Suchen Barrierefrei
BGH Beschluss v. - 4 StR 501/24

Instanzenzug: Az: 4 StR 501/24 Beschlussvorgehend LG Zweibrücken Az: 1 Ks 4154 Js 2229/24

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchter Brandstiftung mit Todesfolge in jeweils fünf tateinheitlichen Fällen und Körperverletzung in vier tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

2Nach den Feststellungen bewohnte der Angeklagte die Erdgeschosswohnung in einem Mehrfamilienhaus. Im ersten Obergeschoss desselben Hauses wohnte die geschädigte Familie E.          /D.       mit drei Kindern. Das zweite und dritte Obergeschoss wurde ebenfalls von einer Familie mit Kindern bewohnt. Seit seinem Einzug geriet der „nationalistisch gesinnte“ Angeklagte immer wieder in Streit mit Angehörigen der Familie E.            /D.       . Er bezeichnete diese als „Neger“ und äußerte gegenüber dem Geschädigten D.      , dass „er ihn umbringen werde“. Wenige Tage vor der Tat schrie der Angeklagte aus einem Fenster seiner Wohnung, dass er das „Kanaken-Haus“ anzünden werde. Am alarmierte die Geschädigte E.             aufgrund von erneuten Streitigkeiten die Polizei. Kurz nachdem diese das Haus wieder verlassen hatte, begab sich der Angeklagte gegen 19.00 Uhr aus Verärgerung hierüber zu einem der Familie E.           /D.        gehörenden Kinderwagen, der im Hausflur des Erdgeschosses des Hauses abgestellt war, und setzte diesen unter Zuhilfenahme von Zeitungspapier in Brand. Dabei nahm der zur Tatzeit alkoholbedingt in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkte Angeklagte zumindest billigend in Kauf, dass das Feuer auf das Gebäude übergreifen und die Familie E.           /D.         durch das Feuer bzw. die damit einhergehende Rauchentwicklung zu Tode kommen könnte. Wie viele Personen durch die Brandlegung in dem beidseitig angebauten Mehrparteienhaus verletzt oder getötet und ob Helfer aus Nachbargebäuden oder Rettungskräfte an Leib und Leben gefährdet werden, war für den Angeklagten nicht berechenbar. Als die Zeugin F.              kurz nach 19.00 Uhr die Hauseingangstür aufschloss, geriet der in Brand gesetzte Kinderwagen aufgrund der Luftzufuhr in Vollbrand und das Feuer griff auf die anderen im Flur abgestellten Kinderwagen über. Zu diesem Zeitpunkt schob der Angeklagte einen der brennenden Kinderwagen im Hausflur von der einen auf die andere Seite zurück. Sodann begab er sich vor das Gebäude und schaute der Brandentwicklung „grinsend“ zu. Den im Haus befindlichen Personen war es aufgrund der Rauchentwicklung nicht möglich, das Gebäude über das Treppenhaus als einzigem Fluchtweg zu verlassen. Die Geschädigten E.           /D.        und ihre drei Kinder mussten sich aus dem ersten Obergeschoss aus dem Fenster ihrer Wohnung retten, wobei sich vier von ihnen Verletzungen zuzogen. An dem Gebäude entstand ein erheblicher Sachschaden.

3Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Landgericht das Tatgeschehen als versuchten Mord (§ 211 Abs. 1, Abs. 2 zweite Gruppe 3. Variante, §§ 22, 23 StGB) in Tateinheit mit versuchter Brandstiftung mit Todesfolge (§ 306c StGB) in jeweils fünf tateinheitlichen Fällen und Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) in vier tateinheitlichen Fällen gewertet.

II.

4Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Lediglich die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben.

51. Die Verurteilung wegen versuchten Mordes gemäß § 211 Abs. 1, Abs. 2 zweite Gruppe 3. Variante, §§ 22, 23 StGB hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die Feststellungen der Strafkammer zur inneren Tatseite im Hinblick auf den möglichen Eintritt tödlicher Folgen nicht rechtsfehlerfrei belegt sind.

6a) Der Tatbestand eines versuchten Delikts verlangt in subjektiver Hinsicht (Tatentschluss) das Vorliegen einer vorsatzgleichen Vorstellung, die sich auf alle Umstände des äußeren Tatbestandes bezieht (vgl., NStZ 2020, 402 Rn. 17; Urteil vom10. September 2015 – 4 StR 151/15, NJW 2015, 3732 Rn. 13). Die Annahme eines versuchten Tötungsdelikts setzt daher insoweit voraus, dass der Täter zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat (bedingter Vorsatz), dass durch seine Tathandlung der Tod eines Menschen eintreten kann. Von einer billigenden Inkaufnahme ist auszugehen, wenn der Täter sich um des erstrebten Ziels willen mit dem Eintritt des für möglich gehaltenen Todes abfindet, auch wenn ihm dies gleichgültig oder an sich unerwünscht ist. Die Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls erfolgen. Dabei ist es vor allem bei der Würdigung des Willenselementes regelmäßig erforderlich, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivation und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in Betracht zieht (vgl. , NStZ 2018, 409 Rn. 19). In Fällen einer naheliegenden Gefährdung des Täters selbst oder für ihn elementarer Rechtsgüter ist dieser Umstand in die Beurteilung des Willenselementes einzustellen. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass es keinen Rechtssatz gibt, wonach es einem Tötungsvorsatz entgegensteht, dass mit der Vornahme einer fremdgefährdenden Handlung auch eine Eigengefährdung einhergeht (vgl. , NStZ 2018, 409 Rn. 21 mwN [zur Eigengefährdung im Straßenverkehr]).

7b) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung der Strafkammer nicht gerecht.

8Das Landgericht hat seine Annahme, der Angeklagte habe zumindest billigend in Kauf genommen, dass das Feuer auf das Gebäude übergreifen und die Familie E.           /D.        durch das Feuer bzw. die damit einhergehende Rauchentwicklung zu Tode kommen könnte, darauf gestützt, dass der Angeklagte darum gewusst habe, dass das Treppenhaus für die im Obergeschoss Wohnenden der einzige Fluchtweg gewesen sei. Auch sei ihm aufgrund des vorangegangenen Streits bekannt gewesen, dass sich die später Geschädigten zur Tatzeit in ihrer Wohnung aufhielten. Zudem habe es sich nicht um eine Spontantat gehandelt, denn der Angeklagte habe sein Vorhaben zuvor angekündigt. Dass der Angeklagte nicht in der Lage gewesen sei, die Situation zu erfassen, insbesondere, dass eine etwaige Rauchgasinhalation eine potentielle Lebensgefahr beinhalte, sei trotz der festgestellten Alkoholisierung und seines Betäubungsmittelkonsums nicht anzunehmen.

9Diese Erwägungen belegen die Feststellungen zum inneren Tatbestand nicht in ausreichender Weise. Soweit die Strafkammer dabei angenommen hat, dass der Angeklagte auch ein Übergreifen des Feuers auf das Gebäude und ein zu Tode kommen der Familie E.          /D.        durch das Feuer vor Augen hatte, als er den Kinderwagen im Hausflur im Erdgeschoss in Brand setzte, findet sich hierfür in der Beweiswürdigung keine Stütze. Eine phänomengebundene Beschreibung der Vorstellungen des Angeklagten in Bezug auf eine mögliche Brandentwicklung fehlt. Angesichts der Vorgehensweise des Angeklagten (Entzündung eines abgestellten Kinderwagens unter Zuhilfenahme von Zeitungspapier) und seines anschließenden Verhaltens (Hin- und Herschieben des brennenden Kinderwagens) liegt es auch nicht auf der Hand, dass die Tat des Angeklagten auf eine Brandausdehnung auf die Haussubstanz angelegt war. Vor diesem Hintergrund hätte auch – jedenfalls im Hinblick auf das Willenselement – in den Blick genommen werden müssen, dass der Angeklagte selbst in dem Haus wohnte und inwieweit seine eigene Wohnung von einem auf die Haussubstanz übergreifenden Brand betroffen gewesen wäre. Soweit das Landgericht auf eine mögliche todbringende Rauchgasinhalation abgestellt hat, hätte näherer Erörterung bedurft, dass der Sachverständige insoweit nur eine „potentielle Gefahr“ (UA 19) gesehen hat.

102. Damit ist nicht nur der Verurteilung wegen versuchten Mordes gemäß §§ 211, 22, 23 StGB in fünf tateinheitlichen Fällen, sondern auch der Verurteilung wegen versuchter Brandstiftung mit Todesfolge gemäß § 306c i.V.m. § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB in fünf tateinheitlichen Fällen in der hier gegebenen Variante des Versuchs der Erfolgsqualifikation (vgl. Rn. 8 mwN) die Grundlage entzogen, denn auch insoweit bedarf es der rechtsfehlerfrei belegten Feststellung eines auf einen möglichen Todeseintritt gerichteten Tatentschlusses. Die an die Verletzungen bei den Selbstrettungshandlungen anknüpfende Verurteilung wegen Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB kann schon deshalb nicht bestehen bleiben, weil die Strafkammer insoweit Tateinheit angenommen hat.

113. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen wurden rechtsfehlerfrei getroffen und können aufrechterhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); ergänzende Feststellungen sind möglich, soweit diese den bereits getroffenen Feststellungen nicht widersprechen. Sollte der neue Tatrichter erneut eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB in Bezug auf die Verletzungen der Geschädigten bei den Selbstrettungshandlungen ins Auge fassen, wird er sich – genauer als bisher geschehen – mit dem subjektiven Tatbestand auseinanderzusetzen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:040625B4STR501.24.0

Fundstelle(n):
FAAAJ-97652