Anwendungsbereich der Ausnahmen vom Progressionsvorbehalt
Leitsatz
Die in § 32b Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geregelten Ausnahmen vom Progressionsvorbehalt gelten nur für diejenigen Einkünfte, die aufgrund einer abkommensrechtlichen Steuerfreistellung nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG dem Progressionsvorbehalt unterliegen.
Gesetze: EStG § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 5 sowie Satz 2 Nr. 3
Instanzenzug: ,
Tatbestand
I.
1 Die Beteiligten streiten über die Anwendung des Progressionsvorbehalts auf ausländische Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.
2 Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist deutscher Staatsangehöriger. Im Jahr 2018 (Streitjahr) erzielte er aus einer in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) ausgeübten Tätigkeit als . Einkünfte aus selbständiger Arbeit und unterhielt an seinem .sitz in X (Inland) eine Wohnung.
3 Die Ehefrau des Klägers wohnte im Streitjahr in der Republik Polen (Polen) und ist polnische Staatsangehörige. Sie erzielte in Deutschland Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sowie gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb eines .büros in X.
4 Die nicht dauernd getrennt lebenden Eheleute beantragten für das Streitjahr in Deutschland die Zusammenveranlagung. In ihrer gemeinsamen Einkommensteuererklärung gaben sie an, dass die Ehefrau in Polen Lohneinkünfte in Höhe von . € sowie Einkünfte aus der Vermietung einer in Polen belegenen Immobilie in Höhe von . € erzielt habe, die nicht der deutschen Einkommensteuer unterlägen.
5 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt —FA—) veranlagte die Eheleute nach § 26 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 3 und § 1a Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG) antragsgemäß zusammen zur Einkommensteuer, unterwarf aber sämtliche in Polen erzielten Einkünfte der Ehefrau nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG dem Progressionsvorbehalt.
6 Einspruch und Klage, die sich unter Bezugnahme auf § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 EStG gegen die Anwendung des Progressionsvorbehalts auf die polnischen Vermietungseinkünfte der Ehefrau richteten, blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg begründete die Abweisung der Klage im Urteil vom - 9 K 9061/21 (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2022, 1590) im Wesentlichen damit, dass sich die Ausnahmeregelung des § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 EStG nach dem Wortlaut ausschließlich auf Einkünfte beziehe, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) steuerfrei seien (§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG). Im Streitfall sei das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom (BGBl II 2004, 1305, BStBl I 2005, 350) —DBA-Polen 2003— nicht auf die in Polen erzielten Vermietungseinkünfte der Ehefrau anwendbar. Insoweit fehle ein grenzüberschreitender Sachverhalt, da die Ehefrau abkommensrechtlich ausschließlich in Polen ansässig gewesen sei. In der Folge ergebe sich der Progressionsvorbehalt ausschließlich aus § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG i.V.m. der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht der Ehefrau nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG. Hierfür sehe § 32b Abs. 1 Satz 2 EStG keine Ausnahme vor. Obwohl im Fall einer unbeschränkten Steuerpflicht der Ehefrau nach § 1 Abs. 1 EStG die Einkünfte aus Vermietung den inländischen Steuersatz nicht erhöht hätten, führe dies auch nicht zu einem Verstoß gegen Unionsrecht. Die Ungleichbehandlung knüpfe nicht an den Umstand an, dass die Ehefrau steuerlich in Polen ansässig sei, sondern daran, dass die Eheleute ungeachtet dieses Umstands die Vorteile einer Zusammenveranlagung in Anspruch nehmen wollten.
7 Der Kläger macht mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts geltend und beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und den Bescheid über die Einkommensteuer für das Jahr 2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom dahin zu ändern, dass eine Anwendung des Progressionsvorbehalts auf die Einkünfte seiner Ehefrau aus Vermietung und Verpachtung unterbleibt.
8 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Gründe
II.
9 Die Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat zu Recht entschieden, dass die von der Ehefrau des Klägers in Polen erzielten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG dem Progressionsvorbehalt unterliegen.
10 1. § 32b Abs. 1 Satz 1 EStG sieht unter bestimmten Voraussetzungen die Anwendung eines besonderen Steuersatzes gemäß § 32b Abs. 2 EStG vor (sogenannter Progressionsvorbehalt).
11 Nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG kommt der Progressionsvorbehalt unter anderem dann zur Anwendung, wenn ein unbeschränkt Steuerpflichtiger Einkünfte bezieht, die nach einem DBA steuerfrei sind. Nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG gilt der Progressionsvorbehalt auch dann, wenn Einkünfte bezogen werden, die bei Anwendung des § 1 Abs. 3 EStG oder des § 1a EStG im Veranlagungszeitraum bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens unberücksichtigt bleiben, weil sie nicht der deutschen Einkommensteuer oder einem Steuerabzug unterliegen.
12 § 32b Abs. 1 Satz 2 EStG regelt eine Ausnahme vom Progressionsvorbehalt. Danach gilt § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG nicht für die in § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 5 EStG enumerativ aufgeführten Einkünfte. Hierzu gehören unter anderem Einkünfte aus der Vermietung oder der Verpachtung von unbeweglichem Vermögen, welches in einem anderen Staat als in einem Drittstaat belegen ist (§ 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 EStG).
13 2. Hinsichtlich der streitigen Einkünfte der Ehefrau aus Vermietung und Verpachtung sind die Voraussetzungen des Progressionsvorbehalts nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG grundsätzlich erfüllt. Zum einen unterliegt die Ehefrau (jedenfalls) der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG. Zum anderen bleiben ihre im Streitjahr in Polen erzielten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens unberücksichtigt, da insoweit keine inländischen Einkünfte im Sinne des § 49 EStG vorliegen. Dies alles ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit, so dass der Senat von weiteren Ausführungen absieht.
14 3. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass der Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG nicht aufgrund der Ausnahmeregelung des § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 EStG entfällt.
15 a) § 32b Abs. 1 Satz 2 EStG gilt nach seinem Wortlaut ausschließlich für Einkünfte, die dem Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG unterliegen. Dessen Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor (auch nicht zusätzlich zu § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG). Die Vermietungseinkünfte der in Polen ansässigen Ehefrau sind in Deutschland nicht steuerbar. Damit kann es nicht mehr zu einer Steuerfreistellung auf Grundlage des DBA-Polen 2003 kommen. Die fiktive unbeschränkte Steuerpflicht der Ehefrau in Deutschland ändert daran nichts, da wegen fehlender Belegenheit der Vermietungsobjekte in Deutschland keine inländischen Einkünfte im Sinne des § 49 EStG vorliegen.
16 b) Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 32b Abs. 1 Satz 2 EStG auf Einkünfte, die (nur) nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG dem Progressionsvorbehalt unterliegen, kommt nicht in Betracht.
17 Eine solche Auslegung würde dem eindeutigen Wortlaut und der Systematik des § 32b Abs. 1 EStG widersprechen. Während § 32b Abs. 1 Satz 1 EStG für verschiedene abgrenzbare Fallkonstellationen einen Progressionsvorbehalt regelt, gilt die Ausnahme nach § 32b Abs. 1 Satz 2 EStG ausdrücklich nur für den Fall des § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG.
18 Der begrenzte Anwendungsbereich des § 32b Abs. 1 Satz 2 EStG wird auch durch die Begründung des Gesetzentwurfs bestätigt, da die Einführung dieser Ausnahme dort in einen Zusammenhang mit den Änderungen des § 2a Abs. 1 EStG durch das Jahressteuergesetz 2009 vom (BGBl I 2008, 2794, BStBl I 2009, 74) gestellt wird. Diese Änderungen sahen vor, dass die eingeschränkte steuerliche Berücksichtigung ausländischer negativer Einkünfte nach § 2a Abs. 1 EStG in Reaktion auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Rewe Zentralfinanz vom - C-347/04 (EU:C:2007:194) nur noch für Drittstaaten-Einkünfte gelten sollte. Für die unionsrechtlichen Sachverhalte sollte stattdessen in § 32b Abs. 1 Satz 2 EStG eine Ausnahme vom Progressionsvorbehalt eingefügt werden. Dabei ging der Gesetzgeber davon aus, dass eine symmetrische Ausnahme vom negativen und positiven Progressionsvorbehalt unionsrechtlich zulässig sei (BTDrucks 16/10189, S. 46 und 53). Auf dieser Grundlage hatte der Gesetzgeber bereits im Jahressteuergesetz 2008 vom (BGBl I 2007, 3150, BStBl I 2008, 218) in Reaktion auf das EuGH-Urteil Lakebrink und Peters-Lakebrink vom - C-182/06 (EU:C:2007:452; vgl. auch EuGH-Urteil Ritter-Coulais vom - C-152/03, EU:C:2006:123) die Beschränkung der bis dahin geltenden Fassung des § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG auf positive Einkünfte aufgehoben (Bericht des Finanzausschusses, BTDrucks 16/7036, S. 12 f.). Aus dieser Entstehungsgeschichte folgt, dass der Gesetzgeber die Ausnahme des § 32b Abs. 1 Satz 2 EStG bewusst nur für die spezielle Fallkonstellation des § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG vorgesehen hat (vgl. auch Lutter, EFG 2022, 1592 f.).
19 4. Schließlich hat das FG im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Versagung der Ausnahmeregelung des § 32b Abs. 1 Satz 2 EStG bei Einkünften, die nur nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG dem Progressionsvorbehalt unterliegen, nicht zu einem Verstoß gegen Unionsrecht führt. Dabei kann offenbleiben, auf welche Grundfreiheit sich der Kläger im Streitfall beruft.
20 a) Ausgangspunkt ist die Rechtsprechung des EuGH, dass es nicht gegen Unionsrecht verstößt, wenn ein nicht steuerberechtigter Staat ausländische Einkünfte einer in seinem Staatsgebiet ansässigen Person im Wege des Progressionsvorbehalts berücksichtigt (EuGH-Urteil Asscher vom - C-107/94, EU:C:1996:251; vgl. auch Senatsurteil vom - I R 40/01, BFHE 199, 224, BStBl II 2002, 660; Senatsbeschlüsse vom - I R 66/15, BFH/NV 2017, 726; vom - I B 10/10, BFH/NV 2011, 17; vom - I R 53/20, BFH/NV 2024, 379; Brandis/Heuermann/Wagner, § 32b EStG Rz 31). Hierfür ist maßgebend, dass die entsprechenden Einkünfte die Leistungsfähigkeit erhöhen (EuGH-Urteil Schulz-Delzers und Schulz vom - C-240/10, EU:C:2011:591).
21 b) Dagegen liegt ein Verstoß gegen Unionsrecht insbesondere dann vor, wenn für ausländische Einkünfte nur ein positiver, aber kein negativer Progressionsvorbehalt zur Anwendung kommt (EuGH-Urteil Ritter-Coulais vom - C-152/03, EU:C:2006:123; EuGH-Urteil Lakebrink und Peters-Lakebrink vom - C-182/06, EU:C:2007:452). Dies führt aber nicht dazu, dass nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige, die nach § 1a EStG bzw. § 1 Abs. 3 EStG fiktiv unbeschränkt steuerpflichtig sind und ihre persönlichen Verhältnisse im Wege der Zusammenveranlagung nach § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG berücksichtigen können, einschränkungslos wie unbeschränkt Steuerpflichtige zu behandeln sind (vgl. auch Senatsurteil vom - I R 26/21, BFH/NV 2024, 757 zu § 1a EStG).
22 c) Im Streitfall kommt es somit nicht deshalb zu einer unionsrechtswidrigen Diskriminierung, weil bei einem inländischen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt der Ehefrau des Klägers in Deutschland § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 EStG anwendbar gewesen wäre und die positiven Einkünfte der Ehefrau aus der Vermietung und Verpachtung polnischen Grundbesitzes nicht zu einer Erhöhung des Steuersatzes geführt hätten. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass bei negativen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung auch ein umgekehrter Effekt eingetreten wäre und dadurch die vom EuGH hervorgehobene Symmetrie gewahrt wird. Außerdem ist das maßgebende Kriterium der Erhöhung der Leistungsfähigkeit in Bezug auf die polnischen Vermietungseinkünfte der Ehefrau erfüllt.
23 d) Der Senat erachtet die Unionsrechtslage auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH als eindeutig. Einer Vorlage an den EuGH nach Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union bedarf es in diesem Fall nicht (EuGH-Urteile CILFIT vom - Rs. 283/81, EU:C:1982:335; Consorzio Italian Management e Catania Multiservizi vom - C-561/19, EU:C:2021:799; vgl. auch Beschlüsse des , Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2021, 504; vom - 2 BvR 1079/20, HFR 2024, 357).
24 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
25 6. Die Entscheidung ergeht mit Einverständnis der Beteiligten im schriftlichen Verfahren (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 90 Abs. 2 FGO).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2025:U.210525.IR5.22.0
Fundstelle(n):
TAAAJ-98025