzelnen Vermögenswerte und Nachlassverbindlichkeiten sachdienlich.
11 Das Zwischenurteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 1108 veröffentlicht.
12 Mit der hiergegen gerichteten Revision macht der Kläger eine Verletzung materiellen Rechts geltend. Die Annahme des FG, der Tatbestand der Steuerhinterziehung sei erfüllt, weil die unterlassene Anzeige der Vorschenkung zu einer zweiten Steuerhinterziehung hinsichtlich der Erbschaftsteuer geführt habe, verletze Bundes- und Verfassungsrecht.
13 Das FG nehme ohne genaue Prüfung an, dass aufgrund der unterlassenen Anzeige der Vorschenkung eine Steuerhinterziehung in Bezug auf die Schenkungsteuer vorgelegen habe. Hieraus schließe das FG dann rechtsfehlerhaft auf eine weitere Steuerhinterziehung in Bezug auf die Erbschaftsteuer. Selbst wenn man eine Steuerhinterziehung in Bezug auf die Schenkungsteuer annähme, würde das Unterlassen der Anzeige der Vorschenkung nicht den Tatbestand einer späteren Hinterziehung der Erbschaftsteuer erfüllen.
14 Das Unterlassen der Anzeige einer Vorschenkung könne nicht als Anknüpfungspunkt für eine Steuerhinterziehung im Hinblick auf einen zeitlich später eintretenden Erwerbstatbestand im Sinne des § 1 Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) herangezogen werden. Erforderlich sei vielmehr ein pflichtwidriges Unterlassen im Hinblick auf den Erwerb von Todes wegen, woran es im vorliegenden Fall jedoch fehle. Auch ein Vorsatz sei nicht gegeben, da der Kläger im Zeitpunkt der Hinterziehung einer Vorschenkung noch nicht habe wissen können, ob es überhaupt zu nachgelagerten Erwerben kommen werde. Auch im Übrigen habe der Kläger keine Tathandlung im Sinne des § 370 AO begangen. Das Nachlassgericht sei keine andere Behörde im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Insofern könne er auch keine unrichtigen oder unvollständigen Angaben im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO gemacht haben. Dies gelte auch, soweit der Kläger gegenüber dem Nachlassgericht den Wert des Nachlasses unrichtig angegeben habe.
15 Eine Anzeige nach § 30 Abs. 1 ErbStG im Hinblick auf die Erbschaft habe er nicht zu erstatten gehabt. Das Gesetzlichkeitsprinzip sowie der Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes, § 1 des Strafgesetzbuchs —StGB—) verbiete es, eine nicht bestehende Anzeigepflicht in Bezug auf die Erbschaftsteuer auf anderem Wege herzuleiten.
16 Der Kläger beantragt,
die Vorentscheidung, den Erbschaftsteuerbescheid vom , den Änderungsbescheid vom und die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.
17 Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
18 Im Hinblick auf die Steuerhinterziehung der Erbschaftsteuer schließt sich das FA der Begründung des FG vollumfänglich an. Der Kläger verkenne, dass das FG die Strafbarkeit nicht auf jede zukünftige Tathandlung ausweite, sondern für diesen konkreten Einzelfall die Kausalität zwischen Nichtanzeige der Vorschenkung und Steuerhinterziehung der Erbschaftsteuer angenommen habe. Die Schenkung habe nur drei Tage vor dem Eintritt des Erbfalls gelegen und die Anzeigepflicht damit erst drei Monate nach dem Erbfall geendet. Bei gesetzeskonformer Anzeige der Vorschenkung wäre diese im EDV-Verfahren automatisch dem Erbfall als sogenannter Vorerwerbstreffer zugeordnet worden und hätte zu einer Anforderung einer Erbschaftsteuererklärung geführt. Der klägerische Vortrag zum fehlenden Vorsatz sei nicht nachvollziehbar. Es habe insgesamt ein geplantes Vorgehen in Bezug auf die schenkung- und erbschaftsteuerlichen Folgen vorgelegen.
Gründe
II.
19 Die Revision ist aus anderen als den vom Kläger vorgebrachten Gründen begründet und führt zur Aufhebung der Vorentscheidung. Das FG hat, ohne dass die Voraussetzungen hierfür vorlagen, verfahrensfehlerhaft durch Zwischenurteil nach § 99 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) über die Frage entschieden, ob bei Ergehen des Erbschaftsteuerbescheids vom die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen war. Das FG hat im Hauptsacheverfahren festzustellen, ob im Zeitpunkt des Erlasses des Erbschaftsteuerbescheids Festsetzungsverjährung eingetreten war. Der weitergehende Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist danach unbegründet.
20 1. Nach § 99 Abs. 2 FGO kann das Gericht durch Zwischenurteil über eine entscheidungserhebliche Sach- oder Rechtsfrage vorab entscheiden, wenn dies sachdienlich ist und die Beteiligten nicht widersprechen. Ob das FG in dieser Form entscheiden will, beurteilt es zwar nach eigenem Ermessen. Der Bundesfinanzhof (BFH) prüft aber, ob die Voraussetzungen eines Zwischenurteils vorgelegen haben. Das Vorliegen der Sachurteilsvoraussetzungen hat der BFH in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen (, BFHE 282, 548, Rz 12, m.w.N.), ohne an die vorgebrachten Revisionsgründe insoweit gebunden zu sein (§ 118 Abs. 3 Satz 2 FGO).
21 Sachdienlich ist eine Entscheidung durch Zwischenurteil, wenn zu erwarten ist, dass die Beteiligten nach der verbindlichen Klärung der Rechtsfrage den Rechtsstreit rasch beilegen werden. Es kann aber auch andere Gründe für die Sachdienlichkeit geben. Nicht sachdienlich ist die Entscheidung über eine Rechtsfrage insbesondere dann, wenn noch nicht alle für ihre abschließende Beantwortung im Urteilsfall erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen sind (, BFH/NV 2016, 1433, Rz 25). Ein Zwischenurteil kommt deshalb nur zu solchen Vorfragen in Betracht, über die mit Sicherheit auch in einem Endurteil zu entscheiden wäre (, BFHE 282, 548, Rz 13, m.w.N.).
22 2. Diese Anforderungen an die Sachdienlichkeit eines Zwischenurteils sind im Streitfall nicht erfüllt. Zwar kann über die Frage des Ablaufs der Festsetzungsfrist grundsätzlich durch Zwischenurteil entschieden werden (vgl. , BFHE 257, 333, BStBl II 2017, 1046, Rz 9, m.w.N.; vom - IV R 31/01, BFHE 202, 7, BStBl II 2003, 552, unter II.2.; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 99 Rz 13; Rauda in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 99 FGO Rz 27). Ein Zwischenurteil gemäß § 99 Abs. 2 FGO, in dem das FG über die verlängerte Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO wegen Steuerhinterziehung nach § 370 AO entscheidet, darf allerdings nicht ergehen, wenn Feststellungen über Grund und Höhe des jeweiligen hinterzogenen Steueranspruchs und damit zum objektiven und subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung fehlen.
23 Das FG hat im Streitfall nicht alle tatsächlichen Feststellungen getroffen, um die Vorfrage, ob die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 AO für die Erbschaftsteuer noch nicht abgelaufen war, entscheiden zu können. Es fehlen tatsächliche Feststellungen dazu, ob und in welcher Höhe unter Berücksichtigung des Kompensationsverbots nach § 370 Abs. 4 Satz 3 AO der jeweilige Steueranspruch besteht, um prüfen zu können, ob und in welcher Höhe eine Steuerhinterziehung, insbesondere eine Steuerverkürzung und der darauf bezogene Vorsatz des Klägers vorliegt.
24 a) Die Festsetzungsfrist von zehn Jahren gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 AO greift ein, soweit eine Steuer hinterzogen worden ist. Ob eine Steuerhinterziehung im Sinne von § 169 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 AO vorliegt, bestimmt sich bei Prüfung der Festsetzungsverjährung nach § 370 AO (Steuerhinterziehung), da § 169 AO diesbezüglich keine Legaldefinition enthält. Hängt die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids von der Verlängerung der Festsetzungsfrist auf zehn Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 AO) und somit vom Vorliegen einer Steuerhinterziehung ab, müssen zur Rechtmäßigkeit des Bescheids —wie das FG zunächst richtig erkannt hat— die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 370 Abs. 1 AO erfüllt sein. Der Steuerschuldner muss eine der in § 370 Abs. 1 AO beschriebenen Tathandlungen mit Vorsatz begangen und dadurch Steuern verkürzt haben. Die im Steuerrecht vorkommenden Begriffe des Straf- beziehungsweise Ordnungswidrigkeitenrechts sind materiell-rechtlich wie im Straf- beziehungsweise Ordnungswidrigkeitenrecht zu beurteilen, jedoch nach den Verfahrensvorschriften der Abgabenordnung und der Finanzgerichtsordnung zu prüfen (, BFHE 281, 211, BStBl II 2024, 28, Rz 18, m.w.N.). Das FG hat die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung, das heißt eines der Tatbestände des § 370 Abs. 1 AO, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen. Die Feststellungslast trifft das FA (, BFH/NV 2013, 1057, Rz 30, m.w.N.).
25 b) Sowohl der objektive als auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 AO erfordert bereits bei Prüfung des Ablaufs der Festsetzungsfrist Feststellungen zu Grund und Höhe des jeweiligen Steueranspruchs.
26 aa) Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung setzt unter anderem voraus, dass der Steuerpflichtige durch eine der in § 370 Abs. 1 AO normierten Tathandlungen Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO). Zur Bestimmung des Umfangs der Steuerverkürzungen ist die bei wahrheitsgemäßen Angaben beziehungsweise pflichtgemäßem Verhalten von Gesetzes wegen angefallene Steuer (Soll-Steuer) mit der tatsächlich —infolge der wahrheitswidrigen Angaben beziehungsweise pflichtwidrigen Unterlassens zu niedrig— festgesetzten Steuer (Ist-Steuer) zu vergleichen; die Differenz aus diesen beiden Ergebnissen ergibt den Hinterziehungsbetrag (vgl. , Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht —wistra— 2019, 427, Rz 8, m.w.N.). Dies erfordert Feststellungen zu Grund und Höhe des Steueranspruchs. Dabei ist das Vorliegen einer Steuerhinterziehung nach dem Wortlaut des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO („soweit“) in der Regel für jeden einzelnen Steueranspruch und jeden einzelnen Teilbetrag des Steueranspruchs getrennt festzustellen (vgl. , BFHE 235, 304, BStBl II 2012, 345, Rz 87).
27 bb) Auch die Prüfung des subjektiven Tatbestandes setzt die Feststellung des Steueranspruchs dem Grunde und der Höhe nach voraus. Nach ständiger Rechtsprechung gehört zum Vorsatz der Steuerhinterziehung, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will beziehungsweise die Verkürzung billigend in Kauf nimmt; bedingter Vorsatz genügt. Nimmt der Steuerpflichtige irrtümlich an, dass ein Steueranspruch nicht entstanden ist, liegt nach dieser Rechtsprechung ein Tatumstandsirrtum vor, der den Vorsatz ausschließt (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB; , wistra 2021, 76, Rz 21, m.w.N.). Der Hinterziehungsvorsatz setzt zwar keine sichere Kenntnis des Steueranspruchs voraus (, wistra 2019, 374, Rz 20, m.w.N.). Das heißt, dass der Täter den Steuerschaden nicht genau beziffern können muss (Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 AO, Rz 661; MüKoStGB, 4. Aufl., § 370 AO Rz 426 f.). Auch einer genauen Kenntnis der steuerlichen Vorschriften bedarf es insoweit nicht (, BGHSt 48, 52, Rz 67). Der Täter muss allerdings im Sinne einer Parallelwertung in der Laiensphäre erkennen, dass er durch seine wahrheitswidrigen Angaben beziehungsweise unterlassene Anzeige eine Steuerverkürzung bestimmten Umfangs bewirken kann (, juris, m.w.N.; , wistra 2019, 374, Rz 20, m.w.N.).
28 3. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Das Zwischenurteil ist daher aufzuheben. Das FG hat rechtsfehlerhaft die Sachdienlichkeit des Zwischenurteils angenommen. Es hat ohne Feststellungen zu Grund und Höhe der jeweiligen Steueransprüche in Bezug auf die Erbschaftsteuer zu treffen, die verlängerte Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 AO bejaht. Mit der Aufhebung des angefochtenen Zwischenurteils befindet sich das Klageverfahren wieder in dem Stadium, das vor Erlass des Zwischenurteils bestanden hat, ohne dass es einer förmlichen Zurückverweisung bedarf (, BFHE 282, 548, Rz 19, m.w.N.). Über den weitergehenden Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids in Gestalt der Einspruchsentscheidung war daher im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden, sodass er als unbegründet zurückzuweisen ist.
29 4. Im weiteren Rechtsgang wird das FG die fehlenden Feststellungen hinsichtlich einer etwaigen Steuerhinterziehung nachzuholen haben. Dabei weist der Senat ohne Bindungswirkung auf Folgendes hin:
30 a) Die Besteuerung des nach Übertragung des Großteils der Wertpapiere verbliebenen Guthabens bei der V-Bank zugunsten der Stiftung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG hängt davon ab, ob die Stiftung bei Tod der Erblasserin weiterhin als transparent zu betrachten ist. Waren die Herrschaftsbefugnisse vererblich, tritt der Erbe damit auch bezüglich des Stiftungsvermögens in die Rechtsstellung des Stifters ein. Das Stiftungsvermögen gehört in einem solchen Fall grundsätzlich zum Nachlassvermögen des Stifters im Sinne des § 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Sind die Herrschaftsbefugnisse des Stifters dagegen nicht vererblich, erlöschen sie mit dem Tod des Stifters ersatzlos. Damit entfällt zugleich die Zurechnung des Stiftungsvermögens beim Stifter beziehungsweise dessen Erben. Rechtsnachfolger hinsichtlich des Stiftungsvermögens ist in diesem Fall die Stiftung selbst (, BFHE 263, 283, BStBl II 2020, 655, Rz 24 f.).
31 b) Ob Ansprüche aus der Lebensversicherung in den Nachlass gefallen sind und nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG der Erbschaftsteuer unterliegen, hängt davon ab, ob die Ansprüche aus der Lebensversicherung dem Versicherungsnehmer oder der versicherten Person zustanden, sodass der Kläger mit dem Tod der Erblasserin die Ansprüche als Erbe erworben hat. Hat der Kläger etwaige Ansprüche hingegen als Bezugsberechtigter aufgrund eines von der Erblasserin geschlossenen Vertrags unmittelbar von dem Versicherungsunternehmen erworben, unterliegen die Ansprüche nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG der Erbschaftsteuer (vgl. Gebel, Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge 2005, 236; Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 3 Rz 291; Leitzen, Rheinische Notar-Zeitschrift 2009, 129, 154 f.; Wälzholz in Viskorf/Schuck/Wälzholz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 7. Aufl., § 3 ErbStG Rz 205). Handelt es sich um eine sogenannte verbundene Lebensversicherung unterliegt der Besteuerung nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG die über den Anteil an der Gemeinschaft hinausgehende Leistung (Wälzholz in Viskorf/Schuck/Wälzholz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 7. Aufl., § 3 ErbStG Rz 207). Besteht eine Besteuerung nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG, wäre zu prüfen, ob insoweit eine Anzeigepflicht nach § 30 Abs. 1 ErbStG bestanden hat und eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO in Betracht kommt. Ein Wegfall der Anzeigepflicht nach § 30 Abs. 1 ErbStG aufgrund der Eröffnung des gemeinschaftlichen Testaments durch das Nachlassgericht scheidet in diesem Fall mangels testamentarischen Erwerbs aus.
32 c) Das FG wird eine Steuerhinterziehung in mittelbarer Täterschaft nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO durch wahrheitswidrige Angaben gegenüber dem Nachlassgericht (vgl. dazu Joecks/Jäger/Randt/Grötsch, Steuerstrafrecht, 9. Aufl., § 370 Rz 201) erneut zu prüfen haben, falls weitere Vermögensgegenstände in den Nachlass gefallen sein sollten. Für eine Steuerhinterziehung in mittelbarer Täterschaft nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist ein Handeln des Nachlassgerichts in Ausübung steuerlicher Pflichten für den Kläger nicht erforderlich (vgl. , BFHE 250, 427, BStBl II 2015, 1031, Rz 50, m.w.N.). Aus dem Senatsurteil vom - II R 52/99 (BFH/NV 2002, 917) ergibt sich insoweit nichts anderes. Es enthält lediglich Aussagen zur unmittelbaren Täterschaft einer Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO und zur Steuererheblichkeit des Geschäftswerts des Nachlasses nach §§ 18 ff. der Kostenordnung, jedoch keine Aussagen zu einer Steuerhinterziehung in mittelbarer Täterschaft nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO sowie zur Steuererheblichkeit eines Nachlassverzeichnisses und den Verkehrswerten der Nachlassgegenstände. Für die Vorsatzprüfung kann in diesem Zusammenhang unter anderem bedeutsam sein, inwieweit auf eine Weiterleitung an die Finanzbehörden in dem Vordruckformular für das Nachlassgericht hingewiesen wurde.
33 d) Sollte das FG hingegen für eine Steuerhinterziehung in Bezug auf die Erbschaftsteuer weiterhin an die unterlassene Anzeige der Übertragung des Großteils der Wertpapiere auf die Lebensversicherung anknüpfen wollen, kann das Vorliegen einer Steuerhinterziehung in Bezug auf die Schenkungsteuer dahinstehen. Das Vorliegen einer Hinterziehung der Schenkungsteuer ist für die Festsetzungsfrist der Erbschaftsteuer nicht von Bedeutung. Maßgeblich ist für eine Steuerhinterziehung der Erbschaftsteuer allein, ob der Kläger das FA pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen hat und dies unter Berücksichtigung des Kompensationsverbots nach § 370 Abs. 4 Satz 3 AO kausal zu einer Steuerverkürzung in Bezug auf die Erbschaftsteuer geführt hat. Dabei ist objektiv nicht ausgeschlossen, dass der Steuerverkürzungserfolg in Bezug auf die Erbschaftsteuer auch durch eine pflichtwidrig unterlassene Anzeige der Vorschenkung herbeigeführt werden kann. Für die erneute Vorsatzprüfung ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass sich der Vorsatz auch auf den Kausalverlauf beziehen muss. Hierfür ist erforderlich, dass der Steuerpflichtige die Bedeutung der Anzeige des Vorerwerbs für die Erbschaftsteuer, insbesondere für die Anforderung einer Erbschaftsteuererklärung im konkreten Einzelfall jedenfalls laienhaft erfasst hat, er also bei Anzeige des Vorerwerbs auch von einer Besteuerung des der Erbschaftsteuer unterliegenden Erwerbs ausgegangen ist und sich mit der Möglichkeit einer daraus resultierenden Steuerverkürzung abgefunden hat (vgl. , wistra 2011, 465, Rz 21). Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass bei einer Anzeige des Vorerwerbs jedenfalls die Existenz der Lebensversicherung offenbart worden wäre.
34 5. Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten (, BFH/NV 2014, 716, Rz 40, m.w.N.).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2025:U.090425.IIR39.21.0
Fundstelle(n):
DAAAJ-98026