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BVerwG Beschluss v. - 2 WDB 12.24

Einstellung eines durch eine unzuständige Behörde eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahrens

Leitsatz

1. Die Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens durch die unzuständige Einleitungsbehörde begründet ein Verfahrenshindernis.

2. Die erneute Entlassung einer bereits rechtswirksam ausgeschiedenen Soldatin geht ins Leere und kann die Zuständigkeit der Einleitungsbehörde nicht verändern.

Gesetze: § 54 Abs 1 SG, § 54 Abs 2 Nr 1 SG, § 55 Abs 4 S 2 SG, § 55 Abs 5 SG, § 55 Abs 6 S 3 SG, § 94 Abs 1 S 1 Nr 1 WDO 2002, § 94 Abs 1 S 1 Nr 2 WDO 2002, § 94 Abs 1 S 1 Nr 3 WDO 2002, § 94 Abs 3 S 1 WDO 2002, § 108 Abs 3 S 1 WDO 2002, § 110 Abs 3 S 1 WDO 2025

Instanzenzug: Truppendienstgericht Süd Az: S 6 VL 11/24 Beschluss

Tatbestand

1Die Beschwerde richtet sich gegen die Einstellung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens.

21. Die frühere Soldatin trat am in die Bundeswehr ein und wurde am Zeitsoldatin. 2012 wurde sie für die Laufbahn der Unteroffiziere des Sanitätsdienstes und 2015 für die Laufbahn der Bootsleute des Sanitätsdienstes zugelassen und zum Obermaat Bootsmannanwärter ernannt. Aufgrund ihrer auf 18 Jahre lautenden Weiterverpflichtungserklärung vom wurde ihre Dienstzeit zuletzt am vom Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr (BAPersBW) auf elf Jahre und einen Monat festgesetzt und das Dienstzeitende entsprechend auf den Ablauf des bestimmt. Seit 2016 gehörte die frühere Soldatin dem A an. Nach einer von dem A ausgestellten Wehrdienstbescheinigung leistete sie bis zum Ablauf des Wehrdienst.

32. Mit Bescheid des BAPersBW vom , wurde die frühere Soldatin gemäß § 55 Abs. 4 Satz 2 SG mit Ablauf des aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit entlassen. Der Bescheid wurde ihr am ausgehändigt. Auf ihre Beschwerde änderte das BAPersBW mit bestandskräftigem Bescheid vom die Entlassungsverfügung dahin, dass die frühere Soldatin mit Ablauf des gemäß § 55 Abs. 4 Satz 2 SG aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit entlassen wurde. Gemäß § 55 Abs. 6 Satz 2 SG (gemeint: Satz 3) müsse dem betreffenden Soldaten die Entlassungsverfügung wenigstens einen Monat vor dem Entlassungstag zugestellt werden. Deshalb werde der Entlassungstag auf den abgeändert. Damit sei die Zustellfrist zweifelsfrei gewahrt.

43. Am wurden disziplinare Vorermittlungen gegen die frühere Soldatin aufgenommen. Der Inspekteur der Marine leitete mit einer ihr am zugestellten Verfügung ein gerichtliches Disziplinarverfahren gegen sie ein. Am wurde sie beim Truppendienstgericht eines Dienstvergehens angeschuldigt.

54. Der Vorsitzende der Truppendienstkammer hat das gerichtliche Disziplinarverfahren mit Beschluss vom gemäß § 108 Abs. 3 Satz 1 WDO a. F. eingestellt. Es liege ein nicht behebbares Verfahrenshindernis vor, weil der Inspekteur der Marine für die Einleitung nicht zuständig gewesen sei. Eine Zuständigkeit ergebe sich nicht aus § 94 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 (gemeint: Nr. 2) WDO a. F. i. V. m. Abschnitt 1.1 Buchst. b (4) der Zentralen Dienstvorschrift ZDv A-2160/6, weil die frühere Soldatin dem Inspekteur der Marine nur bis zur Beendigung ihres Dienstverhältnisses am unterstanden habe. Eine Zuständigkeit folge auch nicht aus dem letzten Absatz in Abschnitt 1.1 Buchst. g der ZDv A-2160/6. Diese Regelung sei aus im Einzelnen ausgeführten Gründen so auszulegen, dass sie bei Entlassungen nach § 55 Abs. 4 SG nicht gelte. Damit sei es bei der (Regel-)Zuständigkeit des Beauftragten für die Angelegenheiten des militärischen Personals der Leitung des BAPersBW für frühere Soldaten nach § 94 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WDO a. F. i. V. m. Abschnitt 1.1 Buchst. e (1) der ZDv A-2160/6 verblieben.

65. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft macht mit ihrer Beschwerde geltend, der letzte Absatz von Abschnitt 1.1 Buchst. g der ZDv A-2160/6 sei aus im Einzelnen aufgezeigten Gründen so auszulegen, dass er auch bei Entlassungen nach § 55 Abs. 4 Satz 2 SG gelte. Da die rechtswidrige Verfügung der Entlassung zum bis zur Beschwerdeentscheidung Wirkung entfaltet habe, habe das Dienstverhältnis nicht am mit Ablauf der Zeit geendet, für welche die frühere Soldatin in das Dienstverhältnis auf Zeit berufen worden sei.

76. Die Bundeswehrdisziplinaranwaltschaft hat sich der Argumentation der Wehrdisziplinaranwaltschaft angeschlossen.

87. Die frühere Soldatin hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

98. Für Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

Gründe

10Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Truppendienstgericht hat zu Recht angenommen, dass ein Verfahrenshindernis vorliegt, das zur Einstellung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens führen muss; dieses Verfahrenshindernis besteht im maßgeblichen Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung fort.

11Unter den Begriff eines Verfahrenshindernisses im Sinne des nunmehr geltenden § 110 Abs. 3 Satz 1 WDO in der Fassung des Dritten Gesetzes zur Neuordnung des Wehrdisziplinarrechts und zur Änderung weiterer soldatenrechtlicher Vorschriften vom (BGBl. I Nr. 424), der dem bei Erlass des angefochtenen Beschlusses geltenden § 108 Abs. 3 Satz 1 WDO a. F. entspricht, fallen alle Umstände, die der Fortführung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens von Rechts wegen entgegenstehen, also diese verhindern (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 2 WDB 5.13 - BVerwGE 150, 162 Rn. 9 m. w. N. und vom - 2 WDB 2.18 - BVerwGE 162, 325 Rn. 5). Dazu zählen schwere Mängel des Verfahrens, die nicht auf andere Weise geheilt werden können (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 2 WDB 4.03 - NVwZ-RR 2005, 47 <47>, vom - 2 WDB 4.12 - juris Rn. 14, vom - 2 WDB 5.12 - juris Rn. 11 und vom - 2 WDB 1.21 - BVerwGE 172, 154 Rn. 9). Dieser Fall liegt hier vor. Denn das gerichtliche Disziplinarverfahren wurde vorliegend durch eine unzuständige Behörde eingeleitet. Dies begründet einen schweren Verfahrensmangel, der nicht auf andere Weise geheilt werden kann (vgl. 2 WDB 6.84 - NZWehrr 1984, 210 <210>; Dau/Schütz, Wehrdisziplinarordnung, 8. Aufl. 2022, § 94 Rn. 13).

12Nach § 94 Abs. 3 Satz 1 WDO a. F. (jetzt § 97 Abs. 3 Satz 1 WDO) ist die Einleitungsbehörde zuständig, welcher der betreffende Soldat im Zeitpunkt der Einleitung untersteht.

13Zu diesem Zeitpunkt unterstand die frühere Soldatin nicht mehr dem Inspekteur der Marine, weil ihr Dienstverhältnis längst geendet hatte. Dementsprechend war er auch nicht mehr gemäß § 94 Abs. 1 Nr. 2 WDO a. F. (jetzt § 97 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WDO) i. V. m. Abschnitt 1.1 Buchst. b (4) der Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) A-2160/6 ("Wehrdisziplinarordnung und Wehrbeschwerdeordnung") in der Version 4.1 für die Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens zuständig.

14Für frühere Soldaten kann nach § 94 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WDO a. F. (jetzt § 97 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WDO) der Bundesminister der Verteidigung die zuständige Einleitungsbehörde bestimmen. Nach Abschnitt 1.1 Buchst. e (1) der ZDv A-2160/6 ist grundsätzlich der Beauftragte für die Angelegenheiten des militärischen Personals der Leitung des BAPersBW als Einleitungsbehörde für Reservisten bestimmt.

15Der Inspekteur der Marine blieb hier nicht ausnahmsweise als frühere Einleitungsbehörde zuständig. Zwar verbleibt nach dem letzten Absatz von Abschnitt 1.1 Buchst. g der ZDv A-2160/6 die Zuständigkeit bei der bis dahin zuständigen Einleitungsbehörde, wenn eine Soldatin oder ein Soldat, gegen die oder den disziplinare Vorermittlungen geführt werden, ihren oder seinen Status als Soldatin oder Soldat durch behördliche oder gerichtliche Entscheidung verliert (z. B. aufgrund einer Entlassung nach § 55 Absatz 5 des Soldatengesetzes).

16Diese Voraussetzungen lagen im Zeitpunkt der Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens am schon deswegen nicht vor, weil die frühere Soldatin ihren Status als Soldatin während der gegen sie geführten disziplinaren Vorermittlungen nicht durch eine irreguläre Intervention in Form einer behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung verloren hatte, sondern durch Ablauf ihrer festgesetzten Dienstzeit. Daher kommt es auf die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob Entlassungen nach § 55 Abs. 4 Satz 2 SG behördliche Entscheidungen im Sinne der genannten Regelung sind, nicht an.

17Im Einzelnen wurde die Dienstzeit der früheren Soldatin zuletzt am auf elf Jahre und einen Monat festgesetzt und das Dienstzeitende entsprechend auf den Ablauf des bestimmt. Die Dienstzeit wurde nach dem nicht verlängert. So heißt es im Entlassungsbescheid vom und im Beschwerdebescheid vom jeweils, dass die Dienstzeit regulär mit Ablauf des geendet hätte und weitere Festsetzungen ihrer Dienstzeit bis auf die volle Verpflichtungszeit (nur) "beabsichtigt" gewesen seien. Zu solchen weiteren Festsetzungen ist es indes nicht gekommen. Entsprechend lautet die Wehrdienstbescheinigung des A, dass die frühere Soldatin bis zum Ablauf des Wehrdienst leistete. Mit Ablauf der festgesetzten Dienstzeit endete der aktive Dienst der Soldatin nach § 54 Abs. 1 SG kraft Gesetzes. Bis zum konnte zwar die Wehrdienstzeitverlängerung und die Entlassung auf einen anderen Grund, die fehlende Aufstiegseignung i. S. d. § 55 Abs. 4 Satz 2 SG, gestützt werden. Nach dem gesetzlichen Ende der Wehrdienstzeit ist eine Verlängerung i. S. d. § 40 Abs. 2 SG jedoch nicht mehr möglich (vgl. 8 C 173.67 - Buchholz 238.4 § 40 Nr. 2, 15 ZB 06.3280 - juris Rn. 6, - juris Rn. 9).

18Daher konnte der rund 6 Monate nach dem gesetzlichen Ende der Wehrdienstzeit erlassene Beschwerdebescheid entgegen der Auffassung der Wehrdisziplinaranwaltschaft keine Verlängerung der Dienstzeit bis Ende Mai 2021 mehr bewirken.

19Dies liegt schon deshalb fern, weil bei Erlass des Beschwerdebescheids am feststand, dass die frühere Soldatin nach dem keinen Dienst mehr geleistet hat. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sie noch Dienstbezüge erhalten hätte. Am regulären Dienstzeitende ändert auch die Bestandskraft des Beschwerdebescheids vom nichts, wonach die frühere Soldatin erst mit Ablauf des ("auf dem Papier") aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit entlassen wurde. Da ihr Dienstverhältnis bereits mit Erreichen ihres regulären Dienstzeitendes gemäß § 54 Abs. 1 SG zum Ablauf des geendet hatte, ging die erneute Entlassung der schon entlassenen Soldatin "ins Leere" (vgl. 8 C 101.81 - BVerwGE 66, 75 <78> für das Zivildienstverhältnis; ähnlich 2 C 48.78 - juris Rn. 19 zur zweiten Entlassung eines Referendars). Da am das Dienstverhältnis als Soldatin auf Zeit nicht mehr bestand, konnte es nicht mehr gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 1 SG durch Entlassung beendet werden.

20Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 Satz 2, § 144 Abs. 3 Satz 1 WDO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:070725B2WDB12.24.0

Fundstelle(n):
NJW 2025 S. 10 Nr. 37
FAAAJ-98008