Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde bzgl der Veröffentlichung von Informationen über Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften ("Lebensmittelpranger") - Zum Tatbestandsmerkmal der Unverzüglichkeit der Veröffentlichung gem § 40 Abs 1a S 1 LFGB - insb zum Erfordernis einer einzelfallbezogenen Abwägung der betroffenen Belange, ua der Berufsfreiheit (Art 12 Abs 1 GG)
Gesetze: Art 12 Abs 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 40 Abs 1a S 1 LFGB
Instanzenzug: Hessischer Verwaltungsgerichtshof Az: 8 B 676/23 Beschlussvorgehend VG Frankfurt Az: 5 L 1045/23.F Beschlussvorgehend Az: 1 BvR 1949/24 Einstweilige Anordnung
Gründe
I.
1Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind gerichtliche Eilentscheidungen zu einer beabsichtigten Veröffentlichung von Informationen über Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften ("Lebensmittelpranger").
21. Die Beschwerdeführerin betreibt einen Event-, Catering- und Partyservice. Bei der Untersuchung einer ihrer Betriebsstätten am stellte das zuständige Ordnungsamt der Stadt zahlreiche Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften fest (u.a. verdorbene Lebensmittel im Kühlschrank, Mäusebefall in Küche und Geschirrlagerraum, schimmelähnliche Beläge bzw. Anhaftungen auf Decken- und Wandelementen sowie Deckenbeleuchtung und Rauchstock in den Kühlräumen). Mit Schreiben vom gab es der Beschwerdeführerin Gelegenheit zur Stellungnahme binnen sieben Tagen und kündigte zugleich eine Veröffentlichung auf der Webseite des hessischen Portals für Verbraucherthemen "www.verbraucherfenster.hessen.de" gemäß § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB) an.
3Nach gewährter Akteneinsicht und Fristverlängerung bis zum nahm die Beschwerdeführerin Stellung. Die Behörde teilte daraufhin mit Schreiben vom mit, dass auch unter Einbeziehung der Einlassungen keine anderslautende Entscheidung ergehen könne, als die beabsichtigte Veröffentlichung vorzunehmen. Diese erfolge nach einer Wartefrist von sieben Tagen.
42. Den gegen die geplante Veröffentlichung angestrengten Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit hier unter b) angegriffenem Beschluss vom abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB, bei denen die zuständige Behörde die Öffentlichkeit informieren müsse, lägen nach summarischer Prüfung vor. Es bestehe ein durch Tatsachen begründeter Verdacht, dass die Beschwerdeführerin gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften in nicht unerheblichem Ausmaß verstoßen habe. Die beabsichtigte Veröffentlichung erfolge auch "unverzüglich" im Sinne von § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB. Zwischen der Feststellung der verfahrensgegenständlichen Hygienemängel und der Mitteilung der beabsichtigten Veröffentlichung hätten nur wenige Wochen gelegen, was angesichts des Umfangs der festgestellten Verstöße kein schuldhaftes Zögern seitens der handelnden Behörde begründe.
53. Die hiergegen am bei Gericht eingegangene und mit Schriftsatz vom begründete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof mit unter a) angegriffenem Beschluss vom zurückgewiesen. Die Beschwerdeführerin habe es nicht vermocht, darzulegen, dass ein Anordnungsanspruch gegeben sei. Die Veröffentlichung erfolge auch unverzüglich. Allein ein längerer zeitlicher Abstand zwischen zugrundeliegender Kontrolle und Veröffentlichung der festgestellten Mängel stehe einer Relevanz für mögliche Konsumentscheidungen der Verbraucher auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die zeitliche Verzögerung maßgeblich auf der Zurückstellung der Veröffentlichung seitens der Behörde während eines laufenden gerichtlichen Eilverfahrens beruhe. Andernfalls müssten Veröffentlichungen auch nach rechtskräftigem Abschluss eines solchen Verfahrens regelmäßig unterbleiben, was § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB weitgehend seines Anwendungsbereichs beraubte und mit Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung nicht in Einklang stünde.
64. Mit Beschluss vom hat der Verwaltungsgerichtshof den Tenor seines Beschlusses vom "" (richtig: 19. Juli 2024) wegen offenbarer Unrichtigkeit dahin berichtigt, dass es sich bei dem im Tenor genannten Beschluss des Verwaltungsgerichts um den Beschluss vom "" (richtig: 27. April 2023) handele.
7Die gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs erhobene Anhörungsrüge hat dieser mit Beschluss vom zurückgewiesen.
85. Schon zuvor, am , hat die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde erhoben und um Eilrechtsschutz ersucht. Mit Beschluss vom hat das Bundesverfassungsgericht es der Ausgangsbehörde bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens jedoch für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen untersagt, Informationen über die Ergebnisse der bei der Beschwerdeführerin durchgeführten lebensmittelrechtlichen Kontrolle zu veröffentlichen. Mit Beschluss vom wurde die Anordnung für weitere sechs Monate wiederholt.
II.
9Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung ihrer Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG und ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG.
101. Die Verfassungsbeschwerde sei zulässig. Insbesondere wahre sie den Grundsatz der Subsidiarität, auch wenn die Beschwerdeführerin keinen Rechtsschutz in der Hauptsache gesucht habe. Es drohten ihr schwere und irreparable Schäden, da die Behörde das Ergebnis der Betriebskontrolle vor Abschluss des Klageverfahrens veröffentlichen würde. Hierdurch würde das Ansehen der Beschwerdeführerin in der Öffentlichkeit herabgesetzt, und dies selbst dann, wenn die Mitteilung im Nachhinein richtiggestellt oder korrigiert würde, da ihre faktischen Wirkungen nicht mehr eingefangen und umfassend beseitigt werden könnten. Der zu erwartende eintretende Schaden wäre damit irreversibel.
112. Darüber hinaus sei die Verfassungsbeschwerde auch begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzten sie in ihrer durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit. Die wegen des mehr als 14 Monate dauernden Beschwerdeverfahrens eingetretene Verzögerung führe dazu, dass eine Veröffentlichung weder unverzüglich im Sinne von § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB noch verhältnismäßig wäre. Der Zweck der Veröffentlichung, Verbraucher über festgestellte Verstöße zu informieren und ihnen eine bewusste Konsumentscheidung zu ermöglichen, könne so nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr in einer Aktualität erreicht werden, die den erheblichen Eingriff in die Grundrechte der Beschwerdeführerin rechtfertigen könnte. Zwar könne die überlange Dauer des fachgerichtlichen Eilrechtsschutzverfahrens nicht der Behörde zugerechnet werden. Aus Sicht des betroffenen Unternehmens mache es aber keinen Unterschied, aus welchen Gründen eine Veröffentlichung nicht mehr zeitnah erfolge.
III.
12Die Verfassungsbeschwerde ist der für den Vollzug der Vorschriften auf dem Gebiet der Lebensmittelüberwachung zuständigen Behörde, dem Bundesverwaltungsgericht und der Hessischen Landesregierung zugestellt worden. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben der Kammer vorgelegen.
13Die Hessische Landesregierung hat von einer Stellungnahme abgesehen. Das Bundesverwaltungsgericht hat mitgeteilt, dass es mit den im vorliegenden Fall einschlägigen Rechtsfragen bislang nicht befasst worden sei. Nach Auffassung der Behörde ist Art. 12 Abs. 1 GG nicht verletzt. Insbesondere sei es nicht unverhältnismäßig, auch zwei Jahre nach einem Kontrolltermin noch für Verbraucher gedachte Informationen zu veröffentlichen. Dieser solle, so der Gesetzeszweck, danach sein Konsumverhalten ausrichten können. Würde die Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens bei der Frage nach der Unverzüglichkeit einer Veröffentlichung berücksichtigt, verschöbe dies die zwischen den Beteiligten eines Rechtsstreits bestehende prozessuale Waffengleichheit zu Lasten der Behörde, die keine Möglichkeit hätte, das Verfahren zu beschleunigen. Dies bedeute, dass keine ordnungsgemäße gerichtliche Entscheidung über eine rechtmäßige Veröffentlichung ergehen könne; die Frage der Rechtmäßigkeit behördlichen Handelns werde damit durch die Frage der Rechtzeitigkeit gerichtlicher Entscheidungen ersetzt.
IV.
14Soweit die Beschwerdeführerin den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs angreift, nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, da dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerde-führerin angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die Kammer liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit zulässig (1) und auch begründet (2). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.
151. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit sie sich gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs wendet.
16a) Die Beschwerdeführerin hat den Rechtsweg nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG erschöpft. Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Auch hat die Beschwerdeführerin die erforderliche Anhörungsrüge an das Fachgericht erhoben, die zum Rechtsweg gehört, wenn mit der Verfassungsbeschwerde - wie hier - zugleich eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend gemacht wird (vgl. BVerfGE 122, 190 <198>; stRspr).
17b) Die Verfassungsbeschwerde wahrt auch das Gebot der materiellen Subsidiarität. Eine Verfassungsbeschwerde genügt zwar nicht schon dann den Anforderungen von § 90 Abs. 2 BVerfGG, wenn der Rechtsweg formell erschöpft ist. Es müssen vielmehr auch alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergriffen werden, um die jeweils geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. BVerfGE 68, 384 <388 f.>; 77, 381 <401>; 81, 97 <102>; 107, 395 <414>; stRspr). Beschwerdeführende, die sich gegen Entscheidungen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wenden, können daher grundsätzlich auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden. Ausnahmsweise gilt dies nur dann nicht, wenn gerade die Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes gerügt wird (vgl. BVerfGE 59, 63 <84>), das Hauptsacheverfahren keine ausreichende Möglichkeit bietet, einer Rechtsverletzung abzuhelfen (vgl. BVerfGE 79, 275 <279>; 104, 65 <71>) oder die Beschreitung des Rechtswegs in der Hauptsache unzumutbar ist (vgl. BVerfGE 86, 46 <49>).
18Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Beschwerdeführerin hat vor den Fachgerichten erfolglos und erschöpfend um einstweiligen Rechtsschutz ersucht. Auf die zusätzliche Durchführung eines Verfahrens in der Hauptsache kann sie nicht verwiesen werden. Der Beschwerdeführerin drohte die Veröffentlichung der Kontrollergebnisse und damit ein - auch bei späterem Erfolg der Hauptsache - nicht mehr korrigierbarer, irreparabler Schaden. Anhaltspunkte dafür, dass die Behörde im Falle der Erhebung einer Klage mit der Veröffentlichung der Kontrollergebnisse auch nach erfolglosem Abschluss des Eilverfahrens weiter zuwarten würde, sind nicht ersichtlich.
19c) Soweit sich die Verfassungsbeschwerde nicht nur gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs, sondern auch gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom richtet, fehlt der Beschwerdeführerin jedoch das Rechtsschutzbedürfnis. Der Verwaltungsgerichtshof hat eine in vollem Umfang eigene rechtliche Prüfung vorgenommen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die für die Rüge einer Verletzung der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG hier allein entscheidende Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Unverzüglichkeit einer Information der Öffentlichkeit. Damit ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in der für die Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Begründung prozessual überholt (vgl. BVerfGK 10, 134 <138>).
202. Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig erhoben ist, ist sie begründet.Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs verletzt die Beschwerdeführerin in ihrer Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG.
21a) Eine Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB begründet einen Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG. Die Vorschrift verpflichtet die Behörde, der Öffentlichkeit lebensmittel- und futtermittelrechtliche Verstöße von Unternehmen umfassend und in unternehmensspezifisch individualisierter Form mitzuteilen. Die umfassende Information der Verbraucher erfolgt zu dem Zweck, diese in die Lage zu versetzen, ihre Konsumentscheidung in Kenntnis der veröffentlichten Missstände zu treffen und gegebenenfalls vom Vertragsschluss mit den benannten Unternehmen abzusehen. Die derart bezweckte Veränderung der Marktbedingungen ist für die betroffenen Unternehmen nicht bloßer Reflex einer nicht auf sie ausgerichteten gesetzlichen Regelung (vgl. BVerfGE 148, 40 <50 Rn. 25, 51 f. Rn. 29>). Art. 12 Abs. 1 GG ist auch gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auf juristische Personen anwendbar, soweit sie - wie die Beschwerdeführerin - eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit ausüben, die ihrem Wesen und ihrer Art nach in gleicher Weise einer juristischen wie einer natürlichen Person offensteht (vgl. BVerfGE 50, 290 <363>; 105, 252 <265>; stRspr). Mit der Ablehnung des Antrags, der Behörde die geplante Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB vorläufig zu untersagen, greift die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs ihrerseits in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführerin ein.
22b) Dieser durch die angegriffene Entscheidung hier begründete Eingriff ist verfassungsrechtlich so nicht gerechtfertigt. Auslegung und Anwendung des auf die Information der Öffentlichkeit bezogenen Tatbestandsmerkmals "unverzüglich" in § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB durch den Verwaltungsgerichtshof werden der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht in jeder Hinsicht gerecht.
23aa) Auslegung und Anwendung einer Norm obliegen primär den Fachgerichten und sind vom Bundesverfassungsgericht - abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot - nur darauf zu überprüfen, ob Auslegungsfehler enthalten sind, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts beruhen. Das ist der Fall, wenn die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung einer Norm die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. BVerfGE 18, 85 <93>; 85, 248 <257 f.>; 134, 242 <353 Rn. 232>; stRspr). Dazu kann es im Zusammenhang mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit insbesondere dann kommen, wenn mit den entgegenstehenden Gemeinwohlinteressen grundrechtliche Belange nicht in ein angemessenes Verhältnis gebracht worden sind (vgl. BVerfGE 97, 12 <27>; BVerfGK 6, 46 <50>; 10, 13 <15>; 10, 159 <163>).
24bb) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt die angegriffene Entscheidung nicht uneingeschränkt.
25(1) Nach der Begründung des Gesetzentwurfs soll die Regelung des § 40 Abs. 1a LFGB vor allem eine hinreichende Grundlage für eigenverantwortliche Konsumentscheidungen der Verbraucher schaffen (vgl. BTDrucks 17/7374, S. 2), indem eine Veröffentlichungspflicht für verschiedene Konstellationen geschaffen wird (vgl. BTDrucks 17/7374, S. 20). Daneben wird die Funktion des § 40 Abs. 1a LFGB hervorgehoben, zur Einhaltung der Bestimmungen des Lebensmittel- und Futtermittelrechts beizutragen (vgl. BTDrucks 17/12299, S. 7). Das dient letztlich der Durchsetzung des allgemeinen Zwecks des Gesetzes, Gesundheitsgefahren vorzubeugen und abzuwehren und die Verbraucher vor Täuschung zu schützen (vgl. BVerfGE 148, 40 <52 Rn. 32>). Im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher soll die Veröffentlichung unverzüglich erfolgen. Die Behörden werden daher verpflichtet, nach der abschließenden Ermittlung des Sachverhalts die erforderliche Veröffentlichung ohne Zeitverzug vorzunehmen. Verzögerungen von zum Teil mehreren Monaten zwischen der Feststellung von Verstößen und einer Veröffentlichung seien im Sinne der Verbraucherinformation nicht zweckdienlich (vgl. BTDrucks 19/8349, S. 15, 19). Vor diesem Hintergrund bezweckt der Gesetzgeber mit dem tatbestandlichen Merkmal der Unverzüglichkeit, einen möglichst geringen zeitlichen Abstand der Veröffentlichung der Information zu dem die Informationspflicht auslösenden Rechtsverstoß und dadurch eine hinreichende Aktualität zu gewährleisten ( -, Rn. 21; vgl. auch -, juris, Rn. 24).
26(2) Die mit der Information der Öffentlichkeit einhergehende Beeinträchtigung kann allerdings für die davon betroffenen Unternehmen von großem Gewicht sein, insbesondere durch eine - wie hier beabsichtigte - Veröffentlichung im Internet. Eine derart weithin einsehbare und leicht zugängliche Veröffentlichung von teilweise nicht endgültig festgestellten oder teilweise bereits behobenen Rechtsverstößen kann zu einem erheblichen Verlust des Ansehens und zu Umsatzeinbußen führen, was im Einzelfall bis hin zur Existenzvernichtung reichen kann (vgl. BVerfGE 148, 40 <53 Rn. 34>; vgl. auch BTDrucks 19/8349, S. 15 f.).
27(3) Die bei Auslegung und Anwendung des auf die Information der Öffentlichkeit bezogenen Tatbestandsmerkmals "unverzüglich" in § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB erforderliche einzelfallbezogene Abwägung dieser grundrechtlichen Belange mit den entgegenstehenden Gemeinwohlinteressen lässt die angegriffene Entscheidung nicht erkennen.
28(a) Der Gesetzgeber hat mit der Anknüpfung an den unbestimmten Rechtsbegriff der Unverzüglichkeit zu erkennen gegeben, dass er die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung nicht von der Einhaltung einer starren zeitlichen Grenze, sondern von einer Beurteilung der konkreten Umstände des Einzelfalls abhängig machen will (vgl. -, Rn. 21; -, juris, Rn. 27). Es entspricht nicht Sinn und Zweck der Vorschrift, den Interessen der Öffentlichkeit auf Schutz und Information über lebensmittelrechtliche Missstände generell den Vorrang einzuräumen, ohne dass dabei der Zeitraum zwischen Feststellung des Rechtsverstoßes und der geplanten Veröffentlichung Berücksichtigung finden dürfte. Denn um eigenverantwortliche Konsumentscheidungen treffen zu können, benötigen Verbraucherinnen und Verbraucher aktuelle Informationen; eine möglicherweise um Jahre verzögerte Mitteilung über Rechtsverstöße ist zur Verbraucherinformation kaum noch geeignet (vgl. BVerfGE 148, 40 <56 Rn. 43>). Je weiter der festgestellte Verstoß gegen lebensmittelrechtliche Gebote zeitlich entfernt ist, desto geringer ist noch der objektive Informationswert seiner Verbreitung, weil sich vom Verstoß in der Vergangenheit objektiv immer weniger auf die aktuelle Situation des betroffenen Unternehmens schließen lässt (vgl. insoweit BVerfGE 148, 40 <61 Rn. 58>; BTDrucks 19/8349, S. 19). Gleichzeitig nimmt die Grundrechtsbelastung mit zunehmendem Abstand zwischen dem festgestellten Verstoß und der Veröffentlichung zu. Zwar wird auch aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher die Bedeutung einer Information mit insbesondere zunehmendem Abstand von dem die Informationspflicht auslösenden Rechtsverstoß regelmäßig sinken. Es kann jedoch nicht erwartet werden, dass entsprechend alte Einträge immer zuverlässig als weniger relevant wahrgenommen werden. Vor allem aber änderte auch ein mit der Zeit sinkender Einfluss auf das Konsumverhalten nichts daran, dass lange Zeit nach dem eigentlichen Vorfall Verbraucherinnen und Verbraucher von dieser Information zum Nachteil des Unternehmens beeinflusst werden (vgl. BVerfGE 148, 40 <61 Rn. 58>). Bei der Beantwortung der Frage, ob eine Veröffentlichung noch unverzüglich im Sinne des § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB erfolgt, obliegt es daher den Behörden und Fachgerichten, den mit zunehmendem Zeitablauf geringeren objektiven Wert der Information für die Verbraucherinnen und Verbraucher gegen die Interessen der betroffenen Unternehmen abzuwägen.
29(b)Einzustellen ist dabei eine den zuständigen Behörden nach den Umständen des konkreten Einzelfalls zu bemessende Prüfungs- und Überlegungsfrist. Gerade auch mit Blick auf die erheblichen Folgen einer Veröffentlichung für die grundrechtlichen Belange des betroffenen Unternehmens muss die Behörde Gelegenheit erhalten, die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen der Veröffentlichung mit der gebotenen Sorgfalt zu prüfen (vgl. -, Rn. 21; -, juris, Rn. 25). Nicht zu berücksichtigen sind demgegenüber maßgebliche Verfahrensverzögerungen, die auf die betroffenen Grundrechtsträger selbst zurückgehen, denn es wäre unbillig, wenn sich dies im Ergebnis zu ihren Gunsten auswirkte. Betroffene können sich daher nicht auf in ihrer Sphäre liegende, verfahrensverzögernde Umstände berufen, wenn sie die fehlende Unverzüglichkeit einer Veröffentlichung geltend machen wollen (vgl. -, juris, Rn. 27). Dies gilt grundsätzlich auch für die zeitliche Verzögerung, die maßgeblich auf die Zurückstellung der Veröffentlichung seitens der Behörde aufgrund eines laufenden gerichtlichen Eilverfahrens beruht. Denn andernfalls müssten Veröffentlichungen nach erfolglosem Abschluss eines Eilverfahrens regelmäßig unterbleiben, was § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB weitgehend seines Anwendungsbereichs berauben würde (vgl. -, Rn. 23; -, juris, Rn. 15). Dennoch gebietet aber nicht nur der Zweck des Unverzüglichkeitsgebots unter ergänzender Heranziehung der zeitlichen Befristung einer Veröffentlichung gemäß § 40 Abs. 4a LFGB (siehe dazu BVerfGE 148, 40 <62 Rn. 60>), sondern gerade die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit, auch die Dauer des gerichtlichen Eilrechtsschutzes in die Beurteilung der Unverzüglichkeit im Einzelfall einzubeziehen. Daher ist mit Blick auf die Gesamtdauer des Verfahrens auch insoweit zu berücksichtigen, ob und inwieweit sich in dem Verfahren eingetretene zeitliche Verzögerungen nach den Umständen des Einzelfalls noch als angemessen erweisen (vgl. dazu -, juris, Rn. 26; Bayerischer 20 CE 22.2069 -, Rn. 29).
30(c) Eine diesen Anforderungen entsprechende einzelfallbezogene Abwägung lässt die angegriffene Entscheidung vermissen. Allein die vorgenommene Würdigung der Dauer des behördlichen Verfahrens verbunden mit dem Hinweis darauf, dass die zeitliche Verzögerung maßgeblich auf der Zurückstellung der Veröffentlichung der Behörde während des laufenden gerichtlichen Eilverfahrens beruht, wird dem nicht gerecht, da die Dauer des gerichtlichen Verfahrens vollständig ausgeblendet wird. So berücksichtigt der Verwaltungsgerichthof schon nicht, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung am bereits rund 17 Monate seit der Feststellung des lebensmittelrechtlichen Verstoßes am vergangen waren. Eine Veröffentlichung konnte daher schon wegen der langen zeitlichen Verzögerung ihren Zweck, Verbraucherinnen und Verbraucher über lebensmittelrechtliche Verstöße zu informieren und ihnen eine bewusste Konsumentscheidung zu ermöglichen, nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr in einer Aktualität erreichen, der den Eingriff in das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigen konnte. Zwar beruhte die hier eingetretene Verzögerung ganz maßgeblich darauf, dass die Behörde die Veröffentlichung während des von der Beschwerdeführerin angestrengten gerichtlichen Eilverfahrens zurückgestellt hat. Auch kann die Durchführung eines gerichtlichen Eilverfahrens die Unverzüglichkeit einer Veröffentlichung grundsätzlich nicht in Frage stellen (vgl. Rn. 29). Damit aber, ob und inwieweit dies auch dann gelten kann, wenn - wie hier - das gerichtliche Eilverfahren allein in der Beschwerdeinstanz mehr als 14 Monate dauert, setzt sich der Verwaltungsgerichtshof nicht auseinander. Dies hätte sich aber angesichts dieser Dauer aufdrängen müssen, zumal es weder ersichtlich ist, dass diese zeitliche Verzögerung der Sphäre der Beschwerdeführerin zuzurechnen sein könnte, noch sachliche Gründe erkennbar sind, die die eingetretene zeitliche Verzögerung nach den Umständen des Einzelfalls noch als angemessen erscheinen lassen könnten (vgl. dazu auch Bayerischer 20 CE 22.2069 -, Rn. 28 f.).
313. Angesichts der festgestellten Verletzung der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit bedarf es keiner Prüfung, ob weitere Grundrechte der Beschwerdeführerin verletzt sind.
324. Die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs beruht auf dem festgestellten Grundrechtsverstoß. Es ist nicht ausgeschlossen, dass er bei Beachtung der sich aus Art. 12 Abs. 1 GG ergebenden Anforderungen an die Auslegung und Anwendung des § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
V.
33Danach war festzustellen, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Der Beschluss war aufzuheben und die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG). Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom richtet, war sie nicht zur Entscheidung anzunehmen.
34Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin beruht auf § 34 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG.
35Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rk20250728.1bvr194924
Fundstelle(n):
NAAAJ-97914