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BGH Beschluss v. - 4 StR 11/25

Instanzenzug: LG Bielefeld Az: 21 KLs 4/24

Gründe

1Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

21. Nach den Feststellungen beging der seit 1997 an einer chronifizierten paranoiden Schizophrenie (IDC-10: F20.0) erkrankte Beschuldigte in der Zeit vom bis zum jeweils im Zustand einer akuten Psychose insgesamt achtzehn rechtswidrige Taten, bei denen seine Einsichtsfähigkeit nicht ausschließbar und für den Fall ihrer Gegebenheit aber seine Steuerungsfähigkeit aufgrund einer ausgeprägten Impulskontrollstörung sicher aufgehoben war. Im Einzelnen ereigneten sich folgende Taten:

3a) In insgesamt 14 Fällen (Taten II. 1. bis 5., 7., 9., 11., 13. bis 18.) entwendete der Beschuldigte im Tatzeitraum Bedarfsgegenstände des täglichen Lebens (Bekleidung, Lebensmittel, Unterhaltungselektronik, Werkzeug), Geldbeträge (von jeweils unter 100 Euro, bis auf Fall II. 14.: 2.450 Euro) sowie – in den Fällen II. 3. und II. 7. – Kraftfahrzeuge. Letztere nutzte er kurzzeitig für sich, bevor er sie stehen ließ, wobei das Fahrzeug im Fall II. 7. nicht zum Eigentümer zurückgelangte, der deshalb eine Versicherungsleistung zum Zeitwert von knapp 35.000 Euro in Anspruch nahm. Die Diebstähle erfolgten in einem Warenhaus, in Kliniken, auf einer Baustelle, in einem Fahrzeug, auf öffentlich zugänglichen Parkflächen sowie in Wohnungen, in die der Beschuldigte einstieg. Einem der Wohnungseinbrüche ging die vorherige Beobachtung des Geschädigten beim Abheben von Bargeld voraus (Tat II. 14.). In vier Fällen (Taten II. 5., 11., 13. und 15.) blieben die Taten unvollendet, weil der Beschuldigte durch die ihn antreffenden Geschädigten entweder aus dem Fenster geschubst (Tat II. 5.), bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten (Tat II. 11.) oder durch die Drohung, die Polizei zu rufen, zur Flucht bewegt wurde (Tat II. 15.) bzw. er den Tatort ohne Entwendung wieder verließ (Tat II. 13.). Darüber hinaus scheiterte der Beschuldigte in einem weiteren Fall (Tat II. 10.) mit seinem Versuch, in einem Juweliergeschäft eine Armbanduhr zum Preis von 119 Euro mit einer nicht auf seinen Namen lautenden, gesperrten EC-Karte zu bezahlen, da er die zugehörige PIN nicht kannte.

4b) In drei weiteren Fällen führte der Beschuldigte beim Eindringen in fremde Gebäude Körperverletzungshandlungen aus (Taten II. 6., 8. und 12.), wobei die Taten außer im Fall II. 12. nicht vollendet wurden.

5aa) Am (Tat II. 6.) drängte sich der Beschuldigte neben einer dort beschäftigten Pflegekraft durch die Eingangstür eines Pflegezentrums. Als die Zeugin ihn aufforderte, weiterzugehen, versuchte er, sie wegzuschubsen, und schlug ihr mit der Hand ins Gesicht, um sie zu verletzen. Die Zeugin konnte dem Schlag größtenteils ausweichen, was eine kurzfristige leichte Rötung, jedoch keine Schmerzen hervorrief. Als die Zeugin hinter eine Tür floh, die sie verriegelte, bekam der Beschuldigte nur noch den von ihr getragenen Regenschirm zu fassen, den er ihr aus Unmut hinterherwarf, sie jedoch nicht traf.

6bb) Am (Tat II. 8.) betrat der Beschuldigte den offenen Hausflur eines Mehrfamilienhauses, in den eine Postzustellerin folgte, um die Post in die innen gelegenen Briefkästen einzulegen. Als sie den Beschuldigten erblickte, forderte sie ihn auf, das Gebäude zu verlassen, woraufhin dieser sich wortlos so nah vor die Zeugin stellte, dass sich ihre Gesichter beinahe berührten. Sodann ging er an ihr vorbei ins Freie, drehte sich auf dem äußeren Treppenabsatz jedoch wieder um und ging mit erhobenen Fäusten auf sie zu, um sie zu schlagen. Die Zeugin versuchte, die Haustür zuzudrücken, was ihr jedoch erst gelang, nachdem sie zuvor ihrerseits den durch den Türspalt tretenden Beschuldigten getreten hatte. Als sie die Tür etwa zehn bis fünfzehn Sekunden später wieder öffnete, hatte der Beschuldigte sich bereits entfernt. Verletzungen oder Schmerzen erlitt sie nicht.

7cc) Am (Tat II. 12.) betrat der Beschuldigte gegen 21:30 Uhr den Flur einer Wohneinrichtung, in der er Hausverbot hatte. Als ihn die dort als Nachtwache tätige Zeugin erblickte, forderte sie ihn auf, das Gebäude zu verlassen. Daraufhin richtete sich der Beschuldigte zu voller Größe auf, beugte sich zu der Zeugin herunter und kam ihr mit seinem Gesicht so nahe, dass er sie beinahe berührte. Sodann versetzte er ihr mit dem linken Ellenbogen einen Hieb von vorne gegen den Oberkörper, um sie zu verletzen, und traf sie oberhalb der Brust und unterhalb des Schlüsselbeins. Noch während die Zeugin die Polizei anrief, verließ der Beschuldigte das Haus. Die Zeugin erlitt ein Hämatom im Brustbereich und verspürte ca. eine Stunde Schmerzen.

82. Das Landgericht hat die Taten rechtlich als Wohnungseinbruchsdiebstahl in Tateinheit mit Sachbeschädigung gemäß § 242 Abs. 1, § 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4, § 303 Abs. 1 StGB (Fall II. 17. der Urteilsgründe) gewertet, als versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahl in Tateinheit mit Sachbeschädigung gemäß § 242 Abs. 1, § 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, Abs. 4, §§ 22, 303 Abs. 1 StGB (Fall II. 15.), als Wohnungseinbruchsdiebstahl gemäß § 242 Abs. 1, § 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 StGB (Fall II. 14.), als versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahl gemäß § 242 Abs. 1, § 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, Abs. 4, § 22 StGB (Fall II. 5.), als Diebstahl in Tateinheit mit Sachbeschädigung gemäß § 242 Abs. 1, § 303 Abs. 1 StGB (Fall II. 16.), als Diebstahl gemäß § 242 Abs. 1, § 243 Abs. 1 Nr. 3 StGB (Fälle II. 1., 3., 7., 9. und 18.), gemäß § 242 Abs. 1, § 243 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB (Fall II. 2.) und gemäß § 242 Abs. 1, § 243 Abs. 2 StGB (Fall II. 4.), als versuchten Diebstahl gemäß § 242 Abs. 1 und 2, §§ 22, 243 Abs. 1 Nr. 3 StGB (Fall II. 11.) und gemäß § 242 Abs. 1 und 2, §§ 22, 243 Abs. 1 Nr. 1 und 3 StGB (Fall II. 13.), als Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB (Fall II. 12.), als versuchte Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 und 2, § 22 StGB (Fälle II. 6. und 8.) sowie als versuchten Betrug gemäß § 263 Abs. 1 und 2, § 22 StGB (Fall II. 10.).

93. Wegen dieser nicht ausschließbar im Zustand der Schuldunfähigkeit, sicher aber im Zustand der erheblich verminderten Schuldfähigkeit begangenen Taten sei der Beschuldigte nach § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen, weil zu erwarten sei, dass er infolge seines Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige Taten vergleichbar den Anlasstaten begehen werde. Er besitze keinerlei Empathiefähigkeit, folge unbeeindruckt durch geltende Gesetze seinen inneren Impulsen und begehe bei jeder ihm sich bietenden Gelegenheit Straftaten. Gegenüber Personen, die ihm körperlich unterlegen seien, zeige er auch die Bereitschaft zur Anwendung physischer Gewalt. Weniger einschneidende Maßnahmen reichten nicht aus, auch stehe die Unterbringung zur Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten und dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr nicht außer Verhältnis. Insbesondere seien auch weitere Wohnungseinbrüche zu erwarten, die zumindest der mittelschweren Kriminalität zuzuordnen seien. Eine Aussetzung des Vollzugs der Maßregel komme gleichermaßen nicht in Betracht.

II.

10Die ersichtlich auf § 63 Satz 1 StGB gestützte Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die ihr zugrundeliegende Gefährlichkeitsprognose ist nicht ausreichend begründet.

111. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten auf Grund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Zudem muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür bestehen, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde, durch die die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird. Die dazu notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln. Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt – wie hier – um einen Grenzfall handelt (vgl. Rn. 6; Beschluss vom – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338 mwN).

122. Daran gemessen, leiden die Ausführungen der Strafkammer zur Gefährlichkeitsprognose an Erörterungsmängeln, weil wesentliche Aspekte, die für die Bewertung der Erheblichkeit der von dem Beschuldigten begangenen und damit auch der entsprechend zu erwartenden Taten nicht erkennbar in den Blick genommen worden sind.

13a) Zwar ist bei Gewalt- und Aggressionsdelikten regelmäßig davon auszugehen, dass sie zu den erheblichen Straftaten in diesem Sinne gehören. Gleichwohl kann auch hier anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls zu prüfen und genauer darzulegen sein, ob tatsächlich erhebliche Schädigungen im Sinne von § 63 Satz 1 StGB zu erwarten sind. Einfache Körperverletzungen im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB, die nur mit geringer Gewaltanwendung verbunden sind und die Erheblichkeitsschwelle der tatbestandlich vorausgesetzten Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit lediglich unwesentlich überschreiten, können danach nicht ausreichend sein (vgl. Rn. 9; Urteil vom ‒ 3 StR 174/18, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 37; Beschluss vom – 1 StR 654/12 Rn. 19 weitere Nachweise bei Cirener in LK-StGB, 13. Aufl., § 63 Rn. 91). Gleiches muss im Ergebnis auch für Versuchstaten gelten, die von den anvisierten Opfern mit einfachen Mitteln abgewehrt werden können.

14Danach wäre unter den hier gegebenen Umständen näher zu erörtern gewesen, dass zwei der festgestellten Körperverletzungstaten (Taten II. 6. und II. 8.) im Versuchsstadium stecken geblieben sind. Auch hätte bewertet werden müssen, welche Umstände für die unterbliebene Vollendung maßgeblich waren. Zudem nimmt die Strafkammer nicht in den Blick, dass alle drei Taten lediglich einfache Körperverletzungshandlungen zum Gegenstand hatten. Auch wird nicht erwogen, ob und inwieweit diese Taten zumindest geeignet waren, längerfristige physische oder auch nur psychische Folgen auszulösen. Bei den Opfern in den Fällen II. 6., 8. und 12. wurde dergleichen nicht festgestellt.

15b) Für die Auslegung des Begriffs des schweren wirtschaftlichen Schadens hat die Rechtsprechung – als Ausgangswert – den durch den Gesetzgeber hierfür im Jahr 2016 für vertretbar erachteten Betrag von 5.000 Euro übernommen, betont jedoch in weiterer Übereinstimmung mit der Gesetzesbegründung, dass die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (vgl. BT-Drucks. 18/7244, S. 21). Daher kann im Einzelfall auch ein geringerer drohender Schaden die Gefährlichkeit des Täters begründen – etwa bei einem Wohnungseinbruchsdiebstahl, der das Opfer in der Regel seelisch oder körperlich erheblich gefährdet –, ebenso wie die Gefährlichkeit auch bei höheren Schäden verneint werden kann (vgl. BT-Drucks. 18/7244, S. 21; BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 234/22 Rn. 11; vom  – 1 StR 523/17 Rn. 3; vom – 3 StR 521/16 Rn. 10).

16Bei den festgestellten Eigentums- und Vermögensdelikten – die mit fünfzehn von insgesamt achtzehn Taten das deutliche Übergewicht der Taten bilden – überschreiten die hiermit verbundenen Schäden lediglich in einem Fall (Tat II. 7.) den oben genannten Richtwert von 5.000 Euro. Den Zeitwert des Fahrzeugs im Fall II. 3. hat das Landgericht nicht festgestellt; das Fahrzeug gelangte an den Eigentümer zurück. Soweit die Taten nicht zur Vollendung gelangten, verhalten sich die Urteilsgründe zudem nicht zum inneren Tatgeschehen, ohne dass die jeweilige Annahme eines einem Rücktritt entgegenstehenden Fehlschlags in diesen Fällen – mit Ausnahme der versuchten EC-Karten-Bezahlung (Tat II. 10.) – auf der Hand läge (Taten II. 5., 11., 13. und 15.). Im Zusammenhang hiermit bleibt gleichfalls unerörtert, dass der Beschuldigte den Geschädigten im Fall II. 14. der Urteilsgründe zunächst beim Abheben einer größeren Menge Bargelds beobachtet hatte, aber erst fünf Tage später in dessen Wohnung einstieg, was zu der Annahme der Kammer, der in seiner Impulskontrolle gestörte Beschuldigte begehe „bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit“ Straftaten, in einen nicht aufgelösten Widerspruch tritt und daher gleichfalls zur Erörterung drängte.

173. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Einer Aufhebung der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bedarf es nicht, weil diese von dem zur Aufhebung führenden Rechtsfehler nicht berührt sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Zwar enthält das Urteil keine zusammenhängende Darstellung der Einlassung des Beschuldigten zur Sache und deren Würdigung unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise, was regelmäßig die Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen nach sich zieht (vgl.  Rn. 12). Dies ist hier jedoch ausnahmsweise nicht durchgreifend rechtsfehlerhaft, da sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe noch hinreichend deutlich ergibt, dass sich der Beschuldigte in der Hauptverhandlung nicht zur Sache geäußert hat (vgl. ). Denn zum Verhalten des Beschuldigten in der Hauptverhandlung teilt die Kammer lediglich mit, dieser habe – durch den Sachverständigen als Hinweis auf akustische bzw. optische Halluzinationen gedeutet – vermehrt anlasslos gelacht bzw. seinen Blick auffällig durch den Raum schweifen lassen. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

Quentin                         Sturm                         Momsen-Pflanz

               Tschakert                   Gödicke

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:050625B4STR11.25.0

Fundstelle(n):
EAAAJ-97648