Suchen Barrierefrei
Online-Nachricht - Montag, 11.08.2025

Einkommen-/Körperschaft-/Gewerbesteuer | Gesetzliche Regelungen zur Mindestgewinnbesteuerung sind mit dem Grundgesetz vereinbar (BVerfG)

Dekorative GrafikDas BVerfG hat entschieden, dass die gesetzlichen Regelungen der sogenannten Mindestgewinnbesteuerung bei der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer verfassungsgemäß sind, soweit Körperschaftsteuersubjekte im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 KStG beziehungsweise Gesellschaften im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG betroffen sind ().

Hintergrund: Die zu beurteilenden Vorschriften regeln – seit dem Veranlagungs- beziehungsweise Erhebungszeitraum 2004 – den Abzug von Verlusten in Besteuerungsabschnitten, die auf die Verlustentstehung folgen. Das Gesetz spricht bei der Körperschaftsteuer von Verlustvortrag, § 8 Abs. 1 KStG in Verbindung mit § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG, und bei der Gewerbesteuer von der Kürzung von Fehlbeträgen, § 10a Sätze 1 und 2 GewStG.

Der Verlustvortrag bei der Körperschaftsteuer ist in der verfahrensgegenständlichen Fassung zeitlich nicht begrenzt, jedoch der Höhe nach beschränkt. Konkret ist der Verlustvortrag in einer Besteuerungsperiode bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von einer Million Euro (sogenannter Sockelbetrag) vollständig möglich. Übersteigt der Gesamtbetrag der Einkünfte diesen Sockelbetrag, ist ein Abzug vorgetragener Verluste jeweils nur in Höhe von weiteren 60 % des diesen Betrag übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte möglich. Der Abzug bestehender Verlustvorträge wird damit zeitlich gestreckt. Infolge dieser „Vortragstechnik“ verbleibt trotz eines weiter vorhandenen Verlustvortrags ein positives Einkommen, das der Besteuerung unterliegt. Es erfolgt damit eine „Mindestgewinnbesteuerung“. Eine entsprechende Regelung gilt für die Kürzung von Fehlbeträgen bei der Gewerbesteuer.

Sachverhalt und Verfahrensverlauf: Das durch den BFH angestoßene Normenkontrollverfahren betrifft die Frage, ob der nach den zu beurteilenden Vorschriften prozentual beschränkte Abzug von Verlusten durch Verlustvortrag mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Gegenstand der Vorlage ist eine besondere Sachverhaltskonstellation, in der ein vom BFH so bezeichneter „bilanzsteuerrechtlicher ‚Umkehreffekt‘“ zu einem erhöhten Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer und zu einem höheren vortragsfähigen Gewerbeverlust bei einer bilanzierenden Kapitalgesellschaft führte, die diese in der Folgezeit nicht vollständig aufzehren konnte, weil über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.

Die Regelungen zur Mindestgewinnbesteuerung sind insbesondere mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar. Ein Verstoß gegen den vorliegend maßgeblichen Willkürmaßstab liegt nicht vor:

  • Soweit die zu beurteilenden Vorschriften bei Überschreiten des Sockelbetrags von einer Million Euro (sog. Mittelstandskomponente) den Abzug vorgetragener Verluste pro Besteuerungszeitraum auf 60 % des Restbetrags beschränken, bewirken sie eine Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen abhängig von der Höhe des Gesamtbetrags der Einkünfte beziehungsweise des maßgebenden Gewerbeertrags. Bei einem Gesamtbetrag der Einkünfte oberhalb des Sockelbetrags führen die zu beurteilenden Vorschriften indes zu einer formalen Gleichbehandlung sämtlicher Körperschaftsteuersubjekte beziehungsweise Gewerbebetriebe, also auch solcher Steuersubjekte, die nicht fortbestehen, sondern deren zivil- und steuerrechtliche Existenz infolge von Liquidation oder Insolvenz beendet wird. Ob dies eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem darstellt, kann offenbleiben, weil eine solche Gleichbehandlung jedenfalls gerechtfertigt wäre.

  • Die durch die zu beurteilenden Vorschriften bewirkten (Un‑)Gleichbehandlungen sind am Willkürmaßstab zu messen. Die in der Rechtsprechung des BVerfG entwickelten Kriterien führen vorliegend nicht zu einer Verschärfung des verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsmaßstabs hin zu einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung.

  • Die durch die Regelungen der Mindestgewinnbesteuerung in der sogenannten „Grundkonzeption“ bewirkte Ungleichbehandlung wie auch die formale Gleichbehandlung in der besonderen Sachverhaltskonstellation eines „Definitiveffekts“ nach Eintritt eines „bilanzsteuerrechtlichen ‚Umkehreffekts‘“ sind nicht willkürlich, sondern durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung infolge der Begrenzung des Verlustvortrags der Höhe nach in der „Grundkonzeption“ der Mindestgewinnbesteuerung wird durch den sachlichen Grund kontinuierlicher und gegenwartsnaher Besteuerung als besonderem Fiskalzweck getragen.

  • Die „Grundkonzeption“ der Mindestgewinnbesteuerung genügt auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen an typisierende Regelungen.

  • Der Gesetzgeber geht – gerade bei „ewig lebensfähigen“ juristischen Personen – zunächst vertretbar davon aus, dass Verluste vergangener Besteuerungsperioden im Laufe der Zeit grundsätzlich abgetragen werden können. Die in der gesetzlichen Verankerung eines Sockelbetrags des Verlustvortrags in Höhe von einer Million Euro (sog. Mittelstandskomponente) zum Ausdruck kommende Anknüpfung an „große“ Unternehmen liegt ebenfalls nicht außerhalb des gesetzgeberischen Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums und folgt mit Blick auf den durch eine kontinuierliche und gegenwartsnahe Besteuerung zu verwirklichenden Verstetigungszweck keinem atypischen Fall als Leitbild. Ebenso wenig liegt die gewählte Höhe der gesetzlichen Parameter (Sockelbetrag kombiniert mit einem Abzugsprozentsatz) evident neben der Sache. Weiter durfte sich der Gesetzgeber bei der Auswahl und der Ausgestaltung (Höhe) der typisierenden Merkmale auf eine möglichst hohe Praktikabilität und Einfachheit der Vorschriften als sekundären Regelungszweck stützen. Dass die zu beurteilenden Vorschriften praktisch „einfach handhabbar“ sind und der feste Sockelbetrag durch die Nichterfassung kleiner und mittlerer Unternehmen dazu beitragen kann, die Rechtsanwendung zu vereinfachen, erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen.

  • Der aus der typisierenden Regelung der Mindestgewinnbesteuerung resultierende Nachteil, dass Verlustvorträge über die Zeit mangels ausreichender positiver Einkünfte nicht vollständig aufgezehrt werden können und gegebenenfalls endgültig ungenutzt wegfallen („Definitiveffekt“), steht in einem vertretbaren Verhältnis zu dem mit der Regelung primär verfolgten Ziel kontinuierlicher, gegenwartsnaher Besteuerung.

  • Der Steuerpflichtige trägt zwar das Risiko, ob er über einen hinreichenden Zeitraum tätig sein wird und innerhalb dessen kontinuierlich Gewinne erwirtschaftet, um vorhandene Verluste sukzessive in Ansatz bringen zu können. Ein solches allgemeines Risiko ist indes keine Besonderheit der genannten Vorschriften und hebt sich letztlich kaum von dem sogenannten Unternehmerrisiko ab. Auch soweit die zu beurteilenden Vorschriften – als Folge der Streckung des Verlustvortrags auf der Zeitachse – den wirtschaftlichen „Wertverlust“ bei Wegfall von Verlustvorträgen infolge eines „Definitiveffekts“ erhöhen, hat der Gesetzgeber mit Blick auf das angestrebte Reglungsziel die Grenzen seiner Typisierungsbefugnis nicht überschritten. Ein Wegfall von Verlustvorträgen ist in den verfahrensgegenständlichen Vorschriften nicht als Rechtsfolge vorgesehen, sondern resultiert unmittelbar (erst) aus anderen Vorschriften oder Rechtsgrundsätzen.

  • Die durch die Regelungen der Mindestgewinnbesteuerung bewirkte formale Gleichbehandlung in der vom BFH vorgelegten besonderen Sachverhaltskonstellation eines endgültigen Wegfalls von Verlustvorträgen („Definitiveffekt“) nach Eintritt eines „bilanzsteuerrechtlichen ‚Umkehreffekts‘“ überschreitet die Grenzen der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers nicht. Der Gesetzgeber war bei seiner Typisierungsentscheidung nicht von Verfassungs wegen gehalten, die seitens des vorlegenden Gerichts aufgegriffenen besonders gelagerten Fälle eines „Definitiveffekts“ nach „bilanzsteuerrechtlichem ‚Umkehreffekt‘“ durch eine Härteklausel abzumildern und damit zu privilegieren.

  • Die Vorteile der typisierenden Ausgestaltung der Mindestgewinnbesteuerung stehen nicht außer Verhältnis zu den mit ihr im Einzelfall verbundenen Härten infolge der formalen Gleichbehandlung von Körperschaftsteuersubjekten und Gewerbebetrieben, bei denen es nach Eintritt eines „bilanzsteuerrechtlichen ‚Umkehreffekts‘“ zu einem (teilweisen) Wegfall von Verlustvorträgen oder vortragsfähigen Gewerbeverlusten infolge einer Beendigung der Steuerpflicht kommt.

  • Hierbei sind insbesondere die folgenden Aspekte zu berücksichtigen: Zunächst bewirkt die Mindestgewinnbesteuerung selbst nicht den Wegfall von Verlustvorträgen. Weiter sehen das Körperschaftsteuerrecht und diesem folgend das Gewerbesteuerrecht besondere Vorschriften der Liquidationsbesteuerung bei Kapitalgesellschaften vor und schließlich lässt das allgemeine Verfahrensrecht die Gewährung von Billigkeitsmaßnahmen im Einzelfall zu. Es ist – unter Heranziehung der genannten Aspekte – nicht ersichtlich, dass die vorliegend zu beurteilende Sonderkonstellation mehr als nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Steuerpflichtigen beträfe und das Ausmaß der Gleichbehandlung nicht gering bliebe.

  • Bei der vorzunehmenden Evidenzkontrolle ist nicht erkennbar, dass durch die typisierende Gleichbehandlung in der im Vorlagebeschluss beschriebenen Sachverhaltskonstellation eintretende Härten mehr als nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Körperschaftsteuersubjekten beziehungsweise Gesellschaften beträfen und das (qualitative) Ausmaß mehr als nur gering einzuschätzen wäre. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch in dem Besteuerungszeitraum, in dem der „Definitiveffekt“ eintritt, ein Verlustabzug in Höhe von 60 % des eine Million Euro übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte beziehungsweise des maßgebenden Gewerbeertrags erfolgt. Das allgemeine Risiko der nicht vollständigen Verlustnutzung realisiert sich auch in der besonderen Konstellation des Ausgangsverfahrens nur hinsichtlich des in den vorangegangenen Besteuerungszeiträumen infolge der Mindestgewinnbesteuerung nicht abgezogenen (zeitlich gestreckten) Teilbetrags an Verlusten.

Hinweis:

Weitere Informationen zum Verfahren können Sie dem Entscheidungsvolltext des Beschlusses 2 BvL 15/14 entnehmen.

Quelle: BVerfG, Pressemitteilung Nr. 71/2025 v. und (lb)

Fundstelle(n):
QAAAJ-97323