Instanzenzug: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Az: 10 B 23.374 Urteilvorgehend Az: M 30 K 19.5902 Urteil
Gründe
I
1Der Kläger, ein eingetragener Verein, wendet sich gegen seine Erwähnung im Verfassungsschutzbericht des Beklagten wegen der Verfolgung rechtsextremistischer Bestrebungen.
2Seine Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht Erfolg. Auf die Berufung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen (NVwZ-RR 2025, 331). Soweit vorbeugender Rechtsschutz begehrt werde, sei das Begehren unzulässig. Da der Beklagte den Kläger aufgrund einstweiliger Anordnungen des Verwaltungsgerichts in den Verfassungsschutzberichten ab 2020 nicht mehr erwähnt und dessen Beobachtung eingestellt habe, lasse sich derzeit nicht absehen, ob und ggf. in welcher Weise der Kläger in künftigen Verfassungsschutzberichten genannt werden könne. Zulässig sei die Klage lediglich, soweit sie sich auf den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2019 beziehe. Insoweit sei sie aber unbegründet, da hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestanden hätten, dass der Kläger verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt habe. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen das Berufungsurteil nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Beschwerde, der der Beklagte entgegentritt.
II
3Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Aus den Darlegungen in der Beschwerdebegründung, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO beschränkt ist, ergibt sich weder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i. S. d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.), noch das Vorliegen einer Abweichung von Entscheidungen der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte (2.) noch ein Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
41. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache nur zu, wenn eine konkrete, fallübergreifende und bislang höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist. Die Beschwerde muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erläutern, dass und inwiefern die erstrebte Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann. (BVerwG, Beschlüsse vom - 6 B 35.00 - WissR 2001, 377 Rn. 3, vom - 6 B 2.18 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 31 Rn. 7 und vom - 6 B 71.23 - N&R 2024, 168 Rn. 7).
5Die Beschwerde sieht die grundsätzliche Bedeutung der Sache darin, dass vom Berufungsgericht ein Nexus zwischen Geschichtsrevisionismus und Verfassungsfeindlichkeit behauptet werde, der als hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen ausreichen solle. Eine derartige Vermutung sei weder gesetzlich festgelegt noch mit den Denkgesetzen vereinbar.
6Dieses Vorbringen verfehlt die Darlegungsanforderungen der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache. Denn es zielt schon nicht unmittelbar auf die Klärung einer allgemeinen Rechtsfrage des revisiblen Rechts. Zum einen betrifft die im Stile einer Berufungsbegründung formulierte Rüge die Ebene der tatrichterlichen Würdigung und nicht die Anwendbarkeit, Auslegung oder Maßstabsfragen zum Inhalt eines Rechtssatzes. Zum anderen fällt sie nicht unter den für das erstrebte Revisionsverfahren maßgeblichen Prüfungsmaßstab des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO). Denn das Berufungsgericht stützt seine Entscheidung darauf, dass die Voraussetzungen der Art. 26 Abs. 1 und 2 BayVSG i. V. m. Art. 3 BayVSG und §§ 3 und 4 BVerfSchG für die Nennung des Klägers im Verfassungsschutzbericht des Beklagten erfüllt gewesen seien. Dadurch, dass Art. 3 Satz 1 BayVSG auf § 3 BVerfSchG verweist, wird die Vorschrift nicht revisibel. Durch Rezeption in Sachbereichen, die der Gesetzgebungskompetenz der Länder unterliegen, erlangt Bundesrecht grundsätzlich nur durch den Anwendungsbefehl des Landesgesetzgebers Geltung ( 5 C 73.74 - BVerwGE 51, 268 <271 ff.> und vom - 3 C 64.89 - BVerwGE 91, 77 <80>; Beschlüsse vom - 7 B 35.86 - NVwZ 1986, 739 und vom - 7 B 9.09 - NVwZ 2009, 1037 Rn. 6). Unmittelbar anwendbar auf den zu entscheidenden Fall sind die bundesrechtlichen Regelungen in diesen Fällen nicht eo ipso, sondern werden es erst durch die insoweit konstitutive Verweisung des Landesgesetzgebers.
72. Eine Abweichung i. S. d. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nur vor, wenn die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den das Bundesverwaltungsgericht, der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder das Bundesverfassungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Zwischen den beiden Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines bestimmten Rechtsgrundsatzes bestehen. Für die Darlegung einer Abweichung ist gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO die Herausarbeitung und Gegenüberstellung sich widersprechender Rechtssätze unverzichtbar ( 6 B 35.95 - NVwZ-RR 1996, 712 <713>). Die bloße Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die ein in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genanntes Gericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge hingegen nicht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328 sowie vom - 6 B 9.20 - Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 118 Rn. 12, jeweils m. w. N.).
8Daran gemessen verfehlt die Beschwerde die Darlegungsanforderungen. Sie behauptet eine Abweichung des Berufungsgerichts von den Entscheidungen des 2 WD 42 und 43.00 - (BVerwGE 114, 258) sowie des - (BVerfGE 113, 63) und vom - 1 BvR 98/21 - (NJW 2022, 3627). Bei dieser Behauptung bleibt sie jedoch ohne weitere Ausführungen stehen und versäumt es, Rechtssätze aus diesen Entscheidungen herauszuarbeiten und korrespondierenden Rechtssätzen im Berufungsurteil gegenüberzustellen. Der Sache nach macht die Klägerseite lediglich im Gewande der Divergenzrüge eine von ihr als fehlerhaft erachtete Rechtsanwendung des Verwaltungsgerichtshofs geltend. Damit vermag sie die Zulassung der Revision nicht zu erreichen.
93. Die Beschwerde rügt mehrfach einen Verstoß gegen Denkgesetze, ohne eine als verletzt betrachtete Verfahrensnorm zu benennen. Wenn man dem zu ihren Gunsten eine Verfahrensrüge der Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i. V. m. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) entnehmen wollte, würde ihr auch das nicht zum Erfolg verhelfen.
10Nach der prozessrechtlichen Kompetenzverteilung zwischen Tatsachengericht und Revisionsinstanz ist es Sache des Tatrichters, sich im Wege der freien Beweiswürdigung die Überzeugung von dem entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden. Der in § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO niedergelegte Grundsatz der freien Beweiswürdigung (bzw. Überzeugungsgrundsatz) eröffnet dem Tatrichter dafür einen Wertungsrahmen (stRspr, zuletzt 6 B 20.24 - NVwZ 2025, 863 Rn. 14 m. w. N.). Deshalb ist die Beweiswürdigung des Tatrichters vom Bundesverwaltungsgericht nicht daraufhin nachzuprüfen, ob die Gewichtung einzelner Umstände und deren Gesamtwürdigung überzeugend erscheint. Sie wird dementsprechend nicht schon dadurch in Frage gestellt, dass ein Beteiligter aus dem vorliegenden Tatsachenmaterial andere Schlüsse ziehen will als das Tatsachengericht.
11Ein nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO beachtlicher Verfahrensmangel bei der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn der gerügte Fehler sich hinreichend deutlich von der materiell-rechtlichen Subsumtion, das heißt der korrekten Anwendung des sachlichen Rechts abgrenzen lässt und der Tatrichter den ihm bei der Tatsachenfeststellung durch den Grundsatz freier Beweiswürdigung eröffneten Wertungsrahmen verlassen hat. Das ist u. a. der Fall, wenn die Vorinstanz die Denkgesetze (Logik), gesetzliche Beweisregeln oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet ( 6 C 11.18 - BVerwGE 171, 59 Rn. 40 und vom - 6 C 7.20 - BVerwGE 175, 76 Rn. 40, Beschluss vom - 6 B 20.24 - NVwZ 2025, 863 Rn. 15, jeweils m. w. N.). Derartige Mängel des Berufungsurteils zeigt das Beschwerdevorbringen, das sich in der bloßen Behauptung einer Verletzung der Denkgesetze erschöpft, nicht auf.
124. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab.
135. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:150725B6B1.25.0
Fundstelle(n):
IAAAJ-97664